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AUFSATZ ZIVILRECHT · DER AUSSCHLUSS DER LEISTUNGSPFLICHT NACH § 275 BGB<br />

behaltlich abweichender Vereinbarungen – der Gattung nach<br />

bestimmte Sachen zu liefern und bleibt deshalb – wie bereits<br />

ausgeführt – solange verpflichtet, solange er solche Sachen aus<br />

ihm zugänglichen Quellen am betreffenden Markt 40 beschaffen<br />

kann. 41 Aber auch bei einer Stückschuld ist aufgrund der<br />

vertraglichen Vereinbarungen zu bestimmen, wie weit die<br />

Leistungspflicht des Schuldners reicht.<br />

Beispiel: V verkauft sein Cabrio für 10.000 € an K. Das Fahrzeug soll<br />

zu einem bestimmten Termin von V in dessen Garage übergeben<br />

werden. In der Nacht vor dem Übergabetermin wird das Cabrio<br />

gestohlen. Es taucht später in Murmansk auf. Die Rückführungskosten<br />

betragen gleichfalls 10.000 €. K hat nach dem Vertragsschluss<br />

mit V das Cabrio für 20.000 € an X <strong>weiter</strong>veräußert. K<br />

besteht auf Erfüllung des Vertrages mit V. 42<br />

Durch (ggf. ergänzende) Auslegung des Vertrages, den V und<br />

K geschlossen haben, muss ermittelt werden, ob daraus die<br />

Verpflichtung des V abzuleiten ist, den gestohlenen Wagen aus<br />

Murmansk zu holen und an dem für die Übergabe vereinbarten<br />

Ort K anzubieten. Ist dies zu verneinen – wofür in diesem<br />

Beispielsfall alles spricht –, dann tritt dadurch, dass V infolge<br />

des Diebstahls die Verfügungsgewalt über das Fahrzeug verliert,<br />

(subjektive) Unmöglichkeit ein und die primäre Leistungspflicht<br />

erlischt nach § 275 I BGB. 43 Nur wenn eine (bis<br />

nach Murmansk reichende 44 ) Beschaffungspflicht des V zu<br />

bejahen ist, kann sich die Frage ergeben, ob dann V ein Leistungsverweigerungsrecht<br />

