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Inhalt I. Rechtsquellen und Funktionen des Strafprozessrechts2 II ...

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Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 1<br />

Zum <strong>Inhalt</strong> <strong>des</strong> Skripts<br />

Das Strafprozessrecht ist mehr oder weniger regelmäßig in Form einer (unterschiedlich<br />

umfangreichen) Zusatzfrage Bestandteil der Strafrechtsklausur im<br />

1. Staatsexamen. Außerdem ist es erfahrungsgemäß gerade bei Praktikern beliebter<br />

Prüfungsgegenstand der mündlichen Prüfung <strong>und</strong> zentraler Bestandteil<br />

der strafrechtlichen Ausbildung <strong>und</strong> Prüfung im Referendariat (welches ohne<br />

Zweifel erleichtert wird, wenn man bereits aus dem Studium die vorausgesetzten<br />

Gr<strong>und</strong>lagen mitbringt). Trotz eines durchaus verständlichen Blicks auf das<br />

„Zeitmanagement“ spricht daher einiges dafür, die StPO nicht völlig zu vernachlässigen,<br />

zumal in diesem Bereich mit einigen gr<strong>und</strong>legenden Strukturkenntnissen<br />

viele Fragen in der Klausur vertretbar gelöst werden können.<br />

Das Skript ist ein Überblicksskript über das Strafverfahrensrecht, das ein Lehrbuch<br />

nicht ersetzen kann (<strong>und</strong> daher immer auf solche sowie ergänzende Aufsätze<br />

verweist). Es ist als Begleitskript für eine Vorlesung zum Strafprozessrecht<br />

entstanden <strong>und</strong> sollte in dieser dem Verfolgen <strong>des</strong> Unterrichts <strong>und</strong> der<br />

Vermeidung bzw. Erleichterung von Mitschriften dienen. Diese Zwecke kann<br />

es bei isolierter Verwendung bzw. Einbindung in den wesentlich knapperen<br />

Examenskurs natürlich nicht uneingeschränkt erreichen; ich meine aber, dass es<br />

auch bei einer kompakten Wiederholung hilfreich sein kann.<br />

<strong>Inhalt</strong><br />

I. <strong>Rechtsquellen</strong> <strong>und</strong> <strong>Funktionen</strong> <strong>des</strong> <strong>Strafprozessrechts2</strong><br />

<strong>II</strong>. Überblick über den Ablauf eines Verfahrens.......... 2<br />

<strong>II</strong>I. Prozessmaximen..................................................... 3<br />

IV. Prozessvoraussetzungen......................................... 5<br />

V. Prozesshandlungen <strong>und</strong> allgemeine<br />

Fristbestimmungen....................................................... 6<br />

VI. Das Ermittlungsverfahren...................................... 7<br />

V<strong>II</strong>. Das Zwischenverfahren (§§ 199-211 StPO)....... 28<br />

V<strong>II</strong>I. Die Hauptverhandlung (ohne Beweisaufnahme)31<br />

IX. Das Beweisrecht, insb. die Beweisaufnahme in der<br />

Hauptverhandlung...................................................... 36<br />

X. Das Urteil .............................................................. 45<br />

XI. Besondere Verfahrensgestaltungen...................... 46<br />

X<strong>II</strong>. Rechtsmittel........................................................ 47<br />

Stand: Das Skript ist auf dem Stand der Änderungen durch das „Gesetz zur<br />

Novellierung der forensischen DNA-Analyse“ vom 12. August 2005 (BGBl. I<br />

S. 2360 ff.). Das ist der im Winter 2005/06 aktuelle Stand.<br />

Wer sich gezielt einen Überblick über die Änderungen durch die letzte größere<br />

Reform, das „Erste Gesetz zur Modernisierung der Justiz“ vom 1. September<br />

2004, verschaffen möchte, sei auf den Beitrage von Huber, JuS 2004, 970 ff.,<br />

hingewiesen.<br />

Viel Erfolg im Straf(prozess)recht,<br />

Erlangen, im Februar 2006 Hans Kudlich


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 2<br />

I. <strong>Rechtsquellen</strong> <strong>und</strong> <strong>Funktionen</strong> <strong>des</strong> Strafprozessrechts<br />

Lit.: Beulke Rn. 1 –14; Engländer, Rn. 1 – 3; Volk § 3 Rn. 1 - 4<br />

<strong>II</strong>. Überblick über den Ablauf eines Verfahrens<br />

Lit.: Beulke Rn. 2; Engländer, Rn. 4; Volk § 4 Rn. 1 - 2<br />

<br />

<br />

<strong>Rechtsquellen</strong><br />

• insbesondere<br />

∗ StPO (v.a. Bücher 1 - 3)<br />

∗ GVG (z.B. Gerichtsorganisation <strong>und</strong> -besetzung, Öffentlichkeit,<br />

Sitzungspolizei) <strong>und</strong> EGGVG (insb. §§ 23 ff.)<br />

∗ GG (v.a. Prozessgr<strong>und</strong>rechte, Gr<strong>und</strong>rechte <strong>und</strong> Art. 20 <strong>II</strong>I GG)<br />

• daneben aber auch<br />

∗ StGB (z.B. Strafantrag, Verjährung)<br />

∗ JGG (v.a. §§ 33 ff. JGG)<br />

∗ Europarechtliche Vorschriften (insb. EMRK, im Einzelfall aber<br />

auch Einfluss <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts denkbar; vgl. auch EU-<br />

Gr<strong>und</strong>rechtscharta)<br />

∗ weitere internationale Abkommen, z.B. IPbpR<br />

Ziel <strong>und</strong> Funktion <strong>des</strong> Strafverfahrens<br />

• einzelne Ziele: Wahrheit, Gerechtigkeit, Rechtsfrieden, Durchsetzung<br />

<strong>des</strong> materiellen Strafrechts, Verdachtsklärung<br />

• aber auch Ziele <strong>des</strong> Prozessrechts: Beschuldigtenschutz <strong>und</strong> Gewährung<br />

eines rechtsstaatlichen Verfahrens<br />

• Zielkonflikte <strong>und</strong> Zwischenziele<br />

(häufig etwa bedeutsam: Abwägung zwischen Funktionstüchtigkeit<br />

der Strafrechtspflege <strong>und</strong> Beschuldigtenrechten)<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Ermittlungsverfahren (vgl. näher unten VI)<br />

• Einleitung: § 158 StPO<br />

• Ermittlungsmaßnahmen<br />

• Abschluss: Klageerhebung (§ 170 I StPO) oder Einstellung (insb.<br />

§ 170 <strong>II</strong> StPO)<br />

Klausurrelevanz: v.a. Vernehmung <strong>des</strong> Beschuldigten <strong>und</strong><br />

Zwangsmaßnahmen<br />

Zwischenverfahren (vgl. näher unten V<strong>II</strong>)<br />

• Prüfung durch das Gericht<br />

• Abschluss: Eröffnungsbeschluss (§§ 203, 207 StPO) oder Ablehnung<br />

<strong>des</strong> Erlasses eines Eröffnungsbeschlusses (§ 204 StPO)<br />

Klausurrelevanz: grds. gering<br />

Hauptverfahren<br />

• Vorbereitung der Hauptverhandlung (§§ 213 ff. StPO)<br />

• Hauptverhandlung (§§ 226 ff. StPO)<br />

• Urteil<br />

Klausurrelevanz: groß hinsichtlich äußeren Ablaufs der Hauptverhandlung<br />

(§§ 243 ff. StPO) <strong>und</strong> Beweisrecht<br />

ggf. Rechtsmittelverfahren (§§ 296 ff. StPO)<br />

Klausurrelevanz: insb. bei Revision (§§ 333 ff. StPO) durchaus beträchtlich,<br />

da enge Verbindung mit Fragen <strong>des</strong> vorangegangen Verfahrens<br />

<br />

soweit rechtskräftige Verurteilung: Strafvollstreckung (sowie Strafvollzug)<br />

grds. keine Klausurrelevanz


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 3<br />

<strong>II</strong>I. Prozessmaximen<br />

Lit.: Beulke Rn. 15 – 33; Engländer, Rn. 11 – 32; Volk § 18 Rn. 1 – 38<br />

<br />

<br />

<br />

Offizialprinzip<br />

• Gr<strong>und</strong>satz: § 152 I StPO, Strafverfolgung von Amts wegen <strong>und</strong> Anklagemonopol<br />

<strong>des</strong> Staates ( Dispositionsmaxime <strong>und</strong> Parteienmaxime<br />

in der ZPO)<br />

• Einschränkungen: Antrags- <strong>und</strong> Ermächtigungsdelikte<br />

∗ Antragsdelikte: Gr<strong>und</strong>sätzlich bleibt die Strafverfolgung Angelegenheit<br />

der staatlichen Behörden, wird aber von der Stellung eines<br />

Strafantrages abhängig gemacht. Strafantrag wird dann zur Prozessvoraussetzung<br />

(z.B.: §§ 123 <strong>II</strong>, 247, 248a, 303c StGB).<br />

∗ Ermächtigungsdelikte: Strafverfolgung hängt von der Ermächtigung<br />

einer bestimmten Person ab (z.B.: § 90 IV StGB).<br />

• Ausnahme: Privatklagedelikte (Verletzter kann Anklage selbst erheben).<br />

∗ Abschließende Aufzählung der Privatklagedelikte in § 374 I StPO.<br />

∗ Anklage durch StA gemäß § 376 StPO nur bei öffentlichem Interesse.<br />

Legalitätsprinzip<br />

• §§ 152 <strong>II</strong> , 170 I StPO: Ermittlungs- <strong>und</strong> Verfolgungszwang, wenn<br />

Anfangsverdacht auf Begehung einer Straftat besteht<br />

• korrespondiert mit staatlichem Gewaltmonopol <strong>und</strong> Art. 3 GG<br />

• Ausnahme: vereinzelte Anwendung <strong>des</strong> Opportunitätsprinzips: StA<br />

(nicht Polizei) kann aus Praktikabilitäts- oder Gerechtigkeitserwägungen<br />

von der Strafverfolgung absehen<br />

∗ §§ 153 ff StPO<br />

∗ Jugendstrafrecht § 45 JGG<br />

∗ Privatklagedelikte § 376 I StPO (Bejahung <strong>des</strong> öffentlichen Interesses<br />

im Ermessen der StA)<br />

• Auswirkungen z.B. für die Frage der Ermittlungspflicht bei privater<br />

Kenntniserlangung oder der Bindung der Staatsanwaltschaft an<br />

höchstrichterliche Rechtsprechung<br />

Anklagegr<strong>und</strong>satz (Akkusationsprinzip Inquisitionsprinzip)<br />

<br />

<br />

<br />

• § 151 StPO: Anklage durch vom Gericht verschiedene Instanz<br />

(Staatsanwaltschaft)<br />

• Grds. kann das Gericht nur über solche Taten befinden, die auch von<br />

der StA angeklagt wurden, d.h. die Untersuchungs- <strong>und</strong> Verurteilungskompetenz<br />

<strong>des</strong> Gerichtes ist beschränkt (vgl. §§ 155 I,<br />

264 I StPO)<br />

• Auswirkungen z.B. für <strong>Inhalt</strong> der Anklageschrift (vgl. etwa § 200 I<br />

StPO) <strong>und</strong> Erfordernis einer Nachtragsanklage (§ 266 StPO)<br />

Ermittlungs- (= Untersuchungs-) Gr<strong>und</strong>satz<br />

• Ermittlung der Tatsachen von Amts wegen. Polizei <strong>und</strong> StA müssen<br />

den Sachverhalt vollständig aufklären. Mit Eröffnung <strong>des</strong><br />

Zwischenverfahrens geht diese Pflicht auf das Gericht über. (<br />

Verhandlungsmaxime in der ZPO)<br />

grds. Prinzip der materiellen Wahrheit ( Prinzip der formellen<br />

Wahrheit im Zivilprozess)<br />

• Ausprägung v.a. in § 244 <strong>II</strong> StPO <strong>und</strong> § 160 StPO<br />

• Aber keine Wahrheitsermittlung um jeden Preis — Grenze ist<br />

insbesondere die Menschenwürde (Privat- <strong>und</strong> Intimleben) der<br />

Zeugen; auch ehrrührige Fragen sind nach Möglichkeit zu vermeiden<br />

(§ 68a StPO)<br />

fair-trial-Gr<strong>und</strong>satz<br />

• Ableitung aus Art. 1 I, 2 I GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip,<br />

Art. 6 I EMRK (str.)<br />

• Verpflichtung der Strafverfolgungsorgane zu rechtsstaatlichem <strong>und</strong><br />

fairem Verfahren, Reichweite i.ü. aber offen. Begründet aber in der<br />

Regel kein Prozesshindernis.<br />

• Bspe. für Auswirkungen: Vertrauensschutz bei Absprachen;<br />

Mitwirkung <strong>des</strong> Verteidigers; ungeschriebene Verfahrenshindernisse<br />

(z.B. beim Lockspitzeleinsatz gegen Unverdächtige)<br />

Prozessgr<strong>und</strong>rechte<br />

• Art. 103 I GG: rechtliches Gehör<br />

∗ Recht auf Information, Äußerung, Berücksichtigung


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 4<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

∗ ausreichend ist Möglichkeit, nicht tatsächliche Wahrnehmung<br />

• Art. 101 GG: Gr<strong>und</strong>satz <strong>des</strong> gesetzlichen Richters. Keine<br />

Ausnahmegerichte ( Auswirkung auf Ausgestaltung <strong>und</strong> Beachtung<br />

von Gerichtsorganisationsvorschriften/Zuständigkeit)<br />

• Art. 103 <strong>II</strong>I GG: ne bis in idem ( Strafklageverbrauch, v.a.<br />

materielle Rechtskraft eines Freispruchs)<br />

in dubio pro reo<br />

• ungeschriebener Gr<strong>und</strong>satz, Wurzeln im Schuldprinzip,<br />

Rechtsstaatsprinzip <strong>und</strong> Unschuldsvermutung (Art. 6 <strong>II</strong> EMRK)<br />

• abzustellen auf tatsächliche Zweifel, nicht auf Zweifel, die objektiv<br />

vorliegen müssten (vgl. auch § 261 StPO)<br />

• Anwendbarkeit<br />

∗ auf Schuld- <strong>und</strong> Straffrage unstreitig ( Bedeutung für materielle<br />

Prüfung der Strafbarkeit)<br />

∗ auf Prozessvoraussetzungen str., aber wohl h.M.<br />

∗ auf sonstige Voraussetzungen (z.B. Eingreifen von<br />

Beweisverwertungsverboten) nach h.M. grds. (-)<br />

Beschleunigungsgebot<br />

• abgeleitet aus Art. 20 <strong>II</strong>I GG, 6 I 1 EMRK<br />

• überlange Dauer führt allerdings nach h.M. grds. zu keinem<br />

Verfahrenshindernis, allenfalls Berücksichtigung bei Strafzumessung<br />

oder in Extremfällen Einstellung nach § 153 <strong>II</strong> StPO<br />

• Auswirkung etwa in relativ kurzen (allerdings im 1.<br />

JustizmodernisierungsG erweiterten) Unterbrechungsmöglichkeiten<br />

nach §§ 228, 229 StPO<br />

Öffentlichkeitsgr<strong>und</strong>satz, § 169 GVG (vgl. näher unten V<strong>II</strong>I)<br />

Gr<strong>und</strong>satz der Mündlichkeit, § 261 StPO (vgl. näher unten V<strong>II</strong>I)<br />

Gr<strong>und</strong>satz der Unmittelbarkeit, §§ 226, 250, 261 StPO (vgl. auch näher<br />

unten IX)<br />

<br />

Gr<strong>und</strong>satz der freien richterlichen Beweiswürdigung, § 261 StPO<br />

• grds. keine festen Beweisregeln<br />

• einzelne gesetzlich normierte Ausnahmen, etwa §§ 190 StGB, 274<br />

StPO<br />

• Grenze: Willkür, Verstoß gegen Denkgesetze<br />

Problemschwerpunkt:<br />

Beweiswürdigung bei Ausübung eines Rechts?<br />

Eine mittelbare Beschränkung der freien richterlichen Beweiswürdigung besteht<br />

darin, dass das Gericht keine für den Beschuldigten negativen Schlüsse daraus<br />

ziehen darf, dass dieser (oder z.B. einer seiner Angehörigen) von der StPO<br />

gewährte Rechte ausübt. Macht also der Beschuldigte von seinem<br />

Schweigerecht Gebrauch, so darf dies ebenso wenig als Anhaltspunkt für seine<br />

Schuld gewertet werden, wie wenn seine Ehefrau sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht<br />

beruft. Anderenfalls würden diese Rechte entwertet.<br />

Demgegenüber ist teilweises Schweigen als Beweisanzeichen verwertbar, d.h. die<br />

Tatsache, dass der Beschuldigte in einigen Teilaspekten zur Aufklärung beiträgt,<br />

in anderen dagegen nicht. Etwas anderes gilt wiederum, soweit verschiedene<br />

Anklagegegenstände vorliegen (Bsp.: Aussage zum Vorwurf eines Diebstahls<br />

am 09. Mai, Schweigen zu Vorwurf eines Raubes am 14. Mai). Ebenso wenig<br />

darf zu Lasten <strong>des</strong> Beschuldigten gewertet werden, wenn er in verschiedenen<br />

Verfahrensstadien einmal aussagt, das andere Mal von seinem Schweigerecht<br />

Gebrauch macht.<br />

Vertiefender Hinweise:<br />

− Stuckenberg, JA 2000, 568 ff. (in dubio pro reo)<br />

− BGH NJW 2005, 1519 mit Anm. Kudlich, JuS 2005, 759 (Grenzen<br />

strafrichterlicher Aufklärungspflicht)


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 5<br />

IV. Prozessvoraussetzungen<br />

Lit.: Beulke Rn. 273 – 295; Engländer, Rn. 6 – 10; Volk § 14 Rn. 1 – 31<br />

<br />

<br />

<br />

Begriff: Bedingungen dafür, dass es zu Urteil in der Sache (Verurteilung<br />

oder Freispruch) kommen darf (diff. positive [z.B.: Strafantrag] <strong>und</strong> negative<br />

Prozessvoraussetzungen [z.B.: keine anderweitige Rechtshängigkeit]).<br />

Terminologie: Bei Fehlen von Prozessvoraussetzung liegt Prozesshindernis<br />

vor ( Prozesshandlungsvoraussetzung, vgl. u. V, S. 6)<br />

Prüfung der Prozessvoraussetzungen<br />

• von Amts wegen in jedem Verfahrensstadium ( d.h. auch ohne<br />

Rüge i.R. einer zulässig erhobenen Revision)<br />

• nach h.M. im Freibeweisverfahren<br />

• Anwendbarkeit von in dubio pro reo str., aber nach wohl h.M. (+),<br />

wobei jedoch stets auf Einzelfall abzustellen ist<br />

Wichtige Prozessvoraussetzungen<br />

• deutsche Gerichtsbarkeit, §§ 18 - 20 GVG, wohl auch Anwendbarkeit<br />

<strong>des</strong> deutschen Strafrechts, §§ 3 ff. StGB<br />

• Rechtsweg, § 13 GVG<br />

• sachliche <strong>und</strong> örtliche (vgl. aber § 16 StPO!) Zuständigkeit (vgl. auch<br />

näher unten V<strong>II</strong>)<br />

• Strafmündigkeit (nach h.M. insoweit kein Vorrang <strong>des</strong> Freispruchs<br />

nach § 19 StGB)<br />

• Verhandlungsfähigkeit: die Fähigkeit <strong>des</strong> Beschuldigten, in oder<br />

außerhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig<br />

wahrzunehmen, die Verteidigung in verständlicher <strong>und</strong> verständiger<br />

Weise zu führen <strong>und</strong> Prozesserklärungen abzugeben <strong>und</strong><br />

entgegenzunehmen.( Prozessfähigkeit in der ZPO,<br />

• Geschäftsfähigkeit keine Immunität, vgl. im Art. BGB) 46 <strong>II</strong>, IV GG, § 152a StPO<br />

• keine Verjährung, §§ 77 ff. StPO<br />

• Strafantrag<br />

• keine entgegenstehende anderweitige Rechtshängigkeit (tritt mit<br />

Eröffnungsbeschluss ein) bzw. –kraft<br />

Klausurhinweis:<br />

Die entgegenstehende Rechtskraft ist in der Klausur zumeist<br />

„Aufhänger“ für die Prüfung <strong>des</strong> strafprozessualen Tatbegriffs, d.h.<br />

für die Frage wie die „Tat“ im prozessualen Sinne zu bestimmen ist.<br />

Schon an dieser Stelle kann man sich merken: Sie ist vom Tatbegriff<br />

der materiellen Konkurrenzlehre zu unterscheiden, deckt sich aber in<br />

weiten Bereichen dennoch mit ihm. Abgestellt wird auf den<br />

„zusammenhängenden Lebenssachverhalt“ bei natürlicher<br />

Betrachtungsweise. Zu Einzelheiten vgl. u.<br />

<br />

• kein Tod <strong>des</strong> Angeklagten<br />

• wirksame Anklage <strong>und</strong> Eröffnungsbeschluss (nach h.M. bei grob<br />

fehlerhaftem Eröffnungsbeschluss auch nach Beginn der<br />

Hauptverhandlung noch Nachholung möglich, str.)<br />

• Sonderprobleme:<br />

∗ überlange Verfahrensdauer (str., aber nach h.M. kein<br />

Verfahrenshindernis, sondern nur Berücksichtigung bei der<br />

∗ Strafzumessung)<br />

Tatprovokation durch Lockspitzel (agent provocateur)<br />

• nach Rspr. <strong>des</strong> EGMR bei Einsatz gegen vorher unverdächtigen,<br />

nicht tatgeneigten Täter naheliegend<br />

• nach Ansicht <strong>des</strong> BGH aber auch hier nur Lösung über<br />

Strafzumessung<br />

Folgen einer nichtvorliegenden Prozessvoraussetzung/eines<br />

Prozesshindernisses<br />

• im Vorverfahren<br />

∗ bei endgültigen Prozesshindernissen: § 170 <strong>II</strong> StPO, Einstellung <strong>des</strong><br />

Verfahrens durch StA<br />

∗ bei vorübergehenden (aber längeren) Prozesshindernissen: § 205<br />

StPO analog (i.e. str.)<br />

• im Zwischenverfahren<br />

∗ bei endgültigen Prozesshindernissen: § 204 StPO,<br />

Nichteröffnungsbeschluss


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 6<br />

∗ bei vorübergehenden Prozesshindernissen: § 205 StPO direkt oder<br />

analog (str.)<br />

∗ bei Unzuständigkeit: §§ 209, 209a StPO beachten<br />

∗<br />

• im Hauptverfahren<br />

∗ bei endgültigen Prozesshindernissen<br />

• außerhalb der Hauptverhandlung: § 206a StPO<br />

• während der Hauptverhandlung: § 260 <strong>II</strong>I StPO (Urteil!)<br />

∗ bei vorübergehenden Prozesshindernissen: Aussetzung oder<br />

Unterbrechung, § 228 StPO bzw. vorläufige Einstellung, § 205<br />

StPO analog<br />

Problemschwerpunkt:<br />

Befassungs- oder Bestrafungsverbot?<br />

Besonders in der Hauptverhandlung kann das Vorliegen eines<br />

Verfahrenshindernisses (= das Nichtvorliegen von Prozessvoraussetzungen)<br />

nach neuerer Rechtsprechung unterschiedliche Folgen haben. Es kann zu einem<br />

umfassenden Befassungsverbot oder aber „nur“ zu einem Bestrafungsverbot führen.<br />

In dem Fall eines Befassungsverbotes (z.B. wirksame Anklage, wirksamer<br />

Eröffnungsbeschluss vor etc.: „prozessuale Min<strong>des</strong>tstandards“) ist es dem Gericht<br />

verboten, sich überhaupt sachlich mit dem erhobenem Vorwurf auseinander<br />

zu setzten. D.h. auch wenn die Sache freispruchsreif wäre, muss das Gericht<br />

das Verfahren einstellen. Fällt das Befassungsverbot weg, so kann ein neues<br />

Verfahren eingeleitet werden.<br />

Das Bestrafungsverbot führt zwar auch zur Einstellung <strong>des</strong> Verfahrens. Besteht<br />

aber bereits Freispruchreife, so muss das Gericht den Angeklagten freisprechen.<br />

Die Einstellung wegen eines Bestrafungsverbotes entfaltet materiell rechtliche<br />

Rechtskraft. wie ein Sachurteil (z.B. fehlender Strafantrag, Verjährung etc.).<br />

− BGH NJW 2000, 1123 m. Anm. Kudlich, JuS 2000, 951 ff. (Verfahrenshindernis<br />

durch Lockspitzeleinsatz?)<br />

b) Aufsätze<br />

− Mürbe, JA 1997, 321 (Prozessvoraussetzungen)<br />

− Meyer-Goßner, NStZ 2003, 169 ff. (Berücksichtigung der<br />

Prozessvoraussetzungen von Amts wegen)<br />

V. Prozesshandlungen <strong>und</strong> allgemeine Fristbestimmungen<br />

Lit.: Beulke Rn. 296 - 308; Meyer-Goßner Einl. 94 – 118; Volk § 15 Rn 1 – 32<br />

<br />

<br />

<br />

1. Prozesshandlungen<br />

Begriff der Prozesshandlung: alle prozessual relevanten Betätigungen<br />

gleich welcher Art (str., z.T.: nur, wenn Rechtsfolge im Prozess<br />

willensgemäß ausgelöst werden soll)<br />

Beispiele<br />

• Entscheidungen <strong>des</strong> Gerichts<br />

• Erklärungen der Beteiligten<br />

• Anträge <strong>und</strong> ihre Zurücknahme<br />

Unterscheide:<br />

• Bewirkungshandlungen: Rechtsfolge tritt unmittelbar ein (z.B.<br />

Rechtsmittelverzicht)<br />

• Erwirkungshandlungen: Rechtsfolge soll erst dadurch eintreten, dass<br />

andere zu Handlung veranlasst werden (z.B. Beweisantrag)<br />

Vertiefende Hinweise:<br />

a) Lesenswerte Entscheidungen<br />

− BGHSt 46, 130 = JR 2001, 421 mit Anm. Krack (Bestrafungs- <strong>und</strong><br />

Befassungsverboten)<br />

<br />

Wirksamkeitsvoraussetzungen<br />

• beim Beschuldigten: Verhandlungsfähigkeit<br />

• Berechtigung zur Vornahme der Handlung<br />

• erkennbarer Erklärungsinhalt<br />

• unbedingte Vornahme (Ausnahme: „innerprozessuale Bedingung”)


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 7<br />

Praxishinweis:<br />

Hauptanwendungsfall bedingter Prozesshandlungen sind bedingte<br />

Beweisanträge. Diese Anträge werden unter der Bedingung gestellt, dass<br />

bestimmte prozessuale Ereignisse eintreten, insbesondere weitere Beweisanträge<br />

der Verteidigung zu einem Alibi o.ä. nur für den Fall einer Verurteilung (sog.<br />

Hilfsbeweisanträge). Die Möglichkeit, solche bedingten Anträge zuzulassen,<br />

dienen der Prozessökonomie (da sie sonst unbedingt gestellt werden müssten),<br />

bilden aber auch ein „Druckmittel“ der Verteidigung.<br />

• Einhaltung der vorgeschriebenen Frist (vgl. u.) <strong>und</strong> Form (grds.<br />

innerhalb der Hauptverhandlung mündlich, außerhalb schriftlich, oft<br />

aber explizite Regelungen)<br />

• kein Widerruf (soweit möglich)<br />

• dagegen Willensmängel unbeachtlich (str.; nach BGH dann<br />

beachtlich, wenn Gericht gegen Fürsorgepflicht verstoßen hat)<br />

• Sonderproblem: Missbrauch von prozessualen Befugnissen<br />

a) § 45 StPO: Antrag auf Wiedereinsetzung binnen einer Woche nach<br />

Wegfall <strong>des</strong> Hinderungsgr<strong>und</strong>es bei Gericht nach S. 1 oder 2<br />

b) § 45 <strong>II</strong> 2 i.V.m. I StPO: versäumte Handlung in gleicher Frist<br />

nachzuholen<br />

c) § 45 <strong>II</strong> 1 StPO: Glaubhaftmachung <strong>des</strong> Hinderungsgr<strong>und</strong>es<br />

