25.01.2013 Aufrufe

katalog-overlapping voices - Ritesinstitute

katalog-overlapping voices - Ritesinstitute

katalog-overlapping voices - Ritesinstitute

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

wenn dieselben Konflikte früher oder später wiederauferstehen wie Gespenster<br />

aus ihren Gräbern in einem Horrorfilm. Woran liegt das, fragen wir uns<br />

mit Freunden am Kaffeehaustisch. Woher kommt diese Konfliktscheu? „metternich“,<br />

sage ich. ich könnte „Sozialpartnerschaft“ ergänzen, oder „hohe<br />

Berge“, aber in Wirklichkeit ist es eine offene Frage.<br />

auf der Ebene der Zeichen ist es ausschließlich das arabische, das die menschen<br />

ängstigt. Das Hebräische in unseren Skizzen zur Beschriftung nehmen<br />

sie kaum wahr, es bleibt am rand. Es ist das, was die Hausbesitzerin mit dem<br />

interesse für Tibet mit „dem Historischen“ meint. Es ist in Spuren noch in der<br />

Öffentlichkeit des 2. Bezirks vorhanden, aber es überschreitet die reizschwelle<br />

der alltäglichen Wahrnehmung nicht mehr. Es ist das vergangene, das, was<br />

nicht mehr da ist, das, was keine Bedeutung mehr hat. Die arabischen Zeichen<br />

stehen für den aktuellen Konflikt, für das, was sichtbar und spürbar ist. Für die<br />

moschee in der Dammstraße, für Überfremdungsängste und nicht gelöste probleme.<br />

Die Bürgerinitiative gegen die moschee formuliert auf ihrer Homepage<br />

die angst vor „lärmbelästigung, abgasbelastung, verschmutzung und parkplatznot“.<br />

Die rassistische Zuweisung von lärm und Schmutz an migranten ist<br />

hochproblematisch. Das anliegen, von der politik gehört zu werden, auch mit<br />

unliebsamen Forderungen, die sich der instantharmonisierung entziehen, ist<br />

mir jedoch verständlich. „Wir mussten erkennen, dass die so oft hervor- und<br />

hochgehobene Demokratie – mitsprache der Bürger – in unserem land nur<br />

dann Gültigkeit hat, sofern sie in politisch problematischen Entscheidungsbereichen<br />

nicht hinderlich ist“, formuliert die Bürgerinitiative an anderer Stelle.<br />

Wenn das Zusammenleben im Bezirk nicht harmonisch ist – sollte man das<br />

nicht zuerst einmal zur Kenntnis nehmen, um überhaupt zu lösungen kommen<br />

zu können? Sollten nicht alle positionen, die es dazu gibt, raum bekommen?<br />

angenehmer für verwaltung und politik wäre es sicher, wenn die probleme einfach<br />

nicht da wären. Wenn die Türken wieder zurück in die Türkei gingen und<br />

die österreichischen Bezirksbewohner brav vor dem Fernseher blieben, bei<br />

Chips, Em und Bier. Wenn beide Gruppen einfach verschwinden würden. Wenn<br />

man schon fertig wäre, bevor man überhaupt angefangen hat.<br />

Ein paar Straßen weiter, im augarten, wurde diversen Gruppen und Bürgerinitiativen<br />

– und nicht zuletzt dem renommierten Filmarchiv – versprochen, zuerst<br />

ein leitbild für die zukünftige Nutzung des parks zu erstellen, bevor eine Entscheidung<br />

über die Bebauung des südlichen parkspitzes getroffen werden sollte.<br />

Der Wirtschaftsminister hat sich über diesen laufenden Bürgerbeteiligungsprozess<br />

hinweggesetzt und mit großer Geste, vor der Erstellung des leitbildes, seine<br />

