PDF 1,5 MB - Schultze & Braun GmbH
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Editorial<br />
Infobrief Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin II/2011<br />
Glaubt man den nachfolgenden Zahlensammlungen, dann ist nach der Krise vor der Debt-Wall: So werden in 2012 in den USA<br />
860 Milliarden USD alleine an Anleihen fällig. Dazu wird in den USA ein Haushaltsdefizit von ca. 975 Milliarden USD im<br />
selben Jahr erwartet. Damit stehen in 2012 insgesamt 1,8 Billionen USD staatlicher Verbindlichkeiten zur Refinanzierung an. Dagegen<br />
sehen die zwischen 2012 und 2014 ebenfalls fällig werdenden Risikoanleihen in den USA mit gerade einmal 700 Milliarden<br />
USD Gesamtvolumen fast bescheiden aus.<br />
Der Refinanzierungsbedarf der europäischen Staaten ist noch gar nicht insgesamt beziffert. Der so genannte<br />
Euro-Rettungsfonds soll ein Gesamtvolumen von 420 Milliarden Euro umfassen. Im privatwirtschaftlichen Bereich werden in<br />
Europa bis 2015 insgesamt 185 Milliarden Euro an Risikofinanzierung fällig – insbesondere auch aus „Leveraged Buyout“-<br />
Finanzierungen, also schuldenfinanzierten Unternehmensübernahmen.<br />
Das deutsche Haushaltsdefizit wird für 2011 mit „nur“ 2,5 % des BIP veranschlagt. Die Gesamtschulden aller deutschen Gebietskörperschaften<br />
haben allerdings mittlerweile schon fast die 2 Billionen-Euro-Marke erreicht. Daneben scheinen die Refinanzierungssorgen<br />
bezüglich auslaufender Mezzanine-Darlehen von gerade mal 4 Milliarden Euro kaum ins Gewicht zu fallen…<br />
Wir haben uns an diese astronomischen Zahlen gewöhnt, obwohl sie unser Vorstellungsvermögen weit übersteigen. Die sehr realen<br />
Auswirkungen dieser Zahlen lassen sich aber an der folgenden einfachen Rechnung sehr plakativ festmachen: Die Europäische<br />
Zentralbank hat eine Steigerung des Leitzinses um gerade mal 0,25 % verkündet. Bei Schulden von 2 Billionen Euro macht das<br />
eine Zinsmehrbelastung von 5 Milliarden Euro aus – das umfasst fast den ganzen Einzeletat des Bundesinnenministeriums im<br />
Bundeshaushalt. Kurzum, schon diese kleine Zinserhöhung wird spürbare Auswirkungen haben.<br />
Der bekannte Hedge-Fonds-Manager Jon Moulton antwortete während einer Konferenz im Oktober 2010 auf die Frage, wann<br />
nach seiner Ansicht die nächste Krise beginnen könnte, dass er den konkreten Zeitpunkt zwar nicht abschätzen könne, dass sie<br />
aber auf jeden Fall durch einen Zinsanstieg ausgelöst würde. Hoffen wir, dass er sich geirrt hat…<br />
Diese Ausgabe des Infobriefes versucht in Anbetracht der aktuellen Entwicklungen zunächst eine juristische Annäherung an Staateninsolvenzen.<br />
Nachdem sich der Staub über das sehr zügig verabschiedete Bankenrestrukturierungsgesetz verzogen hat, wollen<br />
wir einmal einen genaueren Blick darauf werfen. Schließlich widmen wir uns – auch im Zeichen des ESUG – dem Sanierungstool<br />
des Debt-Equity-Swap.<br />
Wie immer wünschen wir dem geneigten Leser eine angenehme Lektüre.<br />
Dr. Volker Beissenhirtz, LL.M., Rechtsanwalt, Registered European Lawyer (London)<br />
Dr. Peter de Bra, Rechtsanwalt<br />
Themen dieser Ausgabe<br />
1. Berliner Splitter 2<br />
2. Staatsbankrott – die deutsche Perspektive 3<br />
3. Bankenrestrukturierung als Mittel gegen „Moral Hazard“? 6<br />
4. Debt-Equity-Swap als Sanierungsinstrument 9<br />
5. Newsticker 11<br />
1
1. Berliner Splitter<br />
Infobrief Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin II/2011<br />
Das Berliner Parkett brodelt vor lauter insolvenzrechtlicher<br />
Aktivität.<br />
Stand der Insolvenzrechtsrechtsreformen<br />
Beim letztjährigen Deutschen Insolvenzrechtstag<br />
stellte die Bundesjustizministerin Frau Leutheusser-<br />
Schnarrenberger den Drei-Punkte-Plan der Bundesregierung<br />
zur Reform des Insolvenzrechts vor. In diesem<br />
Jahr konnte sie bei der Folgekonferenz von Insolvenzexperten<br />
die ersten Erfolge konstatieren: Das Bankenrestrukturierungsgesetz<br />
ist in Kraft getreten und der<br />
Bundesrat hat bereits zum Gesetzentwurf der Bundesregierung<br />
zum Gesetz zur weiteren Erleichterung<br />
der Sanierung von Unternehmen („ESUG“) Stellung<br />
genommen – die Zeichen stehen also gut, dass es bis<br />
zur Sommerpause Gesetz wird. Eigentlich Grund genug<br />
für ein zufriedenes Zwischenfazit.<br />
Dennoch scheint die erste Reformeuphorie etwas verflogen<br />
zu sein: Zum einen schweigt sich das Bundesministerium<br />
der Justiz (BMJ) mittlerweile in allen<br />
offiziellen Reden zur Prüfung der Sinnhaftigkeit eines<br />
vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens aus. In der<br />
zweiten Stufe der Reformen sollte auch hierüber diskutiert<br />
werden – auch im Hinblick darauf, dass Sanierungen<br />
von deutschen Unternehmen vermehrt im Ausland<br />
stattfinden. Neuestes Beispiel war Ende 2010 die<br />
Sanierung von Telecolumbus mit Sitz in Berlin durch<br />
ein Scheme of Arrangement in London.<br />
Aber auch die Verkürzung der Restschuldbefreiungsphase<br />
als einer der Kernbestandteile der Reform des<br />
Verbraucherinsolvenzrechts (ebenfalls für die zweite<br />
Stufe der Reformen vorgesehen) scheint schon vor dem<br />
Beginn der eigentlichen Diskussion verwässert zu werden.<br />
Zwar soll die Restschuldbefreiungsphase weiterhin<br />
auf drei Jahre halbiert werden, aber nunmehr nur<br />
unter der ergänzend eingeführten Bedingung, dass der<br />
Insolvenzschuldner die Verfahrenskosten sowie eine<br />
Mindestquote von 25 % auf die Insolvenzforderungen<br />
decken kann. Bedenkt man, dass 80 % der Verbraucherinsolvenzverfahren<br />
mit einer Null-Quote enden,<br />
kann man absehen, welche praktische Relevanz die<br />
Reform in dieser Hinsicht haben wird, wenn sie so<br />
kommt.<br />
Interessant ist auch der Zeitplan der weiteren Reformen:<br />
So hat ein zuständiger Beamter des BMJ in einem<br />
Vortrag bei einer Konferenz Mitte April als Zeithorizont<br />
für die zweite Stufe der Reformen Sommer 2011<br />
und für die dritte Stufe Ende 2011 genannt. Angesichts<br />
dieses sehr ambitionierten Zeitplanes bleibt<br />
abzuwarten, ob das bisherige Niveau der Beteiligung<br />
der Fachöffentlichkeit an den Reformen beibehalten<br />
wird oder ob die Reformen mehr oder minder durchgepeitscht<br />
werden.<br />
Staateninsolvenzen<br />
Die nächste Krise wird von Staatsinsolvenzen handeln.<br />
Ein Indikator hierfür ist die mittlerweile rasch wachsende<br />
Anzahl von Konferenzen, Anhörungen oder<br />
Symposien zu diesem Thema alleine in der Hauptstadt.<br />
So fand bereits im Dezember 2010 ein Streitgespräch<br />
zwischen Prof. Dr. Paulus und Prof. Dr. Herdegen über<br />
das „richtige“ Verfahren zur Abwicklung von Staateninsolvenzen<br />
statt. Etliche Veranstaltungen folgten und<br />
folgen, so zuletzt im Ausschuss für wirtschaftliche Entwicklung<br />
und Zusammenarbeit des Deutschen Bundestages,<br />
der sich in einer öffentlichen Anhörung zur<br />
„Schuldenproblematik und internationales Insolvenzverfahren“<br />
am 6. April 2011 des Themas annahm.<br />
Sind damit die Staaten nun auf juristischer Ebene für<br />
eine Staateninsolvenz gerüstet? Mitnichten. Haircut<br />
nicht gewollt, supranationale Insolvenzsysteme Fehlanzeige.<br />
Also sind Szenarien wie in Argentinien oder<br />
in Russland zu befürchten – quasi ungesteuerte Insolvenzen<br />
von Staaten. Wie so etwas in der Geschichte<br />
ablief, verdeutlicht eine von Professor Dr. Herdegen<br />
in der oben genannten Veranstaltung geschilderte<br />
„Anekdote“: In Venezuela weigerte sich die Regierung<br />
Anfang des 20. Jahrhunderts, die Staatsschulden (unter<br />
anderem auch gegenüber europäischen Mächten) zu<br />
begleichen. Im Zuge der damals gängigen Kanonenboot-Politik<br />
segelten dann deutsche, italienische, englische<br />
und andere Kriegsschiffe einträchtig nach Venezuela<br />
und machten dem Machthaber vor Ort so klar,<br />
