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Zum 100. Geburtstag von Benny Goodman<br />
Das Jahr 1909 bringt auch aus musikalischem Blickwinkel zahlreiche<br />
bedeutende Gedenktage. Zentral ist dabei natürlich der 200. Todestag<br />
von Joseph Haydn. Aus der Perspektive der österreichischen Blasmusiktradition<br />
ergibt sich die wohl von vielen genützte Chance, der ebenfalls<br />
200. Wiederkehr der Kämpfe am Berg Isel mit erneuten Aufführungen von<br />
Sepp Tanzers Schlüsselwerk „Tirol 1809“ zu gedenken. Vielleicht nicht an<br />
erster Stelle zu nennen, gerade für die stilistisch so vielfältig aktive<br />
Blasmusik von heute nachdrücklich von Relevanz, ist der sich am 30. Mai<br />
2009 zum hundertsten Mal jährende Geburtstag von Benny<br />
Goodman.<br />
Es kommt nicht übertrieben häufig vor, dass das eigene<br />
Leben zu Lebzeiten in Hollywood verfilmt wird. Benny<br />
Goodman ist das bereits 1955 widerfahren. Die „Benny<br />
Goodman-Story“ steht in einer Reihe mit ziemlich kitschtriefenden<br />
vergleichbaren Produkten (etwa der „Glenn<br />
Miller-Story“), machte jedoch auch jene Publikumskreise<br />
auf den klassischen Swing aufmerksam, die freiwillig wohl<br />
kaum in ein Jazzkonzert gegangen wären. Darüber hinaus<br />
konnte der Film in der Nachkriegszeit auch gut als Werbung<br />
für den „American Way of Life“ herhalten. Goodman<br />
selbst befand sich zu dieser Zeit schon in der Position, über Derartiges<br />
milde lächeln zu können. Bis zu seinem Tod im Jahr 1986 blieb<br />
er eine zentrale Figur des klassischen Jazz, Orientierungspunkt vor<br />
allem für Klarinettisten und Big-Band-Enthusiasten weltweit.<br />
Dabei hatte alles sehr bescheiden begonnen: Benjamin David Goodman,<br />
dessen Eltern wie so viele in der Hoffnung auf ein besseres Leben in der<br />
„Neuen Welt“ in die USA gekommen waren, erblickte in Chicago das<br />
Licht der Welt – in sehr einfachen Verhältnissen, vergleichbar mit der<br />
Kindheit und Jugend von Persönlichkeiten wie Aaron Copland oder<br />
George Gershwin. In der vom Vater besuchten Synagoge erhielt er seinen<br />
ersten Musikunterricht, später gehörte der Jugendliche zu einer<br />
kleinen, von einer wohltätigen Organisation betriebenen Kapelle, die<br />
aus eben erst Eingewanderten bestand, und zwecks Integration in die<br />
amerikanische Kultur ein buntes Programm zwischen Märschen,<br />
Ouverturen und Schlagern spielte. Bei Franz Schoepp, einem Mitglied<br />
des Chicago Symphony Orchestra, lernte er danach fundierter die Welt<br />
der klassischen Klarinette kennen und erwarb sich schnell eine ausgezeichnete<br />
Technik, die zu seinem besonderen Markenzeichen werden<br />
sollte. Was er spielen wollte, war aber der Jazz. Chicago war nach New<br />
Orleans zum zweiten zentralen Ort der Jazzszene aufgestiegen, wobei<br />
sich hier im Verlauf der 1920er-Jahre die wichtige Tendenz zum<br />
Nacheinanderimprovisieren auf möglichst hohem instrumentaltechnischem<br />
Niveau zeigte (was später als „Chicago-Stil“ bezeichnet wurde).<br />
Der junge Goodman studierte aufmerksam Vorbilder aus der schwarzen<br />
und weißen Szene der Stadt. 1925 bekam er ein erstes wirklich interessantes<br />
Engagement in der Band des Schlagzeugers Ben Pollack. Die Big<br />
Band war ja noch nicht erfunden, auch das Arrangement steckte in den<br />
Kinderschuhen. 1928 kam er mit dieser Band erstmals nach New York,<br />
das in der Folge zu seinem Lebens- und Karrieremittelpunkt werden<br />
sollte. Jahrelang arbeitete er als freier Musiker in Aufnahmestudios, hatte<br />
kurze Engagements in vielen unterschiedlichen Bands, ehe er 1934<br />
seine erste Big Band gründete.<br />
Die Zeit war günstig: Der junge Rundfunk verbreitete sich extrem rasant,<br />
auch die Schallplattenindustrie produzierte so günstig, dass ein<br />
Massenpublikum auf den „Swing“ aufmerksam wurde, der vor allem zu<br />
Tanzzwecken geboten wurde. Fast jede Band hatte auch eine Sängerin<br />
und/oder einen Sänger (Sinatras Karriere startete etwa zur gleichen<br />
Zeit) und der „Jazz“ dieser Art war nicht zuletzt an den öffentlichen<br />
Erfolg gebunden. Neben Improvisation und Swing waren daher auch<br />
