Die Artisten unter der Reichstagskuppel: Ratlos. - Arbeiterstimme
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<strong>Arbeiterstimme</strong><br />
Sommer 2005<br />
kraft <strong>der</strong> Produzenten eine Rolle. Verän<strong>der</strong>te<br />
Verwertungsbedingungen<br />
des Kapitals ziehen in <strong>der</strong> Regel eine<br />
Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Qualifikationsprozesse<br />
nach sich und erfor<strong>der</strong>n somit<br />
Verän<strong>der</strong>ungen in den Bildungseinrichtungen.<br />
Und genau an diesem<br />
Punkt wird es schwierig. Welche<br />
Verän<strong>der</strong>ungen sollen durchgeführt<br />
werden? Welche Qualifikationen<br />
werden in naher o<strong>der</strong> ferner<br />
Zukunft benötigt? Soll Bildung<br />
mehr kosten dürfen? Breitenbildung<br />
o<strong>der</strong> Eliteför<strong>der</strong>ung? Mehr<br />
Allgemeinbildung o<strong>der</strong> rasche<br />
Spezialisierung? (dazu mehr in<br />
„Bildung (noch) für alle?“ s.o.)<br />
In Stellungnahmen und Verlautbarungen<br />
<strong>der</strong> Interessensvertretungen<br />
<strong>der</strong> verschiedenen Kapitalfraktionen<br />
werden zumeist ähnliche<br />
For<strong>der</strong>ungen erhoben, wobei<br />
sich bei genauerem Hinsehen oft die<br />
Schwerpunktsetzung <strong>unter</strong>scheidet.<br />
<strong>Die</strong> „Bayerisch-Sächsische Zukunftskommission“<br />
sollte Licht ins Dunkel<br />
bringen und trug letztlich zu größerer<br />
Verwirrung bei. Nach den Erkenntnissen<br />
<strong>der</strong> Kommissionsmitglie<strong>der</strong><br />
würden in Zukunft eh nur<br />
mehr 20 bis 50 Prozent eines Schülerjahrgangs<br />
für produktive Zwecke<br />
benötigt, was für eine Verschärfung<br />
<strong>der</strong> Selektion bis Klasse 4 sprechen<br />
sollte, um dann die Fitteten für eine<br />
Elitebildung herauszufiltern. Nach<br />
den diversen internationalen Vergleichsstudien<br />
war die Zukunftskommission<br />
mit ihren Ergebnissen aus<br />
<strong>der</strong> Diskussion verschwunden. Wenn<br />
es darum geht, Verän<strong>der</strong>ungen im<br />
deutschen Bildungswesen einzufor<strong>der</strong>n,<br />
meldet sich die Bundesvereinigung<br />
deutscher Arbeitgeberverbände<br />
(BDA) über ihren Präsidenten <strong>Die</strong>ter<br />
Hundt regelmäßig zu Wort. So z.B.<br />
anlässlich <strong>der</strong> diesjährigen „didacta“<br />
Bildungsmesse, wo er „Das Konzept<br />
<strong>der</strong> Arbeitgeber für eine bessere Bildung“<br />
präsentierte.<br />
Was ist nun das Konzept <strong>der</strong><br />
Bundesvereinigung <strong>der</strong> Deutschen<br />
Arbeitgeberverbände (BDA)?<br />
D. Hundt hält sich in seiner<br />
Rede nicht lange bei <strong>der</strong> Analyse <strong>der</strong><br />
aktuellen Bildungsmisere aus Sicht<br />
des Kapitals auf. Er konzentriert sich<br />
auf die For<strong>der</strong>ungen. Zunächst ergeht<br />
er sich in Un<strong>der</strong>statement, wenn<br />
er betont: „<strong>Die</strong> Arbeitgeber engagieren<br />
sich seit langem aktiv in <strong>der</strong> Bildungspolitik.“<br />
Sie müssten es nicht,<br />
tun es aber trotzdem: Akt einer Uneigennützigkeit,<br />
wie sie fürs Kapital so<br />
signifikant ist.<br />
<strong>Die</strong> BDA setzt sich ein „für eine<br />
zielgerichtete und umfassende Verbesserung<br />
<strong>der</strong> Qualität in den Schulen<br />
und Hochschulen.“ <strong>Die</strong>se Option<br />
SZ, 18.5.02<br />
ist nicht überraschend, schließlich<br />
wird niemand, <strong>der</strong> sich bildungspolitisch<br />
zu Wort meldet, das Gegenteil<br />
einfor<strong>der</strong>n.<br />
Wer etwas verbessern will, ist<br />
mit dem aktuellen Zustand nicht zufrieden.<br />
Nicht zufrieden ist die BDA<br />
mit „knapp 25 % <strong>der</strong> Schüler (...) (die)<br />
nicht Ausbildungsreif (sind) und (...)<br />
große Probleme beim Schreiben, Lesen<br />
