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Sind die MVZs eine ernsthafte Konkurrenz? - Frauenarzt

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KOMMENTAR<br />

<strong>Sind</strong> <strong>die</strong> <strong>MVZs</strong> <strong>eine</strong><br />

<strong>ernsthafte</strong> <strong>Konkurrenz</strong>?<br />

Gerda Enderer-Steinfort<br />

Die Debatte um das Für und Wider staatlicher Ambulatorien<br />

oder großer medizinischer Versorgungszentren hat schon vor<br />

der Wende für emotionsgeladene Auseinandersetzungen gesorgt<br />

und <strong>die</strong> Gemüter erhitzt. Den wenigen Experimenten in<br />

<strong>die</strong>ser Richtung war bisher kein großer Erfolg beschieden. Mit<br />

der Gesundheitsreform erlebt <strong>die</strong> alte Idee <strong>eine</strong> Renaissance<br />

und erhält zum wiederholten Mal <strong>eine</strong> neue Chance. Wird sie<br />

sich durchsetzen?<br />

Bis heute wird <strong>die</strong> ambulante ärztliche<br />

Versorgung in Deutschland durch<br />

<strong>die</strong> Bemühungen von etwa 120.000<br />

Praxen flächendeckend aufrechterhalten.<br />

Nach wie vor arbeiten über<br />

80 Prozent der Ärzte in Einzel- oder<br />

Doppelpraxen. Deren Überleben wird<br />

zunehmend systematisch erschwert.<br />

Vielen selbst ernannten Experten gelten<br />

sie schon seit längerem als todgeweiht.<br />

Da aber Totgesagte bekanntlich<br />

wesentlich länger leben als<br />

erwartet, werden nach wie vor über<br />

90 Prozent aller ambulanten Fälle<br />

durch eben <strong>die</strong>se kl<strong>eine</strong>n Einheiten<br />

versorgt.<br />

Nun haben <strong>die</strong> neuen Betreiber von<br />

großen medizinischen Versorgungszentren<br />

<strong>eine</strong>n Riesenvorteil, soweit<br />

sie <strong>eine</strong>n öffentlich-rechtlichen Hintergrund<br />

haben: Sie haben sehr viel<br />

Geld (= nichts anderes als Steuermittel),<br />

das ihnen den Einkauf von<br />

Kassenarztsitzen sowie <strong>die</strong> Anstellung<br />

von Ärzten zu angemessenen<br />

Bedingungen ermöglicht. Die Startbedingungen<br />

sind insofern günstig.<br />

Wenn tatsächlich ein Teil der Patienten<br />

in <strong>die</strong>se Zentren abwandert,<br />

könnte im schlimmsten Fall mit <strong>eine</strong>r<br />

Reduzierung der Praxisdichte gerechnet<br />

werden. Dies kann <strong>eine</strong>m gefallen,<br />

weil <strong>die</strong> <strong>Konkurrenz</strong> dezimiert<br />

wird, oder auch nicht, weil damit <strong>die</strong><br />

Versorgung der ländlichen Gegenden<br />

gefährdet ist.<br />

Die interessante Frage, <strong>die</strong> sich auf<br />

Dauer stellen wird, ist: Wie lange ist<br />

<strong>eine</strong> öffentlich-rechtliche Medizin-<br />

Institution bereit oder in der Lage,<br />

ein angemessenes Arztgehalt zu<br />

zahlen, wenn sich herausstellt, dass<br />

<strong>die</strong> Kosten für ein Versorgungszentrum<br />

gemessen an s<strong>eine</strong>n Umsätzen<br />

mehr als 50 oder 60 Prozent betragen?<br />

Bisher gibt es k<strong>eine</strong>n Grund zu der<br />

Annahme, dass <strong>die</strong> erwarteten Syn -<br />

ergieeffekte (z.B. gemeinsame Nutzung<br />

