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3. Objektive Zurechnung a) Grundformel b) Wichtige Fallgruppen

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<strong>3.</strong> <strong>Objektive</strong> <strong>Zurechnung</strong><br />

Literatur: Kühl: § 4 Rn. 36 ff.; W/B: Rn. 176 ff.; Kudlich, PdW AT, Fälle 35 –<br />

45, 174 – 177.<br />

� Ausgangspunkt: „uferlose Weite der Äquivalenztheorie“<br />

Bsp.: Auch die Eltern eines späteren Mörders haben mit der Zeugung einen<br />

kausalen Beitrag zum späteren Tod geliefert.<br />

� Erfordernis von zusätzlichen Einschränkungen:<br />

• Rechtsprechung: oft Lösung im subjektiven Tatbestand als „wesentliche<br />

Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf”<br />

• h.L.: Lehre von der objektiven <strong>Zurechnung</strong> (als „normatives <strong>Zurechnung</strong>skorrektiv)<br />

a) <strong>Grundformel</strong><br />

Ein Erfolg ist nur dann objektiv zurechenbar, wenn durch die kausale Handlung<br />

(1) eine rechtlich missbilligte Gefahr (bzw. ein Risiko) geschaffen wurde,<br />

(2) sich diese Gefahr im konkreten Erfolgseintritt realisierte und<br />

(3) die Verwirklichung derartiger Gefahren vom Schutzzweck des jeweiligen<br />

Straftatbestandes erfasst wird. 3<br />

b) <strong>Wichtige</strong> <strong>Fallgruppen</strong><br />

� Fehlen einer rechtlich missbilligten Gefahrschaffung<br />

• Risikoverringerung<br />

Bsp.: A lenkt den Schlag des B so ab, dass dieser nicht den Kopf, sondern<br />

den Arm des Opfrs trifft.<br />

3 Vgl. etwa Roxin, AT I, § 11 Rn. 42 f.; ähnlich auch bei anderen Autoren.<br />

Klausurhinweis<br />

Der Lösungsweg über objektive <strong>Zurechnung</strong> bei Risikoverringerung<br />

ist nur gangbar, soweit es um die Rechtsgüter des selben Opfers<br />

geht. Wird zur Rettung in die Rechte Dritter eingegriffen,<br />

kann aber zumeist über den rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB)<br />

geholfen werden.<br />

• Ausübung eines (sozial normalen) erlaubten Risikos (im Einzelnen<br />

str.)<br />

Bsp.: ordnungsgemäße Teilnahme am Straßenverkehr; gefährliches, aber<br />

regelkonformes Verhalten im Sport (u.U. auch über eine Einwilligung<br />

lösbar)<br />

• fehlende Beherrschbarkeit des Geschehens<br />

Bsp.: der Erbonkel stürzt – wie von seinem Neffen erhofft – mit der Linienmaschine<br />

auf dem Weg in den Urlaub ab, zu dem der Neffe ihn überredet<br />

hat.<br />

� Fehlende Realisierung der Gefahrschaffung<br />

• völlig atypische Kausalverläufe<br />

Bsp.: Opfer eines Schusses stirbt im Krankenhaus an einer Rauchvergiftung<br />

• das Fehlen einer Risikoerhöhung gegenüber rechtmäßigen Alternativverhalten<br />

(str.; anders die sog. Risikoerhöhungslehre)<br />

Bsp.: Der von einem Pkw angefahrene Radfahrer wäre auch bei ordnungsgemäßem<br />

Abstand erfasst worden, weil er auf Grund seiner Alkoholisierung<br />

erhebliche Schlangenlinien fuhr.<br />

• Unterbrechung des <strong>Zurechnung</strong>szusammenhangs durch freiverantwortlichen<br />

Dritten (im Einzelnen sehr str.!)<br />

� Fehlenden Einschlägigkeit des Schutzzwecks<br />

• Erfolgseintritt außerhalb des Schutzzwecks der verletzten Norm<br />

Bsp.: A fährt bei rot über eine Ampel. Als er die Kreuzung bereits 20 Meter<br />

überquert hat, erfasst der die L, die gedankenlos und für A völlig unvorhersehbar<br />

über die Straße rennt.<br />

Prof. Dr. Hans Kudlich Vorlesung Strafrecht I (AT I), WS 2004/2005 S. 27


• Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung<br />

Bsp.: A und B veranstalten ein waghalsiges Motorradrennen über einen<br />

Acker, bei dem sich B schwer verletzt.<br />

• <strong>Zurechnung</strong> zu einem fremden Verantwortungsbereich<br />

Bsp.: Retter-Fälle: O sieht, dass es im Haus des A brennt. Er möchte retten,<br />

was zu retten ist und wird von einem herunterfallenden Dachbalken<br />

erschlagen. A hatte das Haus selbst angezündet, um die Versicherungssumme<br />

zu kassieren. (Anregung zum Nachdenken: Spielt es eine Rolle, ob<br />

O ein völlig Unbeteiligter, der Bruder von A’s Frau [die er im Haus vermutet]<br />

oder ein Feuerwehrmann ist?)<br />

Klausurhinweis:<br />

Die Lehre von der objektiven <strong>Zurechnung</strong> sowie die vorgenannten<br />

<strong>Fallgruppen</strong> und Untergruppen sind in ihren Details teilweise heftig<br />

umstritten. In praktischen Fällen sind auch oft mehrere der vorgenannten<br />

Lösungspunkte anwendbar (so z.B. bei den „Retter-<br />

Fällen“ der Gedanke der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung).<br />

In der Klausur sollte deswegen in derartigen Fällen mit möglichst<br />

vielen einschlägigen Gesichtspunkten argumentiert werden.<br />

Vertiefende Hinweise:<br />

a) Lesenswerte Entscheidungen<br />

− BGHSt 11, 1 (Latswagenfall)<br />

− BGHSt 49, 1 = NJW 2004, 237 m. Anm. Roxin StV 2004, 485 ff. sowie<br />

Puppe, NStZ 2004, 554 ff.<br />

b) Aufsätze<br />

− Erb, <strong>Zurechnung</strong> von Erfolgen im Strafrecht, JuS 1994, 449 ff.<br />

− Puppe, Die Lehre von der objektiven <strong>Zurechnung</strong> dargestellt an Beispielsfällen<br />

aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung, Jura 1997,<br />

408 ff., 513 ff.<br />

Prof. Dr. Hans Kudlich Vorlesung Strafrecht I (AT I), WS 2004/2005 S. 28

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