ZURÜCK IM LEBEN Bevor er in die Beratung kam, ließ er zwei Jahre den Alltag lustlos über sich ergehen - und sehnte sich nach nichts als Ruhe. Ein Angestellter über seinen Burnout BLINDTEXT A Muße im Grünen: Der IT- Experte achtet heute verstärkt auf einen gesunden Ausgleich zu seinem Hochleistungsjob
Foto Maxim Sergienko Wie schlimm es um mich stand, habe ich selbst nicht wahrgenommen. Ich weiß nur, dass ich zu nichts mehr Lust hatte. Keine Lust zur Arbeit zu gehen, keine Lust, mich mit irgendwem auseinander zu setzen. Eigentlich bin ich ein vielseitig interessierter Mensch. Aber im Herbst 2009 war ich an einem Punkt, an dem ich nur noch meine Ruhe wollte. Nicht mehr für jeden Mist verantwortlich sein. Wenn ich abends zu Hause auf den Balkon trat und hinunter schaute, kam mir manchmal in den Sinn, dass es nur eines winzigen Schritts bedürfe, um allem Stress ein Ende zu machen. Es war nur ein Gedanke, ich habe nicht ernsthaft erwogen, Selbstmord zu begehen, aber er kam immer häufi ger. Etwa beim Anblick von Zügen, die in den Bahnhof einfuhren. Ein Schritt, dachte ich, und du bist nur noch Matsch auf den Gleisen und hast endlich Ruhe. Eigentlich passt das gar nicht zu mir. Ich war mit mir und meinem Leben immer sehr zufrieden. Die Jahre 2008 und 2009 aber haben mich geschafft . Es gab Veränderungen im Unternehmen, durch die ich immer mehr zu tun bekam. Alles, was woanders runterfi el, landete auf meinem Tisch. Ich habe nie »nein« gesagt. Im Gegenteil: Ich neigte dazu, mich für alles zuständig zu fühlen. Hatte ein Kollege ein Problem, nahm ich mich der Sache an. Irgendwann war ich 2,5 Vollzeitstellen. Klar, dass da nicht alles rund läuft . Es gab zu viele Baustellen. Dann haben mich die Chefs zu sich gerufen und mit betrübter Miene gefragt, wie ich selbst meine Leistung einschätzen würde. Dass ich jede Woche 80 bis 90 Stunden für die Firma da war, haben die nicht gesehen. Nur meine Fehler registrierten sie. 2008 wurde meine Leistung 30 Prozent schlechter als im Vorjahr eingestuft . Das hatte zur Folge, dass ich auch weniger Gehalt bekam. Ich strengte mich daraufh in noch mehr an, um mein Leistungsniveau irgendwie zu halten. Abschalten konnte ich zu dieser Zeit nicht mehr. Ob abends zu Hause oder im Urlaub – ich saß immer nur stumm auf dem Sofa, guckte stur geradeaus und wälzte Probleme. Auf die Idee, mich professionell beraten zu lassen, bin ich selbst nicht gekommen. Eines Tages standen zwei Kolleginnen in meinem Büro und sagten, dass ich jetzt Feierabend habe. Schöne Vorstellung, antwortete ich, aber leider warten noch drei Meetings auf mich. Sie blieben hartnäckig, brachten mich ins <strong>Fürstenberg</strong> <strong>Institut</strong> und blieben, bis die erste Beratungsstunde vorbei war. Ich bin den Kolleginnen heute sehr dankbar. Die Beratung hat mich zurück ins Leben geholt. Schon die erste Stunde war wie ein Befreiungsschlag. Ich habe fast 50 Minuten am Stück erzählt. Herr Bungart, der Berater, stellte nur hin und wieder Zwischenfragen. Als ich am glei- Nie habe ich gesagt: Leute, tut mir leid, aber das ist nicht meine Baustelle chen Abend erstmals seit langer Zeit wieder bewusst in den Spiegel guckte, erschrak ich: Ich sah aus wie der Tod auf Latschen. In der nächsten Sitzung fragte Herr Bungart mich, was genau die Arbeit so schwierig macht. Das konnte ich auf Anhieb gar nicht benennen. Als ich dann aber meinen Alltag beschrieb, wurde mir klar, wo das größte Problem lag: Ich hatte im Zuge der Umstrukturierungen die Verantwortung für ein kleines Team übernommen, das sich nach der Aufl ösung einer Abteilung nirgendwo zuordnen ließ. Mit meinem eigentlichen Aufgabenbereich hatte das Team nichts zu tun. Gleichzeitig war es der größte Zeit- und Energiekiller. Herr Bungart wollte wissen, warum man das BERATUNGSREPORT 13 Team ausgerechnet mir zugeteilt hatte. Keine Ahnung, sagte ich. Hätten Sie die Zusatzaufgabe nicht ablehnen können, bohrte er weiter. In diesem Moment begriff ich, dass ich meine Lage zu einem guten Teil selbst verantworte. Dass meine Erschöpfung nicht zuletzt eine Folge meines eigenen Leistungsanspruchs ist. Zuzugeben, dass mein Limit erreicht ist – das passte nicht in mein Selbstbild. Und darum habe ich auch nie gesagt: Leute, tut mir leid, aber das ist nicht meine Baustelle. Nach dieser Erkenntnis machten wir uns in der Beratung daran, einen Plan zu entwerfen. Herr Bungart gab mir als Hausaufgabe, eine Liste mit Punkten zu erstellen, die sich ändern müssten, damit mir die Arbeit wieder Spaß macht. Es sollten Ich-Botschaft en sein, weil es keinen Sinn hat, Änderungswünsche aufzuschreiben, die nicht in meiner Hand liegen. Also schrieb ich: Ich lasse mich künft ig nicht mehr unter Druck setzen. Ich werde deutlich machen, wo meine Grenzen liegen. Ich arbeite nie mehr als neun Stunden täglich. Ich werde verstärkt Aufgaben delegieren und mir Zeitfenster einrichten, in denen ich ungestört arbeiten kann. Diese Punkte sind heute wie eine Art Mantra für mich. Am meisten bewegt hat mich die Beratungsstunde, in der Herr Bungart wissen wollte, was mir außerhalb der Arbeit etwas bedeutet. Ich begriff , dass ich zwei Jahre lang privat nicht stattgefunden hatte. Mit meiner Frau auf dem Balkon sitzen und reden, mit den Kindern Sport treiben, im Cafe sitzen und Bücher lesen oder Leute beobachten – das machte mir früher super viel Spaß. In den letzten zwei Jahren aber hatte ich einfach keinen Kopf dafür. Ich bekam von Herrn Bungart die Hausaufgabe, mich diesen Dingen verstärkt zu widmen. Er wollte sogar ganz konkret wissen, was ich mir für das Wochenende vornehme. Elf Beratungstermine hatte ich. Heute fühle ich mich wie aufgetankt. Mein Leben hat wieder Struktur. Ich achte auf ein erfülltes Privatleben. Und habe auch wieder Spaß an meinem Job. Die Verantwortung für das kleine Team bin ich los. Ich hatte mit den größten Widerständen gerechnet. Umso mehr erstaunte mich, dass mein Chef sofort einverstanden war. �