dass eine Begleichung der Schulden besser für ihn wäre.<br />
Er kam dieser Aufforderung nach… .<br />
Zugang europäischer Insolvenzverwalter zu deutschen<br />
Insolvenzgerichten<br />
Der Gesetzgeber kommt einem immer mehr wie ein<br />
Zauberer vor: Während er mit der linken Hand den<br />
Zuschauer ablenkt (also z.B. das ESUG einführt), zieht<br />
er mit der rechten Hand das Kaninchen (Art. 102a<br />
EGInsO) aus dem Hut. Ziemlich unbeachtet von der<br />
Öffentlichkeit hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur<br />
Umsetzung der sog. Dienstleistungsrichtlinie in der<br />
Justiz, nämlich ausländischen Insolvenzverwaltern, den<br />
grundsätzlichen Zugang zu deutschen Insolvenzgerichten<br />
eröffnet.<br />
Der Gesetzgeber hat damit die überwiegende Ansicht<br />
in der Literatur übergangen, wonach die Dienstleistungsrichtlinie<br />
auf Insolvenzverwalter nicht anzuwen-<br />
2
Infobrief Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin II/2011<br />
den sei. Nunmehr können sich Insolvenzverwalter mit<br />
einer Niederlassung in der EU oder des EWR in einem<br />
mehr oder minder komplexen Verfahren auch auf die<br />
Vorauswahllisten deutscher Insolvenzgerichte setzen<br />
lassen. Zwar weisen Kommentatoren darauf hin, dass<br />
der Bewerber dann die Kriterien der deutschen Insolvenzgerichte<br />
erfüllen muss, aber auch angesichts der<br />
Rechtsprechung der europäischen Gerichte – die als<br />
sehr integrationsfreundlich zu bezeichnen ist (Stichwort:<br />
„Inländerbenachteiligung“) – könnte es auch<br />
sein, dass die „Konkurrentenklage“ eines nicht berücksichtigten<br />
ausländischen Verwalters zumindest auf dieser<br />
Ebene Aussicht auf Erfolg hat. Eine der möglichen<br />
Diskussionspunkte dürfte der Zugang von (europäischen)<br />
juristischen Personen zur Insolvenzverwaltung<br />
sein: zwar sieht auch der RegE des § 56 InsO weiterhin<br />
nur den Zugang natürlicher Personen zum Amt des<br />
Insolvenzverwalters vor, im europäischen Ausland, insbesondere<br />
in England, wird das jedoch anders gesehen,<br />
hier werden auch juristische Personen als Verwalter<br />
bestellt.<br />
„Staatsbankrott – Ausgestaltung eines rechtlichen Rahmens<br />
zur Bewältigung staatlicher Überschuldungskrisen“<br />
Veranstaltung des Forum Finanz- und Wirtschaftsrecht<br />
an der Humboldt-Universität zu Berlin am 15. Dezember<br />
2010<br />
„Schuldenproblematik und internationales Insolvenzverfahren“<br />
Öffentliche Anhörung des Deutschen Bundestages, Ausschuss<br />
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung<br />
am 6. April 2011<br />
„Staatsbankrott als Rechtsfrage“<br />
Wissenschaftliche Tagung an der Humboldt-Universität<br />
zu Berlin am 8. April 2011<br />
Gesetz zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie<br />
in der Justiz und Änderung weiterer Vorschriften vom<br />
22. Dezember 2010, BGBl. 2010, 2248<br />
Europäisches Parlament / Rat der Europäischen Union,<br />
RL 2006/123/EG vom 12. Dezember 2006, ABl. I 376<br />
vom 27.12.2006, 36<br />
2. Staatsbankrott – die deutsche<br />
Perspektive<br />
Insolvenzverfahren für Nationalstaaten?<br />
Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat nicht nur Unternehmen<br />
in wirtschaftlich schwieriges Fahrwasser<br />
geführt. Auch staatliche Stellen litten und leiden bis<br />
heute unter den Folgen der Krise, insbesondere an den<br />
rückläufigen Einnahmen.<br />
Drohen damit, nachdem es in Deutschland bereits<br />
bei anderen staatlichen Stellen – den gesetzlichen<br />
Krankenversicherungen (dazu bereits der Infobrief<br />
I/2011) – zu „(Beinahe-)Insolvenzen“ gekommen ist,<br />
nunmehr Insolvenzen von Gemeinden, Städten oder<br />
gar eines Bundeslandes oder des Bundes selber? Nein<br />
oder jedenfalls nicht im klassischen Sinne, denn das<br />
deutsche Insolvenzrecht verbietet zumindest bislang<br />
Insolvenzverfahren über das Vermögen dieser staatlichen<br />
Stellen.<br />
Gleichwohl ist die angespannte Lage der öffentlichen<br />
Finanzen wirtschaftliche Realität. Zwar kann einer<br />
Kommune das jeweilige Bundesland und dem Bundesland<br />
der Bund beispringen. Aber wer springt dem<br />
Bund bei, wenn er seinen Verpflichtungen nicht mehr<br />
nachkommen kann? „Ein Nationalstaat kann nicht<br />
insolvent werden“, diese Ansicht war in der Rechtswissenschaft<br />
lange unangefochten. Denn ein Staat könne<br />
jederzeit die Steuern erhöhen oder durch Erhöhung der<br />
Geldmenge seine Schulden „weginflationieren“.<br />
Die wirtschaftliche Realität sieht jedoch anders aus:<br />
Staaten können insolvent werden. Allein in den letzten<br />
20 Jahren des 20. Jahrhunderts kam es zu über 50 Fällen,<br />
in denen Staaten ihren Zahlungsverpflichtungen<br />
nicht mehr nachkommen konnten oder wollten. Zu<br />
Beginn des 21. Jahrhunderts ereignete sich die spektakuläre<br />
Staatspleite Argentiniens. Und auch die Fälle<br />
Island, Griechenland, Irland und jüngst auch Portugal<br />
stellen letztendlich nichts anderes als Staatsbankrotte<br />
dar. Griechenland dürfte in absehbarer Zeit sogar entweder<br />
eine zweite Finanzspritze oder eine Reduzierung<br />
seiner Verbindlichkeiten benötigen.<br />
Vor diesem Hintergrund wird derzeit die Etablierung eines<br />
Insolvenzverfahrens für Nationalstaaten diskutiert.<br />
Die Lage der deutschen Kommunen<br />
Die angespannte Lage der öffentlichen Finanzen in<br />
Deutschland beginnt bei den kleinsten staatlichen Stellen,<br />
den Kommunen. Viele Kommunen stehen vor dem<br />
finanziellen Kollaps. Das Defizit der Kommunen lag<br />
3
Infobrief Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin II/2011<br />
in 2010 für Gesamtdeutschland bei etwa 7,7 Milliarden<br />
Euro, dem höchsten Wert seit dem Rezessionsjahr<br />
2003 mit einem Defizit von 8,4 Milliarden Euro.<br />
Schuld an der finanziellen Misere haben insbesondere<br />
die auch weiterhin steigenden Sozialausgaben, die in<br />
2010 auf über 42 Milliarden Euro anstiegen. Dieser<br />
Wert bedeutet nahezu eine Verdoppelung gegenüber<br />
den Ausgaben in den Jahren nach der Wiedervereinigung.<br />
Zwar stiegen die Steuereinnahmen in 2010 in<br />
Folge der sich verbessernden Konjunktur wieder an.<br />
Insbesondere die Gewerbesteuer stieg um 7,7 %. Insgesamt<br />
konnte das Vorkrisenniveau jedoch noch nicht<br />
wieder erreicht werden.<br />
Für die Kommunen dürfte auf der Einnahmenseite eine<br />
Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22. März<br />
2011 von Interesse sein, in der das Gericht eine Bank<br />
verurteilte, Schadensersatz wegen einer fehlerhaften<br />
Beratung bei einem „Zins-Swap-Geschäft“ zu leisten<br />
(dazu der Newsticker). Auch Kommunen haben in<br />
großem Umfang „Zins-Swap-Geschäfte“ getätigt und<br />
damit häufig Verluste eingefahren. Anlegeranwälte<br />
gehen von Gesamtschäden in der Größenordnung von<br />
einer Milliarde Euro aus. Auf die beteiligten Banken<br />
könnte eine Klagewelle zukommen.<br />
Da jedoch jedenfalls faktisch die Länder für die Kommunen<br />
und der Bund wiederum für die Länder einstehen<br />
wird bzw. werden, verschiebt sich das Problem<br />
einer Insolvenz staatlicher Stellen von der kommunalen<br />
über die Landes- auf die Bundesebene.<br />
Die finanzielle Lage des Bundes und anderer Nationalstaaten<br />
Die finanzielle Lage des Bundes ist angespannt, im<br />
internationalen Vergleich jedoch noch moderat. Die<br />
Verschuldung des Bundes stieg in 2010 auf ca. 1,3 Billionen<br />
Euro an. Zusammen mit den Schulden der Länder<br />
und Kommunen beläuft sich der Schuldenstand der<br />
Bundesrepublik Deutschland inzwischen auf fast 2 Billionen<br />
(2.000.000.000.000) Euro. Vor der Krise waren<br />
es etwa 1,6 Billionen Euro, zu Beginn des 21. Jahrhunderts<br />
etwa 1,2 Billionen Euro. Der Wert aus 2010<br />
bedeutet eine Verschuldung eines jeden Bundesbürgers<br />