nach § 275 II BGB zusteht. 45<br />

Grundsätzlich wird auch außerhalb der Übernahme eines Beschaffungsrisikos<br />

von einem Schuldner erwartet, dass er alles<br />

ihm Mögliche und Zumutbare unternimmt, um seine Leistungsfähigkeit<br />

zu erhalten und ggf. herzustellen.<br />

Beispiel: Galerist G bietet K das Gemälde Sonnenuntergang des<br />

Malers Farbenreich für 5.000 € zum Kauf an. K nimmt das Angebot<br />

an und bittet G, das Gemälde mit einem anderen Rahmen zu versehen.<br />

Zu diesem Zweck bleibt das Gemälde noch bei G. Der Angestellte<br />

A des G, der von dem Verkauf an K nicht informiert ist,<br />

verkauft und übergibt das Gemälde Sonnenuntergang dem B zum<br />

gleichen Preis. K besteht auf die Erfüllung des Kaufvertrages. G bittet<br />

deshalb B, ihm das Gemälde wieder zu verkaufen. Dieser ist dazu<br />

bereit, verlangt aber 10.000 €. 46<br />

Im Unterschied zum Cabrio-Fall ist die Pflicht des Galeristen<br />

zur Wiederbeschaffung des Bildes im Gemälde-Fall zu bejahen,<br />

denn nach dem Willen der Parteien kann der zweite Verkauf<br />

keinen Hinderungsgrund schaffen, der die Leistungspflicht<br />

des Verkäufers entfallen lässt. 47 Ein Unvermögen ist<br />

deshalb nur dann zu bejahen, wenn eine realistische Möglichkeit<br />

für den Schuldner zur Wiederbeschaffung ausgeschlossen<br />

werden muss. Dies wäre beispielsweise anzunehmen, wenn<br />

das Gemälde von A an einen Unbekannten veräußert worden<br />

wäre oder wenn der Dritte – im Beispielsfall B – nicht bereit<br />

ist, den von ihm erworbenen Gegenstand wieder zurückzugeben.<br />

Gleich zu behandeln ist der Fall, dass die Weigerung zur<br />

Rückgabe hinter völlig unsinnigen und deshalb unerfüllbaren<br />

Konditionen versteckt wird.<br />

Beispiel: Im Beispielsfall des zweifach verkauften Gemäldes verlangt<br />

B für die Rückgabe des Gemäldes eine Million Euro.<br />

Man könnte zwar daran denken, in diesem Fall den Galeristen<br />

auf ein sich aus § 275 II BGB ergebendes Leistungsverweigerungsrecht<br />

zu verweisen, jedoch ist diese Vorschrift sinnvol-<br />

lerweise auf Fälle zu beschränken, in denen der Aufwand zur<br />

Leistungserbringung für den Schuldner nicht jenseits aller vernünftigen<br />

Dimensionen liegt. 48 Denn nur dann besteht ein<br />

vernünftiger Grund, dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht<br />

einzuräumen. Die häufig gebrachten Beispielsfälle<br />

zur Erläuterung einer faktischen Unmöglichkeit, der in das<br />

Meer gefallene Ring oder der Münzschatz unter den Fundamenten<br />

eines Hochhauses, 49 begründen bei sinnvoller Bewertung<br />

die Unmöglichkeit der Leistung, wenn sich nicht der<br />

Schuldner in Kenntnis der bestehenden Schwierigkeiten zur<br />

Bergung des Ringes oder des Münzschatzes verpflichtet hat. 50<br />

Ganz überwiegend wird jedoch § 275 I BGB eng ausgelegt<br />

und diese Vorschrift nur auf Fälle angewendet, in denen der<br />

Schuldner nicht einmal theoretisch, also unter gar keinen Umständen,<br />

das Leistungshindernis beseitigen kann. 51 Dies geschieht<br />

– angeleitet durch die Gesetzesbegründung –, um<br />

§ 275 II BGB für die faktische Unmöglichkeit anwendbar sein<br />

zu lassen. Dabei muss der Inhalt der vertraglichen Leistungspflicht<br />

des Schuldners unbeachtet bleiben, denn es erscheint<br />

kaum vorstellbar, dass sich ein Schuldner zu Leistungen verpflichtet,<br />

die außerhalb jeder Vernunft liegen. Man kann sich<br />

nicht damit beruhigen, dass die praktischen Konsequenzen<br />

für den Schuldner deshalb nicht erheblich seien, weil letztlich<br />

die Leistungsverweigerung nach § 275 II BGB zu gleichen<br />

Rechtsfolgen führt, wie sie sich aus § 275 I BGB ergeben,<br />

nämlich zum Erlöschen der primären Leistungspflicht. Denn<br />

die Abhängigkeit von dem Geltendmachen einer Einrede in<br />

den Fällen des § 275 II BGB ist in ihren praktischen Auswirkungen<br />

keinesfalls gering zu achten. Denn ist beispielsweise<br />

der Schuldner in einem Rechtsstreit nicht vertreten,<br />

dann wird er infolge des Fehlens einer entsprechenden Einrede<br />

zur Leistung verurteilt, während ein Unvermögen i.S.v.<br />

40 Vgl. Fn. 5.<br />

41 MüKo-BGB/Grundmann (Fn. 2) § 276 Rn. 178.<br />

42 Dieses Beispiel stammt von Picker JZ 2003, 1035 (1036).<br />

43 So auch Lorenz Neues Leistungsstörungs- und Kaufrecht: Eine Zwischenbilanz,<br />

2004, S. 10; Unberath (Fn. 38) S. 276; Stürner Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit<br />

im Schuldvertragsrecht, 2010, S, 178 f,: Bernhard Jura 2006, 801 (805 ff.). In die<br />

gleiche Richtung gehen die Erwägungen von Picker JZ 2003, 1035 (1042), der in<br />

dem Beispielsfall zu Recht verneint, dass der den V treffende Mehraufwand durch<br />

die Rückholung des Cabrio dem Willen der Parteien entsprochen haben könne, weil<br />

sie ein „Platzgeschäft“ und nicht ein Beschaffungsgeschäft geschlossen hätten. Die<br />

