GesundheitsLand Deutschland - PR Presseverlag Süd GmbH
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10 <strong>GesundheitsLand</strong> <strong>Deutschland</strong><br />
Die Relativität der<br />
modernen Medizin<br />
Gesundheit läßt sich nicht verordnen.<br />
Sie ist ein Ziel, das<br />
Menschen in ihren sozialen Gemeinschaften<br />
anstreben. Nicht<br />
die Medizin also, die Bürgerinnen und Bürger<br />
bestimmen, was ihre Gesundheit ist. Diesen<br />
grundlegenden Orientierungswechsel im Verständnis<br />
von Gesundheit hat die Weltgesundheitsorganisation<br />
(WHO) längst eingeleitet.<br />
Vor über 30 Jahren formulierte die ‘Ottawa-<br />
Charta’ zur Gesundheitsförderung ‘die programmatischen<br />
Grundsätze einer neuen Gesundheitspolitik:<br />
‘Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozeß,<br />
allen Menschen ein höheres Maß an<br />
Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu<br />
ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer<br />
Gesundheit zu befähigen. (...) Gesundheit<br />
steht für ein positives Konzept, das in gleicher<br />
Weise die Bedeutung sozialer und individueller<br />
Ressourcen für die Gesundheit ebenso betont<br />
wie die körperlichen Fähigkeiten.’<br />
Die ‘Ottawa-Charta’ ist eine Botschaft der<br />
Neuorientierung von Medizin und Gesundheitsversorgung.<br />
Die komplexen Mega-Maschinen<br />
der heutigen Medizinindustrie produzieren<br />
zu wenig Gesundheit. Sie verweigern<br />
den kommunikativen Kontakt mit den betroffenen<br />
Patienten und machen sie zu ausgelieferten<br />
Objekten. Das Subjekt Arzt und das<br />
Subjekt Patient kommen zu kurz. Eine biologistische,<br />
auf Körpervorgänge reduzierte Medizin<br />
herrscht vor und die Versorgungsprozesse<br />
sind spezialisiert und zersplittert. Die<br />
Auslastung von Geräten und die Belegung<br />
von Betten wird zum Leistungsmaßstab.<br />
Die künftige Medizin muß den Menschen<br />
ganz sehen, mit seinen körperlichen, seelischen<br />
und sozialen Bezügen. Sie nimmt Abschied<br />
vom Maschinenbild des Lebens und<br />
vom Reparaturdenken in mechanistischen<br />
Modellen. Die Vorstellung von Körper-Ma-<br />
schinen und Gesundheitsfabriken entspricht<br />
nicht nur einer veralteten Organisationslogik<br />
sondern auch einer Naturwissenschaft der<br />
Vergangenheit. Moderne Heilkunst denkt<br />
und handelt in vernetzten Systemen. Sie sieht<br />
genetische Vorgaben, die Biographie von<br />
Personen und die soziale Kultur miteinander<br />
verwoben. Kränkende und heilende Kräfte<br />
beeinflussen die Verhältnisse. Der ‘große<br />
Gesundheitsglobus’ veranschaulicht die Zusammenhänge<br />
und zeigt das kommunikative<br />
Gewebe, auf dem Gesundheit wirkt oder<br />
Krankheit sich ereignet.<br />
Schmerzen lassen sich mit Aspirin bekämpfen,<br />
aber auch durch neues Glück im Alltagsleben.<br />
Einsamkeit und Prüfungsstreß verringern die<br />
Abwehrkraft der Blutkörperchen und Bakterien<br />
werden gefährlicher, wenn soziale Entwurzelung<br />
vorhanden ist. Mentale Einstellungen<br />
beeinflussen die physiologische Leistungskraft<br />
von Sportlern und Gefühle verändern<br />
