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Die Sammlung Stottele - im Landkreis Ravensburg

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Abb. 1: Illustration aus: „Piek, das Igelkind“ von Christine Adrian und Gerda Muller.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Sammlung</strong> <strong>Stottele</strong><br />

Schätze der Kinder- und Jugendliteratur<br />

an der Pädagogischen Hochschule Weingarten<br />

Von Martin Oswald Das Kind spielt gerne mit Wörtern<br />

Das Kind singt gerne<br />

<strong>Die</strong> Pädagogische Hochschule<br />

Weingarten verfügt mit der<br />

<strong>Sammlung</strong> G. & C. <strong>Stottele</strong> über<br />

wertvolle Schätze der Kinder-<br />

und Jugendliteratur aus aller<br />

Welt. <strong>Die</strong> <strong>Sammlung</strong> verdankt<br />

sie dem <strong>Ravensburg</strong>er Ehepaar<br />

Gisela und Christian <strong>Stottele</strong>.<br />

Ziel der öffentlich zugänglichen<br />

Einrichtung ist es, ein Forum und<br />

Ort der Begegnung mit Kinder-<br />

und Jugendliteratur zu sein. Sie<br />

richtet sich an Studierende, Erzieher,<br />

Lehrer und die gesamte<br />

interessierte Öffentlichkeit.<br />

Das Kind lernt seine Umwelt kennen<br />

Das Kind erfährt täglich etwas über die Welt<br />

Das Kind begegnet Tieren und Pflanzen<br />

Das Kind mag den Kasper<br />

Das Kind möchte sich verwandeln<br />

Das Kind will Erklärungen und Belehrungen<br />

Das Kind fragt über die Welt hinaus<br />

Leo Lionni (aus: „Ich sammle Wörter“, 1969)<br />

Mit diesen Worten würdigt Leo Lionni in seinem „Vorlesebuch“<br />

den pädagogischen Wert und das Potenzial von Bilder- und Kinderbüchern.<br />

Das Ehepaar Gisela und Christian <strong>Stottele</strong> stellte das Zitat<br />

als Botschaft an das Ende einer gemeinsamen Rede anlässlich<br />

der <strong>im</strong> Jahr 2008 erfolgten Übergabe seiner <strong>Sammlung</strong> von Kinder-<br />

und Jugendbüchern an die Pädagogische Hochschule Weingarten<br />

(Abb. 1). Hier hat die „<strong>Sammlung</strong> <strong>Stottele</strong>“, ein Schatz aus über<br />

