Die Artisten unter der Reichstagskuppel: Ratlos. - Arbeiterstimme
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<strong>Arbeiterstimme</strong><br />
Sommer 2005<br />
Zum Thema: „Zustand <strong>der</strong> Klasse und Ursachen“<br />
(Das Referat wurde in Leverkusen vorgetragen <strong>unter</strong> dem Titel: „Zum Thema: Stärkung von Klassenbewußtsein<br />
und Klassenhandeln“)<br />
Ich muß gleich vorausschicken,<br />
daß ich wenig (positives)<br />
zum Thema „Stärkung<br />
von Klassenbewußtsein“ vortragen<br />
werde und mich mehr mit dem ersten<br />
Themenblock „Zustand <strong>der</strong> Klasse“<br />
beschäftigen werde. Das hat aber<br />
seine Gründe:<br />
Nicht das Stärken von Klassenbewußtsein<br />
und Klassenhandeln<br />
kann das Thema sein – zumindest<br />
nicht, solange nicht realisiert wird,<br />
auf welchem Punkt das Klassenbewußtsein<br />
angekommen ist – nämlich<br />
auf einem Tiefpunkt. Es geht<br />
zunächst nicht darum, „richtige Rezepte“<br />
zu finden, um das Klassenhandeln<br />
voranzutreiben (Stichwort: „Gegenmachtstrategien“),<br />
weil nicht „Rezepte“<br />
zu richtigem/besserem Klassenhandeln<br />
führen (also: nicht <strong>der</strong><br />
Mangel an „Rezepten“ o<strong>der</strong> „Strategien“<br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong> mangelnde Wille, sie<br />
anzuwenden / <strong>der</strong> mangelnde Einsatz<br />
ist <strong>der</strong> „Fehler“) vielmehr muß erst<br />
eine ehrliche Bestandsaufnahme und<br />
Analyse des Zustands <strong>der</strong> Klasse und<br />
des Klassenbewußtseins erfolgen -<br />
daran mangelt es häufig!<br />
Genausowenig, wie es richtig<br />
ist, vom „Ende <strong>der</strong> Arbeiterklasse“ zu<br />
reden, ist es richtig, so zu tun, als bestünde<br />
die „alte“, „klassische“ Arbeiterklasse<br />
noch so wie etwa in <strong>der</strong><br />
Weimarer Zeit o<strong>der</strong> gar im 19. Jhd.<br />
Man muß/Wir müssen erst den<br />
Wandel realisieren, <strong>der</strong> stattgefunden<br />
hat, um dann daraus seine Schlüsse<br />
ziehen zu können. (Erst dann kann<br />
man „auch“ über „Rezepte“ o<strong>der</strong> „Gegenmachtstrategien“<br />
reden!)<br />
Art und Gründe des Wandels:<br />
Nach meiner Auffassung stellen<br />
sich die beiden Hauptursachen wie<br />
folgt dar:<br />
1.) Es gibt keine einheitliche Klasse mehr<br />
Eine Aufsplitterung in viele<br />
„Schichten“ hat stattgefunden.<br />
Gründe hierfür sind einmal die<br />
Auflösung <strong>der</strong> früheren gemeinsamen<br />
und einheitlichen Lebensverhältnisse<br />
(gemeinsame Wohnviertel<br />
und Wohnverhältnisse, Kultur,<br />
Arbeitersport usw.); auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />
Seite die Diversifizierung in<br />
den verschiedenen Branchen. (So<br />
verstehen sich als ein Beispiel Beschäftigte<br />
in <strong>der</strong> neu entstandenen<br />
Elektronikbranche überwiegend<br />
gar nicht mehr als abhängig Beschäftigte.)<br />
„Arbeitsplatzbesitzer“<br />
werden gegen „Arbeitslose“ ausgespielt<br />
und lassen sich auch ausspielen.<br />
(z.T. mit Hilfe <strong>der</strong> Gewerkschaften).<br />
Der Wandel des Bewußtseins,<br />
<strong>der</strong> sich hierin ausdrückt, ist<br />
in den letzten Jahrzehnten erfolgt<br />
durch<br />
a) die (materielle) gesellschaftliche<br />
Entwicklung in den Industrielän<strong>der</strong>n<br />
seit dem II. Weltkrieg<br />
b) in Deutschland als Son<strong>der</strong>faktor<br />
durch die lange Zeit andauernde<br />
stetige Aufwärtsentwicklung, die<br />
damals zum Glauben an einen krisenfreien<br />
Kapitalismus führte<br />
(Man denke an die erste Wirtschaftskrise<br />
<strong>unter</strong> Erhard mit<br />
100.000 Arbeitslosen, die geradezu<br />
einen Schock auslöste).<br />
<strong>Die</strong>s führte <strong>unter</strong> an<strong>der</strong>em<br />
