06.02.2013 Aufrufe

Die Sihl, der mindere Fluss

Die Sihl, der mindere Fluss

Die Sihl, der mindere Fluss

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

80 Simsttg/Sonnlig, 29./30 August WOCHENENDE 9lcuc ^iirdjcr teilung<br />

1981 Nr. 199<br />

ry<br />

<strong>Die</strong> Militärbrücke, welche die Kaserne mit den Stallungen verbindet.<br />

ecke mit einem runden See, in dem die kleineren herumplatschten<br />

und den die Erwachsenen mit ihrem generationsabhängigen<br />

Vorurteil Planschbecken nannten. Als ich vor kurzem diese<br />

Kin<strong>der</strong>ecke im <strong>Sihl</strong>hölzli wie<strong>der</strong> aufsuchte, fand ich den Sand-<br />

Spielplatz nicht; dabei bin ich fest überzeugt, dass es einmal<br />

einen solchen gegeben hat. Dafür erhebt sich nun ein Hügel, an<br />

dem hinter Büschen und Bäumen Autos vorbeisausen und beinahe<br />

mitten im Planschbecken landen.<br />

Das ist <strong>der</strong> Unterschied zwischen Kin<strong>der</strong>n und Erwachsenen.<br />

Wenn Kin<strong>der</strong> mit ihren Schäufelchen Tunnels und Hügel<br />

bauen und unsinnige Anlagen erstellen , wird das nachher wie<strong>der</strong><br />

eingeebnet. Aber wenn die Erwachsenen unsinnige Anlagen<br />

errichten, lassen sie die hinterher einfach stehen und werden<br />

erst noch bezahlt dafür.<br />

Nun bin ich aber in dieses <strong>Sihl</strong>hölzli nicht nur mit Eimerchen<br />

und Schäufelchen gegangen, son<strong>der</strong>n eines Tages auch mit<br />

Tornister und Faschinen-Messer. Denn im <strong>Sihl</strong>hölzli werden die<br />

militärischen Inspektionen abgehalten. So brachte ich alles mit,<br />

was mir ein Zeughaus einst anvertraut hatte, zeigte meine drei<br />

Nadeln und die zehn Knöpfe; ich war für den Ernstfall gewappnet,<br />

meine Gamelle mit Stahlwolle geputzt, an den Nägeln<br />

meiner Bergschuhe gab es keinen Rost, so dass uns <strong>der</strong> Feind<br />

nichts anhaben konnte.<br />

Und für einen halben Tag hatte ich mich in dieser Sportanlage<br />

sogar sportlich betätigt, allerdings nicht freiwillig. Ich war<br />

hier weit- und hochgesprungen, ich war an<br />

Stangen geklettert<br />

und hatte Handgranaten-Attrappen geschleu<strong>der</strong>t. Damals war<br />

ich zum erstenmal in die Turnhalle gekommen. Denn im <strong>Sihl</strong>hölzli<br />

fand die militärische Aushebung statt. Ich war für tauglich<br />

befunden worden, auch wenn meine Tauglichkeit nur dazu<br />

reichte, Verwundete zu schleppen und Verbände anzulegen.<br />

Nicht die Turnhalle hatte es mir in dieser Sportanlage angetan.<br />

Es gab eine Schale hatte und vorn keine Mauer: ein Odeon. Dort drin<br />

sassen an den Sommerabenden Blasmusiker, und die<br />

hier ein geheimnisvolles Gebäude, das als Rücken<br />

spielten<br />

Blasmusik. Das schönste Konzert, das ich dort gehört habe,<br />

fand an einem Nachmittag statt, als es ganz still war. Da war ich<br />

über die Abschrankung geklettert, hatte mich ins Odeon gesetzt,<br />

die Augen geschlossen und mir die Ohren zugehalten.<br />

Der Lieblingsplatz in diesem <strong>Sihl</strong>hölzli aber war die Stelle,<br />

