Die Artisten unter der Reichstagskuppel: Ratlos. - Arbeiterstimme
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<strong>Arbeiterstimme</strong><br />
Sommer 2005<br />
rage. Nicht nur aus diesem Dilemma<br />
<strong>der</strong> Linken zieht <strong>der</strong> Rechtsradikalismus<br />
seinen Nutzen. Sein Gift wirkt ja<br />
nicht nur in jener Min<strong>der</strong>heit <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
von einigen Prozenten, die<br />
heute schon rechtsradikal wählen. Es<br />
ist durchaus die sog. Mitte <strong>der</strong> Gesellschaft,<br />
in <strong>der</strong> das Gift <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>feindlichkeit,<br />
des Rassismus und des<br />
Law und Or<strong>der</strong>-Denkens vorhanden<br />
ist. Oft genug gehen die rechten Parolen<br />
von den bestehenden demokratischen<br />
Parteien aus. <strong>Die</strong> Rechtsradikalen<br />
brauchen nur die Konsequenzen<br />
auszubauen und aus etwas Halbem etwas<br />
Ganzes zu machen. Das ist z.B.<br />
an <strong>der</strong> Asylanten-Politik abzulesen,<br />
als, entgegen dem Grundgesetz, 1993<br />
alle Fraktionen das Asylrecht aushebelten.<br />
Roland Koch kam mit <strong>der</strong> CDU<br />
in Hessen nur deshalb an die Regierung,<br />
weil mit seiner Unterschriftenaktion<br />
gegen die Doppelstaatsbürgerschaft<br />
Hun<strong>der</strong>ttausende animiert<br />
wurden, „gegen die Auslän<strong>der</strong>“ zu<br />
<strong>unter</strong>schreiben. In <strong>der</strong> CSU, die schon<br />
immer einen Rechtsaußen-Flügel hatte,<br />
wurde nach Bedarf die Auslän<strong>der</strong>feindlichkeit<br />
bedient, mit dem Motto<br />
„Das Boot ist voll“. Auch <strong>der</strong> heutige<br />
Ministerpräsident Stoiber hatte einst<br />
die Hetze angefacht mit seinem Ausspruch<br />
von <strong>der</strong> „durchrassten Gesellschaft“.<br />
Franz-Josef Strauß meinte<br />
einst, die Deutschen könnten nicht<br />
ewig im Büßerhemd herumlaufen.<br />
Vor nicht allzu langer Zeit wollte die<br />
CDU/CSU mit einer neuen „Leitkultur“<br />
Furore machen. „Deutschland<br />
muß in Kreuzberg wie<strong>der</strong> erkennbar<br />
werden“ hieß eine <strong>der</strong> Parolen. Gegenwärtig<br />
sind wir wie<strong>der</strong> einer Welle <strong>der</strong><br />
„Vergangenheitsbewältigung“ ausgesetzt,<br />
in <strong>der</strong> die eigenen Opfer aufgerechnet<br />
werden sollen. Eine Sinus-Studie<br />
in den 80er Jahren hatte festgestellt,<br />
daß die Hälfte <strong>der</strong> Menschen mit<br />
rechtsextremen Weltbil<strong>der</strong>n in Westdeutschland<br />
CDU wählten. Das dürfte<br />
auch heute noch so sein, denn das<br />
Sozial-Reaktionäre scheint bei den demokratischen<br />
Rechtsparteien gegenwärtig<br />
noch besser aufgehoben, als bei<br />
dem wirren und zerstrittenen Haufen<br />
<strong>der</strong> Rechtsextremen. Es gibt genug<br />
Beispiele, die zeigen, daß „demokratische“<br />
Abgeordnete in Wirklichkeit<br />
rechtsradikale Einstellungen haben.<br />
Im sächsischen Landtag wurde das<br />
kürzlich offensichtlich, als mehrere<br />
Abgeordnete zusammen mit <strong>der</strong> NPD<br />
stimmten. Das zeigte auch das Verhal-<br />
ten <strong>der</strong> CDU-Fraktionen in zwei Berliner<br />
Bezirken anlässlich <strong>der</strong> Debatte<br />
um den 8.Mai 1945.<br />
Offiziell werden die neofaschistischen<br />
und rechtsradikalen Umtriebe<br />
von den Regierungen und etablierten<br />
Parteien bekämpft und vom Verfassungsschutz<br />
überwacht.<br />
Das Verhältnis des bürgerlichen<br />
Staates gegenüber dem Rechtsextremismus<br />
ist zwiespältig. Zum einen<br />
möchte man diese Parteien mit Rücksicht<br />
aufs Ausland, und beson<strong>der</strong>s die<br />
USA und Israel, am liebsten ausschalten,<br />
verbieten. Auch gibt es keine<br />
kämpfende Arbeiterbewegung und<br />
kommunistische Bewegung mehr, auf<br />
die loszulassen die herrschende Klasse<br />
stets jemand brauchte, um die<br />
schmutzige Arbeit zu tun. Doch die,<br />
die den Verbotsantrag gegen die NPD<br />
gestellt haben, das Bundesinnenministerium,<br />
mit dem Hardliner Schily an<br />
<strong>der</strong> Spitze, haben gleichzeitig die Fakten<br />
geliefert dies zu verhin<strong>der</strong>n. Ob<br />
taktisch so geplant o<strong>der</strong> ungewollt, mit<br />
einer so dichten Durchsetzung <strong>der</strong><br />