von etwa 25.000 Euro, ein Anstieg um etwa 25 %<br />
gegenüber dem Vorkrisenniveau.<br />
Eine beachtliche Zahl, die sich allerdings im internationalen<br />
Vergleich eben noch vergleichsweise bescheiden<br />
ausnimmt. Die USA bringen es auf einen Schuldenstand<br />
von etwa 14 Billionen US-Dollar in 2010, ein<br />
Wert, der zugleich etwa dem Bruttoinlandsprodukt der<br />
USA in 2010 entspricht. Die Pro-Kopf-Verschuldung<br />
beläuft sich auf knapp 45.000 US-Dollar (derzeit aufgrund<br />
eines starken Euros etwa 30.000 Euro). Vor der<br />
Krise waren es noch etwa 30.000 US-Dollar. Diverse<br />
US-amerikanische Kommunen und sogar ganze Bundesstaaten<br />
sind praktisch insolvent, darunter auch<br />
„Riesen“ wie Kalifornien, eigenständig betrachtet die<br />
achtgrößte Volkswirtschaft der Erde. Weitere Ereignisse<br />
im April verhießen nichts Gutes: Erst nach zähen<br />
Verhandlungen und in letzter Minute konnten sich<br />
Demokraten und Republikaner Mitte April auf einen<br />
gemeinsamen Etat verständigen. Andernfalls wäre es<br />
zu einem „shutdown“ gekommen. Staatliche Stellen<br />
hätten jedenfalls vorübergehend ihre Amtsgeschäfte<br />
einstellen müssen. Nur wenige Tage später sorgte die<br />
Ratingagentur Standard & Poor’s für Aufsehen. Sie<br />
bestätigte zwar die Top-Bonitätsnote „AAA“ der USA,<br />
änderte ihren Ausblick jedoch auf „negativ“. Dies<br />
könnte zu einer Herabstufung der Bonität der USA<br />
innerhalb der nächsten zwei Jahre führen, sofern sich<br />
die finanzielle Situation nicht verbessert.<br />
Auch was die Verschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt<br />
anbetrifft, steht Deutschland noch<br />
recht gut da. Die Staatsschulden in Relation zum Bruttoinlandsprodukt<br />
lagen in 2010 bei ca. 80 %, gegenüber<br />
etwa 95 % in den USA. Italien kommt auf einen Wert<br />
von knapp 120 %, Griechenland gar auf einen Wert von<br />
140 % (Tendenz steigend) und der traurige Spitzenreiter<br />
ist Japan, das schon vor der tragischen Katastrophe<br />
von 11. März 2011 eine Verschuldung in Höhe von<br />
über 220 % des Bruttoinlandsproduktes aufwies.<br />
Regelungskomplexe zur Vermeidung von Staatsinsolvenzen<br />
Zur Vermeidung von Staatsinsolvenzen à la Griechenland<br />
gibt es in Europa den „Euro-Rettungsschirm“ und<br />
ab Mitte 2013 – aller Voraussicht nach, trotz der gegenwärtigen<br />
Kontroverse in Deutschland und Finnland –<br />
den ESM, den Europäischen Stabilitätsmechanismus,<br />
einen dauerhaften Rettungsschirm mit einer noch größeren<br />
Kapazität, als die des bereits bestehenden Rettungsschirms.<br />
Auf internationaler Ebene gibt es einige Institutionen,<br />
die sich mit Staatsschulden beschäftigen. Neben dem<br />
Internationalen Währungsfonds (IWF) sind hier insbesondere<br />
der Pariser Club, der sich mit dem Schuldenerlass<br />
von Staaten gegenüber Staaten beschäftigt und<br />
der Londoner Club, der sich mit dem Erlass von Staatsschulden<br />
gegenüber privaten Gläubigern beschäftigt,<br />
zu nennen.<br />
Eine Art „kleines Insolvenzverfahren“ für Staaten<br />
gibt es zudem bereits, so genannte Collective Action<br />
4
Infobrief Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin II/2011<br />
Clauses. Hierunter versteht man Regelungen in den<br />
Bedingungen von Staatsanleihen, durch die per Mehrheitsentscheidung<br />
Entschuldungsregelungen wie Stundungen<br />
oder Forderungsverzichte getroffen werden<br />
können. Entsprechende Regelungen sind bereits in<br />
einer Vielzahl von Staatsanleihen enthalten.<br />
Ob diese Mechanismen ausreichend sind, ist zweifelhaft,<br />
denn weder der IWF, noch der Pariser oder der<br />
Londoner Club verfügen über standardisierte Vorgehensweisen<br />
im Umgang mit Staatsinsolvenzen. Es wird<br />
jeweils im Einzelfall eine Regelung getroffen. Dies hat<br />
häufig zur Folge, dass rund um die Insolvenz eines Staates<br />
ein großes Maß an Unsicherheit besteht, was häufig<br />
dazu führt, dass sich die finanzielle Lage des Staates<br />
weiter verschlechtert. So geschehen im Falle Griechenlands,<br />
als mehrere Wochen über das „Für“ und „Wider“<br />
staatlicher Hilfen diskutiert wurde. Collective Action<br />
Clauses sind demgegenüber zwar ein sinnvolles Entschuldungsinstrument.<br />
Sie greifen allerdings gerade<br />
nur für Staatsanleihen und können dementsprechend<br />
ein Insolvenzverfahren für Staaten zwar sinnvoll ergänzen,<br />
es aber nicht ersetzen.<br />
Die europäischen Rettungsmechanismen verfügen<br />
demgegenüber nur über begrenzte Ressourcen und<br />
decken nur den innereuropäischen Raum ab. Sollten<br />
mehrere große Staaten in Europa den Schutz der Rettungsmechanismen<br />
in Anspruch nehmen, würden diese<br />
an ihre Grenzen stoßen. Und auch der Ausfall einer<br />
großen außereuropäischen Volkswirtschaft könnte die<br />
Weltwirtschaft derart aus dem Gleichgewicht bringen,<br />
dass mit den Rettungsschirmen nicht mehr viel zu retten<br />
wäre.<br />
Vor diesem Hintergrund wird derzeit intensiv über die<br />
Etablierung eines Insolvenzverfahrens für Nationalstaaten<br />
diskutiert. Der Gedanke eines Insolvenzverfahrens<br />
für Nationalstaaten ist nicht neu und wurde bereits<br />
nach der Argentinien-Pleite Anfang des 21. Jahrhunderts<br />
intensiv diskutiert. Der damals vorgeschlagene,<br />
weitreichende Ansatz der stellvertretenden Geschäftsführerin<br />
des IWF, Anne Krueger, konnte sich jedoch<br />
nicht durchsetzten. Man setzte auf kleine Schritte,<br />
insbesondere auf die beschriebenen Collective Action<br />
Clauses. Durch die „Griechland-Pleite“ hat die Diskussion<br />
jedoch wieder an Fahrt gewonnen. Bevor ein<br />
Insolvenzverfahren für Nationalstaaten tatsächlich<br />
ausgestaltet und implementiert werden kann, sind<br />
noch einige Hürden aus dem Weg zu räumen.<br />
Die inhaltliche Ausgestaltung bereitet dabei weniger<br />
Schwierigkeiten als die Implementierung des Verfahrens.<br />
Dies ist darauf zurückzuführen, dass es in den<br />
USA bereits ein Verfahren gibt, das es insbesondere<br />
Kommunen und kommunalen Unternehmen ermöglicht,<br />
in ein geregeltes Insolvenzverfahren einzutreten.<br />
Hierbei handelt es sich um ein so genanntes Chapter<br />
9-Verfahren nach dem U.S. Bankruptcy Code, einem<br />
„Verwandten“ des Chapter 11-Verfahrens (zu diesem<br />
Verfahren und zur Anerkennung in Deutschland<br />
der Infobrief III/2010). An dieses Verfahren lehnen<br />
sich die aktuellen Vorschläge zu einem staatlichen<br />
Insolvenz verfahren an.<br />
Im Gegensatz zu einem „normalen“ Insolvenzverfahren<br />
ist das Ziel eines Insolvenzverfahrens für Staaten<br />
selbstverständlich ausschließlich die Restrukturierung<br />
der entsprechenden öffentlichen Stelle und nicht ihre<br />
Abwicklung. Hinsichtlich dieses Ziels sind sich auch<br />
die in Deutschland vorgelegten Vorschläge für ein<br />
Insolvenzverfahren für Nationalstaaten einig. Teilweise<br />
wird in diesem Zusammenhang vorgeschlagen,<br />
vom Begriff der Insolvenz, mit der eine Abwicklung<br />
assoziiert werde, abzurücken und stattdessen von einer<br />
„Resolvenz“ zu sprechen. Der Begriff bringe besser zum<br />
Ausdruck, dass der Staat restrukturiert werden solle.<br />
Den Insolvenzantrag soll nur der betroffene Staat stellen<br />
können. Nur so werde der staatlichen Souveränität<br />
ausreichend Rechnung getragen. Dem Ziel – der<br />
Restrukturierung – entsprechend müsse ein staatliches<br />
Insolvenzverfahren eine Art Planverfahren sein. Das<br />
Verfahren müsse geordnet, nachvollziehbar und transparent<br />
ablaufen. Den Plan solle das betroffene Land<br />
aufstellen. Er solle mit den Gläubigern abgestimmt und<br />
dann beschlossen werden, wobei Gläubigermehrheiten<br />
Gläubigerminderheiten überstimmen könnten.<br />
Die Überwachung des Verfahrens solle einer gerichtlichen<br />
