Polen in Bewegung
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<strong>Polen</strong>: Herausforderungen. Hass-Rhetorik als Fallstudie<br />
Dr. Michał Bilewicz, Anna Stefaniak<br />
Inspirationen und Herausforderungen<br />
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Menschen, die <strong>in</strong> größerem Maße die gesellschaftliche<br />
Hierarchie akzeptieren (d. h. sich an sozialer Dom<strong>in</strong>anz<br />
orientieren), s<strong>in</strong>d anfälliger für Hass-Rhetorik. Hier kann<br />
<strong>in</strong> zweierlei H<strong>in</strong>sicht E<strong>in</strong>fluss auf e<strong>in</strong>e Änderung ihrer<br />
E<strong>in</strong>stellung genommen werden. Auf der e<strong>in</strong>en Seite sollten<br />
Strukturanpassungen vorgenommen werden, die den<br />
Status von Mehrheit und M<strong>in</strong>derheit angleichen. Auf der<br />
anderen Seite ist es wichtig, auf die bestehende Rechtslage<br />
h<strong>in</strong>zuweisen (die ja Diskrim<strong>in</strong>ierung und Hass verbietet)<br />
und die negativen Auswirkungen der Hass-Rhetorik<br />
auf die gesamt Gesellschaft zu verdeutlichen.<br />
Die übermäßige B<strong>in</strong>dung an e<strong>in</strong>e hierarchische Weltsicht<br />
bei Vertretern der Mehrheitsgesellschaft kann durch den Kontakt<br />
zu Menschen aus M<strong>in</strong>derheitengruppen verr<strong>in</strong>gert werden.<br />
Die Untersuchungen von Dhont, Van Hiel und Hewston (2014)<br />
haben gezeigt, dass der Kontakt zu Angehörigen von M<strong>in</strong>derheitengruppen<br />
die soziale Dom<strong>in</strong>anzorientierung reduzieren<br />
kann, sowohl bei Jugendlichen als auch bei Erwachsenen.<br />
Dass die Interaktion beider Gruppen e<strong>in</strong>e wirksame Methode<br />
zum Abbau von Vorurteilen ist, wurde <strong>in</strong> hunderten<br />
von psychologischen Untersuchungen belegt (Pettigrew,<br />
Tropp, 2006). Daher kann man davon ausgehen,<br />
dass Kontakt und Begegnung e<strong>in</strong> wirksames Mittel se<strong>in</strong><br />
können, um Hass-Rhetorik e<strong>in</strong>zudämmen, da positive<br />
Haltungen gegenüber M<strong>in</strong>derheiten begünstigt werden.<br />
Leider kann diese Methode <strong>in</strong> <strong>Polen</strong> nicht <strong>in</strong> großem Umfang<br />
angewandt werden, da der Anteil der M<strong>in</strong>derheiten und<br />
Immigranten an der Gesamtbevölkerung sehr ger<strong>in</strong>g ist. Der<br />
fehlende Kontakt zu anderen Gruppen kann wiederum zu e<strong>in</strong>er<br />
Verfestigung negativer E<strong>in</strong>stellungen führen.<br />
E<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressante Alternative, die positive Haltungen zwischen<br />
den Gruppen fördern soll und <strong>in</strong> gewissem Maße auch das<br />
Problem des direkten Kontakts umgeht, ist das seit 2008 durch<br />
die Stiftung „Forum Dialogu“ [dt.: Forum des Dialogs] durchgeführte<br />
Programm „Szkoła Dialogu“ [dt.: Schule des Dialogs]. Ziel<br />
des Programms ist die Bekämpfung von Antisemitismus, der sowohl<br />
bei Erwachsenen (Bilewicz, Wiśniewski, Soral 2014) als auch<br />
jungen <strong>Polen</strong> (Bilewicz, Wójcik 2009) präsent ist.<br />
Im Rahmen des Programms nehmen Schüler an e<strong>in</strong>er Serie<br />
von vier Workshops teil, die sich der Geschichte und Kultur<br />