4500 Titeln, eine neue He<strong>im</strong>at gefunden: Kinderbücher und Ju-<br />

Im Oberland 2012, Heft 1<br />

4


gendliteratur vom Bilderbuch<br />

über Belletristik bis<br />

hin zu Sachbüchern und<br />

weiterführender Sekundärliteratur.<br />

Ein Korpus,<br />

der die Geschichte des<br />

Genres bis in die Gegenwart<br />

mit hervorragenden<br />

Beispielen dokumentiert<br />

und vor allem: illustriert.<br />

Dahinter steht ein Leben<br />

des Ehepaares <strong>Stottele</strong> für<br />

das Kinder- und Jugendbuch<br />

und die Frucht eines<br />

international geachteten<br />

Engagements. Eine Vielzahl<br />

der Bücher verdankt<br />

ihre Publikation der Herausgeberin<br />

und Lektorin<br />

Gisela <strong>Stottele</strong> sowie<br />

Christian <strong>Stottele</strong>, dem früheren Programmleiter<br />

und langjährigen Verantwortlichen für<br />

den Bereich Kinder- und Jugendbuch be<strong>im</strong><br />

<strong>Ravensburg</strong>er Buchverlag. Beide haben die<br />

Entwicklung der deutschen und internationalen<br />

Kinderliteratur seit den 1960er-Jahren<br />

nicht nur begleitet, sondern ganz wesentlich<br />

– und zwar bis in die jüngere Zeit – geprägt.<br />

Gisela und Christian <strong>Stottele</strong> –<br />

ein Leben für das Kinderbuch<br />

Sie lernten sich auf einer Fortbildung für das<br />

Verlagswesen kennen. Seither verband sie<br />

ein gemeinsames Engagement, das die Trennung<br />

zwischen beruflichem und privatem<br />

Leben nicht kannte. Es war Gisela <strong>Stottele</strong><br />

(†2010), die bei ihrem Ehemann Christian<br />

einst die Begeisterung für Kunst und Literatur<br />

weckte. Welche Erfolge die Verbindung<br />

noch zeitigen sollte, war da freilich noch<br />

nicht abzusehen. <strong>Die</strong> Berührung mit dem<br />

Bilder- und Kinderbuch begann bei Gisela<br />

<strong>Stottele</strong> sehr früh: „Mit der Ausbildung zur<br />

Verlagsbuchhändlerin in einem belletristischen<br />

Verlag in Tübingen und in der Buchhandelspraxis<br />

in der Buchhandlung Hugendubel<br />

am Salvatorplatz in München, wo ich<br />

in der Kinderbuchabteilung landete, ohne zu<br />

wissen, wie stark das Kinderbuch mein Leben<br />

best<strong>im</strong>men würde (...). <strong>Die</strong> Familienplanung<br />

brachte eine Arbeitspause von sieben<br />

Martin Oswald – <strong>Die</strong> <strong>Sammlung</strong> <strong>Stottele</strong><br />

Abb. 2: Gisela und Christian <strong>Stottele</strong> zusammen mit dem damaligen Rektor Prof.<br />

Dr. Jakob Ossner (links) bei der feierlichen Vertragsunterzeichnung anlässlich der<br />

Übergabe der <strong>Sammlung</strong> an die Pädagogische Hochschule.<br />

Im Oberland 2012, Heft 1<br />

5<br />

Jahren mit sich. Aber da wir 1962 nach <strong>Ravensburg</strong><br />

kamen und mein Mann für den<br />

Otto Maier Verlag die <strong>Ravensburg</strong>er Taschenbücher<br />

für Kinder aufbaute, konnte ich dem<br />

Kinderbuch gar nicht entrinnen“ 1. Ab 1973<br />

arbeitete Gisela <strong>Stottele</strong> als freie Redakteurin<br />

für das Bilderbuchprogramm des <strong>Ravensburg</strong>er<br />

Buchverlages. Dabei konzipierte sie<br />

ein völlig neues Format von sehr erfolgreichen<br />

Sachbilderbüchern, entwickelte internationale<br />

Reihen, widmete sich dem künstlerischen<br />

Bilderbuch und verstand es <strong>im</strong>mer<br />

wieder, bis dahin tabuisierte Themen zu besetzen.<br />

Auch als Übersetzerin, unter anderem<br />

von John Burmingham, machte sie sich<br />

einen Namen. Ein besonderes Interesse galt<br />

der internationalen Verlagsarbeit. In den<br />

90er-Jahren ergaben sich zusätzliche weltweite<br />

Verbindungen durch ihre Juryarbeit<br />

be<strong>im</strong> Deutschen Jugendliteraturpreis und der<br />

internationalen Jury der Biennale der Illustrationen<br />

in Bratislava. In zahlreichen von<br />

ihr kuratierten Ausstellungen, u. a. in Sofia,<br />

Jerusalem, Athen und Caracas entstanden<br />

weitere Kontakte, die sich auch in einer<br />

wertvollen <strong>Sammlung</strong> ausländischer Kinderbücher<br />

niederschlugen. Sie ergänzen heute<br />

den Bestand der <strong>Sammlung</strong> an der Pädagogischen<br />

Hochschule, der Gisela <strong>Stottele</strong> fast<br />

ein Jahrzehnt lang durch einen Lehrauftrag<br />

zum Thema Bilderbuch verbunden war. Hinzu<br />

kommt eine reiche Rezensententätigkeit


und schließlich auch die Veröffentlichung<br />

von Bilderbüchern, bei denen Gisela <strong>Stottele</strong><br />

selbst als Autorin hervortrat. In ihrem letzten<br />

Lebensjahr, 2010, erschien bei arsEdition<br />

eine von ihr aus dem Amerikanischen nacherzählte<br />

Weihnachtsgeschichte: „Das Geschenk<br />

der Weisen“ von O. Henry, illustriert<br />

von Anette Bley. <strong>Die</strong> letzten Sätze der Geschichte<br />

könnten genauso gut das Motto des<br />

Engagements der <strong>Stottele</strong>s für das Kinderbuch<br />

abgeben: „Das ist die gemeinsame Geschichte<br />

von zwei jungen Menschen (...), die<br />

aus Liebe ohne Bedenken ihre kostbarsten<br />

Schätze verschenkt haben. Sie gehören vielleicht<br />

zu den Weisen unserer Zeit“ 2.<br />

Christian <strong>Stottele</strong> wird in einer ihm gewidmeten<br />

Festschrift als „Grandseigneur des<br />

Kinderbuches“ 3 gewürdigt. <strong>Die</strong>s hat seinen<br />

guten Grund: Als Christian <strong>Stottele</strong> <strong>im</strong> Jahr<br />