oder gerichtsähnlichen Stelle obliegen. Ein Insolvenzverwalter<br />
sei jedoch nicht erforderlich. Über den<br />
Umfang der Kompetenzen der überwachenden Stelle<br />
wird gegenwärtig noch diskutiert. Insgesamt erscheint<br />
es sinnvoll, ein starkes Überwachungsorgan zu etablieren.<br />
Dies dürfte das Vertrauen der Gläubiger steigern.<br />
Daneben könnte ein starkes Überwachungsorgan eine<br />
Art Spruchpraxis herausbilden, die die Regelungen<br />
über das staatliche Insolvenzverfahren weiter konkretisieren<br />
könnte. Noch nicht geklärt ist die Frage, ob die<br />
gerichtliche Institution besser an ein internationales<br />
Gericht oder eine internationale Organisation angegliedert<br />
werden sollte.<br />
Was die Implementierung betrifft, reichen die Vorschläge<br />
vom Abschluss internationaler Verträge mit<br />
möglichst vielen Nationalstaaten bis hin zur Implementierung<br />
über die „Articles of Agreement“ des Inter-<br />
5
Infobrief Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin II/2011<br />
nationalen Währungsfonds. Beide Vorschläge sind<br />
jedoch bedenklich. Denn zum Abschluss entsprechender<br />
internationaler Verträge fehlt gegenwärtig noch<br />
der politische Wille und das Regelwerk des IWF kann<br />
souveräne Nationalstaaten nur in beschränkter Weise<br />
binden.<br />
(Wann) Ist mit einem Insolvenzverfahren für Staaten<br />
zu rechnen?<br />
So sinnvoll ein Insolvenzverfahren für Staaten auch<br />
grundsätzlich erscheint, so schwer dürfte seine Etablierung<br />
fallen. Die „Generalprobe“ zu Beginn des<br />
21. Jahrhunderts scheiterte bereits. Und auch gegenwärtig<br />
dürften sich diverse Nationalstaaten gegen die<br />
Etablierung eines solchen Systems stellen. Damit wird<br />
es aller Voraussicht nach noch bis zur nächsten großen<br />
Krise dauern, bis ein Insolvenzverfahren für Nationalstaaten<br />
politische Wirklichkeit wird.<br />
Ein Insolvenzverfahren für Nationalstaaten dürfte<br />
gegenwärtig allenfalls auf europäischer Ebene zu realisieren<br />
sein. Hier könnte ein „Leuchtturmmodell“<br />
geschaffen werden, das – sofern es sich bewährt –<br />
„exportiert“ werden könnte. Es bestehen jedoch auf<br />
europäischer Ebene erhebliche Vorbehalte gegen ein<br />
solches Verfahren.<br />
In Deutschland ist demgegenüber der politische Wille<br />
vorhanden, ein Insolvenzverfahren für Staaten zu schaffen.<br />
Am 6. April 2011 fand eine Expertenanhörung<br />
zum Thema im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />
und Entwicklung statt. Unmittelbare Ergebnisse<br />
brachte die Anhörung zwar noch nicht. Sie zeigt<br />
aber, dass das Thema ernst genommen und vorangetrieben<br />
wird. Die weitere Entwicklung darf mit Spannung<br />
verfolgt werden.<br />
Dr. Volker Beissenhirtz, LL.M.<br />
Rechtsanwalt<br />
Registered European Lawyer (London)<br />
Berlin<br />
VBeissenhirtz@schubra.de<br />
Ref. jur. Matthias Flotmann, Berlin<br />
MFlotmann@schubra.de<br />
3. Bankenrestrukturierung<br />
als Mittel gegen „Moral<br />
Hazard“?<br />
Bereits die große Koalition hatte unter dem Eindruck<br />
der Finanzkrise und insbesondere dem Fall der Hypo<br />
Real Estate an der Konzeption gesetzlicher Regelungen<br />
zur Krisenintervention bei Kreditinstituten gearbeitet.<br />
Am Anfang dieses Jahres ist nunmehr das so genannte<br />
Restrukturierungsgesetz in Kraft getreten.<br />
Wie das Bundesfinanzministerium nicht ohne Stolz<br />
feststellt, ist es das erste Gesetz seiner Art innerhalb der<br />
EU, das sich den Ursachen der Finanzkrise annimmt<br />
und wohl auch einen Lösungsweg für ihre noch schwelenden<br />
Überreste aufzeigen soll. Die Ursachenforschung<br />
macht für den aufgetretenen allgemeinen Realitätsverlust<br />
des Finanzsektors vor allem das „Moral<br />
Hazard“-Problem aus. Die Sicherheit, dass letztlich<br />
der Staat den relevanten Finanzinstituten unter die<br />
Arme greift, wenn es hart auf hart kommt, hat diese<br />
Institute immer größere Risiken eingehen lassen. Ein<br />
Unterpunkt dieses Problems bildet die mangelnde persönliche<br />
Haftbarkeit der Akteure, die zudem durch das<br />
bestehende Vergütungssystem zum Eingehen großer<br />
Risiken verleitet werden, während eine interne Aufsicht<br />
aus Gründen einer asymmetrischen Informationsverteilung<br />
und mangelndem Anreiz bei Eigentümern und<br />
Organen der Institute unterbleibt. Der Bundesanstalt<br />
für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) soll nun zum<br />
einen die Möglichkeit einer zwangsweisen Reorganisation<br />
von Kreditinstituten, den Instituten selbst zum<br />
anderen mit dem durch das Restrukturierungsgesetz<br />
eingeführten eigenständigen „Gesetz zur Reorganisation<br />
von Kreditinstituten“ ein Sanierungsinstrumentarium<br />
an die Hand gegeben werden.<br />
Der umfangreichste Teil des Restrukturierungsgesetzes<br />
ändert bzw. ergänzt das Kreditwirtschaftsgesetz<br />
(KWG) und dient der Stärkung von Aufsichts- und<br />
Eingriffskompetenzen der BaFin. Sobald die Gesamtkennziffern<br />
erwarten lassen, dass ein Institut den<br />
Anforderungen an die Eigenkapitalausstattung bzw.<br />
denen an die vorzuhaltende Liquidität nicht mehr dauerhaft<br />
genügen kann, ist die Bundesanstalt berechtigt,<br />
erweiterte Berichtspflichten und insbesondere die Vorlage<br />
von Gegenmaßnahmen durch das Institut anzufordern.<br />
Die Maßnahmen, die von der BaFin bei unzureichenden<br />
Eigenmitteln oder unzureichender Liquidität<br />
nunmehr angeordnet werden können, sind erweitert<br />
worden. Sie umfassen beispielsweise auch die Möglichkeit,<br />
die Auszahlung nicht tarifvertraglich vereinbarter<br />
6
variabler Vergütungsanteile zu untersagen und die Vorlage<br />
eines Restrukturierungsplanes einzufordern.<br />
Neben der bereits ursprünglich existierenden Möglichkeit,<br />
Aufgaben von Geschäftsleitern, die wegen<br />
Gesetzesverstößen abberufen werden können, auf<br />
Sonderbeauftragte zu übertragen, ist die Rolle des Sonderbeauftragten<br />
für Krisenfälle erheblich erweitert<br />
worden. Neben der Übernahme von geschäftsleitenden<br />
Aufgaben kann er auch zu beratenden oder überwachenden<br />
Funktionen herangezogen werden, wenn<br />
es beispielsweise um die Wiederherstellung einer ordnungsgemäßen<br />
Geschäftsorganisation oder die Überwachung<br />
eines Restrukturierungsplanes, aber auch die<br />
Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen<br />
(ehemalige) Organmitglieder geht. Die Aufzählung<br />
der Aufgaben eines Sonderbeauftragten wird im Gesetz<br />
nicht abschließend vorgenommen, durch ihn wird die<br />
unmittelbare Eingriffsmöglichkeit der BaFin in das<br />
Geschäftsgebaren der Bank sichergestellt, der Sonderbeauftragte<br />
kann aber auch die Übertragung eines<br />
systemrelevanten Kreditinstituts auf ein so genanntes<br />
Brückeninstitut vorbereiten.<br />
Die schärfste Eingriffsmöglichkeit, die durch das<br />
Gesetz neu geschaffen wurde, ist die Übertragungsanordnung.<br />
Die BaFin kann das Vermögen eines Kreditinstituts,<br />
wenn dieses in ihrem Bestand bedroht ist und<br />
hierdurch die Stabilität des Finanzsystems gefährdet<br />
wird, auf einen anderen Rechtsträger übertragen. Die<br />
Systemrelevanz einer Bank bleibt auch im KWG weiterhin<br />
ein auslegungsbedürftiger Rechtsbegriff. Eine<br />
Systemgefährdung soll demnach vorliegen, wenn zu<br />
befürchten ist, „dass sich die Bestandsgefährdung des<br />
Kreditinstituts in erheblicher Weise negativ auf andere<br />
Unternehmen des Finanzsektors, die Finanzmärkte<br />
oder auf das allgemeine Vertrauen der Einleger und<br />
andere Marktteilnehmer in die Funktionsfähigkeit des<br />
Finanzsystems auswirkt.“ Hierüber müssen BaFin und<br />
Deutsche Bundesbank in einer gemeinsamen Stellungnahme<br />
übereinkommen.<br />
Im Vergleich zu einer Liste, wie sie derzeit für global<br />
