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Die Artisten unter der Reichstagskuppel: Ratlos. - Arbeiterstimme

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<strong>Arbeiterstimme</strong><br />

Sommer 2005<br />

mit dem Modell einer neunjährigen<br />

Basisschule (s.Abb.) als konkrete Alternative<br />

zum geglie<strong>der</strong>ten Schulwesen,<br />

in die bildungspolitische Debatte<br />

eingebracht hatte, kam vor allem von<br />

GEW-Glie<strong>der</strong>ungen lebhafte Zustimmung.<br />

<strong>Die</strong> regionalen Handwerksvertretungen<br />

zeigten ihre Überraschung<br />

über das klare Bekenntnis aus dem<br />

Südwesten <strong>der</strong> Republik durch<br />

Schweigen, jedenfalls sind im Internet<br />

kaum Spuren einer Debatte zu finden.<br />

Der Deutsche Handwerkskammertag<br />

hatte in etwa zeitgleich mit<br />

dem BWHT ein „Zehn-Punkte-Programm<br />

des Deutschen Handwerks<br />

zur Schulpolitik“ veröffentlicht, in<br />

dem zwar „rasch nachhaltige Reformen<br />

des Schulsystems“ gefor<strong>der</strong>t, innerhalb<br />

des „geglie<strong>der</strong>ten deutschen<br />

Schulsystems“ aber lediglich eine<br />

„deutlich bessere Durchlässigkeit“<br />

angemahnt wurde.<br />

Und die folgende Äußerung beleg,<br />

ein Hinterfragen des Schulsystems<br />

ist nicht impliziert: „Das in Hauptschulen,<br />

Realschulen, Gymnasien, Gesamtschulen<br />

und Son<strong>der</strong>schulen geglie<strong>der</strong>te<br />

Schulsystem verlangt(!) in fast allen<br />

Bundeslän<strong>der</strong>n eine Schullaufbahnentscheidung<br />

in <strong>der</strong> vierten Klasse.“<br />

Zwar soll – wenn Financial Times<br />

Deutschland (vom 22.11.02) den<br />

Sachverhalt richtig wie<strong>der</strong>gibt – <strong>der</strong><br />

Präsident des Zentralverbands des<br />

Deutschen Handwerks, <strong>Die</strong>ter Philipp,<br />

den Vorstoß <strong>der</strong> B.-W. Bildungsexpertin<br />

„vorsichtig <strong>unter</strong>stützt“ und<br />

erklärt haben: „Es könnte durchaus<br />

eine Alternative sein, die Entscheidung<br />

für die Schullaufbahn auf einen<br />

späteren Zeitpunkt zu verschieben.“<br />

<strong>Die</strong> Äußerung war aber eher nach<br />

Innen gerichtet, um den drohenden<br />

Ausbruch eines unkontrollierbaren<br />

bildungspolitischen Konfliktes abzublocken.<br />

Denn Herr Philipp äußerte<br />

sich zeitgleich in entgegengesetzte<br />

Richtung und scheute nicht vor Tatsachenfälschung<br />

zurück. Im Handwerk-Magazin<br />

2/2002 wird er wie folgt<br />

zitiert: „Und PISA hat nicht zuletzt gezeigt,<br />

dass die Bestrebungen <strong>der</strong> vergangenen<br />

Jahre, über Gesamtschulen<br />

den breiten Graben zwischen leistungsstarken<br />

und leistungsschwachen<br />

Schülern wie<strong>der</strong> zu verkleinern, nicht<br />

zu den erhofften Erfolgen geführt haben.<br />

Im Gegenteil.“ Mit solchen Aussagen<br />

werden die PISA-Ergebnisse<br />

konterkariert. Dummheit o<strong>der</strong> Böswilligkeit?<br />

Was fällt dem DGB dazu ein?<br />

Anstatt verstärkt die divergierenden<br />

Interessen von Handwerk und<br />

Großindustrie ins Kalkül zu ziehen<br />

und zum Beispiel in <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> gemeinsamen<br />

Schule offensiv auf den<br />

Baden-Württemberger Handwerkstag<br />

zuzugehen, machte <strong>der</strong> DGB auf<br />

Bundesebene im Januar dieses Jahres<br />

mit <strong>der</strong> BDA gemeinsame Sache und<br />

ließ sich zu einer – ganz auf <strong>der</strong> Linie<br />

<strong>der</strong> BDA liegenden – Erklärung zu den<br />

Ergebnissen von „PISA II“ verleiten.<br />

Darin wird festgestellt:<br />

„<strong>Die</strong> Sozialpartner erkennen<br />

ausdrücklich an, dass die Kultusminister<br />

nach dem PISA-Schock 2001 mit<br />

wichtigen Reformen, beispielsweise<br />

im Bereich <strong>der</strong> Qualitätssicherung,<br />

begonnen haben. Es kommt jetzt darauf<br />

an, dass diese Reformen konsequent<br />

vorangetrieben werden.“<br />

Beide Aussagen sind ein Schlag<br />

ins Gesicht eines jeden Gewerkschafters.<br />

Wer nur die geringste Ahnung<br />

davon hat, was seit Jahren im Bildungsbereich<br />

<strong>unter</strong> dem Etikett „Reformen“<br />

veranstaltet wird, müsste wissen, dass<br />

es sich um neoliberale Programme im<br />

Sinne von Privatisierung, Flexibilisierung,<br />

Deregulierung etc etc handelt.<br />

Natürlich sind in den 10 Punkten<br />

<strong>der</strong> gemeinsamen Erklärung auch<br />

For<strong>der</strong>ungen enthalten, die unstrittig<br />

sind wie „die öffentlichen Investitionen<br />

stärker auf den Bereich <strong>der</strong> Frühför<strong>der</strong>ung<br />

zu konzentrieren.“ Aussagen<br />

in dieser allgemeinen Form haben<br />

jedoch kaum Bedeutung. Je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> in<br />

<strong>der</strong> Bildungspolitik mitredet, <strong>unter</strong>schreibt<br />

das.<br />

Es sind aber auch Punkte enthalten,<br />

die <strong>der</strong> DGB nicht nur nicht <strong>unter</strong>stützen<br />

dürfte, son<strong>der</strong>n entschieden<br />

bekämpfen müsste So heißt es im<br />

Handlungsfeld 8:<br />

„Wir brauchen die Selbstständige<br />

Schule, die genauso eigenverantwortlich<br />

über Personal- und Finanzfragen<br />

entscheiden kann wie über ihre<br />

pädagogischen Konzepte.“<br />

Dass hier ziemlich unreflektiert<br />

<strong>der</strong> Begriff „Selbstständige Schule“<br />

verwendet wird, muss verwun<strong>der</strong>n.<br />

Denn in <strong>der</strong> bildungspolitischen Debatte<br />

gehen selbst die härtesten Befürworter<br />

<strong>der</strong> Zerschlagung des staatlichen<br />

Schulwesens öffentlich noch<br />

nicht von <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung nach <strong>der</strong><br />

Selbstständigkeit, also einer vollen<br />

Autonomie <strong>der</strong> einzelnen Schule aus,<br />

son<strong>der</strong>n verwenden lieber den besser<br />

vermittelbaren Begriff <strong>der</strong> teilautonomen<br />

Schule, was soviel bedeuten<br />

könnte, wie die stärkere Verlagerung<br />

von Entscheidungen an die Basis.<br />

Den DGB-Kollegen, die die Erklärung<br />

zu verantworten haben, kann<br />

man Legitimerweise verschiedenes<br />

<strong>unter</strong>stellen. Eine Möglichkeit ist, dass<br />

sie das Papier nicht mitverfasst, son<strong>der</strong>n<br />

nur weitgehend ungelesen <strong>unter</strong>schrieben<br />

haben. Dann ist ihnen nur<br />

Faulheit zu <strong>unter</strong>stellen. Sollten sie<br />

aber nicht gemerkt haben, was sie da<br />

<strong>unter</strong>schreiben, weil sie die Begrifflichkeit<br />

und den gesellschaftlichen<br />

Background nicht kennen, muss ihnen<br />

Dummheit attestiert werden, vielleicht<br />

auch mangelnde Bildung. <strong>Die</strong> dritte<br />

Möglichkeit ist noch unangenehmer,<br />

weil perspektivisch die gefährlichste:<br />

Sie haben das absichtlich so formuliert.<br />

Da gibt es aber im DGB eine Bildungsgewerkschaft,<br />

die in solchen<br />

Fragen durchaus auf <strong>der</strong> Höhe <strong>der</strong><br />

Zeit ist, und bei <strong>der</strong> man auch hätte<br />

nachfragen können. Das scheint aber<br />

nicht üblich zu sein.<br />

Zusammenfassend ist festzuhalten:<br />

<strong>Die</strong> gemeinsame Erklärung enthält<br />

in weiten Bereichen so blumige<br />

und nichtssagende For<strong>der</strong>ungen wie<br />

etwa „Der einzelne Schüler ist in den<br />

Mittelpunkt des Unterrichts und des<br />

schulischen Lebens zu stellen.“ Sie<br />

enthält weiterhin – wie eben schon<br />

ausgeführt – For<strong>der</strong>ungen aus <strong>der</strong> allgemeinen<br />

Privatisierungsdebatte und<br />

Elemente des Neuen Steuerungsmodells.<br />

Und sie weicht <strong>der</strong> einzigen relevanten<br />

Frage aus, die nach PISA<br />

mehr denn je zur Entscheidung ansteht:<br />

Selektives o<strong>der</strong> einheitliches Bildungswesen?<br />

Geglie<strong>der</strong>tes Schulsystem<br />

o<strong>der</strong> „Eine Schule für alle“? Hier<br />

scheiden sich die Geister. Würde <strong>der</strong><br />

DGB an diesem Punkt konkret im Sinne<br />

<strong>der</strong> Beschlusslage <strong>der</strong> GEW, gäbe<br />

es <strong>der</strong>zeit keine gemeinsame Erklärung<br />

mit <strong>der</strong> BDA.<br />

<strong>Die</strong> Arbeiterbewegung war<br />

immer für die einheitliche Schule als<br />

Fundament eines demokratischen Bildungswesens.<br />

<strong>Die</strong>se kann <strong>unter</strong> bürgerlichen<br />

Verhältnissen auf den Weg gebracht<br />

werden, wie es das Beispiel fast<br />

aller entwickelten kapitalistischen Län<strong>der</strong><br />

belegt. <strong>Die</strong> volle Umsetzung dieses<br />

Anspruchs ist erst möglich, wenn durch<br />

die Überwindung <strong>der</strong> Klassengesellschaft<br />

die soziale Frage gelöst ist.<br />

p. ro

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