1993 seine Tätigkeit als Programmleiter des<br />

<strong>Ravensburg</strong>er Buchverlags abschloss, lagen<br />

dreißig erfüllte Jahre hinter ihm: Der Aufbau<br />

der legendären <strong>Ravensburg</strong>er Taschenbücher<br />

und die Gestaltung eines Bilder-, Kinder- und<br />

Jugendbuchprogrammes, das zu den erfolg-<br />

Martin Oswald – <strong>Die</strong> <strong>Sammlung</strong> <strong>Stottele</strong><br />

Abb. 3: Illustration aus: „Dann kroch Martin durch den Zaun“ von<br />

Evelin Hasler, Dorothea Desmarowitz.<br />

Im Oberland 2012, Heft 1<br />

6<br />

reichsten <strong>im</strong> deutschsprachigen Raum zählte.<br />

Dazu gehören die bis heute in hohen Auflagen<br />

verlegten Werke von Autoren wie Judith<br />

Kerr („Als Hitler das rosa Kaninchen<br />

stahl“), H. G. Noack („Rolltreppe abwärts“),<br />

Hans-Christian Kirsch, Gudrun Pausewang<br />

und Ingeborg Bayer. Ein besonderes Interesse<br />

galt der Kinderliteratur der DDR. Nach der<br />

Wende entwickelten sich neue Verbindungen<br />

zu Autoren und Illustratoren aus den neuen<br />

Bundesländern. <strong>Die</strong> Anthologie „Wahnsinn!<br />

Geschichten vom Umbruch in der DDR“ ist<br />

der ganz eigene <strong>Ravensburg</strong>er Beitrag zur<br />

Wende. Christian <strong>Stottele</strong> stand für eine programmatisch<br />

wie wirtschaftlich tragfähige<br />

Entwicklung, dabei stets sensibel für gesellschaftliche<br />

Entwicklungen und offen für<br />

Neuerungen. Er wagte auch solche Produktionen,<br />

deren Verkaufserfolg sich vorab nicht<br />

einschätzen ließ und schuf so Raum für Innovatives<br />

und Exper<strong>im</strong>entelles. Eine wichtige<br />

Rolle spielte Christian <strong>Stottele</strong> auf dem<br />

nationalen wie internationalen Verlagsparkett:<br />

Sowohl als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft<br />

von Jugendbuchverlegern, als<br />

Vorstandsmitglied des Münchener<br />

Arbeitskreises für Jugendliteratur<br />

wie auch als Schatzmeister und<br />

Vorstandsmitglied des IBBY (International<br />

Board on Books for Young<br />

People) genoss er hohes Ansehen<br />

und schuf wichtige Netzwerke.<br />

Dahinter steht ein Anliegen, welches<br />

sich für Christian <strong>Stottele</strong><br />

<strong>im</strong>mer wieder auch über die Bücher<br />

artikulieren sollte: „<strong>Die</strong> Suche<br />

nach dem Kind und der Respekt<br />

vor der kindlichen Eigenart.<br />

<strong>Die</strong> Chance, mit Büchern die Welt<br />

zu ergründen und zu verstehen.<br />

Dabei geht es nicht um Wissensstoffe,<br />

sondern um Einsichten. Der<br />

Anspruch, Natur zu schützen, Leben<br />

zu bewahren und sich als<br />

Mensch dadurch zu bewähren“ 4.<br />

Wegmarken der<br />

Kinderliteratur<br />

<strong>Die</strong> Liste der unter Gisela <strong>Stottele</strong>s<br />

Redaktionstätigkeit publizierten<br />

Bücher umfasst über 120 Titel.