2. Begründetheit <strong>des</strong> Antrags<br />

a) Verhinderung an Einhaltung der Frist<br />

b) ohne Verschulden<br />

• Einzelheiten zum fehlenden Verschulden<br />

∗ z.B. Verzögerungen bei Postbeförderung oder wegen Faxdefekts<br />

bei Gericht<br />

∗ grds. kein Verschulden durch das Ausschöpfen von Fristen (aber<br />

mit zunehmender Zeit erhöhte Sorgfaltspflichten)<br />

∗ Verteidigerverschulden grds. nicht zuzurechnen (§ 85 <strong>II</strong> ZPO gilt<br />

nicht!)<br />

<br />

<br />

2. Allgemeine Fristbestimmungen<br />

Fristberechnung: §§ 42 f. StPO<br />

• Berechnung von Tagesfristen: § 42 StPO (erster Tag wird nicht<br />

mitgezählt)<br />

• Berechnung von Wochen- <strong>und</strong> Monatsfristen: Fristende an dem Tag,<br />

der nach Bezeichnung/Zahl dem Tag <strong>des</strong> Fristbeginns entspricht<br />

Bsp.: Fristbeginn am Montag, 03.04.<br />

Wochenfrist liefe am Montag, 10.04. ab<br />

Monatsfrist liefe am (Mittwoch,) 03.05. ab<br />

• Fristbeginn <strong>und</strong> Fristlänge jeweils aus den speziellen Vorschriften<br />

Bei Fristversäumnis: Wiedereinsetzung in vorigen Stand, §§ 44 f. StPO<br />

• Prüfungsschema:<br />

1. Zulässigkeit <strong>des</strong> Antrags<br />

VI. Das Ermittlungsverfahren<br />

Lit.: Beulke Rn. 309 - 332; Engländer, Rn. 93 – 113; Volk § 8 Rn. 1 – 11<br />

<br />

1. Einleitung <strong>des</strong> Verfahrens<br />

Einleitung durch den Bürger<br />

• § 158 I Alt. 1 StPO: Anzeige (= Mitteilung eines Sachverhalts an die<br />

Strafverfolgungsbehörden)<br />

• § 158 I Alt. 2 StPO: Strafantrag i.w.S. (= Mitteilung, aus der deutlich<br />

wird, dass Antragsteller Verfolgung will, also auch Ausdruck eines<br />

„Strafverlangens“)<br />

Unterscheidung von Bedeutung für Benachrichtigung bei Einstel-


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 8<br />

<br />

lung <strong>des</strong> Verfahrens, vgl. § 171 StPO<br />

diff. zu Strafantrag i.e.S. nach §§ 77 ff. StGB ( hierfür Formvorschrift<br />

in § 158 <strong>II</strong> StPO)<br />

Einleitung von Amts wegen<br />

• wegen Legalitätsprinzips erforderlich bei amtlicher Wahrnehmung<br />

eines Straftatverdachts<br />

Problemschwerpunkt:<br />

Verfolgungszwang bei privater Kenntniserlangung?<br />

Auf Gr<strong>und</strong> <strong>des</strong> Legalitätsprinzips müssen die Strafverfolgungsbehörden einem<br />

Verdacht gr<strong>und</strong>sätzlich nachgehen. Unterlässt ein Amtsträger dies pflichtwidrig,<br />

droht eine Strafbarkeit wegen Strafvereitelung im Amt (§ 258a StGB). Fraglich<br />

ist allerdings, ob dies auch uneingeschränkt gilt, wenn die Kenntnis privat<br />

erlangt wurde. Die Interessen an der Strafverfolgung sind hier mit der<br />

Privatsphäre <strong>des</strong> Mitglieds der Strafverfolgungsbehörden abzuwägen, dem<br />

Gewissenskonflikte <strong>und</strong> gar soziale Isolation drohen, wenn er gezwungen wird,<br />

jedem Verdacht im privaten Umfeld nachzugehen.<br />

Teils wird dennoch auch hier mit Blick auf das Legalitätsprinzip eine<br />

Verfolgungspflicht stets bejaht; andere lehnen eine solche generell ab, wofür<br />

sich geltend machen lässt, dass das Legalitätsprinzip sich vorrangig an die<br />

Verfolgungsbehörden in ihrer amtlichen Eigenschaft, nicht an ihre Mitglieder<br />

als Privatpersonen richtet. Die Rechtsprechung trifft eine Abwägung zwischen<br />

Privatsphäre <strong>und</strong> Grad der Gefährdung der Allgemeinheit nach der Schwere<br />

der Straftat. Danach besteht eine Verfolgungspflicht bei privater Kenntniserlangung<br />

nur, wenn schwerwiegende Straftaten, etwa aus dem Katalog <strong>des</strong><br />

§ 138 StGB, begangen wurden.<br />

<br />

Erfordernis eines Anfangsverdachts<br />

• Vorliegen von „zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten”<br />

keine bloßen Vermutungen<br />

• Beurteilungsspielraum der Staatsanwaltschaft<br />

• muss auch bei Anzeige/Antrag kumulativ hinzutreten<br />

Vertiefender Hinweise:<br />

Wölfl, JuS 2001, 1123 (Vorermittlung der Staatsanwaltschaft)<br />

2. Die Verfahrensbeteiligten<br />

Lit.: zum Beschuldigten: Beulke 110 -129; Engländer, Rn. 56 – 64; Volk § 9 Rn.<br />

1 – 38; zum Verteidiger: Beulke Rn. 147 - 178; Engländer, Rn. 65 – 76; Volk<br />

§ 11 Rn. 1 – 41; zur Staatsanwaltschaft: Beulke Rn. 79 – 100; Engländer,<br />

Rn. 48 – 53; Volk § 6 Rn. 1 – 13; zur Polizei: Beulke 101 – 109; Engländer,<br />

Rn. 54 f.; Volk § 7 Rn. 1 – 9; zum Gericht: Beulke Rn. 34 – 62; Engländer,<br />

Rn. 33 – 47; 90 – 92; Volk § 5 Rn. 1 – 19; zum Verletzten: Volk § 39 Rn. 1 –<br />

48; zum Zeugen Engländer, Rn. 77 – 85<br />

a) Beschuldigter<br />

<br />

<br />

Begriff: „Beschuldigter” auch als Überbegriff, d.h. während <strong>des</strong> gesamten<br />

Verfahrens, aber (§ 157 StPO)<br />

• Angeschuldigter, wenn gegen ihn öffentliche Klage erhoben ist<br />

• Angeklagter, wenn die Eröffnung <strong>des</strong> Hauptverfahrens beschlossen<br />

ist<br />

Beginn der Beschuldigtenstellung ( mit wichtigen Konsequenzen für<br />

Rechte, insb. nach § 136 I StPO)<br />

• e.A.: rein objektive Bestimmung<br />

• h.M.: objektives <strong>und</strong> subjektives Element:<br />

∗ Tatverdacht<br />

+<br />

∗ Willensakt der Strafverfolgungsbehörde, dass sie ein Verfahren<br />

gegen den Verdächtigen ( Anfangsverdacht erforderlich) als<br />

Beschuldigten betreiben will (z.B. Einleitung eines förmlichen<br />

Strafverfahrens [Aktennummer] oder ausdrückliche Vernehmung<br />

als Beschuldigter)<br />

• Pflicht, den Inkulpationsakt vorzunehmen, wenn konkrete<br />

tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen (§ 152 <strong>II</strong> StPO)


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 9<br />

<br />

<br />

• konkludente Inkulpation, wenn Maßnahmen angeordnet werden,<br />

die nur gegenüber Beschuldigtem möglich sind<br />

(Rechtsgedanke <strong>des</strong> § 397 I AO, z.B. Haftbefehl gemäß<br />

• §§ außerdem 112 ff StPO) Inkulpationsakt verzichtbar, wenn<br />

Beschuldigtenstellung willkürlich / missbräuchlich vorenthalten<br />

wird<br />

Inkulpationsakt als zusätzliches Erfordernis ist also entbehrlich,<br />

wenn ein solcher Verdachtsgrad angenommen werden muss, der<br />

zu einer eindeutigen Beschuldigtenstellung nach objektiven<br />

• Kriterien Folgeprobleme: führt. Spontanäußerungen, informatorische<br />

Befragungen (vgl. näher unten 3)<br />

Rechte <strong>des</strong> Beschuldigten<br />

• Belehrung <strong>und</strong> Verteidigerkonsultation (vgl. näher unten 3)<br />

• Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 I StGB).<br />

• Anwesenheitsrechte, insb. nach § 168c StPO (beachte aber auch<br />

§ 168e StPO) <strong>und</strong> in der Hauptverhandlung nach § 230 StPO;<br />

Beweisantragsrechte, §§ 244, 245 StPO in der Hauptverhandlung<br />

• Fragerecht, § 240 StPO in der Hauptverhandlung<br />

• nemo-tenetur-Gr<strong>und</strong>satz (niemand ist verpflichtet sich selbst zu<br />

belasten)<br />

∗ Gr<strong>und</strong>rechtlich abgesichert durch Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG <strong>und</strong><br />

Rechtsstaatsprinzip (Art.20 <strong>II</strong>I GG)<br />

∗ einfachgesetzliche Verankerung in § 136 StPO (vgl. u.)<br />

∗ wegen gr<strong>und</strong>rechtlicher Verankerung aber auch über<br />

Anwendungsbereich <strong>des</strong> § 136 StPO hinaus diskutabel<br />

• allg. Gr<strong>und</strong>rechte (z.B. Art. 13 GG; Recht auf informationelle<br />

Selbstbestimmung u.a.)<br />

Pflichten <strong>des</strong> Beschuldigten<br />

• Duldung von Zwangsmaßnahmen (vgl. näher unten 3)<br />

• Anwesenheits- <strong>und</strong> Erscheinungspflichten (§§ 230, 133 I, 163a <strong>II</strong>I 1<br />

StPO)<br />

Praxishinweis:<br />

Der vorgeladenen Beschuldigte muss vor der StA <strong>und</strong> vor dem Ermittlungsrichter<br />

erscheinen. Dies selbst dann, wenn er von seinem Aussageverweigerungsrecht<br />

gebrauch machen will (vgl. § 163 a <strong>II</strong>I StPO <strong>und</strong> § 133 <strong>II</strong> StPO). Im<br />

Gegensatz dazu muss der Beschuldigte einer Ladung durch die Polizei nicht Folge<br />

leisten (arg e contrario § 163a <strong>II</strong>I StPO). Prozesstaktisch wird es allerdings<br />

nicht immer ratsam sein, sich gegen die polizeiliche Vernehmung zu „sträuben“.<br />

Naturgemäß kann dies zum einen das „Klima verschlechtern“ (auch wenn es<br />

„eigentlich“ nicht zum Nachteil <strong>des</strong> Beschuldigten verwendet werden darf, vgl.<br />

o. zum Gr<strong>und</strong>satz der freien Beweiswürdigung <strong>und</strong> ihren Grenzen); zum anderen<br />

genießen richterliche Vernehmungsprotokolle eine höhere Beweiskraft,<br />

wenn später das Aussageverhalten geändert wird (vgl. § 254 StPO). Zu beachten<br />

ist ferner, dass der Beschuldigte immer die Angaben (Personalien) <strong>des</strong><br />

§ 111 OWiG machen muss, um keine Ordnungswidrigkeit zu begehen.<br />

b) Verteidiger<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Ausgangspunkt: § 137 StPO – Recht <strong>des</strong> Beschuldigten, sich in jeder Lage<br />

<strong>des</strong> Verfahrens eines Verteidigers zu bedienen<br />

Höchstzahl der Verteidiger für einen Beschuldigten: 3, vgl. § 137 I 2 StPO<br />

Stellung <strong>des</strong> Verteidigers<br />

• h.M.: Organtheorie. Verteidiger ist nicht nur Prozessrechtssubjekt-<br />

Gehilfe (Dienstleister) für den Beschuldigten, sondern auch<br />

unabhängiges Organ der Rechtspflege (vgl. § 1 BRAO). Damit keine<br />

strikte Bindung an Weisungen <strong>des</strong> Beschuldigten.<br />

str. jedoch, inwieweit daraus Beschränkungen der<br />

Verteidigungsbefugnisse ableitbar sind<br />

• a.A.: Theorie vom reinen Parteiinteressenvertreter<br />

• a.A.: Vertragstheorie: Bestimmung der Pflichten aus vertraglicher<br />

Beziehung zum Mandanten zu bestimmen, allerdings mit Grenzen<br />

(z.B. kein Recht auf Lüge)<br />

Rechte <strong>des</strong> Verteidigers


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 10<br />

• Kontaktrecht, insb. § 148 StPO (auch als – partielle – Sondervorschrift<br />

zu § 97 StPO)<br />

• Anwesenheitsrecht<br />

• Beweisantrags- <strong>und</strong> Fragerecht<br />

• Akteneinsichtsrecht, § 147 StPO<br />

Praxishinweis:<br />

Eines der wichtigsten Mittel einer effektiven Verteidigung (insbesondere im<br />

Ermittlungsverfahren) ist das Akteneinsichtsrecht. Dadurch wird dem<br />

Verteidigung (fast) die gleiche Information zuteil wie StA <strong>und</strong> Gericht. In der<br />

Regel sollten der Beschuldigte oder der Verteidiger für den Beschuldigten sich<br />

nicht zu dem Vorwurf äußern, ohne dass der Verteidiger Akteneinsicht<br />

genommen hat. Das Akteneinsichtsrecht sollte während eines Verfahrens,<br />

insbesondere kurz vor der Hauptverhandlung, mehrmals ausgeübt werden.<br />

Der Verteidiger kann dem Mandanten eine Kopie der Akte überlassen<br />

(§ 19 <strong>II</strong> BRAO). So kann dieser zur Akte Stellung nehmen <strong>und</strong> sich „aktiv“ an<br />

der Verteidigung beteiligen.<br />

<br />

•<br />

Sonderproblem: Abgrenzung von Strafverteidigung <strong>und</strong> Strafvereitelung<br />

• Ausgangspunkt: prozessordnungsgemäßes Verhalten erfüllt nicht<br />

Tatbestand <strong>des</strong> § 258 StGB, selbst wenn materiell gerechtfertigte<br />

Verurteilung dadurch verhindert wird<br />

Problem: Grenzen <strong>des</strong> „prozessordnungsgemäßen Verhaltens“ oft<br />

unscharf<br />

• Allgemeine Leitlinie: Wahrheitspflicht, d.h.<br />

∗ Verteidiger muss zwar nicht alles sagen, was er weiß; aber was er<br />

sagt, muss wahr sein<br />

∗ Verbot der Beseitigung von Beweismitteln<br />

• Einzelheiten:<br />

∗ Erlaubt z.B.: Darlegung der Rechtslage; Rat, von<br />

Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen; Rat zu<br />

schweigen; Freispruchantrag wider besseres Wissen, wenn<br />

Schuldnachweis im Verfahren nicht geführt werden konnte<br />

<br />

<br />

∗ Verboten z.B.: Erfinden von Lügen für den Beschuldigten oder<br />

Zeugen; Rat zur Lüge; eigene Lügen in der Hauptverhandlung;<br />

Benennung eines zum Meineid entschlossenen Zeugen bei positiver<br />

Kenntnis davon<br />

Ausschluss <strong>des</strong> Verteidigers, §§ 138a ff. StPO<br />

• § 138a StPO: Ausschlussgründe, insbesondere Verdacht der<br />

Beteiligung <strong>und</strong> <strong>des</strong> Missbrauchs <strong>des</strong> Kontaktrechts<br />

• § 138b StPO: Besondere Ausschließungsgründen in<br />

Staatsschutzsachen<br />

• §§ 138c, 138d StPO: Verfahren bei Ausschließung<br />

Einschränkung der gemeinschaftlichen Verteidigung, § 146 StPO (nur bei<br />

gemeinsamer/paralleler Verhandlung, nicht in sukzessiven Verfahren);<br />

beachte auch § 356 StGB: Parteiverrat.<br />

Praxishinweis:<br />

Wenn sich die Anwälte einer Sozietät als Verteidiger bestellen lassen, darf<br />

gemäß § 137 I Satz 2 StPO die Anzahl der Sozien drei nicht übersteigen, vgl. o.<br />

Daher wird sich in aller Regel ein einzelner Anwalt aus der Sozietät mit einer<br />

Einzelvollmacht zum Verteidiger bestellen lassen. In diesem Fall soll nach der<br />

Rechtsprechung § 146 StPO einer erneuten Bestellung eines weiteren Sozius<br />

durch entsprechende Einzellvollmacht zum Verteidiger für einen<br />

Mitangeklagten nicht entgegenstehen, obwohl dies berufsrechtlich (vgl.<br />

§ 43a IV BRAO, § 3 I, <strong>II</strong> der Berufsordnung für Rechtsanwälte) nicht<br />

unbedenklich ist.<br />

<br />

Notwendige Verteidigung<br />

• Voraussetzungen:<br />

∗ verschiedene Einzelnormen, z.B. §§ 117 IV, 118a <strong>II</strong> StPO, 68 JGG<br />

∗ wichtigste Fälle: § 140 StPO<br />

• Abs. 1: aufgezählte Fallgruppen, z.B. erster Rechtszug vor LG<br />

oder OLG (Nr. 1), Verbrechen angeklagt (Nr. 2)


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 11<br />

• Abs. 2: Auffangtatbestand – wegen Schwere der Tat oder<br />

Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage geboten oder mangelnde<br />

Verteidigungsfähigkeit<br />

• Bestellung durch Vorsitzenden, § 141 IV StPO<br />

• Rücknahme der Bestellung: § 143 StPO<br />

• Sonderproblem: „Sicherungsverteidiger”, d.h. ergänzende Bestellung<br />

eines Pflichtverteidigers neben dem Wahlverteidiger, um bei Gefahr<br />

<strong>des</strong> Ausschlusses / der Mandatsniederlegung <strong>des</strong> Wahlverteidigers<br />

das Verfahren ohne Verzögerung fortführen zu können<br />

c) Staatsanwaltschaft<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Aufgabe: „Herrin <strong>des</strong> Ermittlungsverfahrens”; Pflicht zur Ermittlung be<strong>und</strong><br />

entlastender Umstände<br />

Organisation: hierarchisch strukturiert, §§ 141 – 152 GVG (vgl. Schaubild)<br />

Erfordernis der Anwesenheit in der Hauptverhandlung: § 226 I StPO<br />

bei Verstoß Revisionsgr<strong>und</strong> nach § 338 Nr. 5 StPO<br />

Konsequenzen aus der hierarchischen Struktur<br />

• gesetzliche Vertretung „der Staatsanwaltschaft” im Außenverhältnis<br />

durch den Staatsanwalt<br />

• Devolutionsrecht <strong>des</strong> jeweils ersten Beamten der Staatsanwaltschaft,<br />

§ 145 I Alt. 1 GVG<br />

• Substitutionsrecht <strong>des</strong> jeweils ersten Beamten (sowie <strong>des</strong><br />

Justizministers), § 145 I Alt. 2 GVG<br />

• externes <strong>und</strong> internes Weisungsrecht (Grenze jedenfalls<br />

Rechtmäßigkeit; Lit.: z.T. für Konfliktlösung stets durch<br />

Devolutions- <strong>und</strong> Substitutionsrecht)<br />

Organisation der Staatsanwaltschaft<br />

B<strong>und</strong> Länder<br />

Justizminister,<br />

§ 147<br />

Nr. 1 GVG<br />

B<strong>und</strong>esanwaltschaft<br />

beim<br />

BGH,<br />

§ 142 Nr. 1<br />

GVG<br />

Justizmi-<br />

nister, § 147<br />

Nr. 2 GVG<br />

General<br />

-<br />

staatsanwaltschaft<br />

bei<br />

OLGen,<br />

§ 142 Nr. 2<br />

GVG<br />

Staatsanwälte<br />

Staatsanwaltschaft<br />

bei den<br />

LGen,<br />

§ 142<br />

Nr. 2 GVG<br />

Staatsanwälte<br />

Amtsanwaltschaft<br />

Generalb<strong>und</strong>esanwalt<br />

B<strong>und</strong>esanwälte<br />

Generalstaatsanwalt<br />

Leitender<br />

Oberstaatsanwalt


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 12<br />

Problemschwerpunkt:<br />

Bindung der Staatsanwaltschaft an (höchstrichterliche) Präjudizien<br />

Da die Staatsanwaltschaften von den Gerichten unabhängige Behörden sind,<br />

(vgl. § 150 GVG) kann die Frage auftreten, inwieweit sie – insbesondere bei der<br />

Entscheidung über die Anklageerhebung nach § 170 StPO – an die<br />

höchstrichterliche Rechtsprechung geb<strong>und</strong>en sind. Hier sind zwei<br />

Konstellationen zu unterscheiden:<br />

• Geht die Staatsanwaltschaft entgegen der Rechtsprechung davon aus, ein<br />

Verhalten sei strafbar, so kann sie unstreitig Anklage erheben. Die<br />

Gerichte werden den Beschuldigten nicht verurteilen, wenn sie ihre<br />

Meinung nicht ändern, <strong>und</strong> für den Beschuldigten besteht durch das<br />

Zwischenverfahren ausreichender Schutz vor den Belastungen einer<br />

öffentlichen Hauptverhandlung.<br />

• Geht die Staatsanwaltschaft dagegen entgegen der Rechtsprechung von<br />

der Straflosigkeit eines Verhaltens aus, besteht Streit: Die wohl h.L. lehnt<br />

eine Anklagepflicht mit Hinweis auf die Unabhängigkeit der<br />

Staatsanwaltschaft ab; dafür könnte auch geltend gemacht werden, dass<br />

dies gerade die Konsequenz aus einem Modell ist, bei dem bewusst zwei<br />

voneinander unabhängige Institutionen über die Verfahrenseröffnung<br />

entscheiden sollen. Die Rechtsprechung dagegen geht – wenig<br />

verw<strong>und</strong>erlich – davon aus, dass eine Anklagepflicht besteht. Diese<br />

Auffassung hat m.E. die besseren Argumente auf ihrer Seite, da<br />

rechtsprechende <strong>und</strong> damit letztlich entscheidende Gewalt Gerichten<br />

übertragen ist (Art. 92 GG) ist. Außerdem droht anderenfalls eine<br />

Ungleichbehandlung (Art. 3 GG) <strong>und</strong> vor allem eine Umgehung von<br />

§ 170 StPO; denn dieser sieht eine Anklageerhebung vor, wenn eine<br />

Verurteilung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch – aber genau das ist<br />

der Fall, wenn das Verhalten nach Ansicht der Rechtsprechung strafbar<br />

ist.<br />

<br />

Ablehnung eines Staatsanwalts<br />

• §§ 22 ff. StPO gelten nicht für Staatanwaltschaft, aber<br />

Rechtsgedanken im Einzelfall anwendbar (z.B. § 22 Nr. 1, 2, 3, § 24<br />

StPO)<br />

• z.T. ähnliche Ergebnisse mit anderen Begründungen (etwa §§ 20 ff.<br />

VwVfG, fair-trial-Gr<strong>und</strong>satz)<br />

• kein Verfahren zur Ablehnung, nach h.M. auch nicht §§ 22 ff. StPO<br />

analog oder §§ 23 ff. EGGVG<br />

nur durch formlose Bitte nach § 145 GVG bzw. über<br />

Revisionsrecht (§ 337 StPO) durchsetzbar<br />

d) Polizei<br />

<br />

<br />

<br />

Tätigkeit auch im repressiven Bereich § 163 StPO:<br />

• Erforschung von Straftaten als eigenständige Aufgabe (Recht <strong>des</strong><br />

ersten Zugriffs)<br />

• daneben seit 2000 (StVÄndG 1999) in § 163 I 2 StPO auch<br />

allgemeine Ermittlungsbefugnis formuliert; Grenzen noch str., aber<br />

wohl nur „weniger intensive Gr<strong>und</strong>rechtseingriffe“ gedeckt (d.h.<br />

Eingriffe, die unterhalb der Schwelle von Durchsuchung,<br />

längerfristiger Observation o.ä. liegen, welche nach Willen <strong>des</strong><br />

Gesetzgebers jeweils spezielle Befugnis benötigen)<br />

Weisungsrecht der Staatsanwaltschaft:<br />

• Ermittlungspersonen (früher sog. „Hilfsbeamte“) der<br />

Staatsanwaltschaft (vgl. § 152 GVG i.V.m. entsprechenden VOen <strong>des</strong><br />

Lan<strong>des</strong>rechts) haben allen Anordnungen Folge zu leisten<br />

• übrige Polizeibeamten sollen Ersuchen der Staatsanwaltschaft<br />

entsprechen<br />

spezielle Rechte der Polizei<br />

• alle Polizeibeamte: z.B. §§ 127, 81b, 163a StPO<br />

• Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zusätzlich: z.B.<br />

Anordnungen nach §§ 81a <strong>II</strong>, 81c V, 98 I, 111 <strong>II</strong> StPO


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 13<br />

e) Gericht<br />

<br />

<br />

Im Ermittlungsverfahren: Ermittlungsrichter, vgl. § 162 StPO (von<br />

Präsidium im Geschäftsverteilungsplan bestellt, vgl. § 21e I 1 GVG);<br />

Bedeutung für<br />

• Vereidigung<br />

• Anordnung von (bestimmten) Zwangsmaßnahmen<br />

• Verwertbarkeit von Vernehmungen etwa i.R.d. §§ 251, 254 StPO<br />

Allgemeines Problem (relevant v.a. im Hauptverfahren!): Ablehnung von<br />

Richtern<br />

• Ausschließung (kraft Gesetzes; daneben hier aber auch Ablehnung<br />

möglich) in Fällen <strong>des</strong> § 22 StPO ( bei Verstoß: § 338 Nr. 2 StPO)<br />

∗ Richter ist selbst verletzt (Nr. 1)<br />

∗ enge familiäre Bindung (Nr. 2, 3)<br />

∗ Richter war bereits mit Sache befasst (Nr. 4, 5, §§ 23, 148a <strong>II</strong> 1<br />

StPO)<br />

• Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit: „Muss ein<br />

durchschnittlicher Beobachter in der Rolle <strong>des</strong> Angeklagten bei<br />

verständiger Würdigung der Umstände den Verdacht hegen, es<br />

bestehe Voreingenommenheit?“<br />

Klausurhinweis:<br />

Es kommt also in der Klausur (<strong>und</strong> ebenso in der Praxis) nicht darauf<br />

an, ob der Richter tatsächlich befangen ist. Ausreichend ist, wenn der<br />

ablehnende Prozessbeteiligte den „verständigen Verdacht“ hegt. Das<br />

bedeutet zweierlei:<br />

• Der Maßstab „verständig“ weist darauf hin, dass auf<br />

übertriebene Sensibilität keine Rücksicht genommen werden<br />

muss, dass aber umgekehrt vom Angeklagten auch kein grenzenloses<br />

Justizvertrauen verlangt werden kann.<br />

• Das Ausreichen eines „Verdachts“ bedeutet, dass auch der<br />

Antragsteller nicht sicher davon ausgehen muss, dass der<br />

Richter befangen ist.<br />

• mögliche Problemfälle z.B.:<br />

∗ Spannungen zwischen Gericht <strong>und</strong> Angeklagtem/Verteidiger<br />

(wobei nicht jede Provokation <strong>des</strong> Gerichts durch diese genügen<br />

∗ kann) Beteiligung an Vorentscheidungen außerhalb der §§ 22, 23 StPO<br />

(von Rspr. sehr restriktiv gehandhabt!)<br />

∗ Äußerungen <strong>des</strong> Richters gegenüber Angeklagtem (z.B. grob<br />

unsachliche Unmutsäußerungen; Bedrängen <strong>des</strong> Angeklagten, zur<br />