systemrelevante Banken von den G20 Staaten aufgestellt<br />
werden soll, hat die Lösung des Gesetzes den Vorteil,<br />
dass in einer bestimmten Situation flexibel gehandelt<br />
werden kann. Letztlich wird aber das einleitend<br />
angesprochene Problem des „Moral Hazard“ – jedenfalls<br />
solange es systemrelevante Institute gibt – durch<br />
die Möglichkeit einer Übertragungsanordnung nicht<br />
gelöst. Allerdings kann es bei der Übertragung zur Aufspaltung<br />
des Kreditinstituts in einen systemrelevanten<br />
zu übertragenden Teil und einen solchen, der nicht<br />
systemrelevant ist, kommen. Der nicht systemrelevante<br />
Infobrief Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin II/2011<br />
Teil kann also möglicherweise abgewickelt werden.<br />
Die Technik der Übertragung folgt weitgehend dem<br />
Umwandlungsrecht. Die bisherigen Eigner des Kreditinstituts<br />
werden auf diese Weise von ihrem Eigentum<br />
getrennt, wobei sie grundsätzlich durch Beteiligung am<br />
übernehmenden Rechtsträger zu entschädigen sind. Die<br />
Beteiligung setzt aber voraus, dass der Wert der übertragenen<br />
Gegenstände (einschließlich der Schulden)<br />
insgesamt positiv ist. Den sich hier ergebenden Bewertungsschwierigkeiten<br />
versucht das Gesetz mit weiteren<br />
Regelungen Herr zu werden. Der Gesetzgeber geht von<br />
einer zulässigen Inhaltsbestimmung des Eigentums der<br />
Anteilseigner aus, bei der – zumal wegen der Systemrelevanz<br />
der Institute – die Sozialpflichtigkeit des Eigentums<br />
den Eingriff verhältnismäßig erscheinen lässt.<br />
Die Errichtung eines Restrukturierungsfonds für<br />
Kreditinstitute war bis zuletzt eines der umstrittensten<br />
Vorhaben, das nunmehr mit dem Restrukturierungsgesetz<br />
umgesetzt wurde. Die Förderbanken werden von<br />
Einzahlungen in den Fonds verschont, eine Ausnahme<br />
sollte bis zum Schluss auch für Sparkassen und Genossenschaftsbanken<br />
erreicht werden und wird weiterhin<br />
gefordert. Die Bundesregierung hat im Bundesrat<br />
außerdem die Herausnahme der Bürgschaftsbanken<br />
zugesagt, soweit für diese Banken in EU–beihilferechtlich<br />
zulässiger Weise Patronatserklärungen durch die<br />
Länder abgegeben werden. Der Restrukturierungsfonds<br />
kann unter anderem die so genannten Brückeninstitute<br />
gründen, die zur Übernahme des Vermögens<br />
systemrelevanter (Teile) bestandsgefährdeter Kreditinstitute<br />
zur Verfügung stehen sollen. Aus dem Fonds wird<br />
deren Refinanzierung sichergestellt. Die Zielgröße des<br />
Restrukturierungsfonds wird im Gesetz mit 70 Milliarden<br />
Euro beziffert. Hierdurch soll zumindest erreicht<br />
werden, dass der Steuerzahler nicht unmittelbar für die<br />
systemrelevanten Institute herangezogen wird. Eine<br />
Einpreisung der Rückgriffsmöglichkeit auf die Mittel<br />
des Restrukturierungsfonds mag in der Beitragshöhe<br />
zu sehen sein. Dem „Moral Hazard“-Problem scheint<br />
man, solange es systemrelevante Institute gibt, auf diese<br />
Weise allerdings kaum Herr werden zu können.<br />
Durch das als eigenständiges Gesetz eingeführte Kreditinstitute-Reorganisationsgesetz<br />
wird den Kreditinstituten<br />
die Möglichkeit eingeräumt, durch ein von<br />
ihnen frühzeitig selbst eingeleitetes Sanierungsverfahren<br />
einer Schieflage entgegenzuwirken. In Rechte<br />
Dritter kann in diesem Verfahren nicht eingegriffen<br />
werden. Anders im Reorganisationsverfahren, das aber<br />
nur für systemrelevante Institute beantragt werden<br />
kann. Beide Verfahren werden vom betroffenen Kreditinstitut<br />
durch Anzeige bei der BaFin eingeleitet, die<br />
den Antrag auf Durchführung des Verfahrens bei dem<br />
7
für die Bundesanstalt zuständigem Oberlandesgericht,<br />
also dem OLG Frankfurt, stellen kann. Die BAFin hat<br />
hierbei ein weites Ermessen. Die Voraussetzungen für<br />
die Einleitung der Verfahren entsprechen denen der<br />
zuvor beschriebenen abgestuften Eingriffsmöglichkeiten<br />
nach KWG, wobei das Reorganisationsverfahren<br />
der scharfen Eingriffsmöglichkeit der Übertragungsanordnung<br />
entspricht.<br />
Mit Anzeige der Sanierungsbedürftigkeit – die Gesamtkennziffern<br />
des Kreditinstituts also erwarten lassen,<br />
dass es den Anforderungen an die Eigenkapitalausstattung<br />
bzw. an die vorzuhaltende Liquidität nicht mehr<br />
dauerhaft genügen kann – legt das Kreditinstitut der<br />
BaFin einen Sanierungsplan vor und benennt einen<br />
Sanierungsberater, der bei der Erstellung des Plans mitgewirkt<br />
haben kann. Der Sanierungsplan kann dabei<br />
keinen Eingriff in Rechte Dritter vorsehen. Es kann<br />
lediglich bestimmt werden, dass in einem etwaigen<br />
späteren Insolvenzverfahren Darlehen und Kredite,<br />
die zur Umsetzung des Plans gegeben werden, Vorrang<br />
vor sonstigen Insolvenzforderungen haben. Soweit das<br />
BaFin hierauf Antrag auf Eröffnung des Sanierungsverfahrens<br />
beim OLG stellt, wird von diesem das Verfahren<br />
eröffnet, soweit es dies für zulässig und den Sanierungsplan<br />
nicht für offensichtlich ungeeignet hält. Das<br />
Gericht kann darüber hinaus noch weitere Maßnahmen<br />
auf Antrag der BaFin treffen, soweit dies erforderlich ist<br />
und Gläubigeransprüche anderenfalls gefährdet sind.<br />
So können Mitgliedern der Geschäftsleitung die Ausübung<br />
ihrer Tätigkeit, den Gesellschaftern Entnahmen<br />
und Ausschüttungen untersagt und Bonuszahlungen<br />
überprüft werden. Dem Sanierungsberater können<br />
zudem Geschäftsführungsaufgaben übertragen werden.<br />
Hat das Sanierungsverfahren keinen Erfolg oder hält es<br />
das Kreditinstitut von Anfang an für aussichtslos, kann<br />
es ein Reorganisationsverfahren einleiten. Die Bundesanstalt<br />
kann in diesem Fall Antrag auf Durchführung<br />
des Verfahrens stellen, soweit es zu der Überzeugung<br />
gelangt, dass das Institut bestandsgefährdet ist und<br />
hierdurch eine Systemgefährdung vorliegt. Im Reorganisationsplan<br />
kann in Gläubigerrechte aber auch in<br />
Anteilsinhaberrechte, dort insbesondere durch einen<br />
Debt-Equity-Swap, eingegriffen werden. Der Plan muss<br />
von sämtlichen der zu bildenden Gläubigergruppen<br />
ggf. auch einer Anteilsinhabergruppe – soweit in deren<br />
Rechte eingegriffen wird – angenommen werden. In<br />
den einzelnen Gruppen kommt es dabei jeweils auf die<br />
Mehrheit der abgegebenen Stimmen an, soweit gleichzeitig<br />
mehr als die Hälfte der Summe der Ansprüche<br />
in der Gruppe zustimmt. Die Zustimmung gilt darüber<br />
hinaus unter bestimmten Voraussetzungen als erteilt.<br />
Hierfür hat der Gesetzgeber eine Reihe von Gründen<br />
Infobrief Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin II/2011<br />
aufgeführt, bei deren Vorliegen eine Ablehnung des<br />
Plans als ungerechtfertigt angesehen wird. Von besonderem<br />
Interesse ist dabei eine Ablehnung durch die<br />
Anteilsinhaber, beispielsweise wegen des Verlusts ihrer<br />
Beteiligung. Hier gilt die Zustimmung als erteilt, wenn<br />
die Maßnahme geeignet, erforderlich und angemessen<br />
ist, um erhebliche negative Folgeeffekte bei anderen<br />
Unternehmen des Finanzsektors zu verhindern. Eine<br />
Feststellung, die der gerichtlichen Bestätigung durch<br />
das OLG vorbehalten ist.<br />
Ob die Anteilsinhaber durch die Möglichkeit eines<br />
Debt-Equity-Swaps zu einer stärkeren Überwachung<br />
angehalten und auf diese Weise der „Moral Hazard“<br />
entgegengewirkt werden kann, erscheint zweifelhaft.<br />
Die Anteilsinhaber waren bisher vor allem auch deshalb<br />
nicht hierfür zu motivieren, weil sie entweder schon<br />
zu geringe Beteiligungen hielten oder nur, solange die<br />
Banken hohe Risiken eingingen, entsprechende Dividenden<br />
bzw. Kurse erwarten konnten. Der Anteil selbst<br />
ist in einer Krise relativ schnell wertlos.<br />
Bleibt zur Bekämpfung der Moral–Hazard-Problematik<br />