Darunter sind zahlreiche<br />

Wegmarken des modernen<br />

Kinderbuchs.<br />

Längst hatte sich die<br />

Kinderliteratur von der<br />

romantischen Verklärung<br />

der Kindheit als<br />

Idyll einschließlich seiner<br />

Funktion als moralinsaures<br />

Instrument<br />

pädagogischer Belehrung<br />

verabschiedet. Mit dem<br />

veränderten Kindheitsbild<br />

hielten neue Themen<br />

Einzug ins Kinderbuch:<br />

Bilderbuch und<br />

Kinderalltag rückten enger<br />

zusammen, Umweltschutz<br />

und Dritte<br />

Welt wurden als Teil der<br />

Wirklichkeit anerkannt.<br />

Letztlich gab es kein<br />

Thema mehr, das man<br />

Kindern bei entsprechenderVersinnbildlichung<br />

nicht anbieten<br />

durfte.<br />

Ein Schwerpunkt in Gisela<br />

<strong>Stottele</strong>s Arbeit waren<br />

Sachbilderbücher für<br />

Kinder von fünf bis acht<br />

Jahren mit Erlebnisgeschichten<br />

aus dem Alltag<br />

oder der Natur. Sie<br />

enthielten Informationen,<br />

„eng verbunden<br />

mit dem Erzähltext und<br />

den Bildern, die genau<br />

sein sollten und emotional<br />

ansprechend“ 5. Im<br />

Bereich Natur konnte<br />

Gisela <strong>Stottele</strong> für die Reihe „Kinder erleben<br />

Tiere“ die Biologin Christine Adrian gewinnen,<br />

die zusammen mit der Illustratorin Gerda<br />

Muller u. a. das Buch „Piek, das Igelkind“<br />

6 gestaltete (Abb.2). Auch Einzelbücher<br />

entstanden, wie das ebenfalls von Gerda<br />

Muller gemalte Buch „Unser Baum“, bei<br />

dem Gisela <strong>Stottele</strong> selbst als Autorin in Erscheinung<br />

trat: Carolin und Benjamin sind<br />

eine Woche lang zu Besuch bei ihrem Vetter<br />

Nicki, dessen Eltern in einem Forsthaus mit-<br />

Martin Oswald – <strong>Die</strong> <strong>Sammlung</strong> <strong>Stottele</strong><br />

Abb. 4: Illustration aus: „<strong>Die</strong> Kinder in der Erde“ von Gudrun Pausewang und<br />

Annegret Fuchshuber.<br />

Im Oberland 2012, Heft 1<br />

7<br />

ten <strong>im</strong> Wald wohnen. Manches, was sie dort<br />

erleben und von der Natur lernen, ist, wie<br />

Benjamin in Anbetracht flink kletternder<br />

Eichhörnchen sagt, „spannender als Fernsehen“<br />

7. In der Tat hatte der Einfluss des <strong>im</strong>mens<br />

gesteigerten Medienkonsums die Sehgewohnheiten<br />

von Kindern verändert und<br />

steht mit seinem dynamischen Bildangebot<br />

seither in deutlicher Konkurrenz zum traditionellen<br />

Bilderbuchmarkt. Eine Antwort<br />

darauf waren Fotobilderbücher, wie Antoi-


Martin Oswald – <strong>Die</strong> <strong>Sammlung</strong> <strong>Stottele</strong><br />

Abb. 5: Illustration aus: „Emmis erste Eisenbahnreise“ von Romain Finke, Valeska Schneider-Finke, Aulikki<br />

