Auswaertiges Amt 1943 - Roosevelts Weg in den Krieg - Geheimdokumente zur Kriegspolitik des Präsidenten der Vereinigten Staaten
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München<br />
Nirgends herrschte dann größere Enttäuschung über das Abkommen von München, <strong>den</strong> "fatalen Frie<strong>den</strong> von München",<br />
wie <strong>der</strong> Jude Baruch sich auszudrücken beliebte 1), als im Weißen Hause. Nach <strong>Roosevelts</strong> erbitterten Äußerungen war<br />
München nichts an<strong>der</strong>es als "e<strong>in</strong>e Kapitulation Frankreichs und Englands vor dem kampflustigen deutschen<br />
Militarismus". In Wash<strong>in</strong>gton wurde die Version ausgegeben, Hitler habe Chamberla<strong>in</strong> "die Pistole auf die Brust<br />
gesetzt", und Frankreich und England hätten daher nichts an<strong>der</strong>es tun können als "e<strong>in</strong>en schändlichen Frie<strong>den</strong> schließen"<br />
(Dok. 15).<br />
1) Bericht <strong>des</strong> Polnischen Botschafters <strong>in</strong> Wash<strong>in</strong>gton, Graf Potocki, an <strong>den</strong> Polnischen Außenm<strong>in</strong>ister vom 21.<br />
Oktober 1938.<br />
E<strong>in</strong>e von <strong>der</strong> Deutschen, <strong>der</strong> Italienischen, Englischen und Französischen Regierung geme<strong>in</strong>sam gefun<strong>den</strong>e friedliche<br />
Lösung, die Aussichten für e<strong>in</strong>e weitere europäische Zusammenarbeit eröffnete, war <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat alles an<strong>der</strong>e, als was<br />
Roosevelt wollte. Die Beschlüsse von München konnte er nicht mehr rückgängig machen, wohl aber alles e<strong>in</strong>setzen, um<br />
die damit verbun<strong>den</strong>en Zukunftshoffnungen zu sabotieren. So entschloß er sich zu e<strong>in</strong>er endgültigen Zusammenfassung<br />
aller Kräfte auf dieses Ziel h<strong>in</strong>. Late<strong>in</strong>amerika sollte unter Führung Wash<strong>in</strong>gtons zu e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>heitlichen Block<br />
zusammengeschweißt und zu klarer Frontstellung gegen die totalitären <strong>Staaten</strong> veranlaßt, die <strong>Krieg</strong>sbereitschaft <strong>der</strong><br />
"europäischen Demokratien", zu <strong>den</strong>en jetzt auch Polen gerechnet wurde, durch E<strong>in</strong>wirkung auf die Regierungen und<br />
durch För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> kriegslüsternen Parteien gestärkt und schießlich das eigene Land endgültig für die <strong>Krieg</strong>spohtik<br />
gewonnen wer<strong>den</strong>.<br />
"Politik <strong>des</strong> guten Nachbarn"<br />
Mit dem Jahre 1937 hatte e<strong>in</strong>e verstärkte außenpolitische Tätigkeit <strong>Roosevelts</strong> auch gegenüber Late<strong>in</strong>amerika<br />
e<strong>in</strong>gesetzt. Zu <strong>der</strong> nun auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> nordamerikanischen Publizistik offener erörterten Stützpunktpolitik gegenüber<br />
Mittelamerika kamen Verhandlungen mit südarnerikanischen <strong>Staaten</strong>, <strong>in</strong> <strong>den</strong>en unter dem Motto <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>samen<br />
Verteidigung <strong>der</strong> westlichen Hemisphäre die Entsendung nordamerikanischer Militär- und Mar<strong>in</strong>ernissionen und die<br />
"Verpachtung" nordamerikanischer <strong>Krieg</strong>sschiffe <strong>in</strong>s Auge gefaßt wur<strong>den</strong>. Innere Unruhen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen<br />
late<strong>in</strong>amerikanischen Län<strong>der</strong>n wur<strong>den</strong> als "Nazi"-Umtriebe h<strong>in</strong>gestellt, gegen die nur die Unterstützung <strong>des</strong> starken<br />
nordamerikanischen Bru<strong>der</strong>s Hilfe br<strong>in</strong>gen könne. Auf wirtschaftlichem Gebiet suchte das Weiße Haus die B<strong>in</strong>dung<br />
auch <strong>der</strong> größeren late<strong>in</strong>arnerikanischen <strong>Staaten</strong> an die nordamerikanischen Interessen durch die von Staatssekretär<br />
Cordell Hull zum weltanschaulichen Dogma erhobene Handelsvertragspolitik zu för<strong>der</strong>n, <strong>der</strong> Politisch gesteuerte<br />
Anleihevergebungen <strong>den</strong> <strong>Weg</strong> bereiten sollten. Gegenüber <strong>den</strong> mittelamerikanischen Kle<strong>in</strong>staaten konnte die<br />
Dollardiplomatie offener auftreten; <strong>der</strong> norda<strong>in</strong>erikanische Kolonialimperialismus hat hier se<strong>in</strong>e brutalen<br />
Erpressermetho<strong>den</strong> nicht e<strong>in</strong>mal formell dem Schlagwort <strong>der</strong> "Politik <strong>des</strong> guten Nachbarn" angepaßt. Nichts illustriert z.<br />
B. die völlige f<strong>in</strong>anzielle und damit auch politische Abhängigkeit <strong>der</strong> angeblich souveränen mittelamerikanischen<br />
<strong>Staaten</strong> von ihrem Piesennachbarn besser als <strong>der</strong> Bericht <strong>des</strong> Französischen Gesandten <strong>in</strong> Ciudad Trujillo vorn 11.<br />
Januar 1939, <strong>der</strong> von so grotesken Zustän<strong>den</strong> wie <strong>den</strong> Versuchen <strong>der</strong> Regierung von San Dom<strong>in</strong>go, sich durch<br />
organisierten Warenschmuggel wenigstens teilweise <strong>der</strong> nordamerikanischen F<strong>in</strong>anzdiktatur zu entziehen, e<strong>in</strong><br />
tragikomisches Bild gibt (Dok. 14