noch der Ansatz über die Incentivierung der Mitarbeiter<br />
und Vertretungsorgane. Die Fehlleitung durch<br />
bestehende Vergütungssysteme sieht man als wesentlichen<br />
Grund für die Finanzkrise an. Mit dem Restrukturierungsgesetz<br />
wurde das Finanzmarktstabilisierungsgesetz<br />
insoweit geändert, als Organmitglieder<br />
und Angestellte eines Instituts, das mit Mitteln dieses<br />
Fonds rekapitalisiert ist, einer Vergütungsobergrenze<br />
von 500.000 Euro unterliegen. Da diese Gehaltsdeckelung<br />
nur für solche Institute gilt, die bereits staatliche<br />
Hilfe für ihre Rettung in Anspruch nehmen, kann hierdurch<br />
auf das Verhalten einzelner Akteure vor diesem<br />
Stadium kaum Einfluss genommen werden. Anders<br />
sieht es mit der Heraufsetzung der Verjährungsfristen<br />
von fünf auf zehn Jahre für Ansprüche gegen Vorstände<br />
börsennotierter Aktiengesellschaften wegen<br />
Sorgfaltspflichtverletzungen aus. Die Aufarbeitung<br />
von Pflichtverletzungen durch Vorstände beim Aufbau<br />
der Finanzkrise könnte eine disziplinierende Wirkung<br />
auch für die Zukunft haben.<br />
Ob das Gesetz ausreichende Maßnahmen zur Bekämpfung<br />
neuer Finanzkrisen trifft, mag bezweifelt werden.<br />
Es sind auf Grund der Komplexität, das muss man dem<br />
Gesetzgeber zugutehalten, weitere Maßnahmen erforderlich,<br />
die vor allem international abzustimmen sind.<br />
Mit der Möglichkeit, durch Übertragungsanordnungen<br />
Kreditinstitute aufzuteilen, hat das Gesetz jedenfalls<br />
die Grundlagen geschaffen, um mit solchen Instituten<br />
umzugehen, die als nicht mehr überlebensfähig<br />
aus der Finanzkrise hervorgegangen sind.<br />
8
Dr. Christoph von Wilcken<br />
Rechtsanwalt<br />
Berlin<br />
CWilcken@schubra.de<br />
4. Debt-Equity-Swap als<br />
Sanierungsinstrument<br />
Infobrief Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin II/2011<br />
Sanierung in Zeiten ohne Geld<br />
Die Phase des billigen Geldes verbunden mit dem weltweiten<br />
Wirtschaftswachstum bis zum Jahre 2007 hatte<br />
zu einem Boom der sog. „Leveraged Buyout“- und<br />
„High Yield“- Finanzierungen geführt. Ihr Volumen<br />
vervielfachte sich zwischen 1999 und 2007. Im Jahr<br />
2006 allein wurden in Deutschland 186 LBO-Transaktionen<br />
mit einem Gesamtvolumen von 50,9 Milliarden<br />
Euro durchgeführt (Quelle: Ernst & Young,<br />
German Private Equity Activity, Dez. 2006, S. 4). Mit<br />
der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise ist dieser<br />
Markt zusammengebrochen. Angesichts der nunmehr<br />
auch von der Europäischen Zentralbank angekündigten<br />
– noch moderaten – Zinserhöhung ist auch nicht zu<br />
erwarten, dass derartige Transaktionen mit einer „Leverage“<br />
(Verschuldungsgrad) von bis zu 4:1 (also 80 %<br />
Fremd- zu 20 % Eigenkapital) in nächster Zeit wieder<br />
auf dem Markt erscheinen werden. Im Gegensatz zu der<br />
Situation beim Zusammenbruch der New Economy<br />
ist derzeit auch keine Möglichkeit abzusehen, eine tatsächliche<br />
Refinanzierung dieser Deals auf die Beine zu<br />
stellen. Vielmehr trifft die bereits oben im Editorial<br />
genannte Debt-Wall auf vorsichtige Kreditgeber, die<br />
schon im Hinblick auf Basel III kalkulieren. In diesem<br />
Marktklima werden, beginnend seit 2010, etliche LBO-<br />
Deals fällig oder befinden sich schon in der Krise.<br />
Vor diesem Hintergrund gewinnt der Debt-Equity-<br />
Swap (neudeutsch für Forderungsumwandlung in<br />
Eigenkapital) bereits jetzt erhöhte praktische Bedeutung,<br />
wie aus jüngster Zeit die Fälle PrimaCom,<br />
Conergy oder Pfleiderer zeigen. Er stellt nämlich<br />
praktisch das „letzte Hemd“ des Schuldners dar, welches<br />
er den Gläubigern anbieten kann, wenn er nicht<br />
in der Lage ist, seine Verbindlichkeiten zu begleichen<br />
und sich auch niemand findet, der ihn refinanziert. Die<br />
Forderungsumwandlung kann dabei für Schuldner und<br />
Gläubiger vorteilhaft sein: das Schuldnerunternehmen<br />
kann sich (eines Teils) seiner Verbindlichkeiten entledigen,<br />
die Gläubiger können dagegen Einfluss auf das<br />
Unternehmen gewinnen.<br />
Auch der Gesetzgeber hat auf diese Entwicklung reagiert<br />
und begonnen, die Möglichkeit des Debt-Equity-Swap<br />
in verschiedenen Formen zu kodifizieren. Den Anfang<br />
machte 2009 die Reform des Schuldverschreibungsgesetzes<br />
von 1899 (SchVerschrG 1899), in dem nunmehr<br />
unter besonderen Umständen auch die Durchführung<br />
eines Debt-Equity-Swaps außerhalb eines Insolvenzverfahrens<br />
zugelassen ist (siehe vertiefend zum neuen<br />
SchVerschrG Infobrief 3/2009). Nach den Erfahrungen<br />
des sehr kritisch verlaufenden „Squeeze Out“ bei<br />
der Hypo Real Estate hat der Gesetzgeber dann auch<br />
das Kreditinstitute-Reorganisationsgesetz (KreditRe-<br />
OrgG) zum 1. Januar 2011 in Kraft gesetzt. Auch dieses<br />
Gesetz sieht die Möglichkeit einer Forderungsumwandlung<br />
in Eigenkapital vor (siehe vorigen Artikel).<br />
Nunmehr plant der Gesetzgeber auch die Einführung<br />
der Möglichkeit des Debt-Equity-Swap im Rahmen<br />
eines Insolvenzplanverfahrens.<br />
Rechtliche Ausgangslage<br />
Trotz der Vielzahl von Kodifizierungen zum Debt-<br />
Equity-Swap sollte nicht übersehen werden, dass die<br />
tatsächliche Durchführung des Debt-Equity-Swaps<br />
jeweils den auch bislang geltenden Regelungen des<br />
Gesellschaftsrechts, also insbesondere desjenigen zum<br />
Kapitalschnitt, folgt. Durch die Regelungen in den<br />
Spezialgesetzen sollen lediglich bestimmte verfahrenstechnische<br />
Erleichterungen geschaffen werden, so z.B.<br />
die Möglichkeit der Überstimmung der Altgesellschafter<br />
und die Einbindung divergierender Gläubiger.<br />
Lehrbuchmäßig erfolgt ein Debt-Equity-Swap durch<br />
eine Kapitalherabsetzung mit anschließender Kapitalerhöhung.<br />
Bei der Kapitalherabsetzung handelt es sich<br />
regelmäßig um eine vereinfachte Kapitalherabsetzung.<br />
Sie dient dazu, die Eigenkapitalziffer an das tatsächlich<br />
noch vorhandene Vermögen des Unternehmens<br />
anzupassen (sog. Kapitalschnitt). Im Anschluss erfolgt<br />
eine Kapitalerhöhung, regelmäßig unter Bezugsrechtsausschluss<br />
der bisherigen Anteilsinhaber. Da als neues<br />
„Kapital“ Gläubigerforderungen eingebracht werden,<br />
handelt es sich um eine Sachkapitalerhöhung. Die Forderungen<br />
können durch eine Abtretung an die Gesellschaft,<br />
durch einen Verzicht oder durch eine Aufrechnung<br />
eingebracht werden.<br />
Neben dieser „klassischen“ Methode existiert auch<br />
eine Vielzahl von besonderen Gestaltungsmöglich-<br />
9
Infobrief Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin II/2011<br />
keiten: Beispielhaft seien der Debt-Mezzanine- bzw.<br />
Debt-to-Hybrid-Swap genannt, bei dem Forderungen<br />
in mezzanine bzw. hybride Beteiligungen getauscht<br />
werden. Denkbar ist auch ein Reverse-Debt-Equity-<br />
Swap, bei dem das Schuldnerunternehmen in das Gläubigerunternehmen<br />
eingebracht wird. Daneben häufen<br />
sich auch die Fälle, in denen die Gläubiger ihnen zur<br />
Sicherheit verpfändete Gesellschaftsanteile schlichtweg<br />
verwerten und sich so in die Gesellschafterstellung<br />
bringen.<br />
Das derzeit noch größte Hindernis bei der Durchsetzung<br />
des Debt-Equity-Swap besteht darin, dass er<br />
faktisch nicht gegen den Willen der bisherigen Gesellschafter<br />
durchgesetzt werden kann. Daneben stellt die<br />
zutreffende Bewertung der eingebrachten Forderungen<br />
ein Problem dar. Die Forderung kann nicht schlicht zum<br />
Nennwert eingebracht werden. Es ist der tatsächliche<br />
Wert zu ermitteln, der gerade in einer Krisensituation<br />
durchaus geringer sein kann. Bei einer zu hohen Bewertung<br />
droht eine Haftung auf den Differenzbetrag (sog.<br />
Differenzhaftung). Das Haftungsrisiko kann durch ein<br />