die Körperchemie unmittelbar. Krebspatienten<br />
mit gutem Kontakt zu anderen Menschen<br />
haben deutlich höhere Überlebenschancen<br />
und Placebo-Medikamente vermögen wundersame<br />
Heilungen auszulösen.<br />
Dies sind Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaft.<br />
Die Medizin erarbeitet gegenwärtig<br />
eine Relativitätstheorie im Umgang<br />
mit ihren Objekten, die unsere Heilkunde so<br />
revolutionieren wird, wie schon die Relativitätstheorie<br />
von Albert Einstein die Physik<br />
umgekrempelt hat.<br />
Das künftige Leitbild der Ärztinnen und<br />
Ärzte ist also eine Medizin für den ganzen<br />
Menschen, die selbstverständlich somatische,<br />
psychische und kulturelle Aspekte integriert.<br />
Eine neue Theorie für den Organismus als lebendes<br />
System im sozialen Kontext entsteht.<br />
Eine so gewandelte Humanmedizin wird auch<br />
neue Handlungskonzepte für die Heilkundigen<br />
erarbeiten. Beziehungsbereitschaft und<br />
Beziehungsfähigkeit sind heute schon bestimmende<br />
Faktoren für die Leistung des Arztes.<br />
Er braucht die Fähigkeit, seinen Patienten<br />
Geborgenheit, Vertrauen und Sicherheit zu<br />
geben und er muß neue Gleichgewichte im<br />
Wechselverhältnis von Körper, Person und<br />
sozialer Gemeinschaft herstellen. Arzt und<br />
Patient sind Partner, beide wirken im therapeutischen<br />
Prozeß zusammen, sind ‘Produzent’<br />
und ‘Co-Produzent’ von Gesundheit.<br />
Die Beziehung heilt!<br />
Die meisten Menschen, die zum Arzt kommen,<br />
leiden an funktionellen Krankheiten,<br />
psychosomatischen Störungen oder chronischen<br />
Gebrechen, denen mit symptoma-<br />
tischer Medizin nicht gut geholfen ist. Die<br />
Gefühle von Angst beispielsweise suchen sich<br />
vielfältigen körperlichen Ausdruck, egal ob<br />
die Angst durch Arbeitsverlust, Beziehungskrisen<br />
oder mangelnde Lebensperspektiven<br />
ausgelöst wird.<br />
Der Angst-Stern (siehe auch Seite 18) weist<br />
auf die unterschiedlichen Körpersprachen<br />
hin. Im Wertschöpfungsprozeß Gesundheit<br />
ist eine Angstbekämpfung mit Herzkathetern<br />
oder Computertomographen Ressourcenvergeudung<br />
oder eine Scheinleistung.<br />
Der Hausarzt und der Krankenhauspraktiker<br />
sind zunehmend herausgefordert, für<br />
Menschen mit körperlichen, seelischen und<br />
sozialen Problemen einen selbständigen und<br />
selbstbestimmten Alltag zu gestalten. Sie müssen<br />
im Einzelfall ein gesünderes Leben trotz<br />
Behinderung organisieren helfen und Versorgungsnetze<br />
für ihre Patienten bereitstellen.<br />
Die Leistungen von Medizin und Pflege umfassen<br />
eben ein komplexes Netzwerk von<br />
Hilfe und Unterstützung. Dazu gehören<br />
auch Gespräche mit Angehörigen, Kontakte<br />
zu Handwerkern, die Wohnraum behindertengerecht<br />
umbauen, die Vermittlung von<br />
Selbsthilfegruppen oder die Ermutigung von<br />
Nachbarn, ein Versorgungsproblem mit zu<br />
lösen.<br />
Medizin und Pflege muß den einzelnen Menschen<br />
ermuntern, möglichst selbstbestimmt<br />
und selbstverantwortlich mit seiner Lage fertigzuwerden.<br />
Gesundheit heißt Autonomie<br />