Bannwart.<br />

nette Beckers (Text) und Elisabeth Niggemeyers<br />

(Fotografie) Band „Ich will etwas<br />

vom Tod wissen“, das auch vom Thema her<br />

Neuland betrat. Eines der ersten sozialpädagogisch<br />

motivierten Kinderbücher war der<br />

Titel „Dann kroch Martin durch den Zaun“<br />

von Evelin Hasler und Dorothea Desmarowitz<br />

(1984) 8: Ein lernbehindertes und ein<br />

körperbehindertes Kind finden Aufnahme<br />

und Akzeptanz (vgl. Abb. 3). Überhaupt nehmen<br />

manche Kinderbücher in ihrem Anspruch<br />

manches vorweg, was erst viel später<br />

gesellschaftlich eine breite Basis findet. In<br />

Gudrun Pausewangs 1988 publiziertem Märchen<br />

„<strong>Die</strong> Kinder in der Erde“ 9 mit Bildern<br />

von Annegert Fuchshuber rufen Sonne, Wind<br />

und Wasser: „...macht euch doch den elektrischen<br />

Strom, den ihr braucht, aus unserer<br />

Kraft! <strong>Die</strong> ist nicht gefährlich. Nehmt, so<br />

viel ihr wollt“. Daneben sehen wir einen<br />

Windgenerator (Abb. 4), um dessen Bau sich<br />

heute womöglich die damaligen Leser engagiert<br />

streiten.<br />

<strong>Die</strong> Originalillustrationen des historisch orientierten<br />

Bilderbuchs „Kaum hundert Jahre<br />

ist es her“ (von Philippe Fix, Paris) über das<br />

Handwerk und Leben in einer kleinen Stadt<br />

gingen in einer Wanderausstellung durch<br />

ganz Deutschland. Auch <strong>im</strong> Bauernhofmuse-<br />

Im Oberland 2012, Heft 1<br />

8<br />

um in Wolfegg wurden sie gezeigt. Es ist das<br />

Verdienst von Gisela und Christian <strong>Stottele</strong>,<br />

dass <strong>im</strong>mer wieder – oftmals gegen den<br />

Trend – ausländische Kinderbuchillustratoren<br />

ins Programm aufgenommen wurden.<br />

Eine Krönung der internationalen Zusammenarbeit<br />

war das <strong>im</strong> Jahr 1994 publizierte<br />

und in vielen Sprachen übersetzte „UNICEF-<br />

Bilderbuch für die Weihnachtszeit“ mit Illustratoren<br />

aus aller Welt von China bis Litauen.<br />

Hierzu gab es <strong>im</strong> <strong>Ravensburg</strong>er Kornhaus<br />

wiederum eine Ausstellung mit Originalentwürfen.<br />

Auch regionale Künstler kamen bei der<br />

Buchgestaltung zum Zug: „Emmis erste Eisenbahnreise“<br />

10 (Abb. 5) ist ein Gemeinschaftswerk<br />

von Romain Finke (Illustrationen)<br />

und Valeska Schneider-Finke. In seiner<br />

Kontrastierung von Malerei und Dokumentarfotografie<br />

ging dieses Buch neue Wege.<br />

Dass auch gemeinsame persönliche Erlebnisse<br />

von Lektorin (Gisela <strong>Stottele</strong>) und Illustratorin<br />

(Margret Rettich) ihren Niederschlag<br />

<strong>im</strong> Kinderbuch finden können, belegt „<strong>Die</strong><br />

Geschichte vom Wasserfall“ 11, die den Besuchern<br />

bei einem Zwischenhalt in den<br />

Schweizer Bergen – man war auf dem Weg<br />

zur Kinderbuchmesse in Bologna – von einer<br />

betagten Gastwirtin erzählt wurde (vgl. Titel


umschlag). Mit dem ebenfalls von Gisela<br />

<strong>Stottele</strong> betreuten Titel „<strong>Die</strong> Reise mit der<br />

Jolle“ gewann Margret Rettich 1981 den<br />

Deutschen Jugendbuchpreis.<br />

Ein besonderes Augenmerk galt dem künstlerischen<br />

Bilderbuch. Das Anliegen, diesem<br />

ein Forum zu schaffen, war verbunden mit<br />

dem Ziel, die realistisch orientierten Bücher<br />

durch poetische Akzente zu ergänzen. Wiewohl<br />

der Markterfolg solcher Produktionen<br />

vorab schwer abzuschätzen war, waren es<br />

„Bücher, die von Fachleuten und Presse<br />

wahrgenommen wurden und Verbindungen<br />

einbrachten“ 12. Das in Zusammenarbeit mit<br />

der Tschechin Kveta Pacovská entwickelte<br />

spielerische Zahlenbuch „eins, fünf, viele“ 13<br />

besticht durch seine außergewöhnliche Typografie<br />

und den gestalterischen Aufwand<br />

mit Klappen, Ausstanzungen und überraschenden<br />

– oft beweglichen – Spielelementen<br />

(Abb. 6). <strong>Die</strong>s überzeugte auch die Jury des<br />

Deutschen Jugendliteraturpreises. Weitere<br />

Werke wie das Farbenbuch „grün, rot, alle“<br />

und ein ABC-Buch folgten. Sie alle faszinieren<br />

durch ihren ästhetischen Reiz und das<br />

Konzept, die Neugier von Kindern am Sehen,<br />

Suchen und Erkennen spielerisch zu wecken.<br />

Eine Rarität für Sammler wurde das von<br />

Otto Dix <strong>im</strong> Jahr 1922 gemalte und 1991<br />

erstmals <strong>im</strong> <strong>Ravensburg</strong>er Buchverlag veröffentlichte<br />