Maßgeblichkeit des durch Auslegung zu gewinnenden Inhalts des Schuldverhältnisses<br />

betonen auch Wilhelm DB 2004, 1599 (1604) und Lobinger (Fn. 22) S. 139 ff.<br />

44 Dass V verpflichtet wäre, das verkaufte Cabrio zurückzuholen und es K in seiner<br />

Garage zu übergeben, wenn es in dem Nachbarort aufgefunden worden wäre, kann<br />

dagegen nicht zweifelhaft sein; so Staudinger/Löwisch/Caspers (Fn. 35) Rn. 82. Ein<br />

solches Verhalten ist zumutbar und Ausfluss der jeden Schuldner treffenden Pflicht,<br />

alles ihm Mögliche und Zumutbare zu tun, um seine Leistungspflicht zu erhalten<br />

oder wiederherzustellen; dazu sogleich. Dagegen meint Picker FS Konzen, 2006,<br />

S. 687 (697 Fn. 23), dass auch in diesem Fall § 275 I BGB anzuwenden sei, weil die<br />

Wiederbeschaffung Geld koste und mit dem Risiko eines Scheiterns belastet sei.<br />

45 Die Diskussion des Cabrio-Falles wird ganz überwiegend nur in Bezug auf § 275 II<br />

BGB geführt (vgl. z.B. Canaris JZ 2004, 214) ohne die <strong>hier</strong> aufgeworfene Frage nach<br />

dem Inhalt der Leistungspflicht angemessen zu berücksichtigen. Finn Erfüllungspflicht<br />

und Leistungshindernis, 2007, S. 249, will die Antwort auf die Frage nach<br />

der Reichweite der Beschaffungspflicht im Cabrio-Fall aus § 275 II BGB ableiten.<br />

46 Dieses Beispiel wird in verschiedenen Beiträgen erörtert, vgl. z.B. Fischer DB 2001,<br />

1923 (1924); Schwarze Jura 2002, 73 (74); Bernhard Jura 2006, 801.<br />

47 Ebenso Unberath (Fn. 38) S. 277.<br />

48 So auch Emmerich Das Recht der Leistungsstörungen, 6. Auflage 2005, § 3 Rn. 50.<br />

Überwiegend wird dies allerdings anders gesehen und § 275 II BGB vornehmlich<br />

bei „exorbitanten Kosten“ (so MüKo-BGB/Ernst [Fn. 2] § 275 Rn. 37) und bei<br />

einem „völlig unverhältnismäßigem Aufwand“ (so Looschelders [Fn. 8] Rn. 474)<br />

angewendet. Finn (Fn. 45) S. 467, bezeichnet es zu Recht als „wenig passend“, dem<br />

Schuldner „angesichts des extremen Charakters der Fallkonstellationen und der<br />

dadurch bedingten mangelnden Sinnhaftigkeit“ eine Wahlmöglichkeit gemäß § 275<br />

II BGB einzuräumen, will dies aber gleichwohl hinnehmen.<br />

49 Vgl. z.B. Emmerich (Fn. 48) § 3 Rn. 46.<br />

50 So auch Schmidt-Recla (Fn. 1) S. 661 (663); Huber FS Schlechtriem, 2003, 521 (560<br />

Fn. 105); Otto Jura 2002, 1 (3); Fischer DB 2001, 1923 (1925); Staudinger/Löwisch/<br />

Caspers (Fn. 35) Rn. 25.<br />

51 Helm (Fn. 31) S. 55 (60) (93); Finn (Fn. 45) S. 134; Brox/Walker (Fn. 4) Rn. 3.<br />

11/2011 805<br />

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