von Geräten) <strong>die</strong> Kosten des bürokratischen<br />

und personellen Zusatzaufwands<br />

ausgleichen werden. Daher<br />

ist eher mit <strong>eine</strong>r höheren Kosten-<br />

Umsatz-Relation als in <strong>eine</strong>r Normalpraxis<br />

zu rechnen.<br />

<strong>MVZs</strong> werden kaum kosten -<br />

günstiger arbeiten als wir<br />

Damit kann der Arzt maximal 30 Prozent<br />

s<strong>eine</strong>s Umsatzes an Honorar beanspruchen,<br />

denn neben den r<strong>eine</strong>n<br />

Kosten muss er <strong>die</strong> Reinvestitionen<br />

mitfinanzieren, wenn er nicht nur alimentiert<br />

werden soll.<br />

Ein Arzt, der ein Jahresgehalt von<br />

80.000 Euro fordert (weniger möchten<br />

wir ihm nicht zumuten), muss also<br />

in 10,5 Monaten (gleich 220 Arbeitstage)<br />

grob gerechnet 220.000<br />

Euro Umsatz machen. Dies entspricht<br />

1.000 Euro pro Tag.<br />

Dies dürfte ihm einigermaßen gut gelingen,<br />

wenn er operiert oder anderweitige<br />

Spezialleistungen erbringt.<br />

Die 1.000 Fragen der<br />

Patientinnen im MVZ<br />

Bewegt er sich hingegen in der Basisgynäkologie,<br />

benötigt er – niedrig<br />

gerechnet – entweder täglich 20<br />

neue Patientinnen oder <strong>eine</strong> Mischung<br />

aus etwa 30 bis 40 teilweise<br />

schon bekannten, teilweise neuen<br />

Patientinnen. Ein solches Mammutprogramm<br />

allerdings passt eher in <strong>die</strong><br />

Realität <strong>eine</strong>s ärztlichen Freiberuflers<br />

als in den wohlgeordneten Tagesablauf<br />

<strong>eine</strong>s angestellten Arztes. Rein<br />

spekulativ ist davon auszugehen,<br />

dass <strong>die</strong> Mixtur aus persönlichem Engagement<br />

und gleichzeitiger Versorgung<br />

<strong>eine</strong>r Vielzahl von kl<strong>eine</strong>n, trivialen<br />

Fragestellungen das Betätigungsfeld<br />

zukünftiger Medizinzentren<br />

eher nicht beschreibt. Wie lange<br />

also werden dort <strong>die</strong> Ärzte tatsächlich<br />

alimentiert werden und was geschieht,<br />

wenn <strong>die</strong> ökonomische Realität<br />

ihren Tribut fordert?<br />

Was soll mit den vielen „unnötigen“<br />

und dennoch von der persönlichen<br />

Betroffenheit des Einzelnen getragenen<br />

Problemen und Fragen zukünftig<br />

geschehen? Sie kennen <strong>die</strong> Liste: Pille<br />

danach, Blutungen unter der Pille,<br />

Jucken und Brennen, Schmerzen,<br />

Ausbleiben der Periode, <strong>die</strong> 1.000<br />

Fragen der Schwangeren, Vorsorge,<br />

Knoten in der Brust, akute Analthrombose<br />

(landet immer beim<br />

<strong>Frauenarzt</strong>), Angst vor Schwangerschaft<br />

unter der Pille, Sexualkonflikte,<br />

Teenager-Hemmungen, Wechseljahresbeschwerden,<br />

Kinderwunsch<br />

unmittelbar nach Absetzen der Pille<br />

usw. usw. Glaubt irgendjemand ernsthaft,<br />

<strong>die</strong>ser Alltagsprobleme und<br />

-problemchen würde sich in <strong>eine</strong>m<br />

großen Versorgungszentrum zeitnah<br />

und unbürokratisch zur Zufriedenheit<br />

aller Beteiligten angenommen und<br />

das auch noch auf lange Sicht?<br />

Ich halte jeden Optimismus in <strong>die</strong>ser<br />

Richtung für ein r<strong>eine</strong>s Wunschden-<br />