„Bilderbuch für ‚Muggeli‘“ 14 (Abb.<br />

7). Dem bekannten Selbstbildnis mit Zigarette<br />

folgen 15 farbige Aquarelle mit wilden<br />

Landschaften, Tauchabenteuern, Indianerszenen,<br />

Zirkusmotiven und Bildern aus der<br />

Neuen Welt. <strong>Die</strong> bibliophile Ausgabe <strong>im</strong><br />

Großformat stellt eine herausragende verlegerische<br />

Leistung dar.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Sammlung</strong> ist Programm –<br />

das Nutzungskonzept<br />

Mit der Ansiedlung der <strong>Sammlung</strong> verband<br />

Gisela <strong>Stottele</strong> die Hoffnung, dass man die<br />

Studenten an der PH Weingarten mit den Büchern<br />

vertraut mache und mit ihnen so umgehe,<br />

„dass diese bei aller Distanz ein Gefühl<br />

für die Qualität der Geschichten und der Bilder<br />

entwickeln und die Leistung und Ausdauer<br />

der Bilderbuchmacher anerkennen<br />

können“ 15. <strong>Die</strong> <strong>Sammlung</strong> solle leben und<br />

Impulse geben. <strong>Die</strong>sem Anspruch versucht<br />

Martin Oswald – <strong>Die</strong> <strong>Sammlung</strong> <strong>Stottele</strong><br />

Im Oberland 2012, Heft 1<br />

9<br />

die Pädagogische Hochschule seither durch<br />

eine Vielzahl an Veranstaltungen gerecht zu<br />

werden. Dazu gehören Seminare, Führungen,<br />

Ausstellungen, Projekttage und Lesungen.<br />

Dazu gehören auch Forschungsarbeiten zum<br />

neuen Arbeitsfeld, das inzwischen von einer<br />

eigenen wissenschaftlichen Mitarbeiterin betreut<br />

wird. Thematisch stehen dabei u. a. folgende<br />

Schwerpunkte <strong>im</strong> Mittelpunkt:<br />

• historische Kinderbuchforschung<br />

• Ansätze zu einer Theoriebildung des<br />

Kinderbuches<br />

• Rezeption von Bilderbüchern<br />

• Vergleichende Forschung anhand<br />

internationaler Ausgaben<br />

• Identität und Geschlecht<br />

Abb. 6: Illustration aus: „eins, fünf, viele“ von Kveta Pacovská.


• Kindheit und Medienkultur<br />

• Kunst und Literatur<br />

Hinzu kommen spezifische Fragen aus der<br />

Lesebiografieforschung, zur Textsortenkompetenz,<br />

der Sprachförderung sowie Fragen zur<br />

Rolle und Wirkung des Vorlesens in schulischen<br />

wie außerschulischen Einrichtungen.<br />

Von Interesse ist die <strong>Sammlung</strong> sowohl für<br />

Studierende des Faches Deutsch aller Lehrämter,<br />

wie auch der Elementarbildung, der<br />

Erziehungswissenschaft, der Gesellschaftswissenschaften,<br />

der Mediendidaktik sowie<br />

der Kunst. Es darf als Glücksfall bezeichnet<br />

werden, dass zeitgleich mit der Einrichtung<br />

der <strong>Sammlung</strong> vom Fach Deutsch eine Professur<br />

mit einem Schwerpunkt <strong>im</strong> Bereich<br />

Kinder- und Jugendbuch eingerichtet wurde.<br />

Martin Oswald – <strong>Die</strong> <strong>Sammlung</strong> <strong>Stottele</strong><br />