Sache auszusagen)<br />

• Verfahren bei Ablehnung<br />

∗ sowohl in Fällen der §§ 22, 23 StPO als auch <strong>des</strong> § 24 StPO<br />

Ablehnungsantrag möglich<br />

∗ bei Gericht anzubringen, zu dem Richter gehört, § 26 StPO (wobei<br />

Gericht in der Zusammensetzung z.Z. der Entscheidung, nicht der<br />

Antragstellung zu entscheiden hat)<br />

∗ bei Ablehnung mehrerer Richter i.R. einer Entscheidung zu<br />

behandeln<br />

∗ ablehnungsberechtigt: StA, Beschuldigter, Privatkläger<br />

∗ für §§ 22, 23 StPO keine zeitlichen Grenzen, für § 24 StPO<br />

Präklusion <strong>des</strong> § 25 StPO<br />

∗ Glaubhaftmachung <strong>des</strong> Ablehnungsgr<strong>und</strong>es, § 26 <strong>II</strong> StPO<br />

∗ Entscheidung durch Gericht außerhalb der Hauptverhandlung ohne<br />

abgelehnten Richter ( Ersetzung durch anderen Richter, soweit<br />

erforderlich, vgl. § 27 <strong>II</strong>I StPO) außer in Fällen <strong>des</strong> § 26a StPO<br />

• Revision: § 338 Nr. 2, 3 StPO<br />

• im wesentlichen entsprechende Anwendung auf Schöffen <strong>und</strong><br />

Urk<strong>und</strong>spersonen, § 31 StPO<br />

f) Der Verletzte<br />

<br />

Selbständiger Verfahrensbeteiligte


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 14<br />

<br />

Rechte gemäß §§ 406d ff. StPO (insbesondere Akteneinsichtsrecht <strong>und</strong><br />

Hinzuziehung eines Rechtsbeistan<strong>des</strong>)<br />

Vertiefende Hinweise:<br />

a) Lesenswerte Entscheidungen<br />

− NStZ-RR 2004, 208 mit Anm. Kudlich, JuS 2004, 834 (Befangenheitsgründe,<br />

dienstliche Erklärung <strong>und</strong> Präklusion)<br />

− BGHSt 46, 53 mit. Anm. Kudlich/Roy, JA 2001, 15 (Strafvereitelung <strong>des</strong><br />

Verteidigers durch Schmerzensgeldzahlung an einen Zeugen bei Zusage der<br />

Änderung einer Aussage)<br />

− BGH NJW 1997, 1790 (kein Anwesenheitsrecht <strong>des</strong> Beschuldigten bei<br />

Vernehmung <strong>des</strong> Mitbeschuldigten; keine analoge Anwendung <strong>des</strong><br />

§ 168c <strong>II</strong> StPO)<br />

− BGHSt 38, 111 (zum allg. Missbrauchsverbot im Strafverfahren,<br />

Beweisantragsrecht <strong>des</strong> Beschuldigten)<br />

b) Aufsätze<br />

− Jung, JuS 1998, 1136 (Rechtsstellung <strong>des</strong> Beschuldigten im<br />

Ermittlungsverfahren)<br />

− Verrel, NStZ 1997, 361 ff.; 415 ff. (vertiefend zum nemo-tenetur-Gr<strong>und</strong>satz)<br />

3. Die Vernehmung <strong>des</strong> Beschuldigten<br />

Lit.: Beulke Rn. 130 - 146; Engländer, Rn. 97 – 99; Volk § 9 Rn. 1 – 35<br />

<br />

<br />

Regelung in §§ 133 – 136a StPO für Vernehmung durch Richter; für<br />

Vernehmung durch StA <strong>und</strong> Polizei durch Verweis in § 163a <strong>II</strong>I 2 bzw. IV<br />

2 StPO<br />

Vernehmungsbegriff:<br />

• h.M.: formeller Vernehmungsbegriff.<br />

Vernehmung ist eine Befragung, die von einem Staatsorgan in amtlicher<br />

Funktion mit dem Ziel der Gewinnung einer Aussage durchgeführt<br />

wird<br />

<br />

<br />

keine Vernehmung bei „Aushorchen“ durch Informanten <strong>und</strong> V-<br />

Leute<br />

• a.A: materieller Vernehmungsbegriff<br />

Vernehmungsablauf nach § 136 StPO (ggf. i.V.m. § 163a IV StPO)<br />

• Erklärung, welche Tat zur Last gelegt wird <strong>und</strong> (außer bei Polizei)<br />

welche Strafvorschriften anwendbar sind (§ 136 I 1 StPO)<br />

• Hinweis auf Aussageverweigerungsrecht <strong>und</strong> Möglichkeit, einen<br />

Verteidiger hinzuzuziehen (§ 136 I 2 StPO)<br />

• Vernehmung zur Person<br />

• Vernehmung zur Sache (vgl. § 136 <strong>II</strong> StPO)<br />

• Hinweis, dass Beweiserhebung beantragt werden kann (§ 136 I 3<br />

StPO)<br />

Unterlassener Hinweis auf Aussageverweigerungsrecht<br />

• bei absichtlichem Verschweigen: § 136a StPO, Täuschung (vgl. auch<br />

unten)<br />

• bei vergessener Belehrung: zwar jedenfalls auch Verfahrensfehler, aber<br />

fraglich, ob Verwertungsverbot<br />

∗ nach BGH früher (-) (Arg.: reine Ordnungsvorschrift, Gegenschluss<br />

aus § 136a <strong>II</strong>I 2 StPO)<br />

∗ Kehrtwende in BGHSt 38, 214: ebenso wie nach ganz h.L.<br />

Annahme eines Verwertungsverbots (Arg.: Gegenschluss aus § 136a<br />

<strong>II</strong>I 2 StPO unzulänglich, da dort Verbot der Verwertung gegen den<br />

Willen <strong>des</strong> Beschuldigten schon vorausgesetzt wird; besondere Bedeutung<br />

der ersten Vernehmung für das ganze spätere Verfahren)<br />

∗ Grenzen <strong>des</strong> Verwertungsverbotes: kein Verwertungsverbot, wenn<br />

• Beschuldigter seine Rechte kannte<br />

• Verteidiger der Verwertung zustimmt oder zumin<strong>des</strong>t bis zum<br />

Abschluss der Vernehmung (§ 257 StPO) nicht widerspricht<br />

(sehr str. in der Lit.)<br />

• nicht geklärt werden kann, ob eine Belehrung stattgef<strong>und</strong>en hat<br />

oder nicht (nicht „in dubio pro reo“)


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 15<br />

Klausurhinweis:<br />

Beachte also schon hier: Gr<strong>und</strong>sätzlich ist zwischen dem Fehler (z.B.<br />

Belehrungsfehler) <strong>und</strong> der Konsequenz daraus (z.B.<br />

Verwertungsverbot) zu unterscheiden.<br />

<br />

<br />

•<br />

• Problem der „qualifizierten Belehrung”<br />

∗ Situation: Vergessen der Belehrung vor erster Vernehmung,<br />

Belehrung dann aber vor späterer Vernehmung<br />

∗ teilweise gefordert, dass auch auf Unverwertbarkeit der ersten<br />

Aussage hingewiesen wird<br />

• Spontanäußerung <strong>und</strong> informatorische Befragung<br />

∗ bei Spontanäußerungen (ohne Befragung, d.h. noch keine Initiative<br />

der Strafverfolgungsorgane) keine Belehrungsmöglichkeit <strong>und</strong> -<br />

pflicht; volle Verwertbarkeit<br />

∗ bei informatorischen Befragungen (=Strafverfolgungsorgane<br />

werden aktiv, verdächtigen aber noch keine konkrete Person, d.h.<br />

Initiative liegt schon vor) vor gezielter Vernehmung: zwar keine<br />

Belehrungspflicht, aber Verwertbarkeit str.:<br />

• h.M.: (+)<br />

• a.A.: (-), da ähnliche Interessenlage wie bei Vernehmung<br />

• vgl. auch Problem der missbräuchlichen Vorenthaltung der<br />

Beschuldigtenposition (oben 2)<br />

Belehrung <strong>und</strong> Ermöglichung einer Verteidigerkonsultation<br />

• Verwertungsverbot (bei entsprechender Rüge, vgl. o.) auch, wenn<br />

Verteidigerkonsultation untersagt wurde<br />

• i.ü. aber vielfältige Kasuistik im Spannungsbogen zwischen<br />

(eingeschränkter) Pflicht zur Unterstützung bei<br />

Verteidigerkonsultation <strong>und</strong> eigenverantwortlicher Aussage <strong>des</strong><br />

Beschuldigten vor Eintreffen <strong>des</strong> Verteidigers<br />

Verbotene Vernehmungsmethoden, § 136a StPO<br />

• Verbot von Willensbeeinträchtigung durch<br />

∗ Misshandlung, Ermüdung, körperliche Eingriffe, Verabreichung<br />

von Mitteln, Quälerei oder Hypnose ( regelmäßig in Klausur<br />

leicht zu erkennen <strong>und</strong> allenfalls Grenzfälle schwierig zu<br />

bestimmen)<br />

∗ Täuschung: nach h.M. enge Auslegung geboten, insb.<br />

• Abgrenzung zur kriminalistischen List (z.B. Fangfragen erlaubt,<br />

nicht dagegen bewußte Vorspiegelung falscher Tatsachen)<br />

• nur Täuschungen verboten, die Willensfreiheit beeinträchtigen,<br />

ob ausgesagt wird ( im einzelnen str.)<br />

∗ Drohung mit einer dieser Maßnahmen<br />

Beispiele aus der jüngeren Rspr.:<br />

• Androhung, ausgesetzten Haftbefehl (ohne das Vorliegen der<br />

Voraussetzungen nach § 116 IV) wieder in Vollzug zu setzen,<br />

wenn Angeklagter nicht auf Deal-Angebot eingeht<br />

• „Rettungs-Folter“ entsprechend dem „Fall Daschner“ (eignet<br />

sich, Beziehungen zwischen Strafrecht AT <strong>und</strong> Prozessrecht zu<br />

prüfen!)<br />

unabhängig von Frage einer Rechtfertigung jedenfalls<br />

Unverwertbarkeit einer durch die „Rettungsfolter“ erlangten<br />

Aussage im Strafverfahren<br />

• bei Vernehmungen (h.M.: enger, formeller Vernehmungsbegriff, vgl.<br />

o.); Analogie für die informatorische Befragung str.<br />

• bei Handlungen durch Privatpersonen nur ausnahmsweise beachtlich<br />

( denkbar etwa bei Einwirkung durch Mithäftling in U-Haft, da<br />

während dieser Zeit besondere Schutzpflicht <strong>des</strong> Staates)<br />

• Rechtsfolge eines Verstoßes<br />

∗ absolutes Verwertungsverbot, § 136a <strong>II</strong>I 2 StPO<br />

∗ Gr<strong>und</strong>: nicht nur Rechtsstaats-/ Menschenwürdeverstoß, sondern<br />

auch „geringwertigeres Beweismittel”<br />

• Sonderproblem: Verwendung eines Polygraphen (Lügendetektor):<br />

∗ nach früher h.M. unzulässiges Beweismittel analog § 136a I StPO,<br />

d.h. auch mit Einwilligung <strong>des</strong> Beschuldigten nicht zulässig (arg.:<br />

Eingriff in Persönlichkeitsrecht, Art. 1 I, 2 I GG)<br />

∗ BGH: nicht notwendig Verstoß gegen Persönlichkeitsrecht, aber<br />

jedenfalls völlig ungeeignetes Beweismittel


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 16<br />

Klassiker: Hörfallenentscheidung <strong>des</strong> Großen Senats<br />

[BGH(GS)St 42, 139 ff. m. Anm. Kudlich, JuS 97, 696 ff.]<br />

I. Sachverhalt:<br />

Nachdem der Zeuge E der Polizei mitgeteilt hatte, dass A ihm gegenüber einen<br />

Raubüberfall gestanden hatte, führte der E auf Veranlassung der Polizei ein<br />

Telefonat mit A, bei dem ein Polizist über einen Zweitapparat heimlich<br />

mithörte. In diesem Telefonat bekannte sich der A erneut zu der Tat. Kann der<br />

mithörende Polizist als Zeuge über den <strong>Inhalt</strong> <strong>des</strong> Telefonats vernommen<br />

werden?<br />

<strong>II</strong>. Vorfrage: Zuständigkeit <strong>des</strong> Großen Strafsenats: vgl. § 132 GVG<br />

Hier keine Innendivergenz (§ 132 <strong>II</strong> GVG), sondern Vorlage wegen<br />

gr<strong>und</strong>sätzlicher Bedeutung (§ 132 IV GVG)<br />

<strong>II</strong>I.<br />

Hauptprobleme der Entscheidung:<br />

• Verstoß gegen Art. 10 GG (-): zwar keine ausreichende Rechtfertigung<br />

durch Einwilligung nur eines Gesprächsteilnehmers, aber Mithörenlassen<br />

an Zweitapparat ist nicht mehr vom Schutzbereich erfasst (vgl. dazu<br />

ausführlicher BGHSt 39, 335).<br />

• Verletzung <strong>des</strong> Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nach<br />

Art. 1 I, 2 I GG (-), da Schutzbereich nicht eröffnet<br />

• Verstoß gegen § 136a StPO (-), da<br />

– keine Vernehmung (h.M.: sog. formeller Vernehmungsbegriff), auch<br />

keine „vernehmungs-ähnliche Lage“<br />

– keine Täuschung, da über Mithören nicht gesprochen wurde<br />

(problematisch! ist das nicht Geschäftsgr<strong>und</strong>lage?)<br />

– Schutzbereich <strong>des</strong> § 136a StPO nicht betroffen (keine Beeinträchtigung<br />

der Willensfreiheit, sondern nur unbeachtlicher Motivirrtum)<br />

– Verstoß gegen § 136 StPO (-), da keine Vernehmung, vgl. o.<br />

• auch kein Verstoß gegen § 136 StPO analog bzw. nemo-tenetur-<br />

Gr<strong>und</strong>satz, da keine vergleichbare Interessenlage (gerade kein Aussagezwang;<br />

a.A. Schutz vor jedweder Form von Selbstbelastung danach<br />

hier Verstoß zu bejahen)<br />

• aber nach BGH(GS) aus Rechtsstaatsprinzip Grenzen nicht-offener<br />

Ermittlungstätigkeit<br />

im konkreten Fall aber gebilligt, da schwere Straftat <strong>und</strong> anders wenig<br />

Aussicht auf Aufklärung<br />

Vgl. nunmehr aber BVerfG, NJW 2002, 3619 n. Anm. Sachs, JuS 2003, 392 ff.<br />

zur zivilgerichtlichen Verwertung von Zeugenaussagen über den <strong>Inhalt</strong> von<br />

Telefongesprächen, die von den Zeugen über eine Mithörvorrichtung mit<br />

Wissen nur eines der Gesprächspartner mitverfolgt worden waren: nach<br />

BVerfG Gr<strong>und</strong>recht aus Art. 2 I, 1 I GG betroffen, woraus<br />

Beweisverwertungsverbot folgen könnte auch restriktivere Handhabung der<br />

strafprozessualen Beweisverwertung vertretbar<br />

Vertiefende Hinweise:<br />

a) Lesenswerte Entscheidungen<br />

− BGH NJW 2000, 1123 (Lockspitzel Einsatz gegen Unverdächtige)<br />

Besprechung Kudlich, JuS 2000, 951<br />

− BGHSt 44, 308 (Zulässigkeit eines untauglichen Beweismittels,<br />

Polygraphen)<br />

− BGH NJW 2003, 2034 m. Anm. Dallmeyer, JA 2003, 928 ff., (Verwertbarkeit<br />

eines Hintergr<strong>und</strong>gespräches)<br />

− BGHSt 38, 214 (Beweisverwertungsverbot bei fehlender Belehrung nach<br />

§ 136 StPO)<br />

− BGHSt 42, 139 m. Anm. Jahn, JuS 2000, 441(Verwertungsverbot für<br />

Äußerungen gegenüber Wahrsagerin)<br />

− BGHSt 34, 262 (Einsatz eines „Zellenspitzels“ durch die Polizei)<br />

− LG Frankfurt a.M. NJW 2005, 692 mit Anm. Kudlich, JuS 2005, 376<br />

(Rettungs-Folter: Fall Daschner)<br />

− BGH NStZ 2005, 279 mit Anm. Kudlich, JuS 2005, 475 (Androhung der<br />

Invollzugsetzung einer U-Haft)<br />

b) Aufsätze<br />

− Jahn, JuS 2005, 1057 ff. (Hauptprobleme <strong>des</strong> § 136a StPO)


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 17<br />

− Gold, JA 1995, 411 ff. (Verwertungsverbote bei § 136 StPO)<br />

4. Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen<br />

Lit.: Beulke Rn. 208 – 272 (speziell zur U-Haft: 208 – 232); Engländer, Rn. 114 –<br />

170; Volk § 10 Rn. 1 – 74<br />

a) Allg. Prüfungsschema für Zwangsmaßnahmen<br />

Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit von Zwangsmaßnahmen an Hand der<br />

strafprozessualen Befugnisnormen können bei den folgenden Punkten<br />

Schwierigkeiten auftauchen (die natürlich nicht alle breit erörtert werden<br />

müssen, wenn die Voraussetzungen unproblematisch sind!):<br />

1. Was ist mit welchen Mitteln <strong>und</strong> zu welchem Zweck erlaubt?<br />

2. Wer ist anordnungsberechtigt? (Richter, StA, Ermittlungspersonen [EP] der<br />

StA, Polizei generell)<br />

3. Wer ist vornahmeberechtigt? (häufig Polizei)<br />

4. Gegenüber wem ? (Beschuldigter/Dritter)<br />

5. Bei welchem Verdachtsgrad?<br />

6. Verhältnismäßigkeitsgr<strong>und</strong>satz<br />

Beachte: Die Bedeutung der Rechtmäßigkeit einer Zwangsmaßnahme liegt<br />

darin, dass bei Rechtsverstößen die dadurch erlangten Beweismittel u.U. nicht<br />

verwertbar sind. M.a.W.: Über die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme ist oft<br />

inzident zu entscheiden, wenn es um die Frage der Verwertbarkeit eines<br />

Beweismittels geht. Dann ist allerdings zu beachten, dass nicht jeder Fehler bei<br />

der Beweiserhebung auch zu einem Beweisverwertungsverbot führt, vgl. näher<br />

unten beim Beweisrecht.<br />

b) Einzelne Zwangsmaßnahmen<br />

Festnahmerechte, § 127 StPO<br />

• „Jedermann-Festnahmerecht” (jeder Bürger <strong>und</strong> jeder Amtsträger),<br />

§ 127 I 1 StPO<br />

∗ auf frischer Tat betroffen (dabei str., ob Tat wirklich begangen sein<br />

muss [materielle Theorie] oder Tatverdacht genügt [prozessuale<br />

Theorie, so auch BGH])<br />

∗ Festnahmegr<strong>und</strong>: Fluchtverdacht ( Fluchtgefahr i.S.d.<br />

§ 112 <strong>II</strong> Nr. 2 StPO) oder Unmöglichkeit der Identitätsfeststellung<br />

(nur für Privatpersonen, nicht für Amtsträger die sich auf<br />

§ 163 b StPO berufen können)<br />

∗<br />

Klausurhinweis:<br />

Zweck der Festnahme darf nur sein, den Täter der Strafverfolgung<br />

zuzuführen. Will der Festnehmende dagegen nur zivilrechtliche<br />

Ansprüche durchsetzen, kann er sich nicht auf § 127 I StPO berufen,<br />

kann aber ggf. nach § 229 BGB gerechtfertigt sein.<br />

∗ Auch physische Gewalt erlaubt, soweit zur Festnahme erforderlich<br />

<strong>und</strong> verhältnismäßig<br />

• Festnahmerecht für StA <strong>und</strong> Polizei, § 127 <strong>II</strong> StPO<br />

∗ Voraussetzungen eines Haftbefehls (dringender Tatverdacht +<br />

Haftgr<strong>und</strong>, vgl. näher unten)<br />

∗ Gefahr im Verzug<br />

• Für StA <strong>und</strong> Polizei außerdem: Festnahme zur<br />

„Hauptverhandlungshaft“, § 127b StPO (Entscheidung im<br />

beschleunigten Verfahren wahrscheinlich)<br />

• in allen Fällen: Richtervorführung, § 128 StPO<br />

Identitätsfeststellung, §§ 163b, 163c StPO<br />

• berechtigt: StA <strong>und</strong> Polizei bei Verdacht einer Straftat<br />

• erforderlichenfalls auch Freiheitsentziehung zur Identitätsfeststellung<br />

(vgl. näher § 163c StPO)


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 18<br />

• zulässig gegenüber Beschuldigtem (§ 163b I StPO) <strong>und</strong> anderen Personen<br />

(§ 163b <strong>II</strong> StPO) unterschiedlich strenge Anforderungen<br />

Praxishinweis:<br />

Ablauf einer Identitätsfeststellung beim Verdächtigen (Abstufung<br />

aufgr<strong>und</strong> <strong>des</strong> Verhältnismäßigkeitsgr<strong>und</strong>satzes)<br />

• Anhalten <strong>des</strong> Verdächtigen <strong>und</strong> nach erfolgter Belehrung Befragung<br />

gemäß § 111 OWiG („erforderliche Maßnahmen“ i.S.d. § 163b I<br />

S 1 StPO); Ausweise müssen zur Überprüfung ausgehändigt werden.<br />

• Festhalten (§ 163b I S 2 StPO) ist schon Freiheitsentziehung i.S.d.<br />

Art.104 <strong>II</strong> GG ( noch keine vorläufige Festnahme).<br />

• Verbringen in die Dienststelle zur Feststellung der Identität nur<br />

möglich bei „erheblichen Schwierigkeiten“ der Identitätsfeststellung<br />

(§ 163b I S 2 StPO).<br />

• Durchsuchung von Person oder mitgeführten Sachen (§ 163b<br />

I S 3 StPO).<br />

• Erkennungsdienstliche Maßnahme (§ 163b I S 3 StPO).<br />

<br />

<br />

Schleppnetzfahndung, § 163d StPO<br />

Polizeiliche Beobachtung, § 163e StPO<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Einrichtung von Kontrollstellen, § 111 StPO<br />

• Anordnung: Gericht, bei Gefahr im Verzug StA <strong>und</strong> ihre EP<br />

• Verdacht bestimmter Straftaten<br />

• jeder, der Kontrollstelle passiert, muss seine Identität feststellen <strong>und</strong><br />

sich sowie seine mitgeführten Sachen durchsuchen lassen<br />

Unterbringung zur Beobachtung, § 81 StPO; maximal für 6 Wochen<br />

§ 81 V StPO.<br />

Anfertigung von Lichtbildern <strong>und</strong> Fingerabdrücken, Durchführung von<br />

Messungen <strong>und</strong> ähnlichem, § 81b StPO<br />

Körperliche Untersuchung <strong>des</strong> Beschuldigten, § 81a StPO<br />

• anordnungsberechtigt: Richter, bei Gefährdung <strong>des</strong><br />

Untersuchungszwecks auch StA <strong>und</strong> ihre EP<br />

• Unterscheide zwischen<br />

∗ einfache körperliche Untersuchung nach § 81a I S 1 StPO (reine<br />

sinnliche Wahrnehmung reicht zur Feststellung aus, Arzt nicht<br />

erforderlich; z.B.: gehen auf einer Linie)<br />

∗ andere körperliche Eingriffe nach § 81a I S 2 StPO (sind solche, die<br />

mit einer geringen Körperverletzung verb<strong>und</strong>en sind, Arzt<br />

erforderlich z.B.: Blutentnahme)<br />

• Durchführung durch Arzt<br />

Problemschwerpunkt<br />

Ein beliebtes Klausurproblem besteht in der Frage der Verwertbarkeit einer<br />

körperlichen Untersuchung (z.B. <strong>des</strong> Ergebnisses einer Blutprobe), wenn der<br />

Eingriff entgegen § 81a StPO nicht von einem Arzt vorgenommen wird. Hier<br />

ist zu unterscheiden:<br />

• Beruht der Vornahme durch den Nichtarzt auf einem Versehen der<br />

Strafverfolgungsbehörde (Bsp.: Polizist erkennt im Krankenhaus nicht,<br />

dass der blutabnehmende junge Mann im Arztkittel nur ein Student im<br />

praktischen Jahr ist), führt dies nach h.M. nicht zur Unverwertbarkeit.<br />

Arg.: Der „Schutzzweck“ (Schonung der körperlichen Unversehrtheit)


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 19<br />

hat sich bereits erledigt <strong>und</strong> kann durch Nichtverwertbarkeit nicht mehr<br />

erfüllt werden; § 81a StPO dient nicht primär der Erlangung zuverlässigerer<br />

Untersuchungsergebnisse.<br />

• Täuschen die Strafverfolgungsorgane dagegen den Beschuldigten gezielt<br />

über das Fehlen der Arzteigenschaft liegt ein Verstoß gegen das<br />

Rechtsstaatsgebot vor; nach dem Rechtsgedanken <strong>des</strong> § 136a StPO ist<br />

das Ergebnis nicht zum Nachteil <strong>des</strong> Beschuldigten zu verwerten.<br />

<br />

<br />

• Abgrenzung zur Durchsuchung <strong>des</strong> Täters<br />

• nur Duldungs-, keine aktive Mitwirkungspflicht ( „nemo-tenetur-<br />

Gr<strong>und</strong>satz“)<br />

Bsp.: Der Beschuldigte braucht nicht in das Röhrchen eines<br />

Alkoholmessgerätes zu pusten, muss aber die Blutentnahme dulden.<br />

• umfasst auch zwangsweise Verbringung zum Arzt<br />

• Zulässigkeit von Genomanalysen richtet sich (seit März 1997) nach<br />

§§ 81e, 81f StPO (früher str., damals nach Rspr. zur<br />

Täteridentifizierung zulässig); zur Schaffung von „Gen-Dateien“<br />

beachte ferner § 81g<br />

(Körperliche Untersuchung anderer Personen, § 81c StPO<br />

• anordnungsberechtigt: grds. wie § 81a StPO<br />

• Abs. 1<br />

∗ Person muss als Zeuge in Betracht kommen (weite Auslegung, aber<br />

nach § 81c <strong>II</strong>I 1 StPO Untersuchungsverweigerungsrecht wie<br />

Zeugnisverweigerungsrecht [vgl. dazu näher unter IX 2])<br />

∗ Untersuchung muss Spuren am Körper <strong>des</strong> Zeugen dienen<br />

• Abs. 2<br />

∗ Untersuchung zur Feststellung der Abstammung <strong>und</strong> Blutentnahme<br />

∗ wenn zur Erforschung der Wahrheit unerlässlich<br />

Durchsuchung, §§ 102 ff. StPO<br />

• anordnungsberechtigt: Richter, bei Gefahr im Verzug StA (<strong>und</strong> z.T.<br />

EP); nach neuerer Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG erhöhte<br />

Anforderungen an Gefahr im Verzug, so dass richterliche Anordnung<br />

die Regel bleiben muss<br />

<br />

• Durchsuchung beim Verdächtigen, § 102 StPO<br />

∗ von Räumen<br />

∗ von ihm gehörenden Gegenständen <strong>und</strong> seiner Person<br />

• zum Zweck der Ergreifung (Ergreifungsdurchsuchung) oder <strong>des</strong><br />