der polnischen Juden widmen. Die Workshops, die im Bereich<br />
der <strong>in</strong>formellen Bildung angesiedelt s<strong>in</strong>d, f<strong>in</strong>den an Orten<br />
statt, an denen vor dem Zweiten Weltkrieg e<strong>in</strong>e große jüdi-<br />
sche Geme<strong>in</strong>schaft gelebt hat. Die Teilnehmer erfahren dort<br />
über das jüdische Erbe dieser Ortschaften und lernen deren<br />
reiche, oftmals vergessene Geschichte kennen. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />
arbeiten sie an Projekten, die wieder an die multikulturelle<br />
Vergangenheit des eigenen Wohnorts er<strong>in</strong>nern sollen.<br />
„Szkoła Dialogu“ ist e<strong>in</strong> sehr wirksames Programm gegen Diskrim<strong>in</strong>ierung.<br />
Das Programm wird seit 2012 evaluiert. Die Untersuchung<br />
von Stefaniak und Bilewicz (2013) zeigt, dass die<br />
Teilnehmer im Laufe der Zeit ihre Haltung gegenüber Juden<br />
positiv verändern, <strong>in</strong>dem sie Ähnlichkeiten und Geme<strong>in</strong>samkeiten<br />
mit Juden entdecken. Darüber h<strong>in</strong>aus beschäftigen sich<br />
die Workshops auch mit der Roma-M<strong>in</strong>derheit, denen die polnische<br />
Gesellschaft mit großen Vorurteilen begegnet. Auch<br />
hier entwickeln die Teilnehmer e<strong>in</strong>e positivere Haltung gegenüber<br />
Roma. Das Programm lässt junger Menschen e<strong>in</strong>e stärkere<br />
B<strong>in</strong>dung an ihren Wohnort aufbauen, weckt ihr Interesse<br />
an dessen Geschichte sowie die Bereitschaft, sich lokal zu<br />
engagieren. Vor allem der letzte Punkt ist e<strong>in</strong> Beleg dafür, dass<br />
die Jugendlichen Sozialkapital bilden.<br />
Zusammenfassung und Empfehlungen<br />
Hass-Rhetorik ist immer noch e<strong>in</strong> großes Problem <strong>in</strong> <strong>Polen</strong><br />
und Europa. Sie breitet sich vor allem im Internet aus, was<br />
ihre Bekämpfung erschwert, z. B. durch die Anonymität der<br />
Täter, die ger<strong>in</strong>ge gesellschaftliche Kontrolle oder den Glauben<br />
der Internetnutzer an Straflosigkeit. Das aktuelle Interesse<br />
auf europäischer und nationaler Ebene, sowohl seitens der<br />
Regierungen als auch der NGOs, lässt optimistisch <strong>in</strong> die Zukunft<br />
blicken.<br />
Im öffentlichen Raum werden Hass-Rhetorik und vorurteilsbehaftete<br />
Äußerungen immer öfter scharf kritisiert. Dank<br />
dessen ändern sich auch gesellschaftliche Normen, was u. a. <strong>in</strong><br />
den Umfragen von CBOS sichtbar wird. Umfrageergebnissen<br />
zufolge s<strong>in</strong>kt die Zahl der M<strong>in</strong>derheitengruppen, denen seitens<br />
der polnischen Mehrheitsbevölkerung Abneigung entgegengebracht<br />
wird, stetig (CBOS 2011).<br />
Sowohl polnische als auch europäische Aktivisten legen<br />
großen Wert auf die Wissensvermittlung und Bildung junger<br />
Menschen, denn sie stellen die größte Gruppe unter den Internetnutzern<br />
dar. Das Internet ist das Hauptmedium für<br />
Hass-Rhetorik, und somit s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>ternetbezogene Maßnahmen<br />
potentiell am effektivsten. Zudem s<strong>in</strong>d junge Menschen eher<br />
bereit, an Bildungsprojekten teilzunehmen oder sich sozial zu<br />
engagieren, wenn sie dazu angeregt werden.<br />
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