KINDERWELT - Weleda

Seit kurzem haben wir ein Echo. Das Echo ist zweieinhalb Jahre alt, heißt Leonard und
ist unser Sohn. Es ist ein sehr komisches Echo, denn es braucht keine großen Berge oder
tiefe Höhlen, um sich bemerkbar zu machen. Ganz im Gegenteil: Manchmal überrascht
es uns in der Küche, im Wohnzimmer oder sogar im Auto. Neulich z.B., als wir einen
Familienausflug mit dem Auto machten, musste ich mal kurz Dampf ablassen, weil
Familienausflüge mit dem Auto mitunter etwas nervenaufreibend sein können. Da
kam mir der Mann im
Auto vor uns gerade recht
und ich rief: »Fahr doch,
du Depp!«, als sich plötzlich
das Echo auf der Rückbank
meldete: »Du Depp!«,
rief es, »Du Depp!«. Gleich
zweimal, wie in den Alpen
von Kitzbühel.
Ich hatte sofort ein schlechtes
Gewissen wegen meines
unkontrollierten emotionalen
Ausbruchs in Gegenwart
meiner Familie
Christoph Möldner (26) ist Redakteur und Vater
von Leonard (2,5 J.) und Klemens (1,5 J.)
Echo
und begriff, dass es sich bei
unserem Echo um ein Echo
mit ethischer Gesinnung
oder zumindest mit einem Interesse an einem gewissen sprachlichen Niveau handelt.
In unserem Universum geht ja bekanntlich nichts verloren. Alles, was verbrennt, verdunstet
oder getrunken wird, kommt irgendwo wieder raus. Mit Wörtern ist das übrigens
genauso. Die kommen auch alle wieder und wenn man Kinder hat, geht das manchmal
besonders schnell mit der Retour-Kutsche. Der Leonard ist, seitdem er diese Echo-
Geschichte draufhat, so etwas wie der Beauftragte für Sprachkultur in unserer Familie.
Wegen unseres Echos passen wir in letzter Zeit immer gut auf, was wir so sagen. Wir
überlegen jetzt erst einmal gründlich und reden dann erst drauflos. Wahrscheinlich lernen
wir so auch etwas über Stressbewältigung bei Familienausflügen mit dem Auto. Die
erste Lektion habe ich bereits begriffen: Was man sagt, das ist man selber.
26
Christoph
Weleda KinderWelt Heft 4, Herbst 2004