Auffindens von Beweismitteln (Ermittlungsdurchsuchung)<br />

• Durchsuchung bei anderen Personen, § 103 StPO<br />

∗ ähnliche, aber strengere Voraussetzungen<br />

∗ wohl auch Durchsuchung der Person selbst (arg e maiore ad minus<br />

zu § 81c StPO)<br />

• Verfahrensfragen<br />

∗ § 104 StPO zur nächtlichen Untersuchung<br />

∗ § 106 StPO: Zuziehung <strong>des</strong> Inhabers<br />

∗ § 107 StPO: Mitteilung <strong>und</strong> Verzeichniserstellung<br />

∗ § 108 StPO: Behandlung von „Zufallsf<strong>und</strong>en”<br />

• Verwertungsfragen<br />

∗ keine §§ 52 ff. StPO entsprechende Regelung ( aber bei<br />

Beschlagnahme § 97 StPO zu beachten, vgl. u.)<br />

∗ bei staatsanwaltschaftlicher Anordnung ohne Gefahr im Verzug str.,<br />

aber vom BGH grds. Verwertbarkeit bejahtr<br />

Beschlagnahme, §§ 94 ff. StPO<br />

• Systematik: Abgrenzung zu §§ 111b ff. StPO (vgl. dazu näher unten)<br />

• Beschlagnahme: Ingewahrsamnahme eines Beweismittels<br />

∗ durch bloße Inverwahrnahme als Realakt (vgl. § 94 I StPO)<br />

∗ durch förmliche Beschlagnahme, wenn Gewahrsamsinhaber Sache<br />

nicht freiwillig herausgibt (vgl. § 94 I, <strong>II</strong> StPO)<br />

∗ durch Herausgabeverlangen <strong>und</strong> Zwangsmittel gemäß § 95 StPO<br />

gegenüber Dritten<br />

• Abgrenzung zu § 94 <strong>II</strong> StPO: § 95 StPO begründet auch<br />

Handlungspflicht (nach h.M. nicht ggü. Beschuldigtem, „nemo<br />

tenetur“)<br />

• beachte § 95 <strong>II</strong> 2 i.V.m. §§ 52 ff. StPO


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 20<br />

<br />

• anordnungsberechtigt: Richter, bei Gefahr im Verzug auch StA + EP,<br />

§ 98 I 1 StPO (in Fällen <strong>des</strong> § 97 V 2 StPO nur Richter, § 98 I 2<br />

StPO)<br />

• Beschlagnahmeverbote<br />

∗ § 96 StPO, Sperrerklärung für amtliche Schriftstücke<br />

∗ § 97 I, <strong>II</strong>I i.V.m. §§ 52, 53 I Nr. 1 – 3b, 53a StPO<br />

• Flankierung <strong>des</strong> Zeugnisverweigerungsrechts (vgl. näher unten)<br />

• gilt nur, wenn im Gewahrsam der<br />

zeugnisverweigerungsberechtigten Person (str. für Verteidiger<br />

wegen Garantie <strong>des</strong> § 148 StPO)<br />

• gilt nicht, wenn Zeugnisverweigerungsberechtigter nach § 97 <strong>II</strong><br />

3 StPO verdächtig ist<br />

∗ auch Unterlagen, die Beschuldigter zu seiner Verteidigung<br />

angefertigt hat, dürfen nicht beschlagnahmt werden<br />

∗ Beschlagnahmeverbote unmittelbar aus der Verfassung (z.B. wegen<br />

Art. 1, 2, 5 GG) str.<br />

∗ § 97 V StPO: Schutz von R<strong>und</strong>funk- <strong>und</strong> Pressemitarbeitern (gilt<br />

auch bei freien Journalisten)<br />

• §§ 99, 100 StPO: Postbeschlagnahme<br />

Sicherstellung von Gegenständen, die dem Verfall oder der Einziehung<br />

unterliegen, §§ 111b ff. StPO i.V.m. §§ 73, 74 StGB<br />

Praxishinweis:<br />

Einen praktisch wichtigen, aber nicht ganz einfach geregelten Fall bildet die<br />

Beschlagnahme von Führerscheinen: Zwar unterliegen diese der Einziehung<br />

(<strong>und</strong> sind i.d.R. kein Beweismittel für eine bestimmte Tat); dennoch richtet sich<br />

ihre Beschlagnahme gemäß § 94 <strong>II</strong>I StPO nach den §§ 94 ff. StPO. Von dieser<br />

Beschlagnahme <strong>des</strong> Führerscheins als Dokument zu unterscheiden ist die<br />

Entziehung der Fahrerlaubnis, die nur durch den Richter (<strong>und</strong> auch bei Gefahr<br />

im Verzug nicht von StA oder Polizei) ausgesprochen werden kann.<br />

<br />

Überwachung der Telekommunikation, § 100a f. StPO<br />

• Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 10 GG ( nur erforderlich <strong>und</strong><br />

ausreichend, wenn <strong>und</strong> soweit Schutzbereich <strong>des</strong> Art. 10 GG<br />

betroffen ist)<br />

• anordnungsberechtigt: Richter, bei Gefahr im Verzug StA (allerdings<br />

dann auf drei Tage beschränkt), § 100b StPO<br />

• Voraussetzungen:<br />

∗ Katalogtat <strong>des</strong> § 100a StPO (abschließend!)<br />

∗ Subsidiaritätsgr<strong>und</strong>satz (Aufklärung sonst aussichtslos oder<br />

wesentlich erschwert)<br />

• Befristung auf 3 Monate (§ 100b <strong>II</strong> 3 StPO), gerechnet ab Anordnung<br />

(nicht ab erster Überwachung)<br />

• „Zufallsf<strong>und</strong>e”: § 100b V StPO als lex specialis zu § 108 StPO (BGH:<br />

auch Verwendung in einem Vorhalt ist unzulässig, wenn Quelle nicht<br />

genannt wird)<br />

• Einschränkung der Überwachung Dritter beim Verteidiger wegen<br />

§ 148 StPO (Umfang <strong>und</strong> Konsequenzen i.e. str.)<br />

Problemschwerpunkte:<br />

Reichweite <strong>des</strong> § 100a StPO bei modernen Kommunikationsmitteln<br />

In neuerer Zeit entfernen sich die genutzten Kommunikationsmittel<br />

zunehmend vom § 100a StPO ursprünglich zu Gr<strong>und</strong>e liegenden Leitbild der<br />

ortsgeb<strong>und</strong>enen Sprachtelefonie. Der Gesetzgeber hat zwar geäußert – <strong>und</strong><br />

etwa durch die Ersetzung <strong>des</strong> Begriffs <strong>des</strong> „Fernmeldeverkehrs“ in § 100a StPO<br />

durch den der Telekommunikation auch zum Ausdruck gebracht –, dass er die<br />

Vorschrift durchaus entwicklungs- <strong>und</strong> auslegungsoffen verstanden wissen will.<br />

Angesichts der Gr<strong>und</strong>rechtsrelevanz sowie <strong>des</strong> Gesetzesvorbehalts ist aber<br />

dennoch im Einzelfall immer kritisch zu prüfen, ob eine Maßnahme tatsächlich<br />

von § 100a StPO gedeckt ist; plakativ: alleine, dass irgendwie das Gr<strong>und</strong>recht<br />

aus Art. 10 GG betroffen ist, führt nicht automatisch dazu, dass die Maßnahme<br />

unter § 100a StPO fällt. Der Schluss von der Eröffnung <strong>des</strong> Schutzbereichs auf<br />

die Einschlägigkeit der Zwangsmaßnahme wäre unzulässig! Vielmehr gebietet<br />

die Eröffnung <strong>des</strong> Schutzbereichs gerade die kritisch Überprüfung, ob für eine<br />

Maßnahme eine ausreichende Befugnis besteht.


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 21<br />

Gegenstand höchstrichterlichen Entscheidungen <strong>und</strong> nachfolgender Diskussionen<br />

in der Literatur waren insbesondere zwei Fragen:<br />

• Überwachung einer Mailbox (bzw. mittlerweile sicher häufiger: eines e-mailaccounts,<br />

vgl. BGH NJW 1997, 1934): unstreitig von § 100a StPO<br />

gedeckt ist die Überwachung <strong>des</strong> ein- <strong>und</strong> ausgehenden e-mail-Verkehrs;<br />

zweifelhaft ist dagegen, ob § 100a StPO auch den Zugriff auf im<br />

elektronischen Postfach „ruhende“ e-mails zulässt<br />

• Der BGH (Ermittlungsrichter, NJW 2001, 1587) stützt auf § 100a StPO<br />

auch das Auskunftsverlangen über die „Bewegungsdaten“ eines Mobiltelefons, d.h.<br />

über die Signale, die auch im Stand-by-Betrieb beim jeweiligen<br />

Einwählen in eine Funkzelle abgegeben werden. Das erscheint mir im<br />

Ergebnis nicht richtig zu sein, da hier kaum noch von der Überwachung<br />

der Telekommunikation (als Vorgang), sondern nur noch von der <strong>des</strong><br />

„potentiell Telekommunizierenden“ gesprochen werden kann. Zur<br />

Ergänzung sei darauf hingewiesen, dass der nach dieser Entscheidung<br />

geschaffene § 100i I Nr. 2 StPO diese Fälle nicht umfassend regelt (<strong>und</strong><br />

dass <strong>des</strong>halb in der Kommentarliteratur auch nach Einfügung <strong>des</strong><br />

§ 100i StPO für die „Bewegungsdaten“ auf § 100a StPO <strong>und</strong> die<br />

Entscheidung <strong>des</strong> BGH hingewiesen wird).<br />

<br />

„Einsatz technischer Mittel“ ohne Wissen <strong>des</strong> Betroffenen (§§ 100c – 100f<br />

StPO)<br />

• früher gemeinsamer Ausgangspunkt im Katalog <strong>des</strong> § 100c StPO a.F.<br />

∗ Katalog umfasste Lichtbilder, Bildaufzeichnungen, sonstige<br />

technische Observationsmittel <strong>und</strong> Abhören <strong>und</strong> Aufzeichnen <strong>des</strong><br />

nichtöffentlich gesprochenen Wortes außerhalb von Wohnungen<br />

(vgl. heute § 100f StPO) sowie in Wohnungen (heute alleiniger<br />

Gegenstand von § 100c StPO)<br />

∗ BVerfG: damalige Regelung zum „Großen Lauschangriff“<br />

(insbesondere § 100c I Nr. 3 StPO a.F., eingefügt 1998 durch<br />

OrgKVerbG) teilweise verfassungswidrig:<br />

• zwar keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen gleichzeitig<br />

erfolgte Änderung <strong>des</strong> Art. 13 GG, da diese mit Blick auf<br />

Art. 2 I, 1 I GG ihrerseits „verfassungsgemäß auslegbar“<br />

• aber §§ 100c, 100d StPO insoweit verfassungswidrig, als<br />

§ 100d StPO für Gespräche aus dem Kernbereich privater<br />

Lebensgestaltung kein (darüber hinaus verfahrensrechtlich<br />

ausreichend abgesichertes) Verwertungsverbot sowie keine<br />

Regelung zur unverzüglichen Löschung enthält <strong>und</strong> als (auch im<br />

darüber hinausgehenden Bereich) der Deliktskatalog zu weit<br />

• gefasst Gesetzgeber ist wurde aufgefordert, bis 30. 06. 2005<br />

verfassungsgemäßen Rechtszustand herzustellen<br />

• Heute (Gesetz vom 24.06.2005 zur Umsetzung <strong>des</strong> Urteils <strong>des</strong><br />

BVerfG) regeln §§ 100c-100e StPO in einer die verfassungsrechtliche<br />

Bedeutung der Normen unterstreichenden Weise nur mehr den<br />

„Großen Lauschangriff“, § 100f StPO enthält nur redaktionell<br />

überarbeitet den Rest der alten Regelung<br />

• Abhören <strong>und</strong> Aufzeichnen <strong>des</strong> nichtöffentlich gesprochenen Wortes<br />

in Wohnungen (§§ 100c – 100e StPO):<br />

∗ „Wohnung“: alle von Art. 13 GG geschützten Räumlichkeiten<br />

∗ Voraussetzungen der Maßnahme nach Nr. 1 bis 4 :<br />

• Verdacht einer schweren Straftat: Nr. 1 i.V.m. abschließendem<br />

Katalog schwerer Straftaten in Abs. 2<br />

• bestimmte Tatsachen (Nr. 1)<br />

• Tat auch vorliegend besonders schwer (Nr. 2)<br />

• für Sachverhalts- oder Aufenthaltsermittlung eines<br />

Beschuldigten bedeutsame Äußerungen zu erwarten <strong>und</strong> zwar<br />

von einem der Beschuldigten selbst; Erwartung muss auf<br />

Tatsachen gestützt sein (Nr. 3)<br />

• Subsidiarität (Nr. 4)<br />

∗ Richtung der Maßnahme (Abs. 3 S. 1): Ausschließlich gegen<br />

Beschuldigten.<br />

∗ Ort (Abs. 3):<br />

• Gr<strong>und</strong>sätzlich nur in Wohnung eines Beschuldigten<br />

( bei mehreren Personen ausreichend, dass Maßnahme in<br />

Wohnung eines – i.d.R. leichter zu ermittelnden –<br />

Vordermannes der Tat vollzogen wird, auch wenn eigentlich<br />

gegen Hintermann gerichtet, solange betreffende Personen<br />

Beschuldigte <strong>des</strong> Verfahrens sind, in dem Anordnung ergeht)


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 22<br />

• Ausnahmsweise (subsidiär) auch Wohnung eines Dritten, wenn<br />

Beschuldigter sich dort aufhält.<br />

∗ Schutz <strong>des</strong> Kernbereichs privater Lebensgestaltung:<br />

• Vorbeugend: Einschränkung von Zulässigkeit <strong>und</strong> statthaftem<br />

Ort (Abs. 4)<br />

• Reaktiv (Abs. 5): Pflicht zum Abbruch <strong>des</strong> Abhörens (S. 1) <strong>und</strong><br />

Löschen der Aufzeichnung (S. 2), absolutes Verwertungsverbot<br />

(S. 3 <strong>und</strong> Abs. 7), Dokumentationspflicht (S. 4),<br />

Fortführungsmöglichkeit (S. 5), Zuständigkeit <strong>des</strong> Gerichts (S. 6)<br />

∗ Verhältnis zu Zeugnisverweigerungsrechten (Abs. 6):<br />

• Absoluter Schutz in Fällen <strong>des</strong> § 53 StPO<br />

• Abwägung bei §§ 52, 53a: StPO<br />

• Ausnahme: Beteiligung, Begünstigung, Strafvereitelung oder<br />

Hehlerei<br />

∗ Anordnungskompetenz: nur besondere, nicht mit Hauptverfahren<br />

in Strafsachen befasste Kammer <strong>des</strong> Landgerichts (§ 100d I StPO,<br />

§ 74a IV GVG) bzw. (bei Gefahr im Verzug) deren Vorsitzender;<br />

Antragserfordernis durch StA (§ 100d I S. 1 StPO); beschränkte<br />

Dauer (§ 100d I S. 3-6 StPO); Form <strong>und</strong> Begründung (§ 100d <strong>II</strong>, <strong>II</strong>I<br />

StPO)<br />

∗ Beschränkte Verwertbarkeit in anderen Verfahren (§ 100d VI StPO)<br />

∗ Benachrichtigung der Betroffenen <strong>und</strong> (auch nachträgliche!)<br />

Überprüfbarkeit binnen enger Frist (§ 100d V<strong>II</strong>I-X StPO)<br />

∗ Besonderes Berichtswesen nach § 100e StPO; dokumentiert<br />

praktisch eher geringe Bedeutung der Vorschriften (ca. 120<br />

Anwendungsfälle in den Jahren 1998-2001, 30 Fälle in 2002, 37<br />

Fälle in 2003, nur mehr 11 Wohnungen in 2004)<br />

• weitere Maßnahmen nach § 100f StPO:<br />

∗ Bildaufnahmen (Abs. 1Nr. 1): wie bei alten „Lichtbildern <strong>und</strong><br />

Bildaufzeichnungen“ stehende Bilder <strong>und</strong> Videos. Möglicherweise<br />

auch längerfristige Videoobservationen (für die daneben<br />

§ 163f StPO zu beachten ist).<br />

∗ sonstige besondere für Observationszwecke bestimmte technische<br />

Mittel (z.B. Peilsender, Bewegungsmelder; nach BGH auch Einbau<br />

<br />

eines GPS-Systems [zw.]) bei Straftat von erheblicher Bedeutung<br />

(Abs. 1 Nr. 2)<br />

∗ Abhören <strong>und</strong> Aufzeichnen <strong>des</strong> nichtöffentlich gesprochenen<br />

Wortes („Lauschangriff”, Abs. 2) bei Katalogtaten <strong>des</strong> § 100a StPO,<br />

allerdings nur außerhalb <strong>des</strong> Schutzbereichs <strong>des</strong> Art. 13 GG (h.M.;<br />

möglich daher wohl in Haftzelle, jedenfalls aber im Gesprächsraum<br />

einer Haftanstalt); beachte die eingeschränkte<br />

Anordnungsberechtigung: Richter, bei Gefahr im Verzug auch StA<br />

<strong>und</strong> ihre Ermittlungspersonen<br />

∗ Subsidiaritätsgr<strong>und</strong>satz (§ 100f I a.E., <strong>II</strong> S. 1 a.E., <strong>II</strong>I S. 2 <strong>und</strong> 3<br />

StPO)<br />

∗ grds. gegen Beschuldigten zu richten, ausnahmsweise auch gezielt<br />

gegen Dritte (§ 100f <strong>II</strong>I StPO)<br />

∗ Verwertungseinschränkung in § 100f IV StPO auf Katalogtaten <strong>des</strong><br />

§ 100a StPO ist wie bisher auf Fälle <strong>des</strong> Abs. 2 beschränkt, wurde<br />

aber gegenüber der alten Rechtslage gelockert: Zulässig ist nun auch<br />

ihre Verwendung als sog. Spurenansatz<br />

Auskunft über Telekommunikationsverbindungen §§ 100g, 100h StPO<br />

• Nachfolgeregelung <strong>des</strong> § 12 FAG die (vorerst) nur befristet gelten<br />

soll<br />

• Auskunftsanordnung für Telekommunikationsverbindungsdaten<br />

(Legaldefinition in § 100g <strong>II</strong>I StPO;<br />

beachte: nach Wille <strong>des</strong> Gesetzgebers nur Auskunft über solche Daten,<br />

die ohnehin in datenschutzrechtlich zulässiger Weise anfallen; keine<br />

Gr<strong>und</strong>lage, um Speicherung weiterer Daten anzuordnen)<br />

• Kennung in § 100g <strong>II</strong>I Nr. 1 StPO nur IMEI-Nummern von<br />

Mobilfunktelefonen <strong>und</strong> MAC- oder IP-Adressen von Computern,<br />

nicht jedoch Namen oder Adresse der Person, die sich „hinter“ der<br />

Nummer verbirgt.<br />

• auch nach § 100g StPO keine Standorterkennung eines<br />

Mobilfunktelefons im „stand-by“-Betrieb<br />

• Zielwahlsuche (d.h. Ermittlung von Anschlussnummern von denen<br />

zu einer Person i.S.d. § 100g I Satz 2 StPO telefoniert wurde) unter<br />

Voraussetzungen <strong>des</strong> § 100g <strong>II</strong> StPO


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 23<br />

<br />

<br />

• § 100h StPO regelt die Verfahrensfragen.<br />

Problem: Sind Maßnahmen gegen namentlich nicht bekannte aber<br />

individualisierbare Personen auch bei einfachen <strong>und</strong> mittleren<br />

Straftaten zulässig? Genügt es, wenn die Identität nur nach §§ 89 VI,<br />

90 TKG festgestellt werden kann? (Rechtspraxis bejaht bei<strong>des</strong>.)<br />

„IMSI-Catcher“ § 100i. StPO<br />

• Ermittlung von IMEI- <strong>und</strong> ISMI-Nummern zum Zwecke eine<br />

Telekommunikationsüberwachung bei Mobilunktelefonen, oder aber,<br />

um notwendige Informationen zur Standortermittlung <strong>des</strong> gesuchten<br />

Täters zu erlangen.<br />

• Zuständigkeit zur Anordnung liegt gr<strong>und</strong>sätzlich bei dem Richter <strong>und</strong><br />

nur bei Gefahr im Verzug auch bei der StA (nicht bei der Polizei)<br />

Einsatz „Verdeckter Ermittler”<br />

• Definition: § 110a <strong>II</strong> 1 StPO: Beamte <strong>des</strong> Polizeidienstes, die unter<br />

Legende ermitteln ( Abgrenzung zu V-Personen)<br />

• Voraussetzungen: § 110a I StPO<br />

∗ bestimmte Katalogtaten oder<br />

∗ Verbrechen <strong>und</strong> Wiederholungsgefahr oder<br />

∗ Verbrechen <strong>und</strong> Aussichtslosigkeit anderweitiger Ermittlungen<br />

• Anordnungsberechtigung: Polizei mit Zustimmung der StA<br />

(spätestens am dritten Tag nach Beginn der Maßnahme), § 110b I<br />

bzw. <strong>des</strong> Richters, § 110b <strong>II</strong> StPO<br />

• Befugnisse<br />

∗ Herstellung falscher Urk<strong>und</strong>en für die Legende, § 110a <strong>II</strong>I StPO<br />

∗ Betreten von Wohnungen unter Legende mit Einverständnis <strong>des</strong><br />

Berechtigten, § 110c S. 1 StPO<br />

∗ i.ü. Befugnisse nach StPO <strong>und</strong> anderen Rechtsvorschriften, § 110c<br />

S. 3 StPO ( deckt wohl nicht „milieubedingte Straftaten”,<br />

allenfalls nach §§ 32, 34 StGB)<br />

• Verwertung von Erkenntnissen: beachte § 110b <strong>II</strong>I i.V.m. § 96 StPO<br />

als Durchbrechung <strong>des</strong> Unmittelbarkeitsgr<strong>und</strong>satzes (vgl. näher unten<br />

V<strong>II</strong>I 4)<br />

<br />

Einsatz von V-Personen<br />

• Begriff:<br />

∗ ≠ Verdeckte Ermittler i.S.d. §§ 110a ff. StPO ( Voraussetzungen<br />

gelten nicht entsprechend!), sondern<br />

∗ Personen, die Strafverfolgungsbehörden für längere Zeit<br />

unterstützen, ohne zu diesen zu gehören (V-Personen i.e.S.)<br />

• Voraussetzungen <strong>des</strong> „Einsatzes” gesetzlich nicht geregelt (da kein<br />

staatlicher Einsatz i.e.S., sondern nur Informationsbeschaffung), aber:<br />

∗ nach h.M. kein gr<strong>und</strong>sätzliches Verbot nicht-offener Ermittlung<br />

∗ Grenzen aus Rechtsstaatsgebot zu beachten<br />

• Verwertung: Problem der behördlichen Sperrerklärung ähnlich wie<br />

beim Verdeckten Ermittler, vgl. o., analog § 96 StPO (vgl. näher<br />

unten V<strong>II</strong>I 4 zur Unmittelbarkeitsproblematik)<br />

c) Rechtsschutz gegen Zwangsmaßnahmen<br />

<br />

Allg. zum Rechtsschutz im Ermittlungsverfahren<br />

• teils besondere Benachrichtigung der Betroffenen vorgesehen<br />

(§§ 100d V<strong>II</strong>I, IX, 101 StPO)<br />

• kein Rechtsschutz gegen Handlungen der StA, die nur Einleitung,<br />

Ablauf <strong>und</strong> Beendigung <strong>des</strong> Ermittlungsverfahrens betreffen<br />

• dagegen Rechtsschutz gegen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen;<br />

unterscheide dabei zwischen<br />

∗ richterlicher/nicht-richterlicher Anordnung<br />

∗ gegenwärtig oder bevorstehend/erledigt<br />

∗ Voraussetzungen/Durchführung der Maßnahme<br />

Schema zum Rechtsschutz gegen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen<br />

vor Erledigung (bzw. bei gegenwärtigen Eingriffen)<br />

richterliche Anordnung:<br />

§ 304 StPO;<br />

als auch gegen Art <strong>und</strong> Weise § 98 <strong>II</strong> 2 StPO (direkt<br />

nicht-richterliche Anordnung: sowohl gegen Anordnung<br />

gegen Art <strong>und</strong> Weise oder analog) bzw. Spezialnormen (§§ 111c <strong>II</strong> 3, 161a


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 24<br />

der Begehung<br />

§ 98 <strong>II</strong> 2 StPO (analog)<br />

<strong>II</strong>I 1 StPO)<br />

nach Erledigung<br />

richterliche Anordnung:<br />

nicht-richterliche Anordnung:<br />

– nach früher h.M. kein Rechtsschutz (arg.: Art. 19<br />

IV GG garantiert nur Rechtsweg zum, nicht – gegen Anordnung als<br />

gegen Richter)<br />

solche: § 98 <strong>II</strong> 2 StPO<br />

Beschwerde wird unzulässig wegen „prozessualer<br />

Überholung“<br />

keinesfalls fehlen<strong>des</strong><br />

analog (hier auch<br />

nach BVerfGE 96, 27 aber bei schwerwiegenden – gegen RSB) Art <strong>und</strong> Weise:<br />

Gr<strong>und</strong>rechtseingriffen Beschwerde weiter zulässig früher verbreitet §§ 23<br />

– Art <strong>des</strong> Rechtsschutzes:<br />

ff. EGGVG; nun aber<br />

* gegen Anordnung als solche: Beschwerde,<br />

BGH: § 98 <strong>II</strong> 2 StPO<br />

§ 304 StPO<br />

auch auf Art <strong>und</strong><br />

* gegen Art <strong>und</strong> Weise der Durchführung nach<br />

Weise analog<br />

früher h.M. §§ 23 ff. EGGVG; in Konsequenz anwendbar<br />

der BVerfGE nach BGH nun auch hier analog<br />

§ 98 <strong>II</strong> (jedenfalls, soweit noch keine Vorgaben in<br />

Anordnung bestanden); Argumente der Sachnähe,<br />

der Vermeidung einer Rechtswegspaltung <strong>und</strong><br />

dem Gedanken <strong>des</strong> § 100d X StPO<br />

* teils spezialgesetzlich vorgesehene Überprüfung<br />

(§ 100d X StPO)<br />

Fazit<br />

Der gegenwärtige Meinungsstand lässt sich wie folgt zusammenfassen:<br />

• Anordnungen <strong>des</strong> Ermittlungsrichters werden stets mit Beschwerde nach<br />

§ 304 StPO angefochten.<br />

• Anordnungen <strong>und</strong> Durchführungsmaßnahmen ( Art <strong>und</strong> Weise) von<br />

StA <strong>und</strong> Polizei werden analog § 98 <strong>II</strong> StPO überprüft ( gegen diese<br />

Entscheidung dann Beschwerde)<br />

d) Sonderfall: Untersuchungshaft<br />

<br />

<br />

Anordnungsberechtigt: Gericht nach Maßgabe der §§ 125, 126 StPO (beachte<br />

die unterschiedlichen Verfahrensstadien)<br />

Voraussetzungen:<br />

• dringender Tatverdacht, § 112 I 1 StPO, d.h. hohe<br />

Wahrscheinlichkeit, dass Beschuldigter Täter oder Teilnehmer einer<br />

strafbaren Handlung ist<br />

• Haftgründe (§§ 112 <strong>II</strong>, <strong>II</strong>I, 112a StPO)<br />

∗ Flucht oder Fluchtgefahr<br />

Klausurhinweis:<br />

Für die Frage, ob Fluchtgefahr vorliegt, ist eine Prognose<br />

erforderlich. In einer Klausur wäre es vor allem wichtig, die<br />

Sachgesichtspunkte, die zu dieser Prognose führen, aus dem<br />

Sachverhalt herauszufinden. Argumente für eine Fluchtgefahr können<br />

(neben der auch als ein Argument unter anderen zu<br />

berücksichtigenden Straferwartung) etwa alle Gründe sein, die den<br />

Beschuldigten besonders mobil machen (z.B. gute Kontakte ins<br />

Ausland; gute Sprachkenntnisse), während örtliche Bindungen (z.B.<br />

familiäre Bande vor Ort; Behinderungen, hohes Alter). Wichtig ist<br />

dabei, dass immer auf konkrete Tatsachen abgestellt <strong>und</strong> nicht nur<br />

allgemeine Mutmaßungen angestellt werden.<br />

∗ Verdunklungsgefahr<br />

∗ Verdacht eines Kapitaldelikts ( nach BVerfG <strong>und</strong> h.M. restriktive<br />