BERUF + POLITIK<br />

FRAUENARZT n 49 (2008) n Nr.8 681


BERUF + POLITIK<br />

682<br />

ken und kann <strong>die</strong> kl<strong>eine</strong>n flexiblen<br />

Einheiten nur auffordern, selbstbewusst<br />

und präsent zu bleiben. Große<br />

Einheiten sind immer träge und unflexibel.<br />

Ihnen fehlt der Saft des persönlichen<br />

Einsatzes und der individuellen<br />

Leidenschaft. Ihre zukünftige<br />

<strong>Konkurrenz</strong>fähigkeit ist nur durch<br />

<strong>eine</strong>n unendlichen Geldstrom oder<br />

<strong>die</strong> gezielte Vernichtung des Lagers<br />

der Flexiblen denkbar. Da es <strong>eine</strong>n<br />

unbegrenzten Geldzufluss selbst im<br />

öffentlich-rechtlichen Lager nicht<br />

gibt, bleibt nur <strong>die</strong> politische Möglichkeit<br />

der gezielten Vernichtung.<br />

Sollen gezielt Praxen<br />

vernichtet werden?<br />

An entsprechenden Versuchen mangelt<br />

es durchaus nicht.<br />

n Begehungen der Einzel- und Doppelpraxen<br />

durch <strong>die</strong> Gesundheitsämter<br />

mit aberwitzigen Beanstandungen<br />

(z.B. fehlende Desinfektion des<br />

Dichtungsringes der praxiseigenen<br />

Waschmaschine nach Wäschebeschickung<br />

o.ä.) legen beredtes Zeugnis<br />

darüber ab, wer hier in <strong>die</strong> Zange genommen<br />

werden soll. Da ist das fehlende<br />

Fliegengitter wichtiger als <strong>die</strong><br />

Tatsache, dass es in den letzten Jah -<br />

ren niemals <strong>eine</strong> <strong>ernsthafte</strong> Infek -<br />

tionsproblematik gab. In <strong>eine</strong>m Bereich,<br />

der s<strong>eine</strong>r Natur nach mit Problemkeimen<br />

so gut wie nichts zu tun<br />

hat, wird so getan, als sei <strong>die</strong> Einzelpraxis<br />

<strong>eine</strong> Außenstelle der NASA<br />

oder als ob sämtliche Patienten <strong>eine</strong>n<br />

Immundefekt hätten.<br />

n Da wird der Datenschutz ganz hoch<br />

gehängt und gleichzeitig vergessen,<br />

dass es in der Einzelpraxis eher darum<br />

geht, das Mitteilungsbedürfnis<br />

einzelner Patienten zu bremsen, <strong>die</strong><br />

ungebeten ihre intimsten Details an<br />

der Anmeldung geradezu selbstverständlich<br />

in normaler Lautstärke artikulieren.<br />

n Gesunde und komplett durchgeimpfte<br />

Arzthelferinnen müssen regelmäßig<br />

betriebsärztlich untersucht<br />

werden, als ob sie täglich ganztägig<br />

FRAUENARZT n 49 (2008) n Nr.8<br />

giftige Gase einatmen oder vorm<br />

Hochofen glühende Kohle schaufeln.<br />

n Auch wenn ab Zeitpunkt X das<br />

Budget erschöpft ist und <strong>die</strong> zusätzliche<br />

Leistungsabrechnung allenfalls<br />

<strong>die</strong> unbezahlte Arbeit dokumentiert,<br />

„sind Sie verpflichtet, alle Leistungen<br />

auszuweisen!“ Die KV-Abrechnung<br />

muss nämlich vollständig sein.<br />

Damit <strong>die</strong> Prüfgremien beschäftigt<br />

sind, „müssen alle erbrachten Handgriffe<br />

dokumentiert sein“. Einerseits.<br />

Sollten Sie andererseits <strong>die</strong> Absicht<br />

haben, <strong>die</strong> hohe Inanspruchnahme<br />

Ihrer Patientinnen tatsächlich mit<br />

Zahlen zu hinterlegen, fehlt Ihnen<br />

selbst der kleinste elektronische<br />