Blasmusik in der Steiermark<br />
King of Swing und Mittler zwischen den Welten<br />
langsame Walzer und Gefühlskitsch zu bieten. In der Radioshow „Let’s<br />
Dance“ hatte Goodmans Band einen ersten festen Platz, die Aufforderung<br />
wurde dann ja auch Titel einer seiner bekanntesten<br />
Hitnummern (übrigens musikalisch basierend auf Carl Maria von<br />
Webers „Aufforderung zum Tanz“!). Goodman arbeitete mit den besten<br />
Arrangeuren der Szene zusammen, darunter Dean Kincaide, Will<br />
Hudson und Benny Carter (der auch als Altsaxophonist bekannt war).<br />
Goodman selbst war als Bandleader auch der absolute Star des<br />
Orchesters, die Arrangements wurden ganz auf seine eleganten Soli zugeschnitten.<br />
Trotzdem versammelte er von Anfang an und auch später<br />
immer maßgebliche Stimmen der Szene in seiner Band,<br />
darunter den Pianisten Teddy Wilson, den Schlagzeuger<br />
Gene Krupa und den Vibraphonisten Lionel Hampton.<br />
Die Hautfarbe war für Goodman nie ein Kriterium, obwohl<br />
sich auch die Goodman-Band vor allem auf<br />
Tourneen im Süden und mittleren Westen mit dem damals<br />
noch herrschenden US-Alltagsrassismus konfrontiert<br />
sah.<br />
Ein Meilenstein der Jazzgeschichte und Zeichen für die<br />
beginnende tatsächliche Akzeptanz in der breiten Gesellschaft<br />
(und vor allem beim „besseren“ Publikum) war<br />
1938 sein Auftritt in der New Yorker Carnegie Hall, die<br />
zuvor für die „ernste“ Musik reserviert gewesen war. Goodmans Platz<br />
als „King of Swing“ blieb in der Folge im öffentlichen Bewusstsein ungefährdet,<br />
obwohl die Konkurrenz von den Dorsey-Brüdern über Glenn<br />
Miller bis hin zu den viel jazzmäßigeren Bands von Count Basie und<br />
Duke Ellington beträchtlich war. In kleineren Ensembles, besonders im<br />
Quartett und Sextett, spielte auch Goodman wesentlich erdigeren Jazz<br />
als in der Big Band, die vor allem auf Schallplatte nicht selten mit prestigeträchtiger<br />
Streicherauffettung zu hören war.<br />
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges gehörte Goodman folgerichtig zu<br />
den Stars der etablierten Jazz-Szene, die vom US-Außenministerium als<br />
„kulturelle Botschafter“ ausgeschickt wurden, um vor dem Hintergrund<br />
des Kalten Krieges international gute Stimmung für die USA zu machen.<br />
Die musikalisch-technische Weiterbildung blieb ihm dabei stets<br />
ein Anliegen. So nahm er etwa noch Ende der 40er-Jahre Unterricht<br />
beim renommierten Lehrer Reginald Kell (möglicherweise durch seine<br />
Staccato-Etüden ein nicht überall gern gehörter Name) und stellte sogar<br />
seinen Ansatz um (!).<br />
Benny Goodman hatte aber noch eine zweite, ganz wesentliche<br />
Funktion, nämlich die des Vermittlers zwischen zuvor streng getrennten<br />
musikalischen Welten. Einerseits interpretierte er selbstbewusst zahlreiche<br />
zentrale Kompositionen der klassischen Klarinettenliteratur, andererseits<br />
vergab er sogar Aufträge für neue Werke an ihm bekannte oder<br />
von ihm verehrte Komponisten wie beispielsweise (um nur die bekanntesten<br />
zu nennen) Aaron Copland (Konzert für Klarinette und Streichorchester),<br />
Béla Bartók („Contrasts“ für Klarinette, Violine und Klavier)<br />
und Paul Hindemith (Klarinettenkonzert). Darin manifestierte sich in<br />
beträchtlicher Deutlichkeit das inzwischen erreichte Selbstbewusstsein<br />
der etablierten Swingszene.<br />
Es soll auch nicht verschwiegen werden, dass es gerade diese etablierte<br />
Swingszene, personifiziert von Goodman, war, gegen die sich die junge<br />
Generation des modern jazz ab den 40er-Jahren verstärkt auflehnte.<br />
Goodman hat aber stets die Kommunikation mit diesen Jungen gesucht<br />
und wurde von ihnen auch anerkannt. So kam auch der junge österreichische<br />
Saxophonist Hans Koller, damals ganz sicher einer der „Wilden“,<br />
in den Genuss, mit dem „King“ spielen zu können.<br />
Goodmans Sound hat weit über den Big-Band-Jazz hinausgewirkt. Die<br />
Beschäftigung mit ihm ist auch für Blasorchesterklarinettisten nach wie<br />
vor verpflichtend, will man nicht einen wesentlichen Bestandteil der<br />
Stilistik des 20. Jahrhunderts ausblenden. Christian Glanz