Auslegung: auch weiterer Haftgr<strong>und</strong> muss – wenngleich weniger<br />

schwer – hinzukommen)<br />

∗ Wiederholungsgefahr<br />

• Verhältnismäßigkeitsgr<strong>und</strong>satz, § 112 I 2 StPO<br />

• Sonderprobleme<br />

∗ Privatklagedelikte (U-Haft str.)<br />

∗ Antragsdelikte (vgl. § 130 StPO)


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 25<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Rechtsschutz gegen den Haftbefehl<br />

• Haftbeschwerde, § 304 I StPO<br />

• Antrag auf Haftprüfung, § 117 I StPO ( geht Haftbeschwerde vor,<br />

§ 117 <strong>II</strong> 1 StPO)<br />

Aufhebung <strong>des</strong> Haftbefehls, §§ 120, 121 StPO,<br />

• wenn Voraussetzungen nicht mehr vorliegen oder<br />

• auf Antrag der StA vor Erhebung der öffentlichen Klage oder<br />

• nach 6 Monaten Dauer, soweit keine Annahme vorliegt<br />

„Hauptverhandlungshaft“ nach § 127b <strong>II</strong> i.V.m. § 128 <strong>II</strong> 2 StPO<br />

Vollzug der U-Haft: nur knappe Regelung in § 119 StPO (StVollzG gilt<br />

nicht!)<br />

Vertiefende Hinweise:<br />

a) Lesenswerte Entscheidungen<br />

− BGH NJW 1997, 1934 (Mailbox-Entscheidung) m. Anm. Kudlich, JuS 1998,<br />

209<br />

− BGH NStZ 1998, 15 m. Anm. Martensen, JuS 1999, 433 ff. (Reichweite der<br />

Befugnis nach § 100c a.F. (heute § 100f): Einbau einer entsprechenden<br />

Vorrichtung in Pkw <strong>und</strong> Verbringen <strong>des</strong>selben in die Werkstatt)<br />

− BGH NJW 2001, 1587 (Mitteilung von Bewegungsdaten eines<br />

Mobiltelefons als Überwachung der Telekommunikation) m. Anm. Kudlich,<br />

JuS 2001, 1165<br />

− BVerfG NJW 1996, 3071 (Entnahme einer Blutprobe nach § 81a StPO zur<br />

DNA-Analyse)<br />

− BVerfGE 47, 239 f. (Zwangsweise Beeinträchtigung der Bart- <strong>und</strong><br />

Haartracht zur Identifizierung <strong>des</strong> Beschuldigten)<br />

− BVerfGE 103, 142 m. Anm. Amelung, NStZ 2001, 337 (Zu den<br />

Anforderungen an eine Gefahr im Verzug bei Anordnung einer<br />

Durchsuchung durch die StA statt durch das Gericht)<br />

− LG München NStZ 2001, 612 (Beschlagnahmeverbot für Unterlagen <strong>des</strong><br />

Verteidigers im Gewahrsam <strong>des</strong> Mandanten)<br />

− BVerfGE 107, 299 = NJW 2003, 1787 (Handy-Überwachung bei Journalisten)<br />

− LG Regensburg StraFo 2003, 127 (Unverhältnismäßigkeit bei<br />

Massengentests, Beschuldigteneigenschaft von Massengentestverweigern)<br />

− BGH NJW 2004, 2687 mit Anm. Kudlich, JuS 2004, 1019 (Unverwertbarkeit<br />

eines Geständnisses nach Vorhalt von unverwertbaren Ergebnissen einer<br />

Telefonüberwachung)<br />

b) Aufsätze<br />

− Kudlich, JA 2000, 227 ff. (Strafprozessuale Probleme im Internet)<br />

− Laser, NStZ 2001, 120 ff. (zusammenfassend zum Rechtsschutz gegen<br />

Zwangsmaßnahmen)<br />

− Rogal, NStZ 1997, 400 ff. (Massentest zur Genomanalyse)<br />

− Satzger, JZ 2001, 639 ff. (Massentest zur Genomanalyse)<br />

− Sommermeyer, Jura 1992, 449 ff. (Durchsuchung)<br />

− Wohlers/Demko, StV 2003, 241 ff. (Zugriff auf Verbindungsdaten nach<br />

§§ 100g, 100h StPO)<br />

c) Fälle<br />

− Fahl, JuS 2001, 47 (u.a. § 81a StPO Brechmitteleinsatz)<br />

− Hantschel, Jura 2001, 472 (Videoüberwachung)<br />

− Werle, JuS 1993, 935 ff. (strafprozessuale Zwangsmaßnahmen)<br />

5. Der Abschluss <strong>des</strong> Ermittlungsverfahrens<br />

Lit.: Beulke Rn. 319 – 343; Engländer, Rn. 103 – 113; Volk § 12 Rn. 1 - 42<br />

<br />

Überblick: Das Ermittlungsverfahren kann enden mit<br />

• Klageerhebung, § 170 I StPO ( Zwischenverfahren, dazu unten<br />

V<strong>II</strong>), oder Strafbefehl ( dazu unten XI 1)<br />

• Einstellung nach § 170 <strong>II</strong> ( u.U. Klageerzwingungsverfahren, vgl.<br />

dazu unten)<br />

• Einstellung aus Opportunitätsgründen, §§ 153 ff. StPO


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 26<br />

Beachte: Aus Sicht <strong>des</strong> Beschuldigten mag die Einstellung aus Opportunitätsgründen<br />

in ihren Auswirkungen in mancherlei Hinsicht „näher“ bei der Einstellung<br />

nach § 170 <strong>II</strong> StPO als bei der Klageerhebung liegen. Im „gedanklichen<br />

Ablaufschema“ liegen jedoch § 170 I <strong>und</strong> §§ 153 ff. StPO auf einer Linie, während<br />

§ 170 <strong>II</strong> StPO den anderen Strang bildet: Wurde kein ausreichender Anlass<br />

zur Erhebung der öffentlichen Klage ermittelt, muss nach § 170 <strong>II</strong> StPO eingestellt<br />

werden; dagegen kommen §§ 153 ff. StPO in Situationen in Betracht, in<br />

denen „eigentlich“ nach § 170 I StPO Klage erhoben werden müsste, davon<br />

aber aus Opportunitätsgründen abgesehen wird.<br />

<br />

Klageerhebung<br />

• durch Einreichung der Anklageschrift beim zuständigen Gericht<br />

• Voraussetzung: „genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen<br />

Klage“, d.h. wenn mit Eröffnung <strong>des</strong> Hauptverfahrens zu rechnen ist<br />

( hinreichender Tatverdacht i.S.d. § 203 StPO) bzw. die StA nach<br />

ihrer Prognose am Ende der Hauptverhandlung zum Antrag auf<br />

Verurteilung kommen wird<br />

• Überblick zu den Verdachtsgraden<br />

Anfangsverdacht<br />

Pflicht zur<br />

Einleitung eines<br />

Ermittlungsverfahrens,<br />

§ 152 <strong>II</strong> StPO<br />

hinreichender<br />

Tatverdacht<br />

§§ 170 I, 203<br />

StPO<br />

Klausurhinweis:<br />

Der Gr<strong>und</strong>satz „in dubio pro reo“ gilt bei der Entscheidung nach<br />

§ 170 I, <strong>II</strong> StPO zwar nicht unmittelbar, da zum gegenwärtigen Zeitpunkt<br />

gerade noch eine (meist mit Restzweifeln belastete) Prognose<br />

erfolgt <strong>und</strong> noch keine Gewissheit besteht. Allerdings kann er mittelbar<br />

Bedeutung gelangen: wenn die Staatsanwaltschaft davon ausgeht,<br />

dass die Sachverhaltsungewissheit auch in der Hauptverhandlung<br />

nicht geklärt werden kann, wird sie bei ihrer Prognose berücksichtidringender<br />

Tatverdacht<br />

-----------------------------<br />

bestimmte<br />

Zwangsmaßnahmen<br />

-----------------------------<br />

(aber z.T. abhängig von<br />

Verfahrensstand)<br />

<br />

Einstellung gemäß § 170 <strong>II</strong> StPO<br />

• bei Vorliegen von Prozesshindernissen/Fehlen einer<br />

Prozessvoraussetzung ( evt. auch nur vorläufig, analog § 205 StPO,<br />

• vgl. aus tatsächlichen o.) Gründen (keine ausreichende Ermittlung von<br />

Tatsachen)


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 27<br />

gen, dass dort ein Freispruch nach dem Gr<strong>und</strong>satz „in dubio pro reo“<br />

erfolgen wird <strong>und</strong> daher nach § 170 <strong>II</strong> StPO das Verfahren einstellen.<br />

∗ Sonderproblem: Strafschärfung durch das ausgeschiedene Delikt?<br />

<br />

• aus (materiell-) rechtlichen Gründen (hier z.B. Problem der Bindung<br />

an höchstrichterliche Rechtsprechung zu beachten, vgl. o.)<br />

• allg. gilt: kein Strafklageverbrauch durch Einstellung nach<br />

§ 170 <strong>II</strong> StPO!<br />

Einstellung aus Opportunitätsgründen<br />

• § 153 I StPO<br />

∗ Vergehen<br />

∗ Schuld <strong>des</strong> Täters ist gering<br />

∗ kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung<br />

∗ grds. Zustimmung <strong>des</strong> Gerichts erforderlich, § 153 I 1, 2 StPO<br />

∗ ( nach Erhebung der öffentlichen Klage: Einstellung<br />

durch das Gericht, § 153 <strong>II</strong> StPO)<br />

∗ Rechtskraft der Einstellung nur bei richterlicher Einstellung, aber<br />

auch hier Durchbrechungen nach § 153a I 5 StPO analog (bzw.<br />

§§ 174 <strong>II</strong>, 211 StPO, 45 <strong>II</strong>I 4, 47 <strong>II</strong>I JGG analog möglich; im<br />

einzelnen str.)<br />

• § 153a StPO<br />

∗ grds. wie § 153 StPO<br />

∗ aber auch bei mittlerer Schuld <strong>und</strong> öffentlichem Interesse <br />

Kompensation durch Erfüllung von Auflagen <strong>und</strong> Weisungen<br />

∗ beschränkter Strafklageverbrauch: § 153a I 5 StPO – nur noch als<br />

Verbrechen verfolgbar ( nach Ansicht <strong>des</strong> EuGH Sanktion, die<br />

unter internationales „ne bis in idem“ <strong>des</strong> Art. 54 SDÜ fällt)<br />

• §§ 154, 154a StPO<br />

∗ „Einstellung“ von unwesentlichen Nebendelikten<br />

∗ § 154 StPO für selbständige Taten im prozessualen Sinn (§ 264<br />

StPO)<br />

∗ § 154a StPO für mehrere Delikte bei einer Tat im prozessualen Sinn<br />

( keine „Einstellung“ i.e.S., sondern Beschränkung der<br />

Verfolgung)<br />

Exkurs, aber zugleich auch Problemschwerpunkt:<br />

Begriff der strafprozessualen Tat (§ 264 StPO)<br />

Die strafprozessuale Tat umfasst das gesamte Verhalten <strong>des</strong> Beschuldigten,<br />

soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen<br />

Vorkommnis nach der Auffassung <strong>des</strong> Lebens einen einheitlichen Vorgang<br />

bildet. Die getrennte Aburteilung würde als unnatürliche Aufspaltung eines<br />

einheitlichen Lebensvorganges empf<strong>und</strong>en.<br />

• Kriterien: Tatort, Tatzeit, Tatobjekt, Angriffsrichtung (str.)<br />

• Auswirkungen: Gegenstand der gerichtlichen Untersuchung <strong>und</strong><br />

Entscheidung wird bestimmt, damit auch Umfang von Rechtshängigkeit<br />

<strong>und</strong> Rechtskraft (zu letzterer siehe Gr<strong>und</strong>satz in Art. 103 <strong>II</strong>I GG: ne bis in<br />

idem, Strafklageverbrauch )<br />

• Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Abgrenzung Nachtragsanklage<br />

(§ 266 StPO, d.h. Einbeziehung weiterer Taten in der Verfahren) <br />

rechtlicher Hinweis (§ 265 StPO, d.h. Änderung der rechtlichen oder<br />

tatsächlichen Betrachtungsweise durch das Gericht im Rahmen der<br />

angeklagten Tat)<br />

• Unterscheide: Tat im prozessualen (§ 264 StPO) <strong>und</strong> im materiellen (§§ 52,<br />

53 StGB) Sinn:<br />

bei Idealkonkurrenz (§ 52 StGB) regelmäßig eine Tat i.S.d. § 264 StPO;<br />

Ausnahmen bei „Organisationsdelikten“ (z.B. § 129a StGB) denkbar<br />

Realkonkurrenz (§ 53 StGB) Indiz für mehrere prozessuale Taten<br />

(Ausnahme z.B. bei Trunkenheitsfahrt mit Unfall <strong>und</strong> anschließende<br />

Fahrerflucht)<br />

• Verkennt das Gericht den Unrechtsgehalt wegen dem Gericht<br />

unbekannter Tatsachen völlig, ist die Lösung str.<br />

• Es ist umstritten, ob bei der Alternativität von Handlungsabläufen (d.h.<br />

der Täter kann nur entweder die eine oder die andere Straftat begangen<br />

haben), die subjektive Angriffsrichtung <strong>des</strong> Täters bei der Bestimmung der<br />

Tat im prozessualen Sinn mit einbezogen werden muss.


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 28<br />

<br />

• weitere Einstellungsmöglichkeiten z.B.<br />

∗ §§ 153c, 153f, 154b StPO<br />

∗ § 154c StPO<br />

∗ Kronzeugenregelung<br />

Klageerzwingungsverfahren, §§ 172 ff. StPO<br />

• Einordnung: „Rechtsschutzmöglichkeit“ <strong>des</strong> Verletzten, der<br />

Strafantrag (i.S.d. § 158 I 1 Alt. 2 StPO, nicht unbedingt i.S.d. § 77<br />

StGB) gestellt hat, gegen Einstellung nach § 170 <strong>II</strong> StPO<br />

• individuell-prozessuale Absicherung <strong>des</strong> Legalitätsprinzips<br />

• Ausgangspunkt: Bescheidung <strong>des</strong> Antragstellers durch StA, wenn<br />

diese auf einen Antrag hin nicht tätig wird oder Verfahren einstellt; ist<br />

Antragsteller auch Verletzter, Hinweis auf „Anfechtung“, § 171 StPO<br />

• Ablauf <strong>des</strong> Klageerzwingungsverfahrens<br />

∗ Beschwerde gegen Bescheid nach § 171 StPO an vorgesetzten<br />

Beamten der StA (= GStA) binnen zwei Wochen<br />

∗ wenn StA <strong>und</strong> GStA nicht abhelfen:<br />

∗ Antrag auf gerichtliche Entscheidung:<br />

• Zuständigkeit: OLG , § 172 IV StPO<br />

• antragsberechtigt: Antragsteller, der zugleich Verletzter (weite<br />

Auslegung!) ist<br />

• Frist: 1 Monat nach Entscheidung <strong>des</strong> GStA, § 172 <strong>II</strong> StPO<br />

• Form: § 172 <strong>II</strong>I StPO (insb. Unterzeichnung durch RA)<br />

• unzulässig bei Privatklagedelikten <strong>und</strong> Einstellung aus<br />

Opportunitätsgründen<br />

∗ Vorgehen <strong>und</strong> Entscheidung <strong>des</strong> Gerichts, §§ 173 – 175 StPO<br />

Bauer, Der prozessuale Tatbegriff, NStZ 2003, 174 ff. (prozessualer Tatbegriff;<br />

„Vorsicht“: m.E. ein bisschen „esoterisch“, aber für vertieftes Verständnis<br />

durchaus hilfreich)<br />

V<strong>II</strong>. Das Zwischenverfahren (§§ 199-211 StPO)<br />

Lit.: Zum Zwischenverfahren: Beulke Rn. 352 – 268; Engländer Rn. 171 – 175;<br />

Volk § 16 Rn. 1 - 25; zur gerichtlichen Zuständigkeit: Beulke Rn. 34 – 62; Volk<br />

§ 5 Rn. 1 - 19; zur strafprozessualen Tat: Beulke Rn. 512 – 525; Engländer<br />

Rn. 250 f.; Volk § 13 Rn. 1 – 13<br />

<br />

<br />

1. Vorbemerkung: Zweck <strong>des</strong> Zwischenverfahrens<br />

von Anklagebehörde unabhängige Instanz soll über Durchführung einer<br />

Hauptverhandlung entscheiden<br />

zusätzliche Verteidigungsmöglichkeit <strong>des</strong> Angeklagten nach Mitteilung der<br />

Anklageschrift<br />

Vertiefende Hinweise:<br />

a) Lesenswerte Entscheidung<br />

EuGH NJW 2003, 1173 m. Anm. Kudlich, JA 2004, 193 ff., sowie Radtke/Busch,<br />

NStZ 2003, 281 ff. (Reichweite <strong>des</strong> internationalen „ne bis in idem“ nach<br />

Art. 54 SDÜ bei Einstellung nach § 153a StPO)<br />

b) Aufsatz


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 29<br />

<br />

<br />

2. Gerichtszuständigkeiten erster Instanz<br />

Örtliche Zuständigkeit<br />

nach Prioritätsprinzip <strong>des</strong> ersten Eröffnungsbeschlusses:<br />

• Tatort (§ 7 StPO, zur Definition <strong>des</strong> Tatorts siehe § 9 StPO)<br />

• Wohnsitz <strong>des</strong> Angeklagten bzw. gewöhnlicher Aufenthaltsort (§ 8<br />

StPO)<br />

• tatsächlicher Ergreifungsort (§ 9 StPO) (wobei nach neuerer Ansicht<br />

<strong>des</strong> BGH entgegen die bislang h.L. nicht erforderlich ist, dass beim<br />

Ergreifen ein Haftbefehl oder <strong>des</strong>sen Voraussetzungen vorliegen)<br />

Auswahlermessen der StA (trotz Art. 101 GG bei<br />

Berücksichtigung sachlicher Gesichtspunkte zulässig)<br />

∗<br />

• weitere, sog. außerordentliche Gerichtsstände:<br />

∗ Zusammenhang, §§ 3, 13 StPO<br />

∗ gerichtliche Bestimmung, §§ 13a – 15 StPO<br />

sachliche Zuständigkeit (in erster Instanz)<br />

( siehe Schaubild am Ende <strong>des</strong> Kapitels)<br />

• Zuständigkeits- <strong>und</strong> Besetzungsregelungen in GVG<br />

• sachliche Zuständigkeit ist von Amts wegen jederzeit zu prüfen (§ 6<br />

StPO)<br />

• § 209 StPO: Eröffnungszuständigkeit<br />

Problemschwerpunkt:<br />

Behandlung <strong>und</strong> Folge von Fehlern in der sachlichen Zuständigkeit<br />

Wird zu Unrecht die Zuständigkeit eines höheren Gerichts angenommen, ist<br />

gemäß § 269 StPO keine Verweisung erforderlich/möglich, dies ist<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich kein angreifbarer Fehler. Eine Ausnahme wird in der<br />

willkürlichen, völlig unvertretbaren Annahme der Zuständigkeit gesehen (dann<br />

Revisionsgr<strong>und</strong> gem. § 338 Nr. 4 StPO).<br />

Wird zu Unrecht Zuständigkeit eines niedrigeren Gerichts angenommen, erfolgt<br />

gemäß § 270 StPO die Verweisung an das höhere Gericht von Amts wegen; die<br />

unterlassene Verweisung stellt einen Rechtsfehler dar, die bei zulässiger Revision<br />

gem. § 338 Nr. 4 StPO von Amts wegen zu prüfen ist.<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

• Bedeutung in der Revision:<br />

∗ Unzuständigkeit <strong>des</strong> Gerichts: § 338 Nr. 4 StPO (beachte aber<br />

§ 269 StPO, vgl. o.)<br />

∗ Fehlerhafte Besetzung <strong>des</strong> Gerichts: § 338 Nr. 1 StPO<br />

Terminologie:<br />

• beim LG: Strafkammern<br />

• beim OLG (<strong>und</strong> BGH): Strafsenate<br />

• in Bayern statt OLG: in erster Instanz (teilweise noch) BayObLG<br />

(siehe Art. 11 <strong>II</strong> Nr. 1 BayAGGVG)<br />

3. Ablauf <strong>des</strong> Zwischenverfahrens<br />

Einleitung durch Einreichung der Anklageschrift; notwendiger <strong>Inhalt</strong> nach<br />

§§ 199 <strong>II</strong>, 200 StPO:<br />

• sog. Anklagesatz (Angeschuldigter, Tat [insb. Ort <strong>und</strong> Zeit],<br />

gesetzliche Merkmale der Tat, anzuwendende Vorschriften)<br />

• Beweismittel; Gericht; Verteidiger; Ergebnisse der Ermittlungen;<br />

Antrag, Hauptverfahren zu eröffnen<br />

Mitteilung der Anklageschrift, u.U. Anordnung von Beweiserhebungen<br />

nach §§ 201, 202 StPO, ggf. Bestellung Pflichtverteidiger, § 141 StPO<br />

abschließende Entscheidung im Zwischenverfahren<br />

• Erlass eines Eröffnungsbeschlusses, §§ 203 ff. StPO<br />

∗ wenn Angeschuldigter „hinreichend verdächtig erscheint“, § 203<br />

StPO<br />

∗ <strong>Inhalt</strong>: §§ 207<br />

∗ Keine Bindung <strong>des</strong> Gerichts an rechtliche Wertung der StA, vgl.<br />

§ 206 StPO


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 30<br />

∗ Fehlen <strong>und</strong> Unwirksamkeit eines Eröffnungsbeschlusses<br />

• führt grds. zu Prozesshindernis, aber:<br />

• nach h.M. Nachholung in der Hauptverhandlung der 1. Instanz<br />

möglich (str.)<br />

∗ keine Anfechtbarkeit durch Beschuldigten, § 210 StPO<br />

∗ Wirkung: Rechtshängigkeit im Umfang <strong>des</strong> strafprozessualen<br />

Tatbegriffs ( siehe nachstehenden Exkurs), Folge: keine<br />

Rücknahme der Anklage durch StA mehr mgl., Gegenstand der<br />

Hauptverhandlung wird bestimmt<br />

• Ablehnung der Eröffnung<br />

∗ aus tatsächlichen oder materiell-rechtlichen Gründen bzw. wegen<br />

Fehlens von Prozessvoraussetzungen ( <strong>Inhalt</strong> <strong>des</strong><br />

Ablehnungsbeschlusses Gründe deutlich machen, ob rechtliche<br />

oder tatsächliche Gründe entscheidend)<br />

∗ sofortige Beschwerde der StA nach § 210 <strong>II</strong> StPO möglich<br />

∗ Rechtskraft: nach unanfechtbarem Ablehnungsbeschluss erneute<br />

Anklage nur noch aufgr<strong>und</strong> neuer Tatsachen oder Beweismittel<br />

möglich, § 211 StPO<br />

• sonstige Entscheidungsmöglichkeiten:<br />

∗ vorläufige Einstellung, § 205 S. 1 StPO (direkt o. analog, vgl. o.)<br />

∗ Einstellung aus Opportunitätsgründen mit Zustimmung <strong>des</strong><br />

Angeklagten <strong>und</strong> der StA (vgl. o.)<br />

§ 25 GVG:<br />

Amtsgericht<br />

Amtsrichter Schöffengericht erweitertes<br />

Schöffengericht<br />

– Vergehen<br />

(Straferwartung bis<br />

2 Jahre Strafe (<br />

aber Strafgewalt bis<br />

4 Jahre, § 24 <strong>II</strong><br />

GVG)<br />

– Privatklage<br />

§§ 28, 29 GVG,<br />

Voraussetzungen:<br />

– AG grds. zuständig (vgl.<br />

§§ 24, 74, 74a, 120<br />

GVG)<br />

– nicht Amtsrichter<br />

zuständig (nach h.M.<br />

abschließende<br />

Zuständigkeit <strong>des</strong><br />

Amtsrichters bei<br />

Straferwartung unter 2<br />

Jahren)<br />

§ 29 <strong>II</strong> GVG:<br />

– Zuständigkeit grds.<br />

wie Schöffengericht<br />

– aber 2. Berufsrichter<br />

wegen<br />

Schwierigkeit<br />

erforderlich<br />

– Antrag durch StA<br />

oder Eröffnung<br />

durch Gericht<br />

höherer Instanz<br />

Vertiefende Hinweise:<br />

a) Lesenswerte Entscheidungen<br />

− BGHSt 29, 224 (zur Nachholbarkeit eines fehlenden Eröffnungsbeschlusses<br />

in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung)<br />

− BGHSt 18, 225 (zum Strafklageverbrauch bei rechtskräftigem<br />

Ablehnungsbeschluss)<br />

b) Aufsätze<br />

− Rieß, Das Zwischen- oder Eröffnungsverfahren im Strafprozess, Jura 2002,<br />

735 ff.<br />

Schaubild zur sachlichen Zuständigkeit in erster Instanz:


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 31<br />

Große Strafkammer<br />

§ 74 GVG: Zuständigkeit<br />

für<br />

– alle Verbrechen, für die<br />

nicht AG oder OLG<br />

zuständig ist<br />

– Straferwartung über 4<br />

Jahre<br />

– Anklage vor LG wegen<br />

besonderer Bedeutung<br />

– § 76 <strong>II</strong> GVG:<br />

Entscheidung auch mit 2<br />

Berufsrichtern möglich (in<br />

Praxis Regelfall)<br />

Landgericht<br />

Kleine Strafkammer<br />

(nur bei Berufungen,<br />

§ 76 I GVG)<br />

Besondere Kammern<br />

– Schwurgericht, §§ 74 <strong>II</strong>,<br />

76 <strong>II</strong> GVG für<br />

bestimmte Verbrechen<br />

(insb. Tötungsdelikte<br />

<strong>und</strong><br />

Erfolgsqualifikationen<br />

– Staatsschutzkammer,<br />

mit To<strong>des</strong>folge)<br />

§ 74a GVG ( vgl.<br />

aber auch § 120 GVG)<br />

– Wirtschaftsstrafkammer,<br />

§ 74c GVG<br />

Exkurs: Straferwartung i.R.d. Zuständigkeitsbestimmung<br />

Zum Teil ist die Straferwartung für die Zuständigkeit ausschlaggebend (z.B. §§ 25<br />

Nr. 2, 74 I 2 GVG). Erforderlich ist hierfür eine Prognose über das Ergebnis der<br />

Hauptverhandlung. Erweist sich die Prognose im Nachhinein als falsch, ändert<br />

das nichts an der Zuständigkeit. (Beachte aber § 24 <strong>II</strong> GVG: Strafgewalt <strong>des</strong><br />

Amtsgerichts nur bis 4 Jahre Freiheitsstrafe.)<br />

V<strong>II</strong>I. Die Hauptverhandlung (ohne Beweisaufnahme)<br />

Lit.: Zur Hauptverhandlung: Beulke Rn. 368 – 401; Engländer Rn. 176 – 191;<br />

Volk § 17 Rn. 1 – 28; zum Öffentlichkeitsgr<strong>und</strong>satz: Engländer Rn. 27 f., zum<br />

Mündlichkeitsgr<strong>und</strong>satz: Beulke § 20 Rn. 407-409; zur gerichtlichen<br />

Fürsorgepflicht: Beulke Rn. 301, § 19 Rn. 383<br />

<br />

1. Vorbereitung der Hauptverhandlung (§§ 213 ff. StPO)<br />

Terminsbestimmung, § 213 StPO<br />

Oberlan<strong>des</strong>gericht<br />

<br />

<br />

Ladungen, §§ 214, 216 ff. StPO<br />

Zustellung <strong>des</strong> Eröffnungsbeschlusses, § 215 StPO<br />

§ 120 GVG<br />

(Staatsschutzsachen<br />

<strong>und</strong> Straftaten nach<br />

VölkerStGB)<br />

<br />

2. Die Hauptverhandlung (§§ 226 ff. StPO)<br />

Ablauf der Hauptverhandlung im Überblick (vgl. §§ 243, 244 I StPO)<br />

• Aufruf der Sache, § 243 I 1 StPO<br />

• Präsenzfeststellung, § 243 I 2 StPO


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 32<br />

<br />

• (gemeinsame) Zeugenbelehrung, § 57 StPO (kann auch später <strong>und</strong><br />

einzeln vor der jeweiligen Vernehmung erfolgen), Zeugen (ggf. mit<br />

Ausnahme <strong>des</strong> Nebenklägers) verlassen Sitzungssaal, § 243 <strong>II</strong> 1 StPO<br />

