05.10.2015 Views

Polen in Bewegung

1M6ndtN

1M6ndtN

SHOW MORE
SHOW LESS

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

<strong>Polen</strong>: Herausforderungen. Hass-Rhetorik als Fallstudie<br />

Dr. Michał Bilewicz, Anna Stefaniak<br />

Inspirationen und Herausforderungen<br />

94<br />

Menschen, die <strong>in</strong> größerem Maße die gesellschaftliche<br />

Hierarchie akzeptieren (d. h. sich an sozialer Dom<strong>in</strong>anz<br />

orientieren), s<strong>in</strong>d anfälliger für Hass-Rhetorik. Hier kann<br />

<strong>in</strong> zweierlei H<strong>in</strong>sicht E<strong>in</strong>fluss auf e<strong>in</strong>e Änderung ihrer<br />

E<strong>in</strong>stellung genommen werden. Auf der e<strong>in</strong>en Seite sollten<br />

Strukturanpassungen vorgenommen werden, die den<br />

Status von Mehrheit und M<strong>in</strong>derheit angleichen. Auf der<br />

anderen Seite ist es wichtig, auf die bestehende Rechtslage<br />

h<strong>in</strong>zuweisen (die ja Diskrim<strong>in</strong>ierung und Hass verbietet)<br />

und die negativen Auswirkungen der Hass-Rhetorik<br />

auf die gesamt Gesellschaft zu verdeutlichen.<br />

Die übermäßige B<strong>in</strong>dung an e<strong>in</strong>e hierarchische Weltsicht<br />

bei Vertretern der Mehrheitsgesellschaft kann durch den Kontakt<br />

zu Menschen aus M<strong>in</strong>derheitengruppen verr<strong>in</strong>gert werden.<br />

Die Untersuchungen von Dhont, Van Hiel und Hewston (2014)<br />

haben gezeigt, dass der Kontakt zu Angehörigen von M<strong>in</strong>derheitengruppen<br />

die soziale Dom<strong>in</strong>anzorientierung reduzieren<br />

kann, sowohl bei Jugendlichen als auch bei Erwachsenen.<br />

Dass die Interaktion beider Gruppen e<strong>in</strong>e wirksame Methode<br />

zum Abbau von Vorurteilen ist, wurde <strong>in</strong> hunderten<br />

von psychologischen Untersuchungen belegt (Pettigrew,<br />

Tropp, 2006). Daher kann man davon ausgehen,<br />

dass Kontakt und Begegnung e<strong>in</strong> wirksames Mittel se<strong>in</strong><br />

können, um Hass-Rhetorik e<strong>in</strong>zudämmen, da positive<br />

Haltungen gegenüber M<strong>in</strong>derheiten begünstigt werden.<br />

Leider kann diese Methode <strong>in</strong> <strong>Polen</strong> nicht <strong>in</strong> großem Umfang<br />

angewandt werden, da der Anteil der M<strong>in</strong>derheiten und<br />

Immigranten an der Gesamtbevölkerung sehr ger<strong>in</strong>g ist. Der<br />

fehlende Kontakt zu anderen Gruppen kann wiederum zu e<strong>in</strong>er<br />

Verfestigung negativer E<strong>in</strong>stellungen führen.<br />

E<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressante Alternative, die positive Haltungen zwischen<br />

den Gruppen fördern soll und <strong>in</strong> gewissem Maße auch das<br />

Problem des direkten Kontakts umgeht, ist das seit 2008 durch<br />

die Stiftung „Forum Dialogu“ [dt.: Forum des Dialogs] durchgeführte<br />

Programm „Szkoła Dialogu“ [dt.: Schule des Dialogs]. Ziel<br />

des Programms ist die Bekämpfung von Antisemitismus, der sowohl<br />

bei Erwachsenen (Bilewicz, Wiśniewski, Soral 2014) als auch<br />

jungen <strong>Polen</strong> (Bilewicz, Wójcik 2009) präsent ist.<br />

Im Rahmen des Programms nehmen Schüler an e<strong>in</strong>er Serie<br />

von vier Workshops teil, die sich der Geschichte und Kultur<br />

der polnischen Juden widmen. Die Workshops, die im Bereich<br />

der <strong>in</strong>formellen Bildung angesiedelt s<strong>in</strong>d, f<strong>in</strong>den an Orten<br />

statt, an denen vor dem Zweiten Weltkrieg e<strong>in</strong>e große jüdi-<br />

sche Geme<strong>in</strong>schaft gelebt hat. Die Teilnehmer erfahren dort<br />