für die betroffene Person: Autonomie trotz<br />
eines körperlichen, seelischen oder sozialen<br />
Handicaps. Autonomie ist also das ‘Produktionsziel’<br />
einer sozial verantwortlichen Heilkunst.<br />
Gute Heilkunst unterläßt alles, was dem betroffenen<br />
Kranken nichts nützt. Ärztinnen<br />
und Ärzte sollten ihre Patienten so behandeln,<br />
wie sie selbst behandelt werden wollen. Die<br />
Wertbestimmung für medizinische Angebote<br />
muß also vom Patienten her erfolgen und mit<br />
dem Kranken zusammen abgestimmt sein.<br />
Der Nutzen ärztlicher Maßnahmen ist im Dialog<br />
mit dem ‘Kunden’, zwischen Arzt und<br />
Patient im Einzelfall zu definieren. Wenn das<br />
gewünschte ‘Produkt’ so individuell bestimmt<br />
ist, sollte der Wertschöpfungsprozeß das Ziel<br />
in möglichst kurzer Zeit und zu möglichst geringen<br />
Kosten erreichen.<br />
Dies läßt sich nur realisieren, wenn die Professionen<br />
und Institutionen, Ärzte und Krankenkassen,<br />
Dienstleister und Finanziers eine<br />
systemische Sicht übernehmen und zu einem<br />
neuen Miteinander finden: Das Gesundheitswesen<br />
ist ein soziales Immunsystem.<br />
„Gesundheit heißt Autonomie für<br />
die betroffene Person: Autonomie<br />
trotz eines körperlichen, seelischen<br />
oder sozialen Handicaps.“<br />
<strong>GesundheitsLand</strong> <strong>Deutschland</strong> 11<br />
Ellis Huber<br />
Geb. am 31.3.1949 in<br />
Waldshut (Baden-Württemberg)<br />
1972-1976: Studium der Humanmedizin an der<br />
Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg<br />
1978: Approbation als Arzt, Land Baden<br />
Württemberg<br />
1977-1978: Medizinalassistent am Kreiskrankenhaus<br />
Tuttlingen und am Städtischen Krankenhaus<br />
von Berlin Spandau<br />
1979-1980: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am<br />
Bundesgesundheitsamt, Max von Pettenkofer-<br />
Institut<br />
1979-1981: Ärztlicher Geschäftsführer des<br />
Medizinischen Informations- und Kommunikationszentrums,<br />
Gesundheitsladen Berlin e.V.<br />
1981-86: Gesundheitsstadtrat (Dezernent)<br />
im Bezirksamt von Berlin Wilmersdorf und<br />
Kreuzberg<br />
1986-91: Leiter der Abteilung gesundheitliche<br />
und soziale Dienste des PARITÄTISCHEN,<br />
LV Berlin e.V.<br />
1987-99: Präsident der Ärztekammer Berlin,<br />
1993-2003: Vorstandsmitglied der Internationalen<br />
Ärzte für Frieden und soziale Verantwortung<br />
(IPPNW)<br />
seit 1996: Vorstandsmitglied des PARITÄTI-<br />
SCHEN, Landesverband Berlin e.V.,<br />
2001-2005: Vorstand der SECURVITA-BKK,<br />
Hamburg<br />
seit 2007: Vorsitzender der Berufsverbandes<br />
Deutscher Präventologen e.V.<br />
seit 2008: Leiter des Kompetenzzentrums Gesundheitsförderung<br />
und Prävention am Institut<br />
für transkulturelle Gesundheitswissenschaften<br />
(IntraG) an der Europa-Universität Viadrina in<br />
Frankfurt (Oder)<br />
seit 2010: Vorstand der SECURVITA Krankenkasse<br />
Veröffentlichungen: u.a. „Liebe statt Valium -<br />
Konzepte für eine neue Gesundheitsreform“,<br />
Knaur-Taschenbuch-Verlag, München, 1995,<br />
„Die Gesundheitsrevolution“, Aufbauverlag,<br />
Berlin, 2004.