• Vernehmung <strong>des</strong> Angeklagten zur Person, § 243 <strong>II</strong> 3 StPO<br />

• Verlesung <strong>des</strong> Anklagesatzes, §§ 200, 207 <strong>II</strong>I, 243 <strong>II</strong>I StPO<br />

• Belehrung <strong>des</strong> Angeklagten über Aussagefreiheit, § 243 IV 1 StPO<br />

(auch wenn er vorher bereits nach § 136 StPO belehrt wurde; Verstoß<br />

kann Revisionsgr<strong>und</strong> sein)<br />

• Vernehmung zur Sache, § 243 IV 2 StPO<br />

• Beweisaufnahme (vgl. näher unten IX)<br />

• Schlussvorträge <strong>und</strong> letztes Wort, § 258 StPO<br />

• Beratung, Abstimmung, §§ 43, 45 DRiG, 193 GVG<br />

• Verkündung <strong>des</strong> Urteils, 260, 268 StPO<br />

Verhandlungsleitung durch den Vorsitzenden<br />

• § 238 I StPO: Verhandlungsleitung grds. durch Vorsitzenden (soweit<br />

nicht Zuständigkeit <strong>des</strong> gesamten Gerichts begründet, z.B. §§ 27 I,<br />

228 I 1 StPO)<br />

• als „Zwischenrechtsbehelf“ Antrag auf gerichtliche Entscheidung<br />

möglich, § 238 <strong>II</strong> StPO<br />

Zur Vertiefung:<br />

Die Sachleitungsrüge gem. § 238 <strong>II</strong> StPO<br />

Nach früher h.M. wurde zwischen formeller Verhandlungsleitung (rein äußere<br />

Umstände <strong>des</strong> Ablaufs, § 238 Abs.1 StPO) <strong>und</strong> Sachleitung (die Einfluss auf<br />

Urteil haben kann, § 238 Abs. 2 StPO) differenziert. Eine Rüge gemäß § 238 <strong>II</strong><br />

StPO war demnach nur bei der Sachleitung möglich.<br />

Nach neuerer (<strong>und</strong> inzwischen wohl herrschender) Ansicht findet grds. keine<br />

Unterscheidung zwischen Abs. 1 <strong>und</strong> 2 mehr statt. Die Anrufung <strong>des</strong> Gerichts<br />

ist vielmehr bei jeder Maßnahme zulässig, die die Verfahrensbeteiligten beschweren<br />

könnte.<br />

Zwar ist der Beschluss nach § 238 <strong>II</strong> StPO nach § 305 StPO nicht anfechtbar,<br />

soweit ein innerer Zusammenhang mit der Urteilsfällung besteht. Die fehlerhafte<br />

Sachleitung kann aber in der Revision (§§ 337, 338 StPO) gerügt werden.<br />

Voraussetzung für die Rüge in der Revision ist allerdings nach h.A. die Herbeiführung<br />

eines Beschlusses nach § 238 <strong>II</strong> StPO, sonst bleibt die Verfahrensrüge<br />

bei (verteidigtem) Angeklagten erfolglos [Gedanke <strong>des</strong> Verzichts bzw. der Verwirkung;<br />

str.!])<br />

Ausnahme: Unter gewissen Voraussetzungen kann die Revision auch ohne<br />

vorherige Anrufung <strong>des</strong> Gerichts erfolgen: so etwa bei von Gesetzes wegen<br />

unverzichtbaren Handlungen ohne Entscheidungsspielraum (Bsp.: wenn Einwilligung<br />

der Verfahrensbeteiligten unbeachtlich ist, etwa bei § 252 StPO) oder<br />

wenn kein Hinweis <strong>des</strong> unverteidigten Angeklagten auf die Möglichkeit <strong>des</strong><br />

Antrags auf Gerichtsbeschluss erfolgt ist.<br />

<br />

Öffentlichkeitsgr<strong>und</strong>satz<br />

Problemschwerpunkt:<br />

Bedeutung <strong>des</strong> Öffentlichkeitsgr<strong>und</strong>satzes:<br />

Dieser Gr<strong>und</strong>satz gibt jedermann das Recht, Hauptverhandlungen beizuwohnen<br />

(er gilt aber nicht für Ermittlungs-/Zwischenverfahren <strong>und</strong> für die gerichtliche<br />

Beratung). Umfasst davon ist auch, dass Ort <strong>und</strong> Zeit der Hauptverhandlung<br />

bekann gegeben werden. Die Zuhörer müssen in der Reihenfolge ihrer<br />

Ankunft eingelassen werden, ggf. können aber für Presse Plätze reserviert werden.<br />

Grenzen <strong>des</strong> Öffentlichkeitsgr<strong>und</strong>satz können sich aus Natur der Sache ergeben,<br />

besonders aus den vorhandenen Raumkapazitäten.<br />

Der Gr<strong>und</strong>satz ist z.B. schon dann verletzt, wenn sich am Gerichtsgebäude ein<br />

Schild mit der Aussage befindet, dass das Gericht freitags ab 13 Uhr geschlossen<br />

sei, die Verhandlung im Gebäude an einem Freitag ab bis nach 13 Uhr dauert<br />

(<strong>und</strong> zwar selbst dann, wenn die Tür noch offen war!).<br />

• positiv-rechtliche Regelung: § 169 S. 1 GVG


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 33<br />

<br />

<br />

• Sinn: Förderung <strong>des</strong> Vertrauens der Allgemeinheit in Rechtspflege<br />

<strong>und</strong> Kontrolle, Informationsinteresse<br />

• Verbot von Ton- <strong>und</strong> Fernsehaufnahmen nach § 169 S. 2 GVG<br />

• Ausnahmen<br />

∗ § 48 I JGG: Hauptverhandlung gegen Jugendliche<br />

∗ §§ 171a, 171b, 172 GVG: Ausschluss durch Gericht zum Schutz<br />

der Privatsphäre, der Sicherheit u.a.<br />

∗ §§ 175, 177 GVG: Ausschluss einzelner (z.B. „unerwachsener“)<br />

Personen<br />

∗ aber: Urteilsverkündung immer öffentlich, § 173 GVG (Ausnahme:<br />

<strong>II</strong>)<br />

• Sonderproblem: unzulässige Erweiterung der Öffentlichkeit: str., ob<br />

(absoluter) Revisionsgr<strong>und</strong> gegeben<br />

• Revision: § 338 Nr. 6 StPO, absoluter Revisionsgr<strong>und</strong> (allerdings in<br />

jüngerer Zeit restriktive Auslegung <strong>des</strong> BGH bei Formverstößen wie<br />

mangelnder Begründung nach § 174 I 3 GVG)<br />

Mündlichkeitsgr<strong>und</strong>satz<br />

• positiv-rechtliche Regelung v.a. in §§ 261, 264 StPO<br />

• Sinn: „offener“ rechtsstaatlicher Strafprozess im Unterschied zum<br />

geheimen schriftlichen Prozess<br />

• Urk<strong>und</strong>en müssen i.d.R. verlesen werden, § 249 StPO<br />

• <strong>Inhalt</strong>: Gegenstand <strong>des</strong> Urteils darf nur sein, was mündlich verhandelt<br />

wurde (vgl. z.B. § 249 I StPO)<br />

• Bedeutung v.a. auch für Schöffen, die oft keine Einsicht in die Gerichtsakten<br />

haben<br />

• Beachte aber: Möglichkeit, für „Anträge <strong>und</strong> Anregungen“ Schriftform<br />

anzuordnen, § 257a StPO, als Durchbrechung <strong>des</strong> Mündlichkeitsgr<strong>und</strong>satzes<br />

(z.B. für Beweisanträge; nicht Erklärungen zur materiellen<br />

Rechtslage, z.B. nach § 257 StPO)<br />

Anwesenheit der Beteiligten<br />

• Gericht: § 226 StPO ( erforderlichenfalls Ergänzungsrichter, § 192<br />

<strong>II</strong>, <strong>II</strong>I GVG); sonst Revisionsgr<strong>und</strong>: § 338 Nr. 1 StPO<br />

<br />

<br />

• StA <strong>und</strong> Urk<strong>und</strong>sbeamter: § 226 StPO (allerdings nicht immer gleiche<br />

Person erforderlich); sonst Revisionsgr<strong>und</strong>: § 338 Nr. 5 StPO<br />

beachte aber: nach § 226 <strong>II</strong> StPO kann Strafrichter (nur dieser!) entscheiden,<br />

ohne Urk<strong>und</strong>sbeamten zu verhandeln <strong>und</strong> muss dann Protokoll<br />

selbst aufnehmen (sonst ebenfalls Revisionsgr<strong>und</strong>)<br />

• Verteidiger: Anwesenheitspflicht nur bei notwendiger Verteidigung<br />

(§ 140 StPO, vgl. o. VI.2.b); Revision: § 338 Nr. 5 StPO<br />

• Angeklagter<br />

∗ grds. Anwesenheit erforderlich, §§ 230 I, 231 I 1 StPO<br />

∗ Ausnahmen: v.a. §§ 231 <strong>II</strong>, 231a, 231b, 232 StPO; §§ 329, 350, 387,<br />

412 StPO<br />

∗ vorübergehender Ausschluss: § 247 StPO<br />

∗ beachte auch § 247a StPO: „Videovernehmung“ eines Zeugen,<br />

wenn <strong>des</strong>sen Sicherheit durch § 247 StPO nicht gewährleistet ist<br />

∗ Revision: § 338 Nr. 5 StPO<br />

Andere Rechte der Beteiligten<br />

• Beweisantragsrecht (vgl. näher unten IX.)<br />

• Fragerecht: § 240 I, <strong>II</strong> StPO<br />

∗ Möglichkeit der Zurückweisung unzulässiger Fragen, § 241 <strong>II</strong> StPO<br />

∗ Entziehung <strong>des</strong> Fragerechts dagegen sehr str.<br />

• Kreuzverhör, § 239 StPO (mit Möglichkeit der Entziehung, § 241 I<br />

StPO), kaum praktische Relevanz<br />

• Erklärungsrecht, § 257 StPO<br />

• Schlussvorträge <strong>und</strong> letztes Wort, § 258 StPO<br />

• Revision: bei unzulässigen Einschränkungen: u.U. § 338 Nr. 8 StPO<br />

Hinweispflicht <strong>und</strong> Nachtragsanklage<br />

• § 265 StPO: Hinweispflicht <strong>des</strong> Gerichts, wenn Angeklagter aufgr<strong>und</strong><br />

von anderen als der in der zugelassenen Anklage genannten Strafgesetze<br />

verurteilt werden soll, soweit gleiche Tat im prozessualen Sinn<br />

betroffen ist<br />

• § 266 StPO: Erfordernis einer Nachtragsanklage, wenn andere Taten<br />

im strafprozessualen Sinn mit abgeurteilt werden sollen


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 34<br />

<br />

<br />

Allgemeine Fürsorgepflicht <strong>des</strong> Gerichts<br />

• gesetzliche Ausprägungen z.B.: § 265 IV StPO (Aussetzung der Verhandlung<br />

wegen veränderter Sachlage); § 244 <strong>II</strong> StPO (Aufklärungspflicht<br />

<strong>des</strong> Gerichts)<br />

• über spezielle Ausprägungen hinaus durch Rechtsstaatsprinzip <strong>und</strong><br />

fair-trial-Gr<strong>und</strong>satz gewährleistet<br />

• Konsequenzen kasuistisch <strong>und</strong> i.e.str.; Bedeutung v.a. bei unverteidigten<br />

Angeklagten<br />

Das Hauptverhandlungsprotokoll, §§ 271 ff. StPO<br />

• § 271 I StPO: über Hauptverhandlung ist Protokoll aufzunehmen<br />

• <strong>Inhalt</strong><br />

∗ „Protokollkopf“: § 272 StPO<br />

∗ Gang <strong>und</strong> Ergebnisse der Hauptverhandlung sowie Beachtung aller<br />

wesentlichen Förmlichkeiten (§ 273 StPO)<br />

• Beweiskraft <strong>des</strong> Protokolls<br />

∗ Beachtung der wesentlichen Förmlichkeiten kann nur durch Protokoll<br />

bewiesen werden (§ 274 S. 1 StPO)<br />

• positive Beweiskraft: protokollierte wesentliche Förmlichkeiten<br />

gelten als geschehen (selbst wenn sie nicht stattgef<strong>und</strong>en haben)<br />

• negative Beweiskraft: nicht protokollierte wesentliche Förmlichkeiten<br />

gelten als nicht geschehen (selbst wenn sie tatsächlich beachtet<br />

wurden)<br />

∗ In Revision ist eine auf das Protokoll gestützte Rüge von Verfahrensverstößen<br />

möglich, nicht dagegen eine reine „Protokollrüge“<br />

(also Rüge, das Protokoll sei falsch)<br />

∗ gegen den die Einhaltung der Form betreffenden <strong>Inhalt</strong> ist nur<br />

Nachweis der Fälschung möglich, § 274 S. 2 StPO (praktisch so gut<br />

wie nie erfolgreich)<br />

∗ Wegfall der Beweiskraft<br />

• äußerliche Fehler, die <strong>Inhalt</strong> beeinträchtigen können, z.B. Rasuren<br />

o.ä.<br />

• Meinungsverschiedenheiten zwischen den Urk<strong>und</strong>spersonen<br />

(Urk<strong>und</strong>sbeamter <strong>und</strong> Vorsitzender)<br />

<br />

• offensichtliche Lücken, Unklarheiten oder Widersprüche (Abgrenzung<br />

zum bloßen Schweigen <strong>des</strong> Protokolls; nach neuerer<br />

Rspr. <strong>des</strong> BGH auch bei „Verstoß“ <strong>des</strong> Protokollinhalts gegen<br />

allgemeine forensische Erfahrung [sehr zw.!])<br />

Beweiskraft aufgehoben, soweit Fehler, Unklarheiten etc. reichen<br />

( damit Weg für andere Beweismittel frei)<br />

• Protokollberichtigung<br />

∗ noch nicht fertig gestelltes Protokoll frei änderbar, wenn beide Urk<strong>und</strong>spersonen<br />

es für erforderlich halten<br />

∗ fertiggestelltes Protokoll<br />

• grds. ebenfalls (von Amts wegen oder auf Antrag) korrigierbar<br />

• Änderungen zugunsten <strong>des</strong> Angeklagten auch in Revision zu berücksichtigen<br />

• dagegen darf nach eingelegter Revision einer zulässigen Rüge<br />

durch Protokollberichtigung nicht „der Boden entzogen“ werden<br />

Der Deal im Strafverfahren<br />

• Begriff: Absprachen zwischen den Strafverfolgungsorganen <strong>und</strong> dem<br />

Beschuldigten<br />

• Ziel: vorbesprochene Verfahrensgestaltung oder –beendigung<br />

• in StPO keine Regelung über Absprachen Zulässigkeit <strong>und</strong> Bedürfnis<br />

kontrovers diskutiert<br />

• <strong>Inhalt</strong>: oft Abgabe eines Geständnisses gegen Zusicherung einer<br />

Strafmilderung<br />

• Einwände gegen Absprachen z.B.<br />

∗ Bedenken mit Blick auf Öffentlichkeit, Mündlichkeit <strong>und</strong> Unmittelbarkeit<br />

∗ Beeinträchtigung der Anwesenheits- <strong>und</strong> Mitwirkungsrechte; Gefahr<br />

einer bloßen Objektrolle <strong>des</strong> Angeklagten<br />

∗ Gefährdung <strong>des</strong> Prinzips der schuldangemessenen Strafe<br />

(§ 46 StGB)<br />

∗ Aushöhlung der Unschuldsvermutung, <strong>des</strong> in-dubio-pro-reo-<br />

Gr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> <strong>des</strong> nemo-tenetur-Prinzips


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 35<br />

∗ Gefahr der Befangenheit<br />

Problemschwerpunkt<br />

Leitlinien der Rechtsprechung zum Deal im Strafverfahren<br />

(vgl. inbs. BGHSt 50, 40; 43, 195)<br />

Absprachen im Strafverfahren sind nicht per se unzulässig., müssen aber grds.<br />

durch Verständigung in der Hauptverhandlung <strong>und</strong> unter Mitwirkung aller Beteiligten<br />

stattfinden (bei Kontaktaufnahme außerhalb Hauptverhandlung muss<br />

die Offenlegung in Hauptverhandlung erfolgen). Das Ergebnis muss als wesentliche<br />

Förmlichkeit im Protokoll niedergelegt werden.<br />

Durch Absprachen wird das Gericht nicht von der Ermittlungspflicht entb<strong>und</strong>en<br />

(auch nicht bei einem Geständnis). Es ist unzulässig, die Absprachebereitschaft<br />

<strong>des</strong> Angeklagten durch die Drohung mit einer ansonsten höheren Strafe<br />

zu „erpressen“. Zudem dürfen keine festen Zusagen gemacht werden (aber es<br />

dürfen Strafobergrenzen genannt werden, die bindend sind, wenn keine neuen<br />

Gesichtspunkte auftauchen). Bei der Setzung solcher Obergrenzen sind allgemeine<br />

Strafzumessungserwägungen zu berücksichtigen, wobei nicht negativ<br />

gewertet werden soll, dass ein Geständnis im Rahmen einer Verständigung<br />

erfolgte.<br />

Das Gericht darf im Rahmen einer Absprache weder an der Erörterung eines<br />

Rechtsmittelverzichts mitwirken noch auf einen solchen hinwirken. Die Vereinbarung<br />

eines Rechtsmittelverzichts ist unzulässig <strong>und</strong> wirkungslos. Unabhängig<br />

davon, ob eine solche Vereinbarung getroffen wurde, kann der Angeklagte aber<br />

nach der Verkündung <strong>des</strong> Urteils wirksam auf Rechtsmittel verzichten, wenn er<br />

zuvor darüber belehrt wurde, dass er in jedem Fall (also unabhängig von einem<br />

eventuell vereinbarten Verzicht) Rechtsmittel einlegen kann (sog. qualifizierte<br />

Belehrung). Eine solche qualifizierte Belehrung ist nach jedem auf eine Urteilsabsprache<br />

ergehenden Urteil zu geben (unabhängig davon, ob ein Rechtsmittelverzicht<br />

vereinbart wurde oder nicht). Fehlt sie, so ist ein erklärter Rechtsmittelverzicht<br />

in jedem Fall unwirksam.<br />

• Risiko der Nichteinhaltung der Absprache liegt beim Angeklagten;<br />

neuere Rspr aber: ohne schwerwiegende neue Umstände Bindung <strong>des</strong><br />

Gerichts;<br />

∗ falls Deal „fehlschlägt“, keine Verwendung <strong>des</strong> Geständnisses zur<br />

Beweisführung (wohl aber Honorierung bei Strafzumessung)<br />

∗ denkbare Folgen bei „fehlgeschlagenem Deal“ (i.e. noch sehr str.):<br />

• Prozesshindernis?<br />

• Beweisverwertungsverbot?<br />

• Strafmilderung?<br />

Vertiefende Hinweise:<br />

a) Lesenswerte Entscheidungen<br />

− BGHSt 50, 40 (Entscheidung <strong>des</strong> Großen Strafsenats) mit Anm. Salinger,<br />

JuS 2006, 8, <strong>und</strong> Mosbacher, JuS 2006, 39 sowie zum vorangehenden Vorlagebeschluss<br />

<strong>des</strong> 3. Strafsenats Kudlich, JuS 2006, 84<br />

− BGHSt 36, 119 ([Fall Weimar] zur Frage der unzulässigen Erweiterung der<br />

Öffentlichkeit entgegen § 169 S. 2 GVG)<br />

− BGHSt 2, 14 (zur Frage, ob schlafender Richter Revisionsgr<strong>und</strong> ist)<br />

− BGHSt 18, 257; 19, 101 (zur Verletzung der gerichtlichen Fürsorgepflicht<br />

im Zusammenhang mit Rechtsmittelverzicht)<br />

− BGHSt 42, 191 m. Anm. Beulke/Satzger, JuS 1997, 1072 ff.<br />

− BGHSt 43, 195-212 (zur Zulässigkeit einer Verständigung im Strafverfahren<br />

[„Deals“]) m. Anm. Hermann, JuS 1999, 1162 ff.<br />

− BGHSt 45, 227 m. Anm. Satzger, JuS 2000, 1157 ff.<br />

− BGHSt 48, 161 (zur Glaubhaftigkeit <strong>des</strong> Geständnisses eines Mitangeklagten<br />

bei Absprachen)<br />

− BGH NStZ 2003, 563 m. Anm. Schlothauer, StV 2003, 481 (zur fehlenden<br />

Bindung einer zugesagten Strafobergrenze durch das Gericht ohne Abstimmung<br />

mit der Staatsanwaltschaft sowie zum Verdacht der Befangenheit wegen<br />

einer solchen Absprache)<br />

− BGH NStZ 2005, 160 mit Anm. Kudlich, JuS 2005, 381 (negative Beweiskraft<br />

<strong>des</strong> Protokolls <strong>und</strong> Selbstleseverfahren beim Urk<strong>und</strong>sbeweis)<br />

b) Aufsätze<br />

− Artkämper, NJW 1998, 409 (Verständigung im Strafverfahren)


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 36<br />

− Diemer, NStZ 2001, 393ff. (zur Videovernehmung nach § 247a StPO; nur<br />

für außerordentlich Interessierte)<br />

− Fahl, JA 2003, 11 ff. (Rechtsmittelverzicht nach Absprache)<br />

− Kudlich JA 2000, 970 (Öffentlichkeit)<br />

− Ranft, JuS 1994, 785 –789, 867 – 870 (HV-Protokoll)<br />

− Schmitt, GA 2001, 411 ff. (kritisch <strong>und</strong> lesenswert zur BGH-Rspr. zum Deal<br />

als Konsequenz angedrohten Missbrauchs aus Sicht <strong>des</strong> Tatgerichts)<br />

c) Fälle mit Schwerpunkten beim Hauptverfahren:<br />

− Fezer, StPO, Fall 11<br />

− Küpper/Bode, Jura 1999, 351-362 <strong>und</strong> 393-401 (zu Absprachen im Strafverfahren)<br />

− Esser, Jura 2003, 782 ff. (zu Absprachen im Strafverfahren)<br />

IX. Das Beweisrecht, insb. die Beweisaufnahme in der<br />

Hauptverhandlung<br />

Lit.: Beulke Rn. 179 – 207; 402 – 487; Engländer Rn. 192 – 247; Volk §§ 21 – 29<br />

1. Begriffe <strong>und</strong> allgemeine Gr<strong>und</strong>sätze<br />

<br />

• Freibeweisverfahren: gilt für Verfahrensfragen <strong>und</strong> vor Hauptverfahren<br />

auch für Schuld- <strong>und</strong> Rechtsfolgenfragen keine Bindung an gesetzliche<br />

Beweismittel<br />

Beweisbedürftige Tatsachen: grds. sämtliche für die gerichtliche Entscheidung<br />

irgendwie erheblichen Tatsachen, die nicht offenk<strong>und</strong>ig<br />

sind, d.h. nicht<br />

∗ allgemeink<strong>und</strong>ig oder<br />

∗ gerichtsk<strong>und</strong>ig<br />

∗<br />

• unterscheide dabei (Terminologie i.e. uneinheitlich):<br />

∗ Haupttatsachen (Tatsachen, die unmittelbar Strafbarkeit begründen<br />

oder ausschließen)<br />

∗ Indiztatsachen (Tatsachen, die einen Schluss auf eine unmittelbar<br />

erhebliche Tatsache zulassen)<br />

∗ Hilfstatsachen (Tatsachen, die einen Schluss auf die Güte eines Beweismittels<br />

zulassen)<br />

2. Arten von Beweismitteln<br />

Ausgangspunkt: numerus clausus der Beweismittel im Strengbeweisverfahren:Sachverständige,<br />

Augenschein, Beschuldigter, Urk<strong>und</strong>en, Zeugen<br />

(Merkwort: „SABUZ“)<br />

<br />

<br />

<br />

Beweisaufnahme = Ermittlung der Tatsachen <strong>und</strong> Erfahrungssätze, die<br />

für Entscheidung von Bedeutung sind (vgl. auch Aufklärungspflicht, § 244<br />

<strong>II</strong> StPO), vgl. §§ 244-256, 261 StPO<br />

Gr<strong>und</strong>satz der freien Beweiswürdigung, § 261 StPO: es genügt ein nach<br />

der Lebenserfahrung ausreichen<strong>des</strong> Maß an Sicherheit, gegenüber dem<br />

vernünftige Zweifel nicht mehr bestehen<br />

Beweisverfahren:<br />

• Strengbeweisverfahren: gilt für Schuld- <strong>und</strong> Rechtsfolgenfragen im<br />

Hauptverfahren numerus clausus der Beweismittel, vgl. unten 2<br />

<br />

Zeugenbeweis, §§ 48 ff. StPO<br />

• Begriff <strong>des</strong> Zeugen: persönliches Beweismittel; Person, die in nicht<br />

gegen sie gerichtetem Verfahren ihre Wahrnehmungen von Tatsachen<br />

berichtet (nicht: Rechtsmeinungen oder Werturteile)<br />

• „Zeuge vom Hörensagen“: ebenfalls Zeuge, Gegenstand der Zeugenaussage<br />

ist dann aber nur, dass/was Zeuge von einer anderen Person<br />

gehört hat ( Probleme unter Gesichtspunkten von Unmittelbarkeit<br />

<strong>und</strong> Aufklärungspflicht, geringerer Beweiswert; vgl. auch unten 4)<br />

• Sonderproblem: andere Verfahrensbeteiligte als Zeugen<br />

• Zeugenpflichten


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 37<br />

∗ auf ordnungsgemäße Ladung hin Pflicht zum Erscheinen vor Richter<br />

(§§ 48, 51 StPO) oder StA (§ 161a I 1 StPO), nicht aber bei der<br />

Polizei<br />

∗ grds. Pflicht, wahrheitsgemäß auszusagen ( für Aussagen bei Gericht:<br />

§§ 153 ff. StGB, §§ 57 S.1, 66c StPO, bei StA: §§ 57 S.1, 161a<br />

StPO)<br />

∗ Pflicht, Aussage auf Anordnung <strong>des</strong> Gerichts zu beeiden, §§ 59, 62,<br />

63 StPO (gilt nur vor Gericht, § 161a I 3 StPO),<br />

∗ Ausnahmen:<br />

• Vereidigungsverbote nach § 60 StPO<br />

• Ei<strong>des</strong>verweigerungsrecht, § 61 StPO<br />

• Gang der Zeugenvernehmung<br />

∗ Ggf. Beiordnung eines Zeugenbeistands (§ 68b StPO)<br />

∗ Belehrung nach § 57 StPO<br />

∗ Vernehmung einzeln <strong>und</strong> in Abwesenheit späterer Zeugen, § 58 I<br />

S. 1 StPO (Ausnahme nach S. 2: Nebenkläger)<br />

∗ Befragung zur Person, § 68 StPO (unter Beachtung <strong>des</strong> neuen<br />

§ 68a <strong>II</strong> StPO)<br />

∗ Vernehmung zur Sache, § 69 StPO (unter Beachtung <strong>des</strong> neuen<br />

§ 68a StPO)<br />

∗ ggf. Vereidigung, § 59 ff. StPO<br />

∗ Sonderfall: Aufzeichnung der Vernehmung nach § 58a StPO<br />

• Zeugnisverweigerungsrechte (ZVR)<br />

∗ Angehörige, § 52 StPO<br />

• Hintergr<strong>und</strong>: Schutz vor Zwangslage; Wahrung <strong>des</strong> Familienfriedens;<br />