NPD-Führungsschicht mit Agenten<br />
des Verfassungsschutzes konnte <strong>der</strong><br />
Verbotsantrag vor Gericht keine Chance<br />
haben. Wollte man den Rechtsextremismus<br />
ernstlich zu Boden zwingen,<br />
würde bei den vielen offensichtlichen<br />
Propagandadelikten und Gewalttaten<br />
auch die heutige Gesetzgebung<br />
ausreichen. Doch in Deutschland<br />
war die Justiz nur zu oft auf dem<br />
rechten Auge blind, was auch ein bezeichnendes<br />
Licht auf das Justizpersonal<br />
wirft. Das offene Bekenntnis zu<br />
Hitler, zur NS-Zeit als Vorbild, zum<br />
Rassismus und die Leugnungen des<br />
Holocaust werden oft gar nicht o<strong>der</strong><br />
nur nachsichtig verfolgt. Rechte Gewalttaten<br />
werden von den Behörden<br />
oft absichtlich nicht als solche eingestuft<br />
o<strong>der</strong> mit einer Milde verfolgt, die<br />
empörend ist. Es gibt aber auch im<br />
Staatsapparat und in den etablierten<br />
Parteien die Absicht, rechtsradikale<br />
Strömungen zu instrumentalisieren.<br />
<strong>Die</strong> Umtriebe <strong>der</strong>en Schläger dienen<br />
allemal <strong>der</strong> Einschüchterung <strong>der</strong> Linken,<br />
bis zur Zerstörung ihrer Logistik,<br />
<strong>der</strong> Umfunktionierung o<strong>der</strong> Beseitigung<br />
von Jugendzentren, Kulturläden<br />
usw. Bleiben die rechtsradikalen Parteien<br />
weiter legal, bis in Zeiten noch<br />
größerer sozialer Erschütterungen,<br />
würde das Protestpotential in Rechtsund<br />
Linksaußen gespalten. Für manche<br />
Deklassierten und Ausgegrenzten<br />
böte sich ein neuer Irrweg an, <strong>der</strong> die<br />
Erkenntnis verhin<strong>der</strong>t, die Ursache<br />
<strong>der</strong> Misere im kapitalistischen System<br />
zu suchen. An<strong>der</strong>erseits, nähmen die<br />
rechtsradikalen Parteien relevant zu,<br />
könnten sich auch in Deutschland demokratische<br />
Parteien im Koalitionsbett<br />
so prostituieren, wie die ÖVP mit<br />
Hai<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Forza Italia mit Fini. Im<br />
Falle einer neuen tiefen Weltwirtschaftskrise<br />
ist ein neuer Faschismus<br />
zur Rettung <strong>der</strong> ökonomischen Macht<br />
des Kapitals auf Deutschland alleine<br />
bezogen kaum mehr denkbar und<br />
wahrscheinlich, aus Kapitalisten-Sicht<br />
auch nicht mehr nötig. Da kann man<br />
sich an<strong>der</strong>e, autoritäre Strukturen vorstellen.<br />
Im Zeichen <strong>der</strong> Globalisierung,<br />
des nationalstaatlichen Machtzerfalls<br />
ist Deutschland <strong>der</strong>maßen eingebettet<br />
in die EU und in das multinationale<br />
Geflecht, daß es kein Zurück mehr gibt<br />
in einen nationalistischen, chauvinistischen<br />
Son<strong>der</strong>weg, <strong>der</strong> das letzte Mal<br />
in einer Katastrophe geendet hat.<br />
Konzentration auf die NPD<br />
<strong>Die</strong> letzten Landtagswahlergebnisse<br />
<strong>der</strong> NPD vor Augen – in Schleswig-Holstein<br />
1,9 %, in NRW 0,9 % für<br />
die NPD und 0,8 % für die Reps – plädieren<br />
manche Demokraten dafür, die<br />
Rechtsparteien nicht allzuernst zu<br />
nehmen. Es ist aber so, daß man die<br />
Dinge in ihrem Fluß sehen muß, in <strong>der</strong><br />
Verän<strong>der</strong>ung. Insofern kommen<br />
schwere soziale Zeiten auf Deutschland<br />
zu, ein Finanzdesaster kündigt<br />
sich längst an. <strong>Die</strong> Rechtsradikalen<br />
haben in den letzten Jahren abgenommen,<br />
nehmen jetzt aber wie<strong>der</strong> zu. <strong>Die</strong><br />
NPD konnte in gewissen Gebieten<br />
bereits feste Strukturen schaffen und<br />
mit ihrem neuen Auftreten als Bie<strong>der</strong>männer.<br />
Wie ein Paukenschlag kam<br />
dann das Landtagswahlergebnis in<br />
Sachsen, mit 9,2 %, wo sie sensationellerweise<br />
mit <strong>der</strong> SPD fast gleichzog.<br />
Wie hatte doch Sachsen Ministerpräsident<br />
Biedenkopf einst gemeint? <strong>Die</strong><br />
Sachsen seien „völlig immun gegenüber<br />
den rechtsradikalen Versuchungen“.<br />
Und verharmlosend fügte er<br />
hinzu: „In Sachsen haben noch keine<br />
Häuser gebrannt, es ist auch noch nie<br />
jemand umgekommen“. Doch bereits<br />
die letzten Kommunalwahlen waren<br />
ein Alarmzeichen gewesen.<br />
Der Verfassungsschutzbericht<br />
beziffert für 2004 die Zahl <strong>der</strong> Rechtsextremen<br />
und Neonazis zusammen