Entscheidung getroffen: zugunsten einer Konzerthalle der Sängerknaben, gegen<br />

ein Filmkulturzentrum. Für das projekt der Sängerknaben soll nun ein Teil des<br />

barocken Baubestandes abgebrochen werden. vielleicht wird eine Schrift an der<br />

augartenmauer erscheinen und uns mit schönen geschwungenen lettern lehren,<br />

was „abbruch“ auf arabisch heißt, oder mit klaren hebräischen lettern, wie<br />

man „Denkmalschutz“ buchstabiert.<br />

Eine Gruppe jüdischer und palästinensischer Künstler aus israel plant, arabische<br />

und hebräische Schriftzeichen im öffentlichen raum in Wien anzubringen. mit<br />

deutscher Übersetzung. Dass sich die Wiener vor dem arabischen fürchten und<br />

das Hebräische ignorieren, das habe ich so nicht vorhergesehen. an einem sonnigen<br />

Februartag sitze ich mit Karin Schneider, Friedemann Derschmidt und der<br />

Gruppe parrhesia in Nazareth, wir besprechen das Wiener projekt. parrhesia hat<br />

2006 in zwei ehemals arabischen vierteln in Jaffa und Jerusalem die Straßenbeschriftung<br />

wieder um arabische Zeichen ergänzt, das arabische dort wieder<br />

in den öffentlichen raum gestellt, wo es zum verschwinden gebracht worden<br />

war. Jetzt gilt es, diese arbeit nach Wien zu transportieren, sie so abzuwandeln<br />

und umzubauen, dass sie hier funktioniert, Sinn ergibt. Die Diskussion wirkt noch<br />

ein paar Tage in mir nach, vor allem beschäftigt mich die Frage, wie sich das<br />

projekt in einem raum verändern wird, in dem das Hebräische nicht hegemonial<br />

ist, nicht die dominante Kultur anzeigt. in israel ist es das Hebräische, das<br />

dem arabischen raum gewährt. in Wien, in Österreich, in Europa werden beide<br />

Sprachen, beide Zeichentypen fremd sein. Wie wird sich das auf das Hebräische<br />

auswirken, wie auf die Dynamik der Gruppe, die sich aus palästinensischen und<br />

jüdischen mitgliedern zusammensetzt? Wie werden die jüdischen israelis darauf<br />

158 OVERLAPPING VOICES<br />

reagieren, dass sie in Wien nicht mehr zu denjenigen gehören, die raum gewähren,<br />

sondern zu denjenigen, denen raum gewährt wird? Werden die palästinensischen<br />

Künstler in Wien noch diejenigen in der Gruppe sein, denen etwas<br />

zugestanden wird? Oder werden sie sich auf demselben Niveau der Fremdheit<br />

befinden wie ihre jüdischen Kollegen? Welche rolle werde ich als deutschsprachige<br />

Österreicherin in dieser Konstellation bekommen? als diejenige, in deren<br />

Sprache nun übersetzt wird, so wie bisher das arabische ins Hebräische übersetzt<br />

wurde? als diejenige, die die gewährenden Österreicher in der Gruppe vertritt?<br />

Für einen programmflyer formulieren wir gemeinsam den Satz: „Das projekt<br />

stellt die Tendenz der westlichen Welt in Frage, sowohl arabische als auch<br />

hebräische Sprache und Kultur als Bedrohung aufzufassen.“ und am Ende stellt<br />

sich heraus: Es ist nicht wahr. Die Bedrohung ist und bleibt das arabische. Das<br />

Hebräische ist auch in Wien dem arabischen nicht gleichgestellt, wird auch hier<br />

nicht zur Bedrohung, es verschwindet vielmehr. Es ist das Historische. Das zum<br />

verschwinden Gebrachte. Es ist keine Bedrohung mehr, weil es bereits abgehakt,<br />

fertig gemacht ist. Es ist und bleibt am rand, weil es nicht einmal mehr bei<br />

der Bürgerinitiative Dammstraße angst auszulösen vermag. und das ist der moment,<br />