Gefahr von Falschaussagen<br />

• vgl. u.a. §§ 1589, 1590 BGB<br />

• auch noch nach Ende der Ehe/eingetragenen Lebenspartnerschaft<br />

• Verlobung muss zur Zeit der Aussage bestehen, nicht zur Zeit<br />

der Tat (Missbrauchsgefahr!)<br />

• Sonderproblem: nichtehelicher Lebenspartner (zu unterscheiden<br />

von [eingetragenen] Lebenspartnern nach § 52 I Nr. 2a <strong>und</strong><br />

Nr. 1 StPO!) <strong>und</strong> „Verlöbnisse“ von noch Verheirateten<br />

• Sonderproblem: Angehöriger eines von mehreren Beschuldigten:<br />

− grds. für § 52 StPO ausreichend<br />

− gilt auch nach Verfahrenstrennung (nicht dagegen,<br />

wenn von Anfang an zwei Verfahren; auch str., wenn<br />

Gefahr für Angehörigen <strong>des</strong> Zeugen ausgeschlossen)<br />

− nach BGH auch kein ZVR, wenn nach rechtskräftigem<br />

Abschluss <strong>des</strong> Verfahrens gegen den Mitbeschuldigten<br />

<strong>des</strong> Angehörigen weiter ermittelt wird<br />

• Belehrungspflicht, § 52 <strong>II</strong>I StPO ( bei Verstoß grds. Verwertungsverbot,<br />

vgl. nachfolgende Übersicht <strong>und</strong> u. 5.)<br />

Praxishinweis:<br />

Beachte: Ein Zeugnisverweigerungsrecht entbindet nicht von der Wahrheitspflicht;<br />

d.h. wenn eine Zeugenaussage gemacht wird, muss diese wahrheitsgemäß<br />

sein!<br />

∗ Berufsgeheimnisträger: §§ 53, 53a StPO<br />

• Hintergr<strong>und</strong>: Schutz <strong>des</strong> Vertrauens in die Institutionen<br />

• insb. Geistliche, Verteidiger, Rechtsanwälte, Ärzte, Pressemitarbeiter<br />

(allerdings Einschränkungen bei letzteren seit 2002 durch<br />

§ 53 I Nr. 5 S. 2, 3, <strong>II</strong> S. 2, 3 StPO, insbesondere bei bestimmten<br />

Straftaten)<br />

• keine Belehrung vorgeschrieben<br />

− nach h.M. Aussage (trotz evtl. Strafbarkeit nach § 203<br />

StGB) ohne Belehrung verwertbar (str.)<br />

− allerdings bei falscher Belehrung unverwertbar<br />

• entsprechend wie bei § 52 StPO auch ausreichend, wenn Sonderbeziehung<br />

zu einem Mitbeschuldigtem besteht<br />

• Beschränkung der Aussagepflicht, § 54 StPO<br />

∗ Richter, Beamte u.a. bedürfen einer Aussagegenehmigung nach beamtenrechtlichen<br />

Vorschriften<br />

∗ aber nur Beweiserhebungsverbot, bei Verstoß kein Verwertungsverbot<br />

(zu den Verwertungsverboten vgl. nachfolgende Übersicht<br />

<strong>und</strong> u. 5.), da


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 38<br />

• Rechtskreis <strong>des</strong> Angeklagten nicht betroffen<br />

• Schutzzweck erledigt<br />

• Auskunftsverweigerungsrecht, § 55 StPO<br />

∗ Hintergr<strong>und</strong>: Schutz <strong>des</strong> Zeugen vor Selbstbelastung (nemo tenetur-Gedanke)<br />

∗ für alle Zeugen bzgl. solcher Fragen, deren Beantwortung die Gefahr<br />

der Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit<br />

für ihn oder Angehörigen mit sich bringt (also nicht, wenn Gefahr<br />

der Strafverfolgung ausgeschlossen, etwa bei Verjährung)<br />

∗ Zeuge muss Auskunftsverweigerung ausdrücklich erklären, das davor<br />

Ausgesagte bleibt verwertbar<br />

∗ Belehrungspflicht, § 55 <strong>II</strong> StPO<br />

∗ bei Verstoß gegen Belehrungspflicht nach h.M. kein Verwertungsverbot,<br />

da nur Rechtskreis <strong>des</strong> Zeugen betroffen (str.; a.A.: Konfliktzeuge<br />

ist auch schlechteres Beweismittel)<br />

∗ dagegen bei fehlender Belehrung Unverwertbarkeit einer Aussage in<br />

späterem Verfahren gegen Zeugen (zu den Verwertungsverboten<br />

vgl. nachfolgende Übersicht <strong>und</strong> u. 5.)<br />

Zusammenfassende Übersicht zu den Zeugnis- <strong>und</strong> Auskunftsverweigerungsrechten<br />

Vorschrift:<br />

Berechtigter? Gr<strong>und</strong>? Belehrung? Folge bei Verstoß<br />

§ 52 Ehegatten (auch ehemalige),<br />

Verlobte (inkl. Versprechen<br />

der Lebenspartnerschaft),<br />

Verwandte<br />

(gerade Linie oder bis<br />

3. Grad, vgl. §§ 1589 f.<br />

BGB), Verschwägerte<br />

(typisierte)<br />

Konfliktsituation<br />

bei<br />

enger sozialer<br />

Verb<strong>und</strong>enheit<br />

erforderlich<br />

nach<br />

§ 52 <strong>II</strong>I 1<br />

bei fehlender Belehrung<br />

Verwertungsverbot<br />

(sonst:<br />

Revision (+),<br />

§§ 261, 337)<br />

[Ausnahme: Angehöriger<br />

hätte sicher<br />

(gerade Linie oder bis<br />

ausgesagt oder kannte<br />

ZVR]<br />

2. Grad), Lebenspartner<br />

§§ 53,<br />

53a<br />

Berufsgeheimnisträger<br />

<strong>und</strong> gewisse Gehilfen<br />

§ 54 zur Verschwiegenheit<br />

verpflichtete öffentliche<br />

Bedienstete (vgl.<br />

§§ 61, 62 BBG)<br />

§ 55 jeder Zeuge bei der<br />

Gefahr der Verfolgung<br />

wg. Straftat / OWi für<br />

Zeugen oder Angehörigen<br />

durch die Beantwortung<br />

Vertrauensverhältnis<br />

zu<br />

Berufsgruppe;<br />

Strafbarkeit<br />

nach<br />

§ 203 StGB<br />

staatliche<br />

Geheimhaltungsinteressen<br />

keine Verpflichtung<br />

zur Selbstbelastung<br />

grds. nicht<br />

vorgesehen,<br />

nur bei offensichtl.<br />

Unkenntnis<br />

wie bei § 53<br />

§ 55 <strong>II</strong> (neben<br />

§ 52 <strong>II</strong>I 1!)<br />

Verwertungsverbot<br />

mangels Belehrungspflicht<br />

grds. (-<br />

); wenn Belehrung<br />

erfolgt, muss sie<br />

aber richtig sein,<br />

sonst § 337<br />

Verwertungsverbot<br />

(-), zumal sich auch<br />

Schutzzweck erledigt<br />

hat<br />

Verwertungsverbot<br />

str.:<br />

• h.M. (-), Rechtskreistheorie<br />

• Teil der Lit. (+),<br />

unzuverlässiges<br />

Beweismittel<br />

<br />

Der Sachverständigenbeweis, §§ 72 ff. StPO


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 39<br />

<br />

• Begriff: Personalbeweis, der besondere, dem Richter fehlende Sachk<strong>und</strong>e<br />

einbringt („Gehilfe <strong>des</strong> erkennenden Gerichts“)<br />

• Abgrenzung Zeuge/Sachverständiger:<br />

∗ Zeuge berichtet über eigene Wahrnehmungen<br />

∗ Sachverständiger berichtet über Erfahrungssätze/Sachk<strong>und</strong>e<br />

∗ Sonderproblem sachverständiger Zeuge: Zeuge, der über Wahrnehmungen<br />

berichtet, die er aufgr<strong>und</strong> seiner Sachk<strong>und</strong>e machen<br />

konnte (spezieller Gutachtenauftrag fehlt; er ist anders als der Sachverständige<br />

nicht auswechselbar Behandlung als Zeuge, § 85<br />

StPO)<br />

• Das Gutachten <strong>des</strong> Sachverständigen<br />

∗ dem Gutachten zugr<strong>und</strong>egelegte Tatsachen (sog. Anknüpfungstatsachen)<br />

• Bef<strong>und</strong>tatsachen: Kann der Sachverständige nur aufgr<strong>und</strong> seiner<br />

besonderen Sachk<strong>und</strong>e erkennen (z.B. Sektionsergebnis) (<br />

werden im Wege der gutachterlichen Stellungnahme eingeführt)<br />

• Zusatztatsachen: Hat zwar der Sachverständige „bei Gelegenheit“<br />

festgestellt, hätte aber auch Gericht selbst in Erfahrung<br />

bringen können ( werden im Wege <strong>des</strong> Zeugenbeweises eingeführt)<br />

∗ Auswertung durch das Gericht: (innerhalb der Grenzen der Denkgesetze)<br />

auch hier freie Beweiswürdigung; keine pauschale Übernahme<br />

der Ergebnisse zulässig<br />

• Sonstiges<br />

∗ § 72 StPO: grds. vergleichbare Pflichten wie Zeugen<br />

∗ § 74 StPO: Ablehnung <strong>des</strong> Sachverständigen wie beim Richter<br />

∗ § 76 StPO: Gutachtenverweigerungsrecht, grds. wie beim Zeugen<br />

∗ grds. keine Belehrungspflichten durch den Sachverständigen gegenüber<br />

Beschuldigtem/Zeugen (str.)<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Urk<strong>und</strong>enbeweis, §§ 249 ff. StPO<br />

• Begriff: Schriftstück mit verlesbarem Gedankeninhalt (teils enger,<br />

teils weiter als in § 267 StGB)<br />

• Einführung: grds. Verlesung, § 249 I 1 StPO (Mündlichkeitsprinzip),<br />

Ausnahmen in § 249 <strong>II</strong> StPO (sog. Selbstleseverfahren — dabei müssen<br />

sowohl die Berufsrichter als auch die Schöffen die Urk<strong>und</strong>en tatsächlich<br />

lesen, ihre Kenntnisnahme ist als wesentliche Förmlichkeit<br />

zu protokollieren); Grenzen der Verlesbarkeit aus Unmittelbarkeitsgr<strong>und</strong>satz,<br />

§§ 250 ff. StPO (vgl. u. 4)<br />

Augenscheinsbeweis, § 86 StPO<br />

• Begriff: sinnliche Wahrnehmung von Personen oder Sachen durch<br />

Sehen, Hören, Fühlen, Schmecken oder Riechen<br />

• u.U. Augenscheinseinnahme durch „Augenscheinsgehilfen“ oder<br />

substituierte Beweismittel (Bsp.: Foto statt Ortsbesichtigung) gewisse<br />

Durchbrechung <strong>des</strong> Unmittelbarkeitsgr<strong>und</strong>satzes<br />

• Sonderproblem: Abgrenzung zur Urk<strong>und</strong>e ( je nachdem, ob es auf<br />

<strong>Inhalt</strong> oder körperliche Beschaffenheit <strong>des</strong> Schriftstücks ankommt)<br />

• erleichterte Ablehnung von Beweisanträgen nach § 244 V StPO<br />

3. Das Beweisantragsrecht in der Hauptverhandlung<br />

Ausgangspunkt: Beweisantragsrecht als Ausfluss <strong>des</strong> Anspruchs auf rechtliches<br />

Gehör<br />

im Gesetz nicht ausdrücklich angeordnet, aber in §§ 244 - 246 StPO vorausgesetzt<br />

(für das Antragsrecht vor der Hauptverhandlung Regelungen<br />

z.B. in §§ 136 I 3, 163a <strong>II</strong>, 166 I StPO)<br />

Begriff<br />

• Begehren eines Prozessbeteiligten auf eine Beweiserhebung unter<br />

Angabe<br />

∗ der zu beweisenden Tatsache ( als feststehend behauptet <strong>und</strong> bestimmt<br />

angegeben, kein bloßes Beweisziel) <strong>und</strong><br />

∗ <strong>des</strong> zu verwendenden Beweismittels ( <strong>des</strong> Strengbeweises, ausreichend<br />

individualisiert)<br />

• Abgrenzung


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 40<br />

∗ Beweisermittlungsantrag: Verlangen <strong>des</strong> Antragstellers w.o., aber<br />

Tatsache oder Beweismittel zu unbestimmt<br />

∗ Beweisanregung: geringere Intensität <strong>des</strong> Beweisbegehrens gegenüber<br />

Beweisantrag (häufig bei nicht hinreichend spezifischer Behauptung<br />

von Negativtatsachen)<br />

können der Aufklärungspflicht unterliegen (§ 244 <strong>II</strong> StPO)<br />

−<br />

−<br />

−<br />

§ 244 IV 2 StPO: Sachverständiger, wenn durch das<br />

frühere Gutachten Gegenteil bewiesen ist<br />

§ 244 V 1 StPO: Augenscheinseinnahme im Ermessen<br />

<strong>des</strong> Gerichts<br />

§ 244 V 2 StPO: Zeuge, wenn Ladung im Ausland zu<br />

bewirken wäre<br />

<br />

Ablehnung von Beweisanträgen<br />

• stets Gerichtsbeschluss erforderlich (§ 244 VI StPO; anders bei Beweisermittlungsantrag<br />

oder -anregung); spätestens bis zum Schluss<br />

der Beweisaufnahme Bekanntgabe der Ablehnung (anders bei Hilfsbeweisanträgen,<br />

vgl. u.)<br />

• Ablehnung grds. nur aus den im Gesetz genannten Gründen:<br />

∗ nicht präsente Beweismittel, § 244 <strong>II</strong>I-V StPO<br />

• Unzulässigkeit der Beweiserhebung, § 244 <strong>II</strong>I 1 StPO (zwingende<br />

Ablehnung)<br />

• Ablehnungsgründe im Ermessen <strong>des</strong> Gerichts für alle Beweismittel,<br />

§ 244 <strong>II</strong>I 2 StPO:<br />

− Offenk<strong>und</strong>igkeit (Allgemein- oder Gerichtsk<strong>und</strong>igkeit)<br />

− Bedeutungslosigkeit der Tatsache (kein Zusammenhang<br />

zwischen Tatsache <strong>und</strong> abzuurteilendem Vorgang<br />

erkennbar)<br />

− Tatsache schon erwiesen (nicht aber bei Erwiesenheit<br />

<strong>des</strong> Gegenteils! Verbot der Beweisantizipation)<br />

− völlige Ungeeignetheit <strong>des</strong> Beweismittels (nicht ausreichend:<br />

zweifelhafter Beweiswert oder Wahrscheinlichkeit,<br />

dass ein Zeuge keine einschlägige Erinnerung hat)<br />

− Unerreichbarkeit <strong>des</strong> Beweismittels (Abwägung erforderlich)<br />

− Verschleppungsabsicht<br />

− Wahrunterstellung<br />

• zusätzliche Ablehnungsgründe für bestimmte Beweismittel<br />

− § 244 IV 1 StPO: Sachverständiger, wenn Gericht<br />

selbst eigene Sachk<strong>und</strong>e hat<br />

<br />

• Wird ein Verfahren durch eine besondere Vielzahl rechtsmissbräuchlich<br />

mit dem Ziel der Prozessverschleppung gestellter<br />

Beweisanträge extrem verzögert, kann eine Fristsetzung zulässig<br />

sein, nach deren Ablauf weitere Beweisanträge nur mehr in den<br />

Urteilsgründen <strong>und</strong> nicht mehr durch gesonderten Beschluss<br />

verbeschieden werden.<br />

∗ präsente Beweismittel, § 245 StPO:<br />

• Begriff: Vorgeladene <strong>und</strong> auch erschienene Zeugen <strong>und</strong> Sachverständige<br />

<strong>und</strong> sonstige herbeigeschaffte Beweismittel<br />

• Ablehnung bei Unzulässigkeit der Beweiserhebung, § 245 <strong>II</strong> 2<br />

StPO<br />

• Ablehnungsgründe für vom Angeklagten oder der StA herbeischaffte<br />

Beweismittel nach § 245 <strong>II</strong> 3 StPO (größtenteils ähnlich<br />

wie in § 244 <strong>II</strong>I 2 StPO; nicht: Unerreichbarkeit, Wahrunterstellung)<br />

∗ grds. in keinem Fall möglich: Ablehnung wegen Verspätung, § 246 I<br />

StPO<br />

• nach Rspr. in Extremfällen Beschränkung <strong>des</strong> Beweisantragsrechts<br />

auf den Verteidiger möglich<br />

Hilfs-/Eventualbeweisanträge (Terminologie i.e. str.)<br />

• grds. Bedingungsfeindlichkeit von Beweisanträgen als Prozesshandlungen;<br />

Ausnahme: „innerprozessuale Bedingungen“<br />

• Hilfsbeweisantrag i.e.S.: wird von der Bedingung der Verurteilung/<strong>des</strong><br />

Freispruchs abhängig gemacht, wird meist im Plädoyer gestellt<br />

( nicht dagegen einer bestimmten Rechtsfolge)<br />

• Eventualbeweisanträge: unter der Bedingung anderer prozessualer<br />

Ereignisse


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 41<br />

<br />

<br />

• bei Hilfsbeweisanträgen Bescheidung in den Urteilsgründen ausreichend<br />

4. Der Gr<strong>und</strong>satz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme <strong>und</strong> seine<br />

Durchbrechungen, §§ 250 ff. StPO<br />

Zwei Komponenten <strong>des</strong> Unmittelbarkeitsprinzips:<br />

• Beweisaufnahme i.d.R. vor dem erkennenden Gericht selbst (formell)<br />

• keine Ersetzung von Beweismitteln durch Beweismittelsurrogate (materiell)<br />

• Vorrang <strong>des</strong> Personalbeweises vor dem Urk<strong>und</strong>sbeweis<br />

Gr<strong>und</strong>satz der persönlichen Vernehmung, § 250 StPO<br />

• S. 1: Vernehmung <strong>des</strong> wahrnehmenden Zeugen in der Hauptverhandlung<br />

• S. 2: insb. keine Ersetzung der Vernehmung durch Verlesung <strong>des</strong><br />

Protokolls über frühere Vernehmung ( aber nur Vorrang <strong>des</strong> Personal-<br />

vor dem Urk<strong>und</strong>enbeweis, „Zeuge vom Hörensagen“ nicht<br />

durch § 250 S. 2 StPO ausgeschlossen)<br />

• § 256 StPO (im 1. JustizmodernisierungsG wesentlich erweitert): Verlesung<br />

von Zeugnissen <strong>und</strong> Gutachten öffentlicher Behörden, Sachverständigen<br />

<strong>und</strong> Gerichtsärzte, bestimmte Atteste <strong>und</strong> Berichte anderer<br />

Ärzte, Fahrtenschreiberauswertungen, Blutgruppen- <strong>und</strong> Blutalkoholbestimmungen<br />

sowie bestimmte <strong>Inhalt</strong>e der Ermittlungsakten<br />

• § 254 StPO<br />

Problemschwerpunkt<br />

Gemäß § 254 StPO ist die Protokollverlesung über Erklärungen <strong>des</strong> Angeklagten<br />

bei Geständnissen <strong>und</strong> Widersprüchen möglich. Dies bezieht sich nur auf richterliche<br />

Protokolle.<br />

Im Umkehrschluss gilt ein Verlesungsverbot für nicht-richterliche Protokolle<br />

(aber: nach h.M. ergibt sich kein Verwertungsverbot für die während der nichtrichterlichen<br />

Vernehmung getätigten Aussagen. Es bleibt also z.B. die Vernehmung<br />

der Verhörsperson möglich, soweit kein sonstiges Verwertungsverbot<br />

dies verbietet, z.B. wegen Verstoßes gegen §§ 136, 136a StPO)<br />

<br />

Verlesungsverbot zur Unterstützung <strong>des</strong> Zeugnisverweigerungsrechts,<br />

§ 252 StPO<br />

<br />

Durchbrechungen <strong>des</strong> Gr<strong>und</strong>satzes der persönlichen Vernehmung<br />

• § 251 StPO, Protokollverlesung bei Zeugen, Sachverständigen oder<br />

Mitbeschuldigten<br />

∗ Abs. 1: richterliche Vernehmungen<br />

∗ Abs. 2: nicht-richterliche Vernehmungen<br />

• § 253 StPO, Verlesung zur<br />

∗ Gedächtnisunterstützung, Abs. 1<br />

∗ Ausräumung von Widersprüchen<br />

Beweisgegenstand ist Vernehmungsprotokoll (Unterschied zum<br />

allg. Vorhalt, vgl. u.)<br />

• § 255a StPO: Einführen von Videoaufzeichnungen (vergleichbar der<br />

Verlesung von Urk<strong>und</strong>en)<br />

∗ § 255a I StPO: §§ 251, 252, 253 <strong>und</strong> 255 StPO gelten entsprechend<br />

∗ § 255a <strong>II</strong> StPO: Ersatz/Ergänzung der (an sich möglichen) Vernehmung<br />

von kindlichen Opfer-Zeugen<br />

Problemschwerpunkt<br />

Es besteht nach § 252 StPO ein Verlesungsverbot für Aussagen von Zeugen,<br />

die sich erst in der Hauptverhandlung auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen.<br />

Die Vorschrift wird durch die h.M. zu einem vollständigem Verwertungsverbot<br />

erweitert (es darf also z.B. auch keine Vernehmung der Verhörsperson<br />

erfolgen, anders als bei § 254 StPO, s. Exkurs oben)<br />

Dieses weitergehende Verwertungsverbot gilt nach der Rechtsprechung nicht<br />

bei richterlichen Vernehmungen, soweit die Zeugen durch den Richter belehrt<br />

wurden (a.A. aber weite Teile der Lit.), d.h. der Richter kann über die Aussage<br />

als Zeuge vernommen werden.<br />

• Sonderfragen zu § 252 StPO<br />

∗ nach h.M. ausreichend, wenn Zeugnisverweigerungsrecht (z.B.<br />

durch Verlobung) zwischen früherer Vernehmung <strong>und</strong> Hauptverhandlung<br />

entsteht


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 42<br />

<br />

<br />

<br />

∗ anwendbar u.U. auch auf andere vernehmungsähnliche Situationen<br />

(z.B. in anderen Verfahrensstadien oder Verfahrensarten), nicht a-<br />

ber auf Spontanäußerungen<br />

∗ Verwertung von Aussagen gegenüber Sachverständigen:<br />

• über Zusatztatsachen wie bei nichtrichterlicher Vernehmung<br />

(d.h. § 252 StPO uneingeschränkt anwendbar)<br />

• über Bef<strong>und</strong>tatsachen wie bei richterlicher Vernehmung, d.h.<br />

verwertbar, wenn (irgendwann in Verfahren) vorher richterlich<br />

belehrt (dagegen keine Belehrungspflicht <strong>des</strong> Sachverständigen!)<br />

Der allgemeine Vorhalt<br />

• nach Rspr. allg. zulässig, über §§ 251 - 253 StPO hinaus Vernehmungsprotokolle<br />

zur Gedächtnisunterstützung zu verlesen<br />

• Arg.: Beweisgegenstand bleibt Aussage/Reaktion <strong>des</strong> Befragten auf<br />

den Vorhalt, nicht <strong>Inhalt</strong> <strong>des</strong> Protokolls (bloße Vernehmungshilfe)<br />

• z.T. Kritik in der Lit.: §§ 251 – 253 StPO werden unterlaufen; Trennung<br />

zwischen Aussage <strong>und</strong> Protokoll (insb. für Schöffen) nur<br />

schwer möglich<br />

Zeuge vom Hörensagen<br />

• auch Vernehmung eines Zeugen, der das Tatgeschehen nicht unmittelbar<br />

wahrgenommen hat<br />

• er ist unmittelbares Beweismittel bzgl. der von ihm wahrgenommenen<br />

Tatsachen (z.B. die frühere Aussage <strong>des</strong> Beschuldigten)<br />

• Gericht muss aber, wenn möglich, den unmittelbaren Zeugen vernehmen<br />

(Konsequenz aus Aufklärungspflicht <strong>des</strong> § 244 <strong>II</strong> StPO; geringerer<br />

Beweiswert <strong>des</strong> mittelbaren Zeugen<br />

Sonderproblem: Verwertung <strong>des</strong> Wissens von V-Leuten u.a. Ermittlungsgehilfen<br />

• diff.: V-Leute <strong>und</strong> Informanten / Verdeckte Ermittler:<br />

V-Leute <strong>und</strong> Informanten gehören keiner Strafverfolgungsbehörde<br />

an<br />

• Ausgangspunkt: Geheimhaltungsinteresse (z.B. wegen Vertraulichkeitszusicherung<br />

oder Schutz <strong>des</strong> Informanten) führt dazu, dass V-<br />

Mann nicht uneingeschränkt in Hauptverhandlung aussagt ( Unmittelbarkeitsprobleme):<br />

Sperrung durch Behörde (Behörde gibt keine<br />

Auskunft über Identität/Aufenthaltsort bzw. verweigert Aussagegenehmigung<br />

gem. § 54 StPO)<br />

• für V-Leute keine gesetzliche Regelung (§ 110b <strong>II</strong>I 3 i.V.m. § 96<br />

StPO gilt nur für Verdeckte Ermittler)<br />

aber: Sperrerklärung durch (Lan<strong>des</strong>-)Innenminister analog § 96<br />

StPO möglich<br />

• gestufte Maßnahmen möglich („3-Stufen-Theorie“):<br />

1. Stufe<br />

äußere Einschränkungen<br />

bei Vernehmung<br />

<strong>des</strong> Ermittlungsgehilfen<br />

2. Stufe<br />

Vernehmung <strong>des</strong> Ermittlungsgehilfen<br />

durch<br />

beauftragten oder ersuchten<br />

Richter (vgl.<br />

§ 251 <strong>II</strong> Nr. 1 StPO)<br />

3. Stufe<br />

Verlesung polizeilicher<br />

Vernehmungsprotokolle<br />

über Vernehmung <strong>des</strong><br />

Ermittlungsgehilfen<br />

nur Protokollverlesung<br />

oder Zeuge vom Hörensagen,<br />

§§ 244 <strong>II</strong>I 2 Mod. 5,<br />

251 StPO<br />

• Überprüfung der Sperrerklärung<br />

∗ durch das Strafgericht, u.U. auch Entscheidung durch oberste<br />

Dienstbehörde (= Innen-, nicht Justizministerium) zu beantragen<br />

oder Gegenvorstellung<br />

wenn Sperrerklärung willkürlich oder offensichtlich rechtsfehlerhaft,<br />

u.U. Beweisverbot<br />

∗ durch Angeklagten vor Verwaltungsgericht<br />

∗ Sonderproblem: namentlich bekannter gesperrter Zeuge <strong>und</strong> Aufklärungspflicht<br />

/ Beweisantragsrecht


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 43<br />

<br />

<br />

5. Beweisverwertungsverbote<br />

Ausgangspunkt: grds. sind wegen Aufklärungspflicht alle denkbaren Beweismittel<br />

heranzuziehen; aber Grenzen aus gesetzlichen Regelungen, Verfassungsrecht<br />

<strong>und</strong> Interessenabwägung (keine Wahrheitserforschung um<br />

jeden Preis)<br />

wenn Beweisverwertungsverbot besteht, stellt Berücksichtigung <strong>des</strong><br />

Beweismittels einen revisiblen Verstoß gegen § 261 StPO dar<br />

Beweiserhebungsverbote <strong>und</strong> Beweisverwertungsverbote<br />

• Beweiserhebungsverbote führen zu Begrenzung der Aufklärungspflicht<br />

• Einteilung: Verbot von<br />

∗ Beweisthema (Aufklärung bestimmter Sachverhalte ist untersagt,<br />

z.B. gem. § 51 I BZRG getilgte Vorstrafen)<br />

∗ Beweismittel (bestimmte Beweismittel dürfen nicht verwandt werden,<br />

z.B. Zeugen, die von ZVR Gebrauch machen)<br />

∗ Beweismethode (bestimmte Art der Beweisgewinnung untersagt,<br />

vgl. insbesondere § 136a StPO)<br />

Problemschwerpunkt:<br />

Nicht je<strong>des</strong> Erhebungsverbot führt auch zu einem Verwertungsverbot. Allerdings<br />

gibt es eine gewisse Indizwirkung, die Kriterien der Abgrenzung sind i.e.<br />

strittig. Es werden folgende Ansichten zur Abgrenzung vertreten:<br />

• Nach einer Ansicht ist der Schutzzweck der verletzten Verfahrensvorschrift<br />

entscheidend.<br />

• Eine andere verlangt eine Abwägung im Einzelfall zwischen dem staatlichen<br />