wo man dem Wasserfall <strong>der</strong> <strong>Sihl</strong> ganz nahe war. Natürlich<br />

wurde ich belehrt, dies sei kein richtiger Wasserfall, son<strong>der</strong>n<br />

eine Verbauung, ein Kunst- Wasserfall, was mir erst recht imponierte.<br />

Später lernte ich richtige Wasserfälle kennen, solche, die<br />

höher und wil<strong>der</strong> waren und von denen man Postkarten kaufen<br />

konnte. Wir hatten eine Schulreise an den Rheinfall gemacht.<br />

Aber wenn ich allein auf Schulreise ging, suchte ich den <strong>Sihl</strong>fall<br />

auf: Ahnungslos kam das Wasser daher und stürzte an einer<br />

Mauer in die Tiefe, durch die obere Rundung an <strong>der</strong> Mauer<br />

leicht darauf vorbereitet, aber dann doch überlistet, erschrocken<br />

und mit weisser Gischt aufschlagend.<br />

Gegenüber dem <strong>Sihl</strong>hölzli zog <strong>der</strong> <strong>Sihl</strong> entlang ein an<strong>der</strong>er<br />

Weg sich hin. Auf ihm waren zuweilen Reiter auf Pferden zu<br />

sehen. Es waren für mich fremde Wesen. Zwar lag die Reithalle<br />

St. Jakob in Aussersihl ; aber ich fand es richtig, dass sie auf <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>n Seite ritten. <strong>Die</strong> an<strong>der</strong>e Seite, das waren Häuser, die in<br />

Parks lagen, und weiter oben eine Bierfabrik; so nützlich die für<br />

unsere Väter sein mochte, es war eben doch das an<strong>der</strong>e Ufer.<br />

Und mir fällt auf: die <strong>Sihl</strong>, die war ein <strong>Fluss</strong> mit nur einem<br />

Ufer, soviel Brücken sie auch hatte; sie besass nur ein linkes<br />

Ufer, und dieses gehörte uns, die wir an <strong>der</strong> «rive gauche» aufwuchsen.<br />

Es gab aber ein Gebiet, wo die <strong>Sihl</strong> mehr als zwei Ufer hatte.<br />

Wo es nicht drauf ankam, an welchem man stand. Man wechselte<br />

hinüber und brauchte nicht einmal Brücken dazu, obwohl<br />

Zwischen dem Parkplatz Gessnerallee und den Perrons des Hauptbahnhofes geniesst die <strong>Sihl</strong> noch ein kurzes Stüc k freien Lauf.<br />

es auch solche gab. Man watete durch die <strong>Sihl</strong>, halb schwimmend<br />

und von Stein zu Stein hüpfend.<br />

Das war die Allmend. Dort öffnet sich das <strong>Sihl</strong>tal zu einem<br />

Wiesengelände, das zwar zur Stadt gehört, aber ihr doch vorgelagert<br />

scheint. Hier zog die <strong>Sihl</strong> ihre Schleifen an Höckern und<br />

an den Abhangen des Üetlibergs vorbei. Da war die <strong>Sihl</strong> nicht<br />

nur ein <strong>Fluss</strong>, son<strong>der</strong>n ein ganzes System, Liner <strong>der</strong> Kanäle<br />

hiess auch Papierkanal, weil er einer Papierfabrik das Wasser<br />

zuführte. Das Merkwürdige war nur, wenn Leute beim Buden<br />

ertranken, ertranken sie nicht in <strong>der</strong> <strong>Sihl</strong>, son<strong>der</strong>n in den Kanälen.<br />

<strong>Die</strong> Allmend machte mir klar, dass Flüsse nicht einfach<br />

durch die Gegend ziehen können, son<strong>der</strong> n arbeiten müssen.<br />

Aber wenn wir die <strong>Sihl</strong> aufsuchten, war es gewöhnlich Sonntag<br />

und erst noch ein warmer Sommertag. Verliessen wir die Stadt,<br />

horten wir die Sonntagsglocken <strong>der</strong> Kirchen, und kamen wir<br />

auf <strong>der</strong> Allmend an, horten wir die Sonntagsschüsse vom nahen<br />

