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AUFSATZ ZIVILRECHT · DER AUSSCHLUSS DER LEISTUNGSPFLICHT NACH § 275 BGB<br />

tet werden als bei einem zufälligen Untergang des Leistungsgegenstandes.<br />

84 Bei einem synallagmatischen Vertrag, bei dem<br />

die Leistungsgefahr der Gläubiger trägt, verliert der Schuldner,<br />

dem die Gegenleistungsgefahr zufällt, im Fall einer Unmöglichkeit<br />

der Leistungserbringung die Gegenleistung. 85 Eine<br />

finanzielle Belastung des Schuldners bis zur Höhe dieser<br />

Gegenleistung erscheint folglich zumutbar, sodass ihm ein<br />

Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 II BGB auch nur<br />

beim Überschreiten dieser Grenze zugestanden werden<br />

kann. 86 Bei einseitigen Leistungspflichten braucht der Schuldner,<br />

der das Leistungshindernis nicht zu vertreten hat, entsprechend<br />

der Verteilung der Leistungsgefahr überhaupt keine<br />

zusätzlichen Anstrengungen zur Überwindung des Leistungshindernisses<br />

zu unternehmen. 87 Der Einwand, das Gläubigerinteresse<br />

könne bei synallagmatischen Verträgen im Einzelfall<br />

die Gegenleistung sowohl überschreiten als auch unterschreiten,<br />

folglich könne die Gegenleistung keine Richtgröße darstellen,<br />

88 ist deshalb nicht stichhaltig, weil durch die Gefahrtragungsregeln<br />

das Leistungsinteresse eines redlich handelnden<br />

Gläubigers, auf den im Rahmen des § 275 II BGB abzustellen<br />

ist, angemessen begrenzt wird. Es entspricht der<br />

Regelung des § 275 II 2 BGB, dass ein Schuldner, der das<br />

Leistungshindernis zu vertreten hat, höhere finanzielle Mittel<br />

zur Überwindung des Leistungshindernisses einsetzen muss<br />

und dass die Grenze durch die Höhe des Schadens gebildet<br />

wird, deren Ersatz der Gläubiger als Schadensersatz statt der<br />

Leistung fordern kann.<br />

4. Das Verhältnis des § 275 II BGB zu § 313 BGB<br />

Wer die Anwendung des § 275 II BGB auf extreme Ausnahmefälle<br />

beschränken will 89 und damit ihr einen „virtuellen,<br />

nur in der Vorstellung des Gesetzgebers existierenden Anwendungsbereich“<br />

90 schafft, hat kaum Schwierigkeiten bei der<br />

Abgrenzung beider Vorschriften voneinander. Alle praktisch<br />

relevanten Fälle müssen dann auf der Grundlage des § 313<br />

BGB gelöst werden. Ein anderer Ansatz besteht darin, vorrangig<br />

auf das Gläubigerinteresse abzustellen. In Fällen, in<br />

denen sich dieses Interesse aufgrund des Umstandes, der die<br />

Geschäftsgrundlage bildet, ebenfalls erhöht, wie dies im Fall<br />

einer Steigerung von Marktpreisen vorkommt, die eine Äquivalenzstörung<br />

bei synallagmatischen Verträgen verursacht,<br />

soll nur § 313 BGB angewendet werden. Wegen der Erhöhung<br />

des Gläubigerinteresses komme es nicht zu einem groben<br />

Missverhältnis und zur Anwendung des § 275 II BGB. 91<br />

Unter der Voraussetzung, dass man das Gläubigerinteresse auf<br />

den Wert der Gegenleistung bezieht, trifft dies in Fällen einer<br />

Äquivalenzstörung zu, gilt dann aber auch in anderen Fällen,<br />

sodass der Anwendungsbereich des § 275 II BGB auf diese<br />

Weise ganz erheblich eingeschränkt würde.<br />

Dies lässt sich an dem Beispielsfall der Bergung von Gegenständen<br />

aus einem Schiffswrack zeigen. Handelt es sich bei den zu bergenden<br />

Gegenständen um singuläre Einzelstücke, die nicht am Markt<br />

erhältlich sind, wie z.B. Kunstgegenstände, oder um Dokumente, die<br />

sich in wasserdichten Behältnissen befinden, dann steigt mit der<br />

Verteuerung der Leistung des Schuldners auch das darauf gerichtete<br />

Interesse des Gläubigers, und zwar in gleicher Weise, wie dies festzustellen<br />