Abb. 7: Illustration aus: „Bilderbuch für ´Muggeli´“ von Otto Dix.<br />

Im Oberland 2012, Heft 1<br />

10<br />

Seither wird die <strong>Sammlung</strong> von Frau Prof.<br />

Dr. Anja Ballis wissenschaftlich geführt und<br />

<strong>im</strong> Rahmen der Lehre als Ort der Beschäftigung<br />

mit Kinder- und Jugendliteratur genutzt.<br />

Ziel ist es, die <strong>Sammlung</strong> zu einem festen<br />

Bestandteil des literarischen Lebens in<br />

der Region zu machen. Das reichhaltige Rahmenprogramm,<br />

das sich auch an die Öffentlichkeit<br />

richtet, leistet hierzu einen wertvollen<br />

Beitrag.<br />

Doch nicht nur den Multiplikatoren und<br />

künftigen Pädagogen soll die <strong>Sammlung</strong> als<br />

Ort der Anregung dienen. <strong>Die</strong> jungen Leserinnen<br />

und Leser sollen auch direkt davon<br />

profitieren, wie das folgende Beispiel illustriert.<br />

So lud die Mitarbeiterin und Doktorandin<br />

Mirijam Seitz unter dem Motto<br />

„Steig ein, flieg mit!“ zu einer<br />

Reise mit dem Bilderbuch<br />

in die Bilderbuchsammlung<br />

ein: „24 Kinder<br />

zwischen fünf und acht Jahren<br />

kamen mit ihren Flugtickets<br />

vorbei, um sich dem<br />

Thema Fliegen <strong>im</strong> Bilderbuch<br />

zu widmen. Angeregt<br />

von der intensiven Beschäftigung<br />

mit erzählenden und<br />

Sachbilderbüchern konnten<br />

sie sich technischen, musikalischen<br />

und künstlerischen<br />

Angeboten zuordnen.<br />

Unter der Anleitung von<br />

Studierenden der Elementarund<br />

Pr<strong>im</strong>arpädagogik wurden<br />

Flugobjekte gebaut, Bilder<br />

der „Erde von oben“ gemalt,Glühwürmchen-Collagen<br />

gestaltet und Klanggeschichten<br />

mit Fluggeräuschen<br />

erprobt. Außerdem<br />

blieb viel Raum zum (Vor-)<br />

Lesen, für Bildbetrachtungen,<br />

zum Picknicken, Singen<br />

und Spielen. Auf einem Ausflug<br />

ins Dornier Museum<br />

Friedrichshafen konnten<br />

echte Flugzeuge in Augenschein<br />

genommen und sogar<br />

einem Zeppelin be<strong>im</strong> Starten<br />

und Landen zugesehen<br />

werden. Ein anderer Tag


stand ganz <strong>im</strong> Zeichen des Trickfilms. In<br />

Kooperation mit einem Kompaktseminar erstellten<br />

die Kinder eigene Kurzfilme. <strong>Die</strong>se<br />

lehnten sich an das Bilderbuch „Ein Buch<br />

für Bruno“ von Nikolaus Heidelbach an,<br />

dessen Geschichte dem Motto der Woche<br />

entsprach: Text und Bild erzählen von zwei<br />

Kindern, die in ein Buch hineinschlüpfen und<br />

darin fliegen können. Zum Abschluss der gemeinsamen<br />

Zeit konnten auch die Eltern am<br />

Entstandenen teilhaben. Ein Seminarraum<br />

wurde zum Kinosaal, in dem die verschiedenen<br />

Versionen von „Ein Buch für Bruno“ gezeigt<br />

wurden. Nach diesem gemeinsamen<br />

Martin Oswald – <strong>Die</strong> <strong>Sammlung</strong> <strong>Stottele</strong><br />

Im Oberland 2012, Heft 1<br />

11<br />

Projekt gingen die Kinder, ausgestattet mit<br />

Papierfliegern, Blasrohrjets, selbst gedrehten<br />

Filmen, Fantasiemaschinen, einem mit Erinnerungen<br />

gefüllten Leporello und vielleicht<br />

auch einigen Geschichten vom Fliegen <strong>im</strong><br />

Kopf nach Hause“ 16. Das vorgestellte Projekt<br />

wurde <strong>im</strong> Rahmen eines Sommerferienprogramms<br />

durchgeführt, unterstützt von der<br />

Bürgerstiftung <strong>im</strong> Kreis <strong>Ravensburg</strong> sowie<br />

den Technischen Werken Schussental, die die<br />

Arbeit der Kinderbuchsammlung <strong>im</strong> Rahmen<br />

ihres kulturellen Engagements dauerhaft fördern.<br />

Für Einzelprojekte sind neue Paten<br />

auch künftig willkommen.<br />

<strong>Die</strong> „<strong>Sammlung</strong> <strong>Stottele</strong>“ ist an der Pädagogischen Hochschule Weingarten <strong>im</strong> Gebäude<br />