Platzhalter, um nachzuweisen, was<br />

genau sich im Alltagsleben <strong>eine</strong>s Vertragsarztes<br />

eigentlich abspielt. Damit<br />

stehen gleichzeitig wieder <strong>die</strong><br />

EBM-Positionen zur Diskussion, <strong>die</strong><br />

ein drei- bis fünfmaliges Ersch<strong>eine</strong>n<br />

der Leidenden voraussetzen.<br />

n Persönliche Beschwerden von einzelnen<br />

Kassen-Sachbearbeitern möglichst<br />

gleich mit voreiligen Androhungen<br />

von Disziplinarmaßnahmen<br />

erreichen ihren Zweck bei überarbeiteten<br />

Ärzten natürlich eher als bei<br />

ausgeschlafenen und kundigen Krankenhaus-<br />

oder MVZ-Geschäftsführern.<br />

Dies wird gerade von den Kassen<br />

immer mal gern als Demonstrationsmittel<br />

genutzt und von vielen<br />

Ärzten nicht auf Augenhöhe beantwortet.<br />

n Selbst unsere ureigenen Vertreter<br />

in den Kammern sind in vielen Fällen<br />

primär damit beschäftigt, uns zwar<br />

regelmäßig an unsere Pflichten zu erinnern,<br />

unsere Rechte aber komplett<br />

zu verdrängen (Beispiele auf Anfrage).<br />

Endgültige Abschaffung<br />

der Praxen nur durch<br />

gesetz liches Verbot denkbar<br />

Die Liste der geradezu absurden Beispiele,<br />

<strong>die</strong> der kl<strong>eine</strong>n Einheit das Leben<br />

unnötig schwer machen, ließe<br />

sich beliebig verlängern. Irgendwie<br />

sch<strong>eine</strong>n wir den Vernichtungsversuchen<br />

aber standzuhalten.<br />

Fest steht, dass <strong>die</strong> großen Macher<br />

der Gesundheitsreform eins noch<br />

nicht wagen: Sie halten uns zwar in<br />

Atem, aber so richtig verbieten können<br />

und wollen sie uns offensichtlich<br />

noch nicht. Sie wären auch sehr<br />

schlecht beraten!<br />

<strong>MVZs</strong> gegen <strong>eine</strong> Vielzahl von Einzelpraxen<br />

sind ähnlich einzuschätzen<br />

wie <strong>die</strong> spanische Armada gegen <strong>die</strong><br />

wendige britische Flotte in den mittelalterlichen<br />

Konfessionskriegen.<br />

Die große Einheit ist für <strong>die</strong> vielen<br />

kl<strong>eine</strong>n Fragestellungen zu teuer und<br />

zu träge. Es fehlt ihr das Moment der<br />

Selbstausbeutungsbereitschaft, ohne<br />

das <strong>eine</strong> Versorgung zu den gegenwärtigen<br />

Bedingungen weder praktisch<br />

noch theoretisch denkbar ist.<br />

Unsere Patientinnen sind noch nicht<br />

alle spät genug geboren, um auf <strong>die</strong><br />

unverzichtbaren Merkmale traditioneller<br />

Arzt-Patienten-Begegnungen<br />

pfeifen zu können. Sie sind an den<br />

schnellen Zugang zu den Ärzten ihrer<br />

Wahl gewöhnt.<br />

Darüber hinaus haben sie alle <strong>die</strong><br />

Notwendigkeit von Zuzahlungen begriffen.<br />

Sie lieben sie nicht gerade,<br />

aber sie akzeptieren sie, weil sie<br />

(noch) nicht auf uns verzichten wollen.<br />

Wir sind einfach in jeder Hinsicht<br />

günstiger.<br />

Wer <strong>die</strong>s begriffen hat, braucht <strong>die</strong><br />

<strong>MVZs</strong> nicht zu fürchten.<br />

Autorin<br />

Dr. Gerda Enderer-Steinfort<br />

Dürener Straße 245 a<br />

50931 Köln

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