ist, wenn sich der Marktpreis vom Schuldner zu beschaffender<br />

Gattungssachen erhöht. 92 Auf den Beispielsfall wäre dann ausschließlich<br />

§ 313 BGB anzuwenden.<br />

Es gibt eine ganze Reihe von anderen Vorschlägen, die sich<br />

darum bemühen, eine Trennungslinie zwischen § 275 II und<br />

§ 313 BGB zu ziehen. Zu diesen Vorschlägen kann <strong>hier</strong> im<br />

Einzelnen nicht Stellung genommen werden. Es muss die<br />

Feststellung genügen, dass sie durchweg keine überzeugenden<br />

Lösungen anbieten können. 93 Dies gilt auch für die Meinung,<br />

§ 275 II BGB sei nur auf vertragsimmanente Risiken anwendbar.<br />

94 Der Begriff des vertragsimmanenten Risikos ist recht<br />

unbestimmt und hängt im Wesentlichen von der im Einzelfall<br />

vorzunehmenden Auslegung der vertraglichen Vereinbarungen<br />

ab, sodass sich auf diese Weise kaum ein sicheres und<br />

allgemein geltendes Abgrenzungsmerkmal finden lässt. Eine<br />

Unterscheidung danach zu treffen, ob der Aufwand, der zur<br />

Überwindung des Leistungshindernisses erforderlich wird,<br />

zur Erhöhung des Leistungswertes führt, um dann § 313<br />

BGB heranzuziehen, oder ob dadurch lediglich eine Belastung<br />

des Schuldners eintritt, um in diesem Fall § 275 II BGB anzuwenden,<br />

95 lässt sich aus dem Gesetz nicht begründen und<br />

führt in der praktischen Konsequenz zu gleichen Ergebnissen<br />

wie die bereits abgelehnte Meinung, die bei dieser Frage das<br />

Gläubigerinteresse maßgebend sein lassen will.<br />

Nach der <strong>hier</strong> befürworteten Interpretation des § 275 II<br />

BGB lassen sich dagegen Überschneidungen nicht vermeiden.<br />

Dies lässt sich an dem oben gebrachten Beispiel der Bergung<br />

von Gegenständen aus einem Schiffswrack aufzeigen.<br />

Die Erwartung, dass sich die Bedingungen zur Bergung der zu beschaffenden<br />

Gegenstände nicht erheblich verändern, lässt sich als<br />

ein Umstand auffassen, der zur Grundlage des Vertrages i.S.v. § 313<br />

I BGB geworden ist. Die negative Voraussetzung, dass dieser Umstand<br />

nicht Vertragsinhalt geworden ist, 96 wird offensichtlich erfüllt,<br />

denn in dem Vertrag fehlt eine Regelung über die Folgen für die<br />

Vergütung bei einer außergewöhnlichen Änderung der Bedingungen<br />

für die Bergung. Eine <strong>weiter</strong>e, positive Voraussetzung besteht<br />

darin, dass dieser Umstand für beide Parteien oder zumindest für<br />

eine von ihnen erkennbar für die andere 97 so wichtig ist, dass sie den<br />

Vertrag bei Kenntnis oder Voraussicht des Wegfalls oder des Fehlens<br />

des Umstandes nicht oder mit einem anderen Inhalt geschlossen<br />

hätte. Auch diese Voraussetzung ist im Beispielsfall zu bejahen, denn<br />

das Bergungsunternehmen ging offensichtlich, also erkennbar für<br />

den Auftraggeber, nicht davon aus, dass durch ein Seebeben eine<br />

unerwartete, kostspielige Leistungserschwerung ausgelöst werden<br />

könne. Auch bei Berücksichtigung der vertraglichen oder gesetzlichen<br />

Risikoverteilung ist dem Bergungsunternehmen ein Festhalten<br />

am unveränderten Vertrag nicht zuzumuten. Denn die Zuweisung<br />

eines derartig ungewöhnlichen Risikos, wie dies durch ein Seebeben<br />

geschaffen wird, an eine Vertragspartei, folgt weder aus dem Vertrag<br />

noch aus dem Gesetz.<br />

84 Picker (Fn. 44) S. 697 Fn. 24 meint zu Recht, dass sonst der Schuldner geradezu<br />

hoffen müsste, dass „Glück im Unglück“ einer völligen Zerstörung des Leistungsgegenstandes<br />

zu haben mit der Folge völliger Befreiung nach § 275 I BGB.<br />

85 Vgl. Musielak (Fn. 7) Rn. 507 f.<br />

86 Ackermann JZ 2002, 378 (383 f.). Die h.M. sieht es allerdings anders und verlangt<br />

wesentlich größere Leistungsanstrengung vom Schuldner; vgl. nur für viele Schlechtriem/Schmidt-Kessel<br />

Schuldrecht Allgemeiner Teil, 6. Aufl. 2005, Rn. 480.<br />

87 Huber (Fn. 50) S. 552.<br />

88 Köndgen (Fn. 59) S. 279.<br />

89 Vgl. die in Fn. 70 Zitierten.<br />

90 Schmidt-Recla (Fn. 1) S. 668.<br />

91 Lorenz/Riehm Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 408; Finn (Fn. 45)<br />

S. 474 f.; Medicus/Lorenz (Fn. 11) Rn. 424; Looschelders (Fn. 8) Rn. 479; MüKo-<br />

BGB/Ernst (Fn. 2) Rn. 21.<br />

92 Lobinger (Fn. 22) S. 78.<br />

93 Dies kann nicht überraschen, denn beide Vorschriften betreffen eng verwandte Tatbestände<br />

einer „materiellen-wirtschaftlichen Unzumutbarkeit“, soGreiner (Fn. 28)<br />

S. 174; ähnlich auch Schlechtriem/Schmidt-Kessel (Fn. 86) Rn. 482.<br />

94 Stürner Jura 2010, 721 (724 ff.).<br />

95 Finn (Fn. 45) S. 518 f.<br />

96 Vgl. PWW/Medicus/Stürner (Fn. 2) § 313 Rn. 8.<br />

97 BGH NJW 2010, 1663 Tz. 17; vgl. auch Musielak (Fn. 7) Rn. 362.<br />

11/2011 809<br />

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