steueranwalts magazin - Arbeitsgemeinschaft Steuerrecht im ...
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� Beiträge<br />
Vorsatz und Leichtfertigkeit<br />
Prof. Dr. Wolfgang Joecks, Ernst-Moritz-Arendt-Universität, Greifswald, Lehrstuhl für Strafrecht,<br />
insbesondere Wirtschafts- und Steuerstrafrecht<br />
I. Einführung<br />
Gemeinsam ist den Tatbeständen der §§ 370, 378 AO, daß<br />
jemand gegenüber der Finanzbehörde unrichtige Angaben<br />
macht oder pflichtwidrig Informationen über steuerlich erhebliche<br />
Tatsachen vorenthält und dadurch eine Steuerverkürzung<br />
bewirkt. Handelt der Betreffende vorsätzlich, unterfällt<br />
er dem Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO);<br />
handelt er leichtfertig, greift § 378 AO ein. In wenigen Fällen<br />
kennt die Abgabenordnung Ordnungswidrigkeiten, bei<br />
denen bloße Fahrlässigkeit ausreicht, wie etwa bei der Gefährdung<br />
der Einfuhr- und Ausfuhrabgaben (§ 382 Abs. 1 AO).<br />
Die Konsequenzen der unterschiedlichen Zuordnung<br />
liegen auf der Hand: Einmal geht es um eine Straftat, zum<br />
anderen um eine Ordnungswidrigkeit. Die Abgrenzung ist<br />
aber schwierig.<br />
Anlaß für die Beschäftigung mit der Thematik ist ein doppelter:<br />
Zum einen hat der Bundesgerichtshof in einer aktuellen<br />
Entscheidung seine Auffassung zu den Übergängen<br />
zwischen Vorsatz und Leichtfertigkeit dokumentiert. 1 Zum<br />
anderen hat die Differenzierung vor dem Hintergrund der<br />
Neuregelung zur Selbstanzeige an Schärfe gewonnen. Wenn<br />
bislang eine unvollständige Selbstanzeige erstattet wurde,<br />
war sie doch zumindest so weit wirksam, wie entsprechend<br />
nachgetragen und korrigiert wurde. 2 Wenn dann bei einem<br />
Restbetrag der Streit entstand, ob <strong>im</strong> Vorfeld vorsätzlich<br />
oder leichtfertig gehandelt worden ist, hatte dies zum einen<br />
Bedeutung für die verlängerte Festsetzungsfrist, aber auch<br />
für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen. 3 Über den<br />
Restbetrag konnte man sich insofern einigen, daß notfalls<br />
nach § 153a StPO verfahren wurde, also wegen des nicht<br />
wirksam berichtigten Teilbetrages eine Einstellung gegen<br />
Auflagen erfolgte. Dieser Weg ist nunmehr versperrt, da<br />
eine unvollständige Selbstanzeige nach vorsätzlicher Steuerverkürzung<br />
unwirksam ist. 4 Zwar mag bei geringfügigen<br />
Abweichungen die Wirksamkeit der Selbstanzeige in Gänze<br />
nicht gefährdet sein, 5 wenn aber die Grenze der Unerheblichkeit<br />
überschritten ist, gilt: War eine vorsätzliche Steuerhinterziehung<br />
repariert worden, sind alle betroffenen<br />
Jahre noch in Gänze verfolgbar. Lag eine leichtfertige Steuerverkürzung<br />
zugrunde, verbleibt es bei der Rechtslage vor<br />
Änderung der Abgabenordnung: Wer die bußgeldbefreiende<br />
Selbstanzeige erstatten will, wird bußgeldfrei, soweit<br />
er berichtigt hat. 6 Für den Rest mag es bei einer maßvollen<br />
Sanktionierung mit einem Bußgeld verbleiben.<br />
II. Die Problematik der inneren Tatseite<br />