Wertgutachten eines Wirtschaftsprüfers minimiert,<br />
nicht aber vollständig ausgeschlossen werden.<br />
Weiter droht die Gefahr, dass – sofern nur Teile der<br />
Forderungen eines Gläubigers in Eigenkapital umgewandelt<br />
werden – die übrigen Forderungen als Gesellschafterdarlehen<br />
behandelt werden und damit in der<br />
Insolvenz nachrangig zu befriedigen bzw. im Fall einer<br />
Auszahlung anfechtbar sind. Zwar sieht die Insolvenzordnung<br />
gewisse Privilegien für derartige Situationen<br />
vor – das so genannte Sanierungs- sowie das so<br />
genannte Kleinbeteiligtenprivileg. Diese Privilegien<br />
greifen jedoch nicht in jedem Fall, sodass ein gewisses<br />
Maß an Rechtsunsicherheit besteht.<br />
Auch in steuerrechtlicher Hinsicht ist Vorsicht geboten.<br />
Denn durch eine Debt-to-Equity-Transaktion können<br />
Sanierungsgewinne entstehen, deren steuerrechtliche<br />
Bewertung bislang nicht zweifelsfrei geklärt ist. Daneben<br />
können sich Fallstricke aus kartellrechtlichen wie<br />
auch börsenrechtlichen Besonderheiten ergeben.<br />
Reformen<br />
Die bereits durchgeführten oder noch in der Umsetzung<br />
befindlichen Reformbestrebungen haben zum<br />
Ziel, die oben angesprochenen Risiken und Probleme<br />
aus dem Weg zu schaffen.<br />
So soll der Debt-Equity-Swap künftig auch gegen den<br />
Willen der (Alt-)Gesellschafter durchgesetzt werden<br />
können. Damit wird das zentrale Problem bei der<br />
Durchführung eines Debt-Equity-Swaps ausgeräumt.<br />
10<br />
Daneben werden zumindest im ESUG auch Regelungen<br />
geschaffen, die eine Differenzhaftung der neu<br />
eintretenden Gesellschafter verhindern. Eine derartige<br />
ausdrückliche Ausschlussregelung wird jedoch beim<br />
SchVG und beim KreditReorgG vermisst.<br />
Ferner bestehen in den beiden schon in Kraft befindlichen<br />
Gesetzen noch Anhaltspunkte für Wertungswidersprüche:<br />
So dürfen einerseits den Gläubigern durch<br />
den Debt-Equity-Swap keine neuen Pflichten übergestülpt<br />
werden und die Forderungsumwandlung darf<br />
auch nicht gegen einen dagegen stimmenden Gläubiger<br />
umgesetzt werden. Unklar ist aber, ob nicht das Risiko<br />
der Differenzhaftung nicht als eine neue Pflicht anzusehen<br />
ist und was mit den Forderungen geschieht, bei<br />
denen Gläubiger eine Forderungsumwandlung explizit<br />
abgelehnt haben.<br />
Positiv gewendet kann man sagen, dass die Einführung<br />
des Debt-Equity-Swaps rechtstechnisch von Gesetz zu<br />
Gesetz (also vom SchVG bis zum ESUG) besser geworden<br />
ist. Umgekehrt lässt sich aber absehen, dass sowohl<br />
das KreditReorgG als auch das SchVG noch einer<br />
Nachbesserung bedürfen.<br />
Fazit:<br />
Trotz dieser nach wie vor bestehenden Schwächen<br />
und der ebenfalls ungelösten Rahmenprobleme,<br />
gerade im steuerlichen Bereich, werden<br />
sich die Bedingungen für einen Debt-Equity-<br />
Swap sowohl innerhalb als auch außerhalb der<br />
Insolvenz maßgeblich verbessern. Außerhalb<br />
der Insolvenz wird eine Forderungsumwandlung<br />
deswegen besser durchzusetzen sein, weil<br />
die Gesellschafter wissen, dass ihnen ein Entzug<br />
der Gesellschafterstellung spätestens im<br />
Insolvenzverfahren droht. Die ist neudeutsch<br />
gesagt durchaus eine incentive, um einem Debt-<br />
Equity-Swap außerhalb der Insolvenz zuzustimmen.<br />
Innerhalb der Insolvenz wird die Rechtssicherheit<br />
für die Gläubiger erhöht, da ihnen das<br />
Risiko der Differenzhaftung genommen wird.<br />
Es sollte allerdings auch beachtet werden, dass diese<br />
Erleichterung des Debt-Equity-Swaps im deutschen<br />
Recht auch die entsprechenden Gläubiger anziehen<br />
wird: Hedge-Fonds, die eine sog. „loan-to-own“ Strategie<br />
verfolgen, bringen sich in Deutschland vermehrt<br />
in Stellung. Sie haben schon in diversen Fällen die Verbindlichkeiten<br />
von den ursprünglich kreditgebenden<br />
Banken zu einem Bruchteil des Nennwertes erworben<br />
und versuchen mit massivem Druck, diese Forderungen
Infobrief Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin II/2011<br />
umzuwandeln. Man wird sehen, ob diese Strategie auch<br />
zur Etablierung einer Sanierungskultur in Deutschland<br />
beitragen wird.<br />
Praxistipp:<br />
Der Debt-Equity-Swap stellt grundsätzlich ein<br />
nützliches Instrument zur Sanierung von Unternehmen<br />
dar – und das bereits nach geltendem<br />
Recht. Die Umsetzung eines Debt-Equity-<br />
Swaps ist – auch auf Grund der zu beachtenden<br />
Nebenaspekte – jedoch komplex. Ferner zeigen<br />
die bislang vorliegenden Fälle auch eine Tendenz<br />
dahin, dass sich Gläubiger, Gesellschafter<br />
und Management eine „Übernahmeschlacht mit<br />
Mitteln des Insolvenzrechts“ liefern, wenn es um<br />
einen Debt-Equity Swap geht.<br />
Gesetz über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen<br />
vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2512), SchVG 2009<br />
Gesetz zur Restrukturierung und geordneten Abwicklung<br />
von Kreditinstituten, zur Errichtung eines Restrukturierungsfonds<br />
für Kreditinstitute und zur Verlängerung<br />
der Verjährungsfrist der aktienrechtlichen Organhaftung<br />
vom 9. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1900), RestrG<br />
Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Gesetz zur weiteren<br />
Erleichterung der Sanierung von Unternehmen<br />
(BR-Drs. 127/11), ESUG, Reg EV<br />
Dr. Volker Beissenhirtz, LL.M.<br />
Rechtsanwalt<br />
Registered European Lawyer (London)<br />
Berlin<br />
VBeissenhirtz@schubra.de<br />
Ref. jur. Matthias Flotmann, Berlin<br />
MFlotmann@schubra.de<br />
5. Newsticker<br />
11<br />
1. EU–Kommission kippt Sanierungsklausel<br />
Die EU–Kommission hat im Januar 2011 entschieden,<br />
dass es sich bei der Sanierungsklausel gemäß § 8c Abs.<br />
1 a KStG um eine mit dem Binnenmarkt nicht vereinbare<br />
rechtswidrige Beihilfe handle. Die Klausel war<br />
Mitte 2009 zunächst zeitlich befristet vom deutschen<br />
Gesetzgeber eingeführt und später von ihm in eine<br />
dauerhafte Regelung umgewandelt worden.<br />
Die Sanierungsklausel sollte Unternehmen trotz eines<br />
schädlichen Beteiligungserwerbs die Möglichkeit<br />
erhalten, Verluste aus den Vorjahren weiter zu nutzen,<br />
soweit der Anteil zum Zwecke der Sanierung erworben<br />
wird. Die Kommission argumentiert, dass es sich bei<br />
dem Verzicht auf Steuereinnahmen um eine staatliche<br />
Beihilfe handle, bei der das betroffene Unternehmen<br />
im Vergleich zu anderen Fällen eines schädlichen Beteiligungserwerbs<br />
besser gestellt wird. Die selektive Beihilfemaßnahme<br />
sei weder vorübergehender Natur und<br />
entspreche im Übrigen auch nicht der Rettungs- und<br />
Umstrukturierungsbeihilferichtlinie.<br />
Die Sanierungsklausel war bereits mit Einleitung des<br />
Prüfungsverfahrens durch die Kommission nicht mehr<br />
anwendbar. Die Bundesregierung hat gegen die Entscheidung<br />
der Kommission Klage beim EuGH eingereicht.<br />
Europäische Kommission, Pressemitteilung IP/11/65<br />
Bundesministerium für Finanzen, Pressemitteilung<br />
Nr.4/2011<br />
2. BFH zur Umsatzsteuer in der Insolvenz<br />
Vereinnahmt der Insolvenzverwalter eines Unternehmens<br />
das Entgelt für eine vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />
ausgeführte Leistung, begründet die<br />
Entgeltvereinnahmung nicht nur bei der Ist-, sondern<br />
auch bei der Sollbesteuerung eine Masseverbindlichkeit<br />
i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (Fortführung des<br />
BFH-Urteils vom 29. Januar 2009 V R 64/07, BFHE<br />
224, 24, BStBI II 2009, 682, zur Istbesteuerung).<br />
BBFH, Urt. v. 9.12.2010, V R 22/10<br />
3. BGH zu Anfechtungsklagen gegen Sozialversicherungsträger/Rechtsweg<br />
Für insolvenzrechtliche Anfechtungsklagen gegen<br />
Sozialversicherungsträger ist der Rechtsweg zu den<br />
ordentlichen Gerichten gegeben.