„L“ Lazarettstraße 5 (Raum 0.12) in 88250 Weingarten angesiedelt. Ansprechpartner:<br />

Prof. Dr. phil. Anja Ballis (ballis@ph-weingarten.de) und Mirijam Seitz (seitz@ph-weingarten.de).<br />

Tel.: 0751/501-8633. Aktuelle Informationen finden sich auf der Website der<br />

PH Weingarten (www.ph-weingarten.de) unter der Rubrik „Einrichtungen/Personen“.<br />

Anmerkungen<br />

1 Gisela <strong>Stottele</strong>: Rede anlässlich der Übergabe der<br />

<strong>Sammlung</strong>. In: Newsletter der PH Weingarten 1/2008<br />

vom 9.7.2008.<br />

2 O. Henry/Anette Bley. Das Geschenk der Weisen. Aus<br />

dem Amerikanischen nacherzählt von Gisela <strong>Stottele</strong>.<br />

München: arsEdition 2010.<br />

3 Ulrich Störiko-Blume. Ein Grandseigneur des Kinderbuchs.<br />

In: Festschrift für Christian <strong>Stottele</strong>. Sonderausgabe<br />

der Fachzeitschriften Bulletin+Literatur und<br />

ESELSOHR. 12, 1993. S. 21f.<br />

4 Siegfried Aust, Mut zur Menschlichkeit. In: Festschrift<br />

für Christian <strong>Stottele</strong>. Sonderausgabe der Fachzeitschriften<br />

Bulletin+Literatur und ESELSOHR. 12,<br />

1993. S. 33.<br />

5 Gisela <strong>Stottele</strong>, 2008. a.A.o. .<br />

6 Christine Adrian, Gerda Muller. Piek, das Igelkind.<br />

<strong>Ravensburg</strong>. <strong>Ravensburg</strong>er Buchverlag. 1986.<br />

7 Gerda Muller, Gisela <strong>Stottele</strong>. Unser Baum. <strong>Ravensburg</strong>.<br />

Otto Maier <strong>Ravensburg</strong>. 1991. S. 8.<br />

8 Evelin Hasler, Dorothea Desmarowitz. Dann kroch<br />

Martin durch den Zaun. <strong>Ravensburg</strong>. Otto Maier Verlag<br />

<strong>Ravensburg</strong>. 1984.<br />

9 Gudrun Pausewang, Annegert Fuchshuber. <strong>Die</strong> Kinder<br />

in der Erde. <strong>Ravensburg</strong>: Otto Maier Verlag.<br />

1988.<br />

10 Romain Finke, Valeska Schneider-Finke, Aulikki<br />

Bannwart. Emmis erste Eisenbahnreise. <strong>Ravensburg</strong>.<br />

Otto Maier Verlag <strong>Ravensburg</strong>. 1981.<br />

11 Margret Rettich. <strong>Die</strong> Geschichte vom Wasserfall. <strong>Ravensburg</strong><br />

1974. Otto Maier Verlag <strong>Ravensburg</strong>.<br />

12 Gisela <strong>Stottele</strong>, 2008. a.A.o.<br />

13 Kveta Pacovská. eins, fünf, viele. <strong>Ravensburg</strong>. <strong>Ravensburg</strong>er<br />

Buchverlag. 1990.<br />

14 Otto Dix. Bilderbuch für Muggeli. Orignalzeichnungen<br />

1922. Erstausgabe <strong>im</strong> Otto Maier Verlag <strong>Ravensburg</strong>.<br />

1991.<br />

15 Gisela <strong>Stottele</strong>, 2008. a.A.o.<br />

16 Mirijam Seitz. Steig ein, flieg mit! Eine Reise mit dem<br />

Bilderbuch. In: Nahaufnahme. Magazin der Pädagogischen<br />

Hochschule Weingarten. 2, 2010. S. 6.

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