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7. Ausgabe 01/11 - Fachschaft Chemie - TUM

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Das Ding mit der scheinbaren Tradition<br />

Was fällt euch zu „typisch Indien“ ein? Ganz klar das Curry, ganz klar das Taj Mahal, ganz klar<br />

das Kastensystem – aber halt: so klar ist das beim letzten Punkt in Wirklichkeit nicht.<br />

von Angela Ibler<br />

Das Kastensystem, wie wir es seit<br />

den letzten hundert Jahren aus<br />

Indien kennen, konnte erst durch<br />

das Zusammenspiel<br />

von Britischer Kolonialmacht<br />

und Eigeninteressen<br />

gewisser<br />

Bevölkerungsgruppen<br />

entstehen.<br />

Bevor Indien zur britischen<br />

Kolonie wurde,<br />

gab es noch nicht<br />

einmal in allen Regionen<br />

die gleiche Auffassung<br />

von Kaste.<br />

Die Hierarchie war nicht gleich<br />

streng geregelt und in einigen Gebieten<br />

war auch der Wechsel von<br />

einer Kaste zur anderen nicht so<br />

unmöglich wie das vor allem im<br />

20. Jahrhundert der Fall war. Doch<br />

die westlichen Kolonialherren,<br />

die ja so gerne in allem eine gewisse<br />

Ordnung und Regeln sehen,<br />

suchten vergeblich eine einheitlich<br />

festgelegte Gesellschaftsordnung<br />

(gültig für ganz Indien) – also<br />

mussten sie diese erst „erfinden“.<br />

Ganz so böse darf man den alten<br />

Briten aber nicht sein, denn sie<br />

versuchten indische Traditionen<br />

zu berücksichtigen, indem sie<br />

alte Schriften nach Regeln durchsuchten<br />

und Priester um Rat fragten.<br />

Jetzt war es aber so, dass in<br />

den religiösen Schriften nur die<br />

Kastenauffassung der Priester zu<br />

finden war und diese somit eine<br />

sakrosankte Legitimation erhielt.<br />

Außerdem nutzten einige Priester<br />

die Gunst der Stunde, sich bei den<br />

britischen Beamten einige Vorteile<br />

zu sichern, indem sie ihre Kaste<br />

als die bevorzugte darstellten<br />

und möglichst enge Grenzen um<br />

niedrigere Gesellschaftsschichten<br />

Über den Kolbenrand<br />

zogen. Zusätzlich trug der europäische<br />

Rassenbegriff seinen Teil<br />

dazu bei, denn auch dieser war ein<br />

Mittel, um (ohne sich<br />

viele Gedanken machen<br />

zu müssen) eine<br />

Gesellschaft in klar<br />

abgegrenzte Schichten<br />

aufzuteilen – hier<br />

scheinbar mit einer<br />

„genetischen“ Rechtfertigung.<br />

So passierte<br />

es schnell, dass<br />

sich verschiedene<br />

Bevölkerungsgruppen<br />

in Indien auf einmal für zivilisierter<br />

und damit höher gestellt sahen.<br />

Andere dagegen hielten sich<br />

für die Ureinwohner des Subkontinents<br />

und deklarierten für sich<br />

mehr Rechte. Dogmatisch wurde<br />

das Kastensystem aber wohl erst<br />

mit der Volkszählung zu Beginn<br />

des 20. Jahrhunderts. Hier wurde<br />

zur besseren Auflistung der indischen<br />

Bewohner genau festgehalten,<br />

welche Kasten es gäbe und<br />

wie sie hierarchisch zueinander<br />

stünden.<br />

Nach dem zweiten Weltkrieg<br />

und nach der Erfahrung des Nationalsozialismus<br />

war das Wort<br />

Rasse aber auf keinen Fall mehr<br />

zu gebrauchen, um eine Gesellschaftsstruktur<br />

zu beschreiben.<br />

Und nachdem Indien 1947 seine<br />

Unabhängigkeit erlangte war der<br />

Weg von Personen wie Mahatma<br />

8<br />

Ghandi bereits vorbereitet für eine<br />

Reform der Gesellschaft mit mehr<br />

Gleichberechtigung und weniger<br />

Scheu mit Menschen niedrigerer<br />

Kasten zu verkehren. Bis heute hat<br />

das Kastensystem (laut Wikipedia<br />

sollte man eher von Kastenwesen<br />

sprechen) Einfluss auf Heirat<br />

und Berufswahl. Doch die Grenzen<br />

werden – langsam – weicher.<br />

Also: wie typisch ist das Kastenwesen?<br />

Vielleicht nicht typisch<br />

indisch, aber sicherlich typisch für<br />

die bewegte Geschichte des Subkontinents.<br />

<strong>Ausgabe</strong> 7/2<strong>01</strong>1<br />

Impressum<br />

Der „Chemist“ ist kein Erzeugnis<br />

im Sinne des Presserechts, sondern<br />

ein Rundbrief an alle Studenten<br />

der <strong>TUM</strong> und sonstig interessierten<br />

Personen. Mit Namen gekennzeichnete<br />

Artikel geben nicht die<br />

Meinung der Redaktion, sondern<br />

die des Verfassers wieder.<br />

Redaktion: Yuliya Dubianok<br />

Steffen Georg<br />

Angela Ibler<br />

Simon Nadal<br />

Freie Mitarbeiter:<br />

Clemens Hauptmann<br />

Fotos/ Zeichnung:<br />

Angela Ibler<br />

Kontakt: chemist@stud.ch.tum.de<br />

Auflage: 150 Exemplare

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