und Rechnen“ haben<br />
Ähnlich wie in an<strong>der</strong>en gesellschaftlichen<br />
Bereichen erkennt <strong>der</strong><br />
Arbeit„geber“präsident die neoliberalen<br />
„Reformen“ von Bund und Län<strong>der</strong>n<br />
„ausdrücklich“ an und dringt<br />
auf „weitere notwendige Schritte.“<br />
<strong>Die</strong>se bestehen für ihn darin<br />
„die erfolgreichen (!) Prinzipien <strong>der</strong><br />
Marktwirtschaft im Bildungswesen<br />
durchzusetzen.“ Zu marktwirtschaftlichen<br />
Problemlösungen hat sich<br />
kürzlich Fredmund Malik, Chef des<br />
Malik Management Zentrum St. Gallen<br />
in <strong>der</strong> SZ vom 28.2.05 ernüchternd<br />
geäußert: „Der Markt als solcher bewirkt<br />
nichts Positives und er hilft<br />
nicht, Fehler zu vermeiden. Er bestraft<br />
sie nur – aber erst, wenn sie<br />
schon passiert sind und daher eben<br />
zu spät. Das sollte gerade von Befürwortern<br />
marktwirtschaftlicher Problemlösungen<br />
klar gesehen werden.“<br />
Dabei ist Malik ein überzeugter<br />
Marktwirtschaftler.<br />
Hundt schlägt vor, dass Schulen<br />
und Hochschulen „im Wettbewerb<br />
ihr individuelles Profil prägen<br />
und kontinuierlich ihre Qualität überprüfen<br />
und verbessern.“ Damit dies<br />
erreicht werden kann, benennt er<br />
zwei Voraussetzungen, nämlich die<br />
„Selbstständigkeit <strong>der</strong> Bildungseinrichtungen<br />
in finanziellen, personellen<br />
und Verwaltungsfragen“ sowie<br />
„die konsequente Entbürokratisierung.“<br />
Ob sich D. Hundt bei seiner For<strong>der</strong>ung<br />
nach „Selbstständigkeit<br />
<strong>der</strong> Bildungseinrichtungen“ <strong>der</strong><br />
Tragweite bewusst ist, muss bezweifelt<br />
werden. Er for<strong>der</strong>t damit<br />
nicht weniger als die Zerschlagung<br />
einer Organisationsstruktur, zu<br />
<strong>der</strong> man sich <strong>unter</strong>schiedlich positionieren<br />
kann, die aber historisch<br />
ihre Funktionalität bewiesen<br />
hat, nicht zuletzt zugunsten <strong>der</strong><br />
Interessen <strong>der</strong> herrschenden Klasse<br />
in <strong>der</strong> bürgerlichen Gesellschaft.<br />
Am Beispiel des Schulsprengels<br />
lassen sich die Vorteile des<br />
immer noch staatlich verantworteten<br />
und verwalteten Schulwesens aufzeigen.<br />
Durch die Schulsprengeleinteilung<br />
weiß etwa eine Grundschule<br />
ziemlich genau, auf wie viele SchülerInnen<br />
sie sich in den kommenden<br />
Jahren einzustellen hat.<br />
Das hat Auswirkungen auf die<br />
Räumlichkeiten, die rechtzeitig zur<br />
Verfügung stehen müssen und auf<br />
das pädagogische Personal. <strong>Die</strong> zentrale<br />
Zuweisung von Lehrkräften garantiert<br />
eine weitgehend gleiche,<br />
wenn auch nicht immer ausreichende<br />
Versorgung.<br />
Wird diese Grundschule im<br />
Hundtschen Sinne selbstständig bzw.<br />
marktförmig, muss sie <strong>unter</strong>nehmerisches<br />
Handeln entwickeln. Sie versteht<br />
sich dann als <strong>Die</strong>nstleistungs<strong>unter</strong>nehmen<br />
mit einem beson<strong>der</strong>en<br />
Profil (=Angebot).<br />
Sie verfügt über ein eigenes<br />
Budget, das ihr <strong>der</strong> Staat je nach Finanzlage<br />
des Haushalts zur Verfügung<br />
stellt. Auf dieser Grundlage<br />
stellt <strong>der</strong> Schulleiter als Unternehmer<br />
nach eigenem Gusto Personal ein und<br />
wirbt mit einem speziellen Angebot<br />
um Kunden (SchülerInnen).<br />
Nur mit dem vom Staat zur Verfügung<br />
gestelltem Geld kann das<br />
Unternehmen Grundschule nicht<br />
wettbewerbsfähig sein, ist also gezwungen,<br />
über Sponsoring zusätzliche<br />
Gel<strong>der</strong> zu akquirieren. So wird<br />
sich die Grundschule in unmittelbarer<br />
Nähe einer BMW- Nie<strong>der</strong>lassung<br />
an<strong>der</strong>s entwickeln als eine Grundschule<br />
in einem sozialen Brennpunkt.