Inhalt I. Rechtsquellen und Funktionen des Strafprozessrechts2 II ...

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Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 34 Allgemeine Fürsorgepflicht des Gerichts • gesetzliche Ausprägungen z.B.: § 265 IV StPO (Aussetzung der Verhandlung wegen veränderter Sachlage); § 244 II StPO (Aufklärungspflicht des Gerichts) • über spezielle Ausprägungen hinaus durch Rechtsstaatsprinzip und fair-trial-Grundsatz gewährleistet • Konsequenzen kasuistisch und i.e.str.; Bedeutung v.a. bei unverteidigten Angeklagten Das Hauptverhandlungsprotokoll, §§ 271 ff. StPO • § 271 I StPO: über Hauptverhandlung ist Protokoll aufzunehmen • Inhalt ∗ „Protokollkopf“: § 272 StPO ∗ Gang und Ergebnisse der Hauptverhandlung sowie Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten (§ 273 StPO) • Beweiskraft des Protokolls ∗ Beachtung der wesentlichen Förmlichkeiten kann nur durch Protokoll bewiesen werden (§ 274 S. 1 StPO) • positive Beweiskraft: protokollierte wesentliche Förmlichkeiten gelten als geschehen (selbst wenn sie nicht stattgefunden haben) • negative Beweiskraft: nicht protokollierte wesentliche Förmlichkeiten gelten als nicht geschehen (selbst wenn sie tatsächlich beachtet wurden) ∗ In Revision ist eine auf das Protokoll gestützte Rüge von Verfahrensverstößen möglich, nicht dagegen eine reine „Protokollrüge“ (also Rüge, das Protokoll sei falsch) ∗ gegen den die Einhaltung der Form betreffenden Inhalt ist nur Nachweis der Fälschung möglich, § 274 S. 2 StPO (praktisch so gut wie nie erfolgreich) ∗ Wegfall der Beweiskraft • äußerliche Fehler, die Inhalt beeinträchtigen können, z.B. Rasuren o.ä. • Meinungsverschiedenheiten zwischen den Urkundspersonen (Urkundsbeamter und Vorsitzender) • offensichtliche Lücken, Unklarheiten oder Widersprüche (Abgrenzung zum bloßen Schweigen des Protokolls; nach neuerer Rspr. des BGH auch bei „Verstoß“ des Protokollinhalts gegen allgemeine forensische Erfahrung [sehr zw.!]) Beweiskraft aufgehoben, soweit Fehler, Unklarheiten etc. reichen ( damit Weg für andere Beweismittel frei) • Protokollberichtigung ∗ noch nicht fertig gestelltes Protokoll frei änderbar, wenn beide Urkundspersonen es für erforderlich halten ∗ fertiggestelltes Protokoll • grds. ebenfalls (von Amts wegen oder auf Antrag) korrigierbar • Änderungen zugunsten des Angeklagten auch in Revision zu berücksichtigen • dagegen darf nach eingelegter Revision einer zulässigen Rüge durch Protokollberichtigung nicht „der Boden entzogen“ werden Der Deal im Strafverfahren • Begriff: Absprachen zwischen den Strafverfolgungsorganen und dem Beschuldigten • Ziel: vorbesprochene Verfahrensgestaltung oder –beendigung • in StPO keine Regelung über Absprachen Zulässigkeit und Bedürfnis kontrovers diskutiert • Inhalt: oft Abgabe eines Geständnisses gegen Zusicherung einer Strafmilderung • Einwände gegen Absprachen z.B. ∗ Bedenken mit Blick auf Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Unmittelbarkeit ∗ Beeinträchtigung der Anwesenheits- und Mitwirkungsrechte; Gefahr einer bloßen Objektrolle des Angeklagten ∗ Gefährdung des Prinzips der schuldangemessenen Strafe (§ 46 StGB) ∗ Aushöhlung der Unschuldsvermutung, des in-dubio-pro-reo- Grundsatzes und des nemo-tenetur-Prinzips
Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überblicksskript, S. 35 ∗ Gefahr der Befangenheit Problemschwerpunkt Leitlinien der Rechtsprechung zum Deal im Strafverfahren (vgl. inbs. BGHSt 50, 40; 43, 195) Absprachen im Strafverfahren sind nicht per se unzulässig., müssen aber grds. durch Verständigung in der Hauptverhandlung und unter Mitwirkung aller Beteiligten stattfinden (bei Kontaktaufnahme außerhalb Hauptverhandlung muss die Offenlegung in Hauptverhandlung erfolgen). Das Ergebnis muss als wesentliche Förmlichkeit im Protokoll niedergelegt werden. Durch Absprachen wird das Gericht nicht von der Ermittlungspflicht entbunden (auch nicht bei einem Geständnis). Es ist unzulässig, die Absprachebereitschaft des Angeklagten durch die Drohung mit einer ansonsten höheren Strafe zu „erpressen“. Zudem dürfen keine festen Zusagen gemacht werden (aber es dürfen Strafobergrenzen genannt werden, die bindend sind, wenn keine neuen Gesichtspunkte auftauchen). Bei der Setzung solcher Obergrenzen sind allgemeine Strafzumessungserwägungen zu berücksichtigen, wobei nicht negativ gewertet werden soll, dass ein Geständnis im Rahmen einer Verständigung erfolgte. Das Gericht darf im Rahmen einer Absprache weder an der Erörterung eines Rechtsmittelverzichts mitwirken noch auf einen solchen hinwirken. Die Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts ist unzulässig und wirkungslos. Unabhängig davon, ob eine solche Vereinbarung getroffen wurde, kann der Angeklagte aber nach der Verkündung des Urteils wirksam auf Rechtsmittel verzichten, wenn er zuvor darüber belehrt wurde, dass er in jedem Fall (also unabhängig von einem eventuell vereinbarten Verzicht) Rechtsmittel einlegen kann (sog. qualifizierte Belehrung). Eine solche qualifizierte Belehrung ist nach jedem auf eine Urteilsabsprache ergehenden Urteil zu geben (unabhängig davon, ob ein Rechtsmittelverzicht vereinbart wurde oder nicht). Fehlt sie, so ist ein erklärter Rechtsmittelverzicht in jedem Fall unwirksam. • Risiko der Nichteinhaltung der Absprache liegt beim Angeklagten; neuere Rspr aber: ohne schwerwiegende neue Umstände Bindung des Gerichts; ∗ falls Deal „fehlschlägt“, keine Verwendung des Geständnisses zur Beweisführung (wohl aber Honorierung bei Strafzumessung) ∗ denkbare Folgen bei „fehlgeschlagenem Deal“ (i.e. noch sehr str.): • Prozesshindernis? • Beweisverwertungsverbot? • Strafmilderung? Vertiefende Hinweise: a) Lesenswerte Entscheidungen − BGHSt 50, 40 (Entscheidung des Großen Strafsenats) mit Anm. Salinger, JuS 2006, 8, und Mosbacher, JuS 2006, 39 sowie zum vorangehenden Vorlagebeschluss des 3. Strafsenats Kudlich, JuS 2006, 84 − BGHSt 36, 119 ([Fall Weimar] zur Frage der unzulässigen Erweiterung der Öffentlichkeit entgegen § 169 S. 2 GVG) − BGHSt 2, 14 (zur Frage, ob schlafender Richter Revisionsgrund ist) − BGHSt 18, 257; 19, 101 (zur Verletzung der gerichtlichen Fürsorgepflicht im Zusammenhang mit Rechtsmittelverzicht) − BGHSt 42, 191 m. Anm. Beulke/Satzger, JuS 1997, 1072 ff. − BGHSt 43, 195-212 (zur Zulässigkeit einer Verständigung im Strafverfahren [„Deals“]) m. Anm. Hermann, JuS 1999, 1162 ff. − BGHSt 45, 227 m. Anm. Satzger, JuS 2000, 1157 ff. − BGHSt 48, 161 (zur Glaubhaftigkeit des Geständnisses eines Mitangeklagten bei Absprachen) − BGH NStZ 2003, 563 m. Anm. Schlothauer, StV 2003, 481 (zur fehlenden Bindung einer zugesagten Strafobergrenze durch das Gericht ohne Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft sowie zum Verdacht der Befangenheit wegen einer solchen Absprache) − BGH NStZ 2005, 160 mit Anm. Kudlich, JuS 2005, 381 (negative Beweiskraft des Protokolls und Selbstleseverfahren beim Urkundsbeweis) b) Aufsätze − Artkämper, NJW 1998, 409 (Verständigung im Strafverfahren)
Seite 1 und 2: Prof. Dr. Hans Kudlich StPO Überbl
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