Interesse an der Strafverfolgung <strong>und</strong> dem Interesse <strong>des</strong> Bürgers an<br />

der Wahrung seiner Rechte (unter Beachtung der Schwere <strong>des</strong> Delikts <strong>und</strong><br />

dem Gewicht <strong>des</strong> Verfahrensverstoßes).<br />

• Nach der „Rechtskreistheorie“ <strong>des</strong> BGH soll danach unterschieden werden,<br />

ob der Rechtskreis <strong>des</strong> Angeklagten durch die Verletzung wesentlich<br />

berührt ist (dies soll z.B. bei der Verletzung von § 55 <strong>II</strong> StPO nicht der<br />

Fall sein, da diese Vorschrift dem Schutz <strong>des</strong> Zeugen <strong>und</strong> nicht <strong>des</strong> Angeklagten<br />

dient).<br />

Überblick über die Beweisverwertungsverbote (Terminologie im Einzelnen<br />

str.)<br />

unselbständige Beweisverwertungsverbote<br />

( d.h. wegen Vertungsverbote<br />

( d.h. unabhängig<br />

selbständige Beweisverwerstoßes<br />

gegen Erhebungsverbot) von Verstoß gegen Erhebungsverbot)<br />

gesetzlich normiert:<br />

nur § 136a<br />

<strong>II</strong>I 2 StPO (auch<br />

i.V.m. § 69 <strong>II</strong>I<br />

StPO) sowie<br />

nunmehr § 100h<br />

<strong>II</strong> S. 1 2. HS<br />

StPO<br />

<br />

durch Interessenabwägung/<br />

Schutzzweck/<br />

Rechtskreis (vgl.<br />

z.B. Streit um<br />

§ 136 I 2 StPO,<br />

vgl. ferner<br />

§ 161 <strong>II</strong> StPO)<br />

gesetzlich normiert,<br />

z.B. §§ 81c<br />

<strong>II</strong>I 5, 98b <strong>II</strong>I 3,<br />

100b V, 100c V<br />

3, VI 2, V<strong>II</strong>, 252<br />

StPO<br />

nicht normiert,<br />

unmittelbar aus<br />

Verfassungsrecht<br />

(z.B. Art. 1, 2<br />

GG: Tagebuchfälle,<br />

siehe unten)<br />

Wichtige Fallgruppen zum Streit um Beweisverwertungsverbote (BVV)<br />

(z.T. Wiederholung)<br />

• Zeugnisverweigerungsrechte:<br />

∗ § 52 StPO: bei fehlender Belehrung nach § 52 <strong>II</strong>I StPO BVV (+)<br />

(Ausnahme: Angehöriger hätte ohnehin sicher ausgesagt)<br />

∗ § 53 StPO: BVV nach h.M. (-) (str.), anders bei falscher Belehrung<br />

∗ § 54 StPO: BVV bei Fehlen einer Aussagegenehmigung nach<br />

h.M. (-)<br />

∗ § 55 <strong>II</strong> StPO (Auskunftsverweigerungsrecht): bei Verletzung der<br />

Belehrungspflicht nach h.M. kein BVV (str.)<br />

∗ § 252 StPO: nach h.M. über Wortlaut hinaus BVV (Ausnahme:<br />

richterliche Vernehmung)<br />

• Beschlagnahmeverbot, § 97 StPO: bei Verstoß nach h.M. BVV (von<br />

Rspr. aber Ausnahmen in bestimmten Fallgruppen zugelassen, z.B.:<br />

wenn nachträglich das Beschlagnahmeverbot entfällt])<br />

• Aussagen <strong>des</strong> Beschuldigten<br />

∗ Verstoß gegen § 136a StPO: BVV nach § 136a <strong>II</strong>I 2 StPO


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 44<br />

∗ Verstoß gegen Belehrungspflicht/Gewährung der Verteidigerkonsultation<br />

(bei letzterer aber Anforderungen i.e.str.!) nach § 136 I<br />

StPO: BVV (+), aber nach Rspr. Rügepflicht (sog. Widerspruchslösung)<br />

∗ Verstoß gegen § 243 IV 1 StPO: nach h.M. BVV (+)<br />

• Verstöße bei einzelnen Zwangsmaßnahmen<br />

∗ § 81a StPO: Blutentnahme durch (Noch-) Nicht-Arzt: kein BVV<br />

(wenn keine gezielte Umgehung, da dann fair trial betroffen)<br />

∗ § 81f <strong>II</strong> 3 StPO: kein BVV bei Verstoß gegen Gebot der Teilanonymisierung<br />

∗ § 100a StPO: bei Fehlen materieller Voraussetzungen oder fehlender<br />

Anordnung BVV (+), bei sonstigen formellen Fehlern (z.B.<br />

Fristüberschreitung, bestimmte Verstöße gegen Zuständigkeitsregeln)<br />

(-)<br />

∗ § 100f <strong>II</strong> StPO (sog. „kleiner Lauschangriff“, außerhalb von Wohnungen)<br />

bei Verstoß gegen Art. 13 GG BVV (+)<br />

∗ § 100c ff. StPO („großer Lauschangriff“): bei Verstoß gegen Eingriffs-<br />

oder Anordnungsvoraussetzungen BVV (+), siehe auch<br />

§§ 100c VI, 100d VI, 100f V StPO<br />

Sonderprobleme der Verwertbarkeit<br />

1. Verwertung von Tagebuchaufzeichnungen<br />

Dreistufentheorie <strong>des</strong> BVerfG zum Schutz der menschlichen Intimsphäre (Art.<br />

2 I i.V.m. Art 1 GG)<br />

selbständiges Verwertungsverbot, ergibt sich erst aus Abwägung:<br />

• volle Verwertbarkeit, wenn nur äußere Abläufe beschrieben sind<br />

(Sozialbereich): 1. Stufe<br />

• Abwägung (Art. 1, 2 GG staatl. Strafverfolgungsinteresse) in<br />

schlichter Privatsphäre: 2. Stufe<br />

• stets BVV in Intimsphäre als „absolut geschütztem Kernbereich“ (str.!):<br />

3. Stufe<br />

wohl nie BVV, wenn kein Tagebuch <strong>des</strong> Beschuldigten, sondern etwa <strong>des</strong><br />

verstorbenen Opfers (Rechtskreistheorie)<br />

2. Rechtswidrige Beweiserlangung durch Private<br />

grds. gelten Vorschriften der StPO nur für Strafverfolgungsbehörden ( kein<br />

BVV bei rechtswidrigem Handeln Privater)<br />

aber Ausnahmen bei<br />

• gezieltem Einsatz durch Strafverfolgungsbehörden (Umgehungsgefahr)<br />

• eklatante Menschenwürdeverstöße<br />

• selbständigen verfassungsrechtlichen Verwertungsverboten<br />

Problemschwerpunkt:<br />

Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten<br />

Ausgangsfrage: Dürfen Beweismittel verwertet werden, die erst als Folge anderer,<br />

nicht verwertbarer Beweise gef<strong>und</strong>en wurden oder gibt es eine Fernwirkung<br />

<strong>des</strong> Verbots?<br />

Nach der Rspr. ist dies zwar eine Frage <strong>des</strong> Einzelfalls. Allerdings geht die Tendenz<br />

ganz überwiegend gegen eine Fernwirkung (arg.: Funktionstüchtigkeit der<br />

Strafrechtspflege).


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 45<br />

Teile der Lit. hingegen bejahen grds. eine Fernwirkung unter Berufung auf die<br />

amerikanische „fruit of the poisonous tree doctrine“, die als Ziele Abschreckung<br />

<strong>und</strong> eine Disziplinierung der Polizei hat.<br />

Eine vermittelnde Ansicht bevorzugt eine Abwägung unter Berücksichtigung<br />

<strong>des</strong> Schutzbereichs <strong>des</strong> Verbots <strong>und</strong> hypothetischer Ermittlungsergebnissen<br />

(d.h. hätte das Beweismittel auch auf rechtmäßigem Weg erzielt werden können?).<br />

c) Fälle mit Schwerpunkten beim Beweisrecht<br />

− Weigend, Jura 2002, 203-210 (v.a. Beweisverwertungsverbote)<br />

− Mitsch, Jura 1998, 306-312 (Revisionsprüfung)<br />

Fezer: Strafprozessrecht, Fälle 14-16<br />

Vertiefende Hinweise:<br />

a) Lesenswerte Entscheidungen<br />

− BVerfGE 34, 238 (Gr<strong>und</strong>satzentscheidung <strong>des</strong> BVerfG zur Dreistufentheorie<br />

[Tonbandaufnahmen])<br />

− BGHSt 19, 325 (Tagebuchentscheidung <strong>des</strong> BGH)<br />

− BGHSt 34, 262 (Zur Fernwirkung von Beweiserhebungsverboten <strong>und</strong> zum<br />

von der Polizei veranlassten Aushorchen durch Mitgefangene)<br />

− BGH NStZ 2001, 49 m. Anm. Volk, JuS 2001, 130 ff., <strong>und</strong> Schittenhelm,<br />

NStZ 2001, 50 f. (Anwendung von § 252 StPO bei Aussage gegenüber einem<br />

Rechtsanwalt)<br />

− BGH NJW 2004, 1259 mit Anm. Kudlich JuS 2004, 929 (Fall El Motassadeq:<br />

staatliche Geheimhaltung <strong>und</strong> Beweiswürdigung)<br />

− BGH NStZ-RR 2005, 78 mit Anm. Kudlich, JuS 2005, 570 (Beweisantrag<br />

<strong>und</strong> Negativtatsachen)<br />

− BGH NJW 2005, 2466 mit Anm. Kudlich, JuS 2005, 852 (Fristsetzung bei<br />

Prozessverschleppung durch rechtsmissbräuchliche Beweisanträge)<br />

b) Aufsätze<br />

− Schroth, Beweisverwertungsverbote im Strafverfahren - Überblick, Strukturen<br />

<strong>und</strong> Thesen zu einem umstrittenen Thema, JuS 1998, 969-980<br />

X. Das Urteil<br />

Lit.: Beulke Rn. 488 – 511; Engländer Rn. 248 – 275; Volk §§ 30 – 32<br />

<br />

Begriffe:<br />

• Urteile: instanzerledigende Entscheidungen aufgr<strong>und</strong> einer Hauptverhandlung<br />

∗ Sachurteile: Entscheidung <strong>des</strong> Gerichts über die prozessuale Tat<br />

selbst; Zulässigkeit <strong>des</strong> Verfahrens ist Voraussetzung<br />

∗ Prozessurteil: Strafverfahren wird für unzulässig erklärt (vgl.<br />

§ 260 <strong>II</strong>I StPO); keine Prüfung materieller Fragen (z.B. bei Prozesshindernissen)<br />

• Beschlüsse: werden im Zwischen- <strong>und</strong> Hauptverfahren durch Gericht<br />

zur Förderung <strong>des</strong> Verfahrens („prozessbegleitend“) im Hinblick auf<br />

das Urteil gefasst (außerhalb Hauptverhandlung ohne Mitwirkung<br />

der Schöffen); Ausnahme: §§ 153, 153a StPO, wo prozessbeendigende<br />

Entscheidung durch Beschluss erfolgt<br />

• Verfügungen: prozessbegleitende Einzelanordnungen <strong>des</strong> Vorsitzenden<br />

<br />

Urteilsfindung<br />

• Gegenstand: Tat im prozessualen Sinn, die im durch Eröffnungsbeschluss<br />

zugelassenen Anklagesatz beschrieben ist<br />

• Methode: freie richterliche Beweiswürdigung, § 261 StPO, vgl. o.


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 46<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

• Ablauf: Beratung <strong>und</strong> Abstimmung, §§ 260 I, 263 I StPO, §§ 192 ff.<br />

GVG<br />

Urteilsinhalt: §§ 268 I, 275 <strong>II</strong>I, 260 IV, V, 267 I-<strong>II</strong>I StPO<br />

Rechtskraft <strong>des</strong> Urteils<br />

• Begriff: Endgültigkeit <strong>und</strong> Maßgeblichkeit der gefällten Entscheidungen<br />

• Unterscheide:<br />

∗ formelle Rechtskraft: Urteil im selben Verfahren nicht mehr anfechtbar<br />

( führt zur Vollstreckbarkeit, § 449 StPO, <strong>und</strong> zum Eintritt<br />

der materiellen Rechtskraft)<br />

∗ materielle Rechtskraft: nur bzgl. Tenor, nicht bzgl. Urteilsgründen<br />

( führt zu Sperrwirkung, ne bis in idem)<br />

• Dogmatische Begründung der Rechtskraftwirkung str. (materielle/prozessuale<br />

Theorien), aber weitgehend ohne praktische Auswirkungen<br />

• Teilrechtskraft möglich (z.B.: nur teilweise Anfechtung eines Urteils<br />

oder nur ein Mitbeschuldigter legt Rechtsmittel ein)<br />

• Beseitigung der Rechtskraft<br />

∗ Wiederaufnahme, §§ 359 ff. StPO<br />

∗ Wiedereinsetzung, §§ 44 ff. StPO (vgl. o.)<br />

∗ Aufhebung <strong>des</strong> Urteils zugunsten Mitangeklagten nach § 357 StPO<br />

Nicht-Urteil/nichtiges Urteil<br />

• Nicht-Urteil: Entscheidung, die schon äußerlich nicht als Urteile anzusehen<br />

ist (z.B. Entwurf)<br />

• Nichtiges Urteil: bei besonders schweren Verfahrensverstößen ausnahmsweise<br />

keine Rechtskraft aufgr<strong>und</strong> Rechtsstaatsprinzip (z.B.<br />

Verhängung der To<strong>des</strong>strafe)<br />

Berichtigung <strong>des</strong> Urteils bei offensichtlichen Schreibfehlern möglich<br />

Revision bei Form- <strong>und</strong> Fristfehlern im Urteil: vgl. § 338 Nr. 7 StPO<br />

Vertiefende Hinweise:<br />

− Wolters/Gubitz, Das Strafurteil in der Assessorklausur, JuS 1998, 737-744 (in<br />

dieser Tiefe eher für das Zweite Staatsexamen relevant)<br />

XI. Besondere Verfahrensgestaltungen<br />

Lit.: Beulke Rn. 526 – 532; 590 – 606; Engländer Rn. 288 - 294; Volk § 33 Rn. 1<br />

– 15; § 39 Rn. 1 – 48<br />

<br />

<br />

1. Besondere Verfahrensarten<br />

Beschleunigtes Verfahren<br />

• Zweck: Gerichtsentlastung <strong>und</strong> Verfahrensbeschleunigung in Fällen<br />

geringerer Kriminalität <strong>und</strong> einfach gelagerter Fälle<br />

• geringe Bedeutung in Praxis<br />

• Regelung: §§ 417 ff. StPO, insb.<br />

∗ Voraussetzungen (erstinstanzliche Zuständigkeit <strong>des</strong> AG, Antrag<br />

der StA, einfacher Sachverhalt; kurze Frist zwischen Antrag der StA<br />

<strong>und</strong> Hauptverhandlung [nicht wesentlich über 2 Wochen])<br />

∗ Wegfall <strong>des</strong> Zwischenverfahrens<br />

∗ Entbehrlichkeit einer schriftlichen Anklage <strong>und</strong> Ladungserleichterungen<br />

∗ Einschränkungen <strong>des</strong> Unmittelbarkeitsgr<strong>und</strong>satzes<br />

∗ beschränkte Rechtsfolgenkompetenz<br />

Strafbefehlsverfahren<br />

• Zweck: summarisches Verfahren bei minder schwerer Kriminalität<br />

• Regelung; §§ 407 ff. StPO, insb.<br />

∗ bei Vergehen, §§ 407 I StPO, 12 <strong>II</strong> StGB<br />

∗ beschränkte Rechtsfolgen, § 407 <strong>II</strong> StPO<br />

∗ Ablauf, § 408 <strong>II</strong>, <strong>II</strong>I StPO<br />

∗ Rechtsbehelf <strong>und</strong> Rechtskraft


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 47<br />

<br />

<br />

<br />

• § 410 StPO: Einspruch innerhalb von 2 Wochen ( Entscheidungsmöglichkeiten,<br />

§ 411 StPO: wenn Einspruch zulässig, wird<br />

Termin zur Hauptverhandlung bestimmt)<br />

• Verbot der reformatio in peius gilt nicht<br />

• ohne Einspruch grds. Rechtskraft wie Urteil, aber erleichterte<br />

Wiederaufnahmemöglichkeit in § 373a StPO<br />

2. Beteiligung <strong>des</strong> Verletzten<br />

Privatklage, §§ 374 ff. StPO:<br />

• Klageerhebung durch Verletzten statt durch StA; Durchbrechung<br />

<strong>des</strong> Offizialprinzips bei Delikten, die Allgemeinheit meist kaum berühren<br />

• Abschließende Aufzählung der Privatklagedelikte in § 374 I StPO<br />

• Nach Nr. 86 <strong>II</strong> RiStBV öffentliches Interesse im Sinne <strong>des</strong><br />

§ 376 StPO zu bejahen, wenn „der Rechtsfrieden über den Lebenskreis<br />

<strong>des</strong> Verletzten hinaus gestört <strong>und</strong> die Strafverfolgung ein gegenwärtiges<br />

Anliegen der Allgemeinheit ist“<br />

• § 380 StPO: in bestimmten Fällen vorheriger Sühneversuch erforderlich<br />

Nebenklage, §§ 395 ff. StPO: Verletzter kann persönlich mit eigenen Mitwirkungs-<br />

<strong>und</strong> Gestaltungsrechten am Prozess teilnehmen<br />

Adhäsionsverfahren, §§ 403 ff. StPO: aus Straftat erwachsene zivilrechtliche<br />

Ansprüche können im Strafverfahren durchgesetzt werden<br />

Vertiefende Hinweise:<br />

− Ranft, Gr<strong>und</strong>züge <strong>des</strong> Strafbefehlsverfahrens, JuS 2000, 633-640<br />

− Kropp, Das Opfer im Strafverfahren, JA 2002, 328-334<br />

X<strong>II</strong>. Rechtsmittel<br />

Lit.: Beulke Rn. 533 – 584; Engländer Rn. 258, 287; Volk §§ 34 – 37<br />

<br />

<br />

<br />

Ordentliche/außerordentliche Rechtsbehelfe<br />

• ordentliche Rechtsbehelfe<br />

∗ Rechtsmittel (Berufung, Revision, Beschwerde)<br />

∗ Einspruch gegen Strafbefehl (§ 410 StPO)<br />

• außerordentliche Rechtsbehelfe (durchbrechen Rechtskraft)<br />

∗ Wiederaufnahme<br />

∗ Wiedereinsetzung<br />

∗ Verfassungsbeschwerde<br />

Devolutiv-/Suspensiveffekt<br />

• Devolutiveffekt: Verfahren wird in höhere Instanz gebracht<br />

• Suspensiveffekt: Rechtskraft wird gehemmt (vgl. §§ 316, 343 StPO;<br />

Ausnahme: Beschwerde, § 307 StPO)<br />

Allg. Gr<strong>und</strong>sätze (vgl. insb. §§ 296 ff. StPO)<br />

• Rechtsmittelberechtigung: StA <strong>und</strong> Angeklagter (§ 296 I StPO), teilweise<br />

noch andere Beteiligte<br />

• Erfordernis einer Beschwer (Rechtsschutzinteresse), wobei<br />

∗ StA immer beschwert ist, wenn sie Entscheidung für unrichtig hält<br />

(vgl. § 296 <strong>II</strong> StPO)<br />

∗ alleine Tenor ausschlaggebend ist<br />

• Verbot der reformatio in peius, wenn nur Angeklagter oder StA zu<br />

seinen Gunsten Rechtsmittel einlegt (gilt allerdings nur bzgl. Rechtsfolgen,<br />

nicht bzgl. Schuldspruch); bei Rechtsmitteln der StA stets<br />

Änderung auch zugunsten <strong>des</strong> Beschuldigten möglich<br />

• Teilanfechtung bei Berufung (§ 318 StPO) <strong>und</strong> Revision (§ 344 StPO)<br />

zulässig, wenn Teil der Entscheidung abtrennbar ist<br />

• Rücknahme <strong>und</strong> Verzicht, §§ 302 ff. StPO


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 48<br />

<br />

<br />

Allgemeines (Gr<strong>und</strong>-) Prüfungsschema zur Zulässigkeit eines Rechtsmittels<br />

• Statthaftigkeit <strong>des</strong> Rechtsmittels<br />

• Rechtsmittelberechtigung<br />

• Beschwer<br />

• Form <strong>und</strong> Frist der Einlegung<br />

• ggf. Form <strong>und</strong> Frist der Begründung<br />

• Gerichtszuständigkeit (keine echte Zulässigkeitsvoraussetzung, wenn<br />

Rechtsmitteleinlegung beim iudex a quo erfolgt)<br />

Unterschiede zwischen den Rechtsmitteln<br />

• Beschwerde, §§ 304 ff. StPO<br />

∗ statthaft gegen Beschlüsse <strong>und</strong> Verfügungen<br />

∗ diff. einfache (§ 304 StPO, keine Frist), sofortige (§ 311 StPO, Frist:<br />

1 Woche) <strong>und</strong> weitere Beschwerde (§ 310 StPO)<br />

∗ Überprüfung von Beschlüssen <strong>und</strong> Verfügungen in tatsächlicher<br />

<strong>und</strong> rechtlicher Hinsicht<br />

∗ kein Suspensiveffekt, kein Verbot der reformatio in peius<br />

∗ Ausschluss der Beschwerde nach § 305 StPO<br />

∗ beachte: im Strafprozessrecht keine „außerordentliche Beschwerde<br />

wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit“<br />

• Berufung, §§ 312 ff. StPO<br />

∗ nur statthaft gegen Urteile <strong>des</strong> AG<br />

∗ Suspensiv- <strong>und</strong> Devolutiveffekt (+)<br />

∗ Annahmeerfordernis in Fällen <strong>des</strong> § 313 StPO<br />

∗ völlige Neuverhandlung: keine Überprüfung <strong>des</strong> angefochtenen Urteils,<br />

sondern neue Entscheidung über alle Tat- <strong>und</strong> Rechtsfragen<br />

(„2. Erstinstanz“), sofern keine Beschränkungen (vgl. §§ 318,<br />

327 StPO); nur Einschränkung der Unmittelbarkeit durch § 325<br />

StPO<br />

• Revision, §§ 333 ff. StPO<br />

∗ statthaft gegen Berufungsurteile, erstinstanzliche LG-, OLG- <strong>und</strong><br />

als „Sprungrevision“ AG-Urteile<br />

∗ Ausschluss der Tatsachenfeststellung, bloße Überprüfung von Urteil<br />

<strong>und</strong> Verfahren in rechtlicher Hinsicht<br />

Ausführliches Prüfungsschema zu den Erfolgsaussichten einer Revision<br />

1. Zulässigkeit<br />

a) Statthaftigkeit: §§ 333, 335 StPO<br />

b) Einlegungsberechtigung:<br />

• Beschuldigter, <strong>des</strong>sen gesetzlicher Vertreter, StA, §§ 296, 298<br />

StPO<br />

• Privatkläger, § 390 StPO, <strong>und</strong> Nebenkläger, § 401 StPO<br />

c) Beschwer (vgl. auch oben)<br />

d) Einlegung der Revision, § 341 I StPO<br />

• Form<br />

−<br />

schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle (nach<br />

LG Münster soll die Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle<br />

entgegen der bisherigen Rspr. <strong>des</strong> BGH<br />

nunmehr auch telefonisch wirksam sein)<br />

beim iudex a quo<br />

−<br />

• Frist, § 341 StPO<br />

− binnen einer Woche nach Verkündung<br />

−<br />

ist Angeklagter nicht anwesend, differenzierter Fristbeginn<br />

nach dem neuen § 341 <strong>II</strong> StPO<br />

e) Begründung, § 345 StPO<br />

• Form grds. wie Einlegung (bei Schriftform durch RA unterzeichnet);<br />

dabei aber Angabe <strong>des</strong> Umfangs der Revision, § 344 I<br />

StPO sowie Sach- <strong>und</strong>/oder (näher ausgeführte) Verfahrensrüge,<br />

§ 344 <strong>II</strong> StPO<br />

• Frist, § 345 I StPO: 1 Monat nach Ablauf der Einlegungsfrist<br />

f) Zuständigkeit zur Entscheidung: OLG /BGH, §§ 121, 135 GVG


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 49<br />

2. Begründetheit, mögliche Rügen:<br />

a) Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung<br />

b) Verfahrensfehler (falls zulässig gerügt)<br />

• § 338 StPO: absolute Revisionsgründe (Beruhen <strong>des</strong> Urteils auf<br />

der Gesetzesverletzung wird unwiderleglich vermutet), vgl. z.T.<br />

bereits oben, S. [?]<br />

• § 337 StPO: relative Revisionsgründe:<br />

− Verfahrensfehler<br />

− Beruhen <strong>des</strong> Urteils auf dem Fehler<br />

c) materiell-rechtliche Fehler<br />

• Beweiswürdigung<br />

• Subsumtion unter materielles Recht<br />

• Strafzumessung (Schritte zur Strafrahmenermittlung; Strafzumessung<br />

i.e.S. dagegen nur in engen Grenzen)<br />

Vertiefende Hinweise:<br />

a) Lesenswerte Entscheidungen<br />

− BGH NJW 1999, 3060 (Einschränkung der „absoluten Wirkung“ eines absoluten<br />

Revisionsgr<strong>und</strong>es bei Verletzung der Öffentlichkeit)<br />

− LG Münster NJW 2005, 166 mit Anm. Kudlich, JuS 2005, 660 (telefonisch<br />

eingelegte Berufung zu Protokoll der Geschäftsstelle)<br />

b) Aufsätze<br />

− Bick, JA 2001, 691 ff. (Revision)<br />

− Eisenberg, JA 2001, 153 ff. (Revision)<br />

− Endriß, StV 2003, 253 ff. (kurze praktische Fallstudie zum Wiederaufnahmerecht)<br />

− Kudlich, JA 2000, 588 ff. (Berufung)<br />

− Titz, JA 2002, 65 ff. (Revision)<br />

− Weidemann, JA 2002, 964 ff. (Revision)<br />

c) Fälle mit Schwerpunkten bei den Rechtmitteln<br />

− Saal, Jura 1998, 649-653 (Revision)


Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 50<br />

AG<br />

LG<br />

OLG<br />

Strafrichter<br />

Schöffengericht<br />

erweitertes Schöffengericht, § 29 <strong>II</strong><br />

GVG<br />

Berufung, §§ 312 ff.<br />

kleine Strafkammer<br />

§§ 74 <strong>II</strong>I, 76 I 1 GVG<br />

LG<br />

+ 1 zusätzlicher Berufsrichter, § 76<br />

<strong>II</strong>I GVG<br />

Sprungrevision,<br />

§§ 335 <strong>II</strong> StPO, 74<br />

<strong>II</strong>I, 121 I Nr. 1b<br />

GVG<br />

keine Berufung<br />

§ 312 StPO!<br />

Revision, §§ 333 ff.<br />

§ 121 I Nr. 1c GVG, bei Lan<strong>des</strong>recht<br />

ausnahmsweise<br />

OLG<br />

§ 121 I Nr. 1b GVG (in Bayern: früher BayObLG)<br />

BGH<br />

§§ 130, 139 I, 135 I GVG<br />

evt. § 121 <strong>II</strong> GVG: „Außendivergenz“

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