Schiessstand Albisgütli.<br />

Wie weit sich diese Allmend erstreckte, zeigte einem <strong>der</strong><br />

Blick vom «Muggenbühl», wo wir manchmal einkehrten. Ich<br />

war überzeugt, dass dieses «Muggenbühl» seinen Namen von<br />

den «Muggen», den Mücken, hatte, die immer um den Milchkessel<br />

schwirrten, in dem wir den Kartoffelsalat mitbrachten,<br />

o<strong>der</strong> die einen nicht ruhig auf <strong>der</strong> Wolldecke schlafen Hessen.<br />

Aber das «Muggenbühl» hatte seinen Namen vom keltischen<br />

«muc», was Schwein heisst, aber damals konnte ich noch nicht<br />

keltisch. Wir redeten auch nicht althochdeutsch, so dass ich<br />

nicht wusste, dass «sil» Kanal bedeutet, wonach die <strong>Sihl</strong> ein<br />

<strong>Fluss</strong> wäre, <strong>der</strong> schon ein Kanal ist, bevor er zu einem solchen<br />

gemacht wird.<br />

<strong>Die</strong>se Allmend ist als Tummelplatz die grösste Mehrzweck-<br />

Grünfläche <strong>der</strong> Stadt geblieben. Hier üben Rekruten Sturmangriffe,<br />

und hier weidet im Herbst ein Hirt seine Schafe. Da<br />

treffen sich die, welche Hunde dressieren, mit jenen, die ihre<br />

knatternden Maschinen ins Gras legen und dafür den Transi-<br />

Eine <strong>der</strong> beiden einzigen Erfrischungsstätten an <strong>der</strong> <strong>Sihl</strong>.<br />

<strong>Die</strong> früheren militärischen Stallungen am rechten Ufer.<br />

<strong>Die</strong> einstige Promenade <strong>der</strong> <strong>Sihl</strong> entlang wurde dem ruhenden. Verkehr zur<br />

Verfugung gestellt.<br />

stor laufen lassen. Da sind Rentner unterwegs und Schulklassen,<br />

denen gezeigt wird, wie grün Grün sein kann. Und den Verliebten<br />

ist es gleichgültig, wenn nach dem Eindunkeln das Grün<br />

nicht mehr so grün ist.<br />

In dieser Allmend darf die <strong>Sihl</strong> <strong>Fluss</strong> sein, noch einmal,<br />

denn das än<strong>der</strong>t sich, sobald sie in das eigentliche Stadtgebiet<br />

kommt.<br />

<strong>Die</strong>se <strong>Sihl</strong> war immer ein wil<strong>der</strong> <strong>Fluss</strong>. Ein Holzflösser-<strong>Fluss</strong><br />

auch, auf dem das Holz aus dem <strong>Sihl</strong>wald in die Stadt gebracht<br />

wurde. Nicht zuletzt wegen dieses Holzes entstanden hier Papierfabriken.<br />

Ein wil<strong>der</strong> <strong>Fluss</strong> ohne Zweifel, <strong>der</strong> die anliegenden Dörfer<br />

und auch die Stadtgebiete bei Unwetter rücksichtlos überschwemmte<br />

und <strong>der</strong> im Winter Eisschollen bis in die Stadt hinein<br />

trug und sich damit selber den Weg versperrte.<br />

Man musste diesem <strong>Fluss</strong> beikommen. Man hat Wehre errichtet,<br />

man hat den Lauf reguliert und die Ufer korrigiert. Aber<br />

es ist etwas an<strong>der</strong>es, ob man einen <strong>Fluss</strong> zähmt o<strong>der</strong> ob man ihn<br />

malträtiert.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!