Raumproduktion im frühen 20. Jahrhundert - SommerWerkstatt
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7.3. Ein Schlusswort mit und zu Lefebvre 268<br />
S<strong>im</strong>ultanität ersetzt. 50 Für Lefebvre ist dies Anzeichen eines tiefgreifenden Prozesses,<br />
diese Form der künstlerischen Darstellung ein Symptom für ein neues “Raumgefühl”,<br />
dem er jedoch mit Skepsis entgegentritt: Für Lefebvre zeigt Picasso eine Entwicklung<br />
des Raumes, der auf Faszination ausgerichtet ist. Es ist weniger die Fraktur der Bildeinheit<br />
als die „absolute Visualisierung“ der Dinge, die er als bezeichnend herausstellt; sie<br />
trennt die Repräsentationen des Raumes und die materiellen Ausformungen zunehmend<br />
von einer “echten”, lebensnahen Bedeutung ab, die durch die Bewohner vergeben wird:<br />
„The dissociation between the expressive and the meaningful and the liberation of the<br />
signifier had enormous consequences.“ 51<br />
Die Ursachen liegen außerhalb des künstlerischen Bildraumes. Sie bestehen für Lefebvre<br />
in einer gesellschaftlichen Praxis, die einen “ganzen Raum”, einen einheitlich gefühlten,<br />
gelebten und erdachten, nicht mehr kennt. Die Repräsentation des Raumes, die er<br />
mit drei Phänomenen fasst, dem „optischen“, dem „geometrischen“ und dem „phallischen<br />
Formanten“, wird für ihn vom Raum des Bewohners, von dessen Gelebten und<br />
Konkreten Raum abgeschnitten. Das Visuelle, das Spektakel, wird genutzt, um “bedeutungsleere”<br />
Oberflächen in Szene zu setzen. Dabei verliert der so repräsentierte Raum<br />
seinen urständigen Kern, den Inhalt, der ihm, durch Praxis und Bedeutung der Nutzer<br />
verliehen, vormals innewohnte. Dieser “Abstrakte Raum” will für sich selbst bedeutsam<br />
sein. 52 Picasso oder anderen bildenden Künstlern wirft Lefebvre diesen Umstand nicht<br />
vor – die Kunst zeigt diese Entwicklung nur auf. Manchem Architekten und Städteplaner<br />
ergeht es da anders. Mies van der Rohe wirft Lefebvre so unter anderen vor, mit<br />
der Inszenierung des Materials und der Oberfläche die Usurpation des Gelebten Raumes<br />
und damit den Verlust des Bedeutungsbezuges, der “Bedeutungstiefe” des Raumes<br />
für die Bewohner, vorangetrieben zu haben. 53 Ein Vorwurf, welcher eine weiterführende<br />
Diskussion sicherlich wert ist, was hier jedoch nicht geleistet werden kann.<br />
Zum Ende sei nur folgende Überlegung angeschlossen: Walter Gropius und Peter Behrens<br />
begegnen einem “zerrissenen Raum” und konstatieren seine “Fehlstellen”. Beide<br />
stützen die Homogenisierung, wie Lefebvre sie nennt, in dem Maße, als sie beide die<br />
Industrialisierung generell als positiv zu wertende Entwicklung aufnehmen; sie dehnen<br />
in ihren Vorstellungen den gesellschaftlichen Raum, die gesellschaftsräumliche Perspek-<br />
50<br />
Lefebvre, The Production of Space, S. 301.<br />
51<br />
Ebd.<br />
52<br />
Vgl. ebd., S. 285 ff.<br />
53<br />
Außer den Dadaisten trifft die meisten Bauhauskünstler das harsche Urteil Lefebvres, wenn er feststellt:<br />
„Did it [the Bauhaus, d. Verf.] cause or justify a change of aesthetic perspective, or was it merely<br />
a symptom of a change in social practice? More likely the latter, pace most historians of art and<br />
architecture. When it comes to the question of what the Bauhaus’s audacity produced in the long<br />
run, one is obliged to answer: the worldwide, homogenous and monotonous architecture of the state,<br />
whether capitalist or socialist. [...] It is certainly arguable, that the writings and works of the Bauhaus,<br />
of Mies van der Rohe among others, outlined, formulated and helped realize that particular space<br />
[...]“. Ebd., S. 216. Mit diesem Urteil setzt sich Watson in ihrem Artikel auseinander (Watson, „How<br />
Henri Lefebvre missed the modernist senisbility of Mies van der Rohe“).