über das jüdische Erbe dieser Ortschaften und lernen deren<br />

reiche, oftmals vergessene Geschichte kennen. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />

arbeiten sie an Projekten, die wieder an die multikulturelle<br />

Vergangenheit des eigenen Wohnorts er<strong>in</strong>nern sollen.<br />

„Szkoła Dialogu“ ist e<strong>in</strong> sehr wirksames Programm gegen Diskrim<strong>in</strong>ierung.<br />

Das Programm wird seit 2012 evaluiert. Die Untersuchung<br />

von Stefaniak und Bilewicz (2013) zeigt, dass die<br />

Teilnehmer im Laufe der Zeit ihre Haltung gegenüber Juden<br />

positiv verändern, <strong>in</strong>dem sie Ähnlichkeiten und Geme<strong>in</strong>samkeiten<br />

mit Juden entdecken. Darüber h<strong>in</strong>aus beschäftigen sich<br />

die Workshops auch mit der Roma-M<strong>in</strong>derheit, denen die polnische<br />

Gesellschaft mit großen Vorurteilen begegnet. Auch<br />

hier entwickeln die Teilnehmer e<strong>in</strong>e positivere Haltung gegenüber<br />

Roma. Das Programm lässt junger Menschen e<strong>in</strong>e stärkere<br />

B<strong>in</strong>dung an ihren Wohnort aufbauen, weckt ihr Interesse<br />

an dessen Geschichte sowie die Bereitschaft, sich lokal zu<br />

engagieren. Vor allem der letzte Punkt ist e<strong>in</strong> Beleg dafür, dass<br />

die Jugendlichen Sozialkapital bilden.<br />

Zusammenfassung und Empfehlungen<br />

Hass-Rhetorik ist immer noch e<strong>in</strong> großes Problem <strong>in</strong> <strong>Polen</strong><br />

und Europa. Sie breitet sich vor allem im Internet aus, was<br />

ihre Bekämpfung erschwert, z. B. durch die Anonymität der<br />

Täter, die ger<strong>in</strong>ge gesellschaftliche Kontrolle oder den Glauben<br />

der Internetnutzer an Straflosigkeit. Das aktuelle Interesse<br />

auf europäischer und nationaler Ebene, sowohl seitens der<br />

Regierungen als auch der NGOs, lässt optimistisch <strong>in</strong> die Zukunft<br />

blicken.<br />

Im öffentlichen Raum werden Hass-Rhetorik und vorurteilsbehaftete<br />

Äußerungen immer öfter scharf kritisiert. Dank<br />

dessen ändern sich auch gesellschaftliche Normen, was u. a. <strong>in</strong><br />

den Umfragen von CBOS sichtbar wird. Umfrageergebnissen<br />

zufolge s<strong>in</strong>kt die Zahl der M<strong>in</strong>derheitengruppen, denen seitens<br />

der polnischen Mehrheitsbevölkerung Abneigung entgegengebracht<br />

wird, stetig (CBOS 2011).<br />

Sowohl polnische als auch europäische Aktivisten legen<br />

großen Wert auf die Wissensvermittlung und Bildung junger<br />

Menschen, denn sie stellen die größte Gruppe unter den Internetnutzern<br />

dar. Das Internet ist das Hauptmedium für<br />

Hass-Rhetorik, und somit s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>ternetbezogene Maßnahmen<br />

potentiell am effektivsten. Zudem s<strong>in</strong>d junge Menschen eher<br />

bereit, an Bildungsprojekten teilzunehmen oder sich sozial zu<br />

engagieren, wenn sie dazu angeregt werden.<br />

95

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!