Der Beamte der Steuerfahndung oder Strafsachenstelle, der<br />
Staatsanwalt, aber auch der Richter, können nicht in den<br />
Wolfgang Joecks Vorsatz und Leichtfertigkeit<br />
Kopf des Betroffenen schauen. Sie müssen ihre Schlüsse aus<br />
äußeren Umständen ziehen. Nicht selten gibt es Schriftverkehr,<br />
der deutlich dokumentiert, daß der Täter sich bewußt<br />
war, daß das von ihm Getane strafrechtswidrig ist. Auch<br />
mögen Handlungsanweisungen in einem Unternehmen<br />
deutlich machen, daß etwa ein Mitarbeiter leichtfertig gehandelt<br />
hat, als er entgegen den klaren Vorgaben des Konzerns<br />
Buchungen vornahm, die zu einer Steuerverkürzung<br />
führten. In weniger klaren Fällen muß der Rechtsanwender<br />
aus Indizien auf das Vorstellungsbild des Betroffenen zum<br />
Zeitpunkt der Abgabe bzw. Nichtabgabe von Erklärungen<br />
schließen. Aus dem von ihm ermittelten Sachverhalt heraus<br />
wird er prüfen, ob Vorsatz oder Leichtfertigkeit (oder keines<br />
von beiden) vorliegt. Dabei soll Vorsatz hier vorläufig<br />
definiert werden als Wollen der Tatbestandsverwirklichung<br />
in Kenntnis aller objektiven Tatumstände. 7 Leichtfertigkeit<br />
soll vorläufig verstanden werden als „ein gesteigertes Maß<br />
an Fahrlässigkeit, ähnlich der groben Fahrlässigkeit des Zivilrechts.“<br />
8<br />
1. Vorsatz<br />
Über § 369 Abs. 2 AO gelten auch für das Steuerstrafrecht<br />
grundsätzlich die allgemeinen Regeln über das Strafrecht.<br />
Im Kernstrafrecht unterscheidet man drei Vorsatzformen,<br />
die durch die unterschiedliche Intensität der voluntativen<br />
und intellektuellen Seite (Wollensseite/Willensseite) gekennzeichnet<br />
sind. So mag der Täter absichtlich handeln<br />
(dolus directus I.), er mag sicher um die Folgen seines Tuns<br />
wissen (dolus directus II.), er kann aber auch lediglich für<br />
möglich halten, daß sein Verhalten Folgen zeitigen wird<br />
(dolus eventualis).<br />
Fälle, in denen jemand sicher darum weiß, daß er unrichtige<br />
Angaben macht und eine Steuerverkürzung herbeiführt,<br />
sind eher selten. Wer zwe<strong>im</strong>al <strong>im</strong> Rahmen einer Au-<br />
1 BGH v. 08. 09. 2011, wistra 2011, 465.<br />
2 Vgl. Joecks, <strong>steueranwalts</strong><strong>magazin</strong> 2010, 144.<br />
3 Allerdings tendiert die Verwaltung in jüngerer Zeit offenbar dazu, bei<br />
leichtfertiger Steuerverkürzung nach Selbstanzeigen Zinsvorteile<br />
gegebenenfalls über den Verfall nach § 29a OWiG abzuschöpfen.<br />
4 Joecks, <strong>steueranwalts</strong><strong>magazin</strong> 2011, 128.<br />
5 BGH v. 25. 07. 2011, wistra 2011, 428, 429; dazu Spatscheck/Höll,<br />
<strong>steueranwalts</strong><strong>magazin</strong> 2011, 204, 209.<br />
6 Vgl. Joecks, <strong>steueranwalts</strong><strong>magazin</strong> 2011, 128, 130.<br />
7 Vgl. Wessels/Beulke, Strafrecht AT, 41. Aufl. 2011, Rn. 203.<br />
8 Vgl. Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl. 2009, § 378, Rn. 27.<br />
26 <strong>steueranwalts</strong><strong>magazin</strong> 1/2012