BGH, Beschl. v. 24. März 2011 − IXZB 36/09<br />
Infobrief Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin II/2011<br />
4. BGH zur Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens<br />
allein bei inländischem Schuldnervermögen<br />
1. Hat der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen<br />
Interessen im Gebiet eines Mitgliedsstaates,<br />
so sind die Gerichte eines anderen Mitgliedsstaates nur<br />
dann zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens befugt,<br />
wenn der Schuldner eine Niederlassung im Gebiet dieses<br />
anderen Mitgliedsstaates hat. Inländisches Vermögen<br />
reicht dafür nicht aus.<br />
2. Die Vorschrift des § 354 Abs. 2 InsO, die für ein Partikularverfahren<br />
inländisches Vermögen in Ausnahmefällen<br />
ausreichen lässt, ist wie alle Vorschriften des autonomen<br />
deutschen internationalen Insolvenzrechts im<br />
Geltungsbereich der EuInsVO nicht anwendbar, soweit<br />
sie deren Vorschriften nicht nur ergänzt, sondern im<br />
Widerspruch zu ihnen steht.<br />
BGH, Beschl. v. 21. Dezember 2010 – IX ZB 227/09<br />
5. BGH zur Internationalen Zuständigkeit deutscher<br />
Gerichte<br />
1. Für die Begründung der internationalen Zuständigkeit<br />
deutscher Gerichte nach Art. 2 Abs. 1 EuGVVO<br />
reicht es aus, dass diese erst im Laufe des Rechtsstreits<br />
eingetreten ist.<br />
2. Die danach einmal begründete internationale<br />
Zuständigkeit des Gerichts bleibt auch dann erhalten,<br />
wenn die sie begründenden Umstände im Laufe des<br />
Rechtsstreites wegfallen (perpetuatio fori).<br />
BGH, Urt. v. 1. März 2011 – IX ZR 48/10<br />
6. BGH zu „Zins-Swap-Geschäften“<br />
Der BGH hat eine Bank zum Schadensersatz wegen<br />
einer Beratungspflichtverletzung beim Abschluss eines<br />
sog. „Zins-Swap-Geschäfts“ verurteilt und ist damit<br />
von der bisherigen Rechtsprechungslinie der Obergerichte<br />
abgerückt. Diese Rechtsprechung dürfte auch<br />
Auswirkungen auf die Finanzlage von Kommunen und<br />
Unternehmen haben, die vor diesem Urteil teilweise<br />
mit zweistelligen Millionenbeträgen im Minus waren.<br />
Bei einem Zins-Swap-Geschäft werden feste gegen variable<br />
Zinsen getauscht. In der Entscheidung des BGH<br />
ging es um eine Sonderform, einen Spread-Ladder-<br />
Swap, bei dem auf den Verlauf der Differenz („Spread“)<br />
zwischen zwei unterschiedlichen Zinskurven gewettet<br />
wird.<br />
12<br />
Aufgrund der hohen Komplexität eines solchen<br />
Geschäfts seien strenge Anforderungen an die Beratung<br />
der Bank zu stellen. Die Bank müsse gewährleisten, dass<br />
der Anleger hinsichtlich der Risiken des Geschäfts im<br />
Wesentlichen über den gleichen Kenntnis- und Wissensstand<br />
verfüge, wie die Bank.<br />
Ob die Bank diesen hohen Anforderungen gerecht<br />
werden konnte, konnte der BGH offen lassen, da die<br />
Bank jedenfalls nicht über einen negativen Marktwert<br />
des Produktes informiert und bereits damit gegen ihre<br />
Beratungspflichten verstoßen hatte.<br />
BGH, Urt. v. 22. März 2011 – XI ZR 33/10<br />
7. BGH zur Haftung des Geschäftsführers<br />
Der Geschäftsführer haftet nicht nach § 64 Satz 1<br />
<strong>GmbH</strong>G, wenn er nach Eintritt der Insolvenzreife<br />
rückständige Umsatz- und Lohnsteuern an das Finanzamt<br />
und rückständige Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung<br />
an die Einzugsstelle zahlt.<br />
BGH, Urt. v. 25. Januar 2011 – II ZR 196/09<br />
Hinweis in eigener Sache:<br />
Der nächste Berliner Jour Fixe findet am<br />
23. Juni 2011 um 17.00 Uhr zum Thema „Konzerninsolvenz“–<br />
veranschaulicht am Beispiel des<br />
Automobilzulieferers SaarGummi – in unserem<br />
Berliner Büro statt. Referieren werden Herr RA<br />
Detlef Specovius und Herr RA Dr. Christoph<br />
von Wilcken. Sollten Sie Interesse an der Teilnahme<br />
haben, so können Sie sich gerne an Frau<br />
Kriebel unter mkriebel@schubra. de wenden.
Ansprechpartner<br />
<strong>Schultze</strong> & <strong>Braun</strong> <strong>GmbH</strong><br />
Rechtsanwaltsgesellschaft<br />
Schützenstraße 6a<br />
10117 Berlin<br />
Telefon 0 30/3 08 30 38-0<br />
Telefax 0 30/3 08 30 38-111<br />
Internet: www.schubra.de<br />
E-Mail: Mail@schubra.de<br />
G e s c h ä f t s f ü h r e r :<br />
Rechtsanwältin Ellen Delzant<br />
Rechtsanwalt Achim Frank<br />
Rechtsanwältin Kathrin Heerdt<br />
Rechtsanwalt Dr. Rainer Riggert<br />
Rechtsanwalt Dr. Ludwig Weber<br />
Rechtsanwalt Joachim Zobel<br />
Dr. Peter de Bra<br />
Rechtsanwalt<br />
Eisenbahnstraße 19 - 23<br />
77855 Achern<br />
PdeBra@schubra.de<br />
S i t z :<br />
Eisenbahnstraße 19-23, 77855 Achern<br />
Amtsgericht Mannheim HRB 220942<br />
S t a n d o r t e :<br />
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Infobrief Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin II/2011<br />
Dr. Volker Beissenhirtz, LL.M.<br />
Rechtsanwalt<br />
Registered European Lawyer (London)<br />
Schützenstraße 6a<br />
10117 Berlin<br />
VBeissenhirtz@schubra.de<br />
Impressum<br />
Verantwortlich für den Inhalt:<br />
Dr. Volker Beissenhirtz<br />
<strong>Schultze</strong> & <strong>Braun</strong> <strong>GmbH</strong> Rechtsanwaltsgesellschaft<br />
Berlin<br />
13<br />
Sollten Sie Fragen zu dem Infobrief oder aktuellen Entwicklungen<br />
auf dem Gebiete des Sanierungs- und Insolvenzrechts<br />
haben, so stehen Ihnen die Ansprechpartner<br />
jederzeit gerne zur Verfügung. Gerne nehmen wir auch<br />
Ihre Themenwünsche für den Infobrief entgegen.<br />
Dieser Infobrief ist ein reines Informationsschreiben und<br />
dient der allgemeinen Unterrichtung unserer Mandanten<br />
sowie anderer interessierter Personen. Er kann eine<br />
rechtliche Beratung im Einzelfall nicht ersetzen.