wo sogar ich mich ängstige, weil alle meine Fragen damit sinnlos zu werden<br />

scheinen. Es bleibt scheinbar alles beim alten, alles, wie es ist.<br />

Eine Gruppe jüdischer und palästinensischer Künstler aus israel plant, arabische<br />

und hebräische Schriftzeichen im öffentlichen raum in Wien anzubringen.<br />

Graffiti. „Dafür eine Genehmigung zu bekommen wird sicher kompliziert“,<br />

sage ich zu parrhesia in israel, und sie staunen darüber nicht<br />

schlecht. Wie in vielen europäischen Städten gehören die Schablonengraffiti<br />

an Hauswänden und pfeilern in Tel aviv und Jerusalem zum alltäglichen Straßenbild.<br />

Die wenigsten dieser Graffiti sind Kunst, manche werben einfach<br />

nur für die party am nächsten Donnerstag, andere illustrieren politische parolen<br />

und wieder andere sollen einfach nur schön sein. Das geht in Wien<br />

selbstverständlich nicht. auch nicht auf Elektrokästen?, fragen die israelis.<br />

Nein, da müsste man die ma 33 fragen. aber vielleicht auf dem Gehsteig?<br />

Wir stellen schließlich bei der ma 28 einen „antrag auf Gestaltungserlaubnis“.<br />

in einem Telefonat erfahre ich, dass die Straßenverwaltung grundsätzlich<br />

gegen Bodenmarkierungen ist, wegen der Stolpergefahr. auf der mariahilfer<br />

Straße wurden von der ma 48 Hinweispfeile zu den mistkübeln auf dem<br />

Gehsteig angebracht. Die lässt die ma 28 nun wieder entfernen, denn wenn<br />

es jemanden aufhaut, dann sind sie haftbar. So sind nun also die Bemühungen<br />

der einen magistratsabteilung, die passanten davor zu schützen, auf<br />

einer weggeworfenen Bananenschale auszurutschen, durch die Bemühungen<br />

der anderen magistratsabteilung zunichte gemacht, die passanten nicht über<br />

die Hinweispfeile zu den mistkübeln stolpern zu lassen. Das alles fügt sich<br />

trefflich zu den plakaten, die das magistrat auf den Elektrokästen und lichtmasten<br />

affichieren lässt, auf denen zu lesen ist: „plakatieren verboten“.<br />

Fraglich ist nur, ob nicht das anliegen der ma 48 das höhere Gut ist, denn<br />

es dient gleichzeitig der vermeidung des ausrutschens und der Sauberkeit.<br />

und die vermeidung von „lärmbelästigung, abgasbelastung, verschmutzung<br />

und parkplatznot“ ist ja bekanntlich das, was uns kulturell vom Tschuschen<br />

trennt. arabische Zeichen auf dem Gehsteig sind in dieser Hinsicht sicher<br />

der Gipfel der verschmutzungsgefahr. Never mind the message. man darf<br />

angst haben. und man darf gespannt sein, ob es uns gelingen wird, auf diesem<br />

Weg das Ende des abendlandes herbeizuführen.<br />

Ursula Hofbauer<br />

DI Ursula Hofbauer ist Künstlerin und architektin in Wien und hat in verschiedenen<br />

Kunst- und ausstellungsprojekten im und mit dem öffentlichen<br />

raum gearbeitet, unter anderem: „Strange views“, ausstellung im Wiener<br />

prater mit Bodenbeschriftung (1999), „permanent Breakfast“, das immerwährende<br />

Frühstück im öffentlichen raum (1999–2005), Weinverkostung<br />

mit Obdachlosen unter der Schwedenbrücke (2002) und mehrere Kunstprojekte<br />

mit Flüchtlingen (2004–2006). vorträge, publikationen und Stadtspaziergänge<br />

zu „permanent Breakfast“, Gender und öffentlichem raum<br />

und Wiener Wahrzeichen. Widmet sich entschieden allen Fragen des öffentlichen<br />

raums, seiner demokratischen Nutzung und aneignung und<br />

der daraus resultierenden Gestaltung.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!