dazu, daß die Illusion, Teil des<br />
Ganzen zu sein (im Sinne von<br />
gleichberechtigt Dazugehören),<br />
sich so massiv ausbreiten konnte.*<br />
Es waren genug materielle<br />
Mittel da (Systemauseinan<strong>der</strong>setzung!),<br />
um die „Masse“ zu saturieren<br />
und den (gewonnenen) Eindruck<br />
zu verstärken, im überlegenen<br />
System zu leben und diesem<br />
anzugehören (dazuzugehören/s.o.).<br />
Dadurch verschwand das reformistische<br />
Bewußtsein (das<br />
zunächst vorherrschend war) fast<br />
völlig. <strong>Die</strong>se Entwicklung schlägt<br />
sich nie<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
SPD (die keine „Sozialdemokratie“<br />
im klassischen Sinne mehr ist); sie<br />
versteht sich nicht nur nicht mehr<br />
als Vertreter <strong>der</strong> Arbeiterinteressen,<br />
sie will nicht einmal mehr eine<br />
„soziale Demokratie“ sein) und<br />
auch <strong>der</strong> Gewerkschaften (die diese<br />
Verän<strong>der</strong>ung nicht realisieren<br />
wollen o<strong>der</strong> können, son<strong>der</strong>n zu einer<br />
- schlechteren - Versicherungsagentur<br />
werden wollen).<br />
2.) Es findet ferner ein Wandel in <strong>der</strong><br />
Struktur des Kapitalismus selbst<br />
statt (neue Technologien/weg von<br />
<strong>der</strong> klassischen Produktion in den<br />
entwickelten kapitalistischen Län<strong>der</strong>n;<br />
Entwicklung <strong>der</strong> Produktion<br />
[„Industrialisierung“] und<br />
neuer Produktivkräfte in bisher<br />
nicht o<strong>der</strong> nur in wenigen Teilbereichen<br />
kapitalistisch entwickelten<br />
Län<strong>der</strong>n [Stichwort „Globalisierung“].<br />
<strong>Die</strong>ser Wandel aber ist <strong>unter</strong><br />
dem Gesichtspunkt kapitalistischer<br />
Gesetzmäßigkeit „normal“<br />
und hat in ähnlicher Form schon<br />
des öfteren stattgefunden<br />
(Dampfmaschine/Elektrifizierung/Fließband<br />
usw.)**<br />
<strong>Die</strong>se beiden Hauptfaktoren (die<br />
Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Klasse und die<br />
Verän<strong>der</strong>ungen im Kapitalismus, die<br />
natürlich auch wechselweise aufeinan<strong>der</strong><br />
einwirken – wo bliebe sonst die<br />
Dialektik?) müssen wir erst einmal<br />
wirklich zur Kenntnis nehmen (und<br />
sich setzen lassen), damit wir daraus<br />
unsere Schlüsse ziehen können.<br />
Es nützt nichts, so zu tun, als<br />
ginge alles „wie gewohnt“ weiter, d.h.<br />
die alten Einschätzungen, Klassenverhältnisse<br />
usw. gälten unverän<strong>der</strong>t<br />
weiter und man müsse sich nur anstrengen<br />
und sich bessere Rezepte<br />
ausdenken bzw. diese umsetzen,<br />
dann komme alles schon wie<strong>der</strong> ins<br />
Laufen. Schönreden nützt nichts, es<br />
* Das heißt aber auch, daß wir diese<br />
Tatsache berücksichtigen müssen: Wollen<br />
wir weiter borniert die Interessen <strong>der</strong><br />
deutschen „Arbeitsplatzbesitzer“ (o<strong>der</strong>:<br />
<strong>der</strong> westeuropäischen) verteidigen o<strong>der</strong><br />
wollen wir den Kapitalismus weltweit<br />
sehen, wie er ist - wollen wir also einen<br />
internationalistischen Standpunkt einnehmen?<br />
** Ein Wandel im Auftreten und in <strong>der</strong><br />
Wirkungsweise des Kapitalismus findet<br />
aber nicht nur „in <strong>der</strong> Fläche“, d.h. in<br />
<strong>der</strong> räumlichen Ausbreitung und<br />
Durchdringung, son<strong>der</strong>n auch „in die<br />
Tiefe“ statt, d.h. die Durchdringung des<br />
Lebens jedes Einzelnen durch den Kapitalismus<br />
bis in letzte Verästelungen des<br />
Privatlebens (eine völlig neue Qualität<br />
im Auftreten dieses Gesellschaftssystems!)<br />
- auch darauf müssen Antworten<br />
gefunden werden.