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festivalzeitung nr. 05 / 20.06.2007 - Schillertage

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BESTIE MENSCH 14. INTERNATIONALE SCHILLERTAGE / NATIONALTHEATER MANNHEIM MORALISCHE ANSTALT FESTIVALZEITUNG <strong>20.06.2007</strong><br />

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DU, MEINE SEHNSUCHT<br />

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Riesenhaft wirkt Luise, ganz in weiß bis auf die roten Schuhe,<br />

vor dem Vorhang, bodenständig erzählend von ihrer Liebe zu<br />

Ferdinand. Von hinten, durch den Vorhang, ziehen zwei Hände<br />

sie an sich, Ferdinand. Ihr Spiel beginnt.<br />

Eines hat David Bösch auf jeden Fall<br />

richtig gemacht. In seiner Züricher<br />

Inszenierung der „Kabale und<br />

Liebe“ stellt er die ambivalenteste Figur<br />

ins Zentrum: Ferdinand, den er gleich zu<br />

Beginn von Willy DeVille besingen lässt.<br />

„I’ll tell you what it is I need to turn this<br />

spark into a fire. Come close and hold me<br />

tighter still, it’s you my one desire.“ Als<br />

wäre da noch der Funke zum Entzünden<br />

des Feuers nötig. Böschs Ferdinand, von<br />

Jörg Pohl als überschäumende Hormonschleuder<br />

überzeugend gespielt, ist kein<br />

Feuer, er ist ein Flammeninferno, in seiner<br />

pubertär-hormonellen Hysterie<br />

kämpft er vor allem gegen seinen Vater<br />

und für seine Luise, aber auch mit sich<br />

selbst. Luise, die von Cathérine Seifert als<br />

ruhiger Gegenpart zu Jörg Pohl gezeigt<br />

wird, geht so bedacht und vorsichtig mit<br />

allem um, als würde sie ahnen, was da<br />

kommen wird.<br />

Es sieht nicht gut aus für die bürgerliche<br />

Luise und den Adelsspross Ferdi-<br />

nand. Einerseits ist da Luises Vater, der<br />

die Verbindung seiner einzigen Tochter<br />

zu einem Adeligen verhindern möchte.<br />

Für Miller ist der Adelsstand voller Betrug<br />

und Falschheit. Wie Recht er hat,<br />

sieht man an Ferdinands Vater, Präsident<br />

von Walter, der seinen Sohn aus eigener<br />

Machtgier mit der Lieblingsmätresse des<br />

Fürsten, Lady Milford, verheiraten will.<br />

Entsprechend aufbrausend reagiert<br />

Ferdinand auf die Entscheidung seines<br />

Vaters.<br />

Fast so scheint es, als liebe er Luise<br />

nicht nur um ihrer selbst willen, sondern<br />

auch aus einer Widerstandshaltung dem<br />

Vater gegenüber. Das genaue Gegenteil<br />

zeigt sich im liebevollen Verhältnis von<br />

Luise zum alten Miller. Sie quält sich<br />

damit, dass ihr Vater der Beziehung zu<br />

Ferdinand so ablehnend gegenüber steht.<br />

Da hilft auch Mutter Miller nicht, die die<br />

Verbindung von Luise und Ferdinand verteidigt.<br />

Bösch stellt das Elternpaar Miller<br />

als heile Familie dem allein erziehenden<br />

✶7<br />

Kabale und Liebe, Schauspielhaus Zürich Foto: Leonhard Zuber<br />

Präsident von Walter gegenüber. Doch<br />

hätte man Frau Miller auch ohne größere<br />

Probleme weglassen können, so wie<br />

Bösch die Figur vernachlässigt, um sich<br />

auf der anderen Seite ganz auf die konträren<br />

Verhältnisse der Kinder zu ihren<br />

Vätern konzentrieren.<br />

Im Kern geht es der Inszenierung um<br />

gegensätzliche Figuren und weniger um<br />

die von Schiller ins Zentrum gestellte<br />

Standespolitik. Und auch wenn er an dieser<br />

Stelle leider nicht konsequent arbeitet<br />

und die Anprangerung des Menschenhandels,<br />

die im Originaltext die<br />

Kammerjungfer der Lady Milford anspricht,<br />

Ferdinand in den Mund legt,<br />

funktioniert „Kabale und Liebe“ in<br />

Böschs Inszenierung auch sehr gut ohne<br />

Schillers politische Ansprüche an den<br />

Text.<br />

Sich auf die Liebesgeschichte und auf<br />

die Konflikte mit den Vätern zu konzentrieren<br />

ist ein guter, aber kein neuer und<br />

innovativer Zugang. An dieser Stelle mag<br />

man Bösch auch eine fehlende einfallsreiche<br />

Durchbrechung des Textes vorwerfen.<br />

Doch eines hat Böschs Inszenierung<br />

vielen anderen voraus: Die Auslegung<br />

der Figur des Sekretärs Wurm, der<br />

gestisch, mimisch und sprachlich facette<strong>nr</strong>eich<br />

und in seiner Ambivalenz absolut<br />

überzeugend gespielt wird von Fabian<br />

Krüger. Nicht nur der Kostümbildnerin Su<br />

Bühler, die gerade bei der ähnlichen Bekleidung<br />

des Präsidenten und des Sekretärs<br />

Wurm ein gutes Auge für die Kohärenz<br />

von erzählerischem Inhalt und<br />

äußerlicher Form beweist, ist es zu verdanken,<br />

dass die Figur Wurm endlich einmal<br />

nicht als einseitiger Kriecher dasteht.<br />

Er verhält sich zwar wie der bessere und<br />

vor allem gehorsame Ersatzsohn des Präsidenten<br />

und sieht diesem auch viel ähnlicher<br />

als sein richtiger Sohn Ferdinand,<br />

doch spürt man seine Überlegenheit.<br />

Wurm scheint zu wissen, warum er sich<br />

so verrenkt. Und wenn er Luise dazu<br />

zwingt, den gefälschten Brief zu schreiben,<br />

zeigt er sich als ein aus der Kränkung<br />

geborener Sadist.<br />

Die Inszenierung endet, wie sie begann.<br />

Der Tod bringt das Happy End.<br />

Luise und Ferdinand kehren in ihre eigene<br />

Welt zurück. Ihr Spiel kann weitergehen.<br />

✶ JULE D. KÖRBER

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