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Raumproduktion im frühen 20. Jahrhundert - SommerWerkstatt

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6.2. Aneignen: <strong>Raumproduktion</strong> <strong>im</strong> Kontext technologischer Entwicklung 180<br />

werden diese als Grundlagen der Lehre ausführlich dargelegt. 135 Unter dem Aspekt betrachtet,<br />

das Gropius Mittel sucht, den “Raum zu beherrschen”, schaffen diese Studien<br />

ihm hierfür ein Instrumentarium. Ein Instrumentarium, mit dem man der Wahrnehmung<br />

der Rezipienten entgegenkommen kann; gleichzeitig aber auch eines, diese zu lenken.<br />

Nach Gropius Raumdefinition, die er 1923 darlegt 136 , wird Raum „mit unserem ganzen<br />

unteilbaren Ich, zugleich mit Seele, Verstand und Leib“ empfunden. Die Sinne “begreifen”<br />

den Raum, der über den Verstand (die “Zahl”) und die Bewegung Zusammenhang<br />

und Ordnung erhält; über letztere erst, das Herstellen und Empfinden der Ordnung als<br />

„objektiviertem Selbstgenuß“, sind <strong>im</strong> ästhetischen Erleben Freiheit und Einklang mit<br />

dem Ganzen zu erreichen. 137 Zieht der Künstler be<strong>im</strong> Entwurf seine Inspiration aus<br />

dem Geistigen und Metaphysischen, ist der Rezipient zunächst über das Sinnliche zu<br />

erreichen. Hier will Gropius (wie viele der Bauhauskünstler) ansetzen, um über diese<br />

Kontaktfläche einen Zugang zum Rezipienten herstellen und schlussendlich auch einen<br />

erzieherischen Einfluss ausüben zu können. Der Zerrissenheit des modernen Menschen,<br />

die, durch die Lebens- und Arbeitsverhältnisse ausgelöst, zu einer fehlenden Bindung<br />

an das gesellschaftliche Ganze und zu einer emotional-sinnlichen Verkümmerung geführt<br />

hat, soll über die neue Raumkunst entgegengewirkt werden. Geist und Sinne der Rezipienten<br />

anzusprechen: diese sinn-volle Verknüpfung von rational-ordnender Abstraktion<br />

und sinnlicher Ansprache macht seine Raumkonzeption aus. 138<br />

Bewegung ist ein zentrales Element der sinnlichen Raumkonstitution; sie ist es, die<br />

Raum am unmittelbarsten erlebbar macht. 139 Damit wird „Bewegung <strong>im</strong> Raum, oder<br />

die Illusion einer Bewegung <strong>im</strong> Raum, hervorgerufen durch die Magie des Künstlers“ zu<br />

einem entscheidenden „Wirkungsfaktor“ für die Architektur. 140<br />

135 Vgl. Gropius, „Idee und Aufbau des Staatlichen Bauhauses“, S. 85 ff.<br />

136 Siehe Zitat „Die Urelemente des Raumes sind. . . “ auf S. 168.<br />

137 Der „objektivierte Selbstgenuß“ ist die “Formel” des ästhetischen Erlebens von Wilhelm Worringer,<br />

aus seiner Publikation von 1908: Abstraktion und Einfühlung. Er stellt hier die Ästhetische Wahrnehmung<br />

und das “Wollen” in den Zusammenhang mit Bewegung: „Aesthetischer Genuss ist objektivierter<br />

Selbstgenuss. Aesthetisch geniessen heisst, mich selbst in einem von mir verschiedenen<br />

sinnlichen Gegenstand geniessen, mich in ihn einzufühlen. Was ich in ihn einfühle, ist ganz allgemein<br />

Leben. Und Leben ist Kraft, inneres Arbeiten, Streben und Vollbringen. Leben ist mit einem Wort<br />

Tätigkeit. Tätigkeit aber ist das, worin ich einen Kraftaufwand erlebe. Diese Tätigkeit ist ihrer Natur<br />

nach Willenstätigkeit. Sie ist das Streben oder Wollen in Bewegung.“ In: Worringer, Abstraktion<br />

und Einfühlung. Ein Beitrag zur Stilpsychologie. S. 4, 26–27. Auf Worringer bezieht sich Gropius<br />

selbst bereits 1911, in seinem Aufsatz zur Monumentalen Kunst (Gropius, „Monumentale Kunst und<br />

Industriebau“, S. 28).<br />

138 „Wir empfinden den Raum mit unserem unteilbaren Ich, zugleich mit Seele, Verstand und Leib, und<br />

also gestalten wir ihn mit allen leiblichen Organen.“ Gropius, „Idee und Aufbau des Staatlichen<br />

Bauhauses“, S. 85.<br />

139 Moholy-Nagy formuliert es so: „Von der Seite des Subjekts ist also Raum am unmittelbarsten erlebbar<br />

durch Bewegung, auf einer höheren Stufe durch den Tanz.“ Moholy-Nagy, Vom Material zur<br />

Architektur, S. 195, zit. n. Wilhelm, „Sehen – Gehen – Denken“, S. 24.<br />

140 Gropius, „Gibt es eine Wissenschaft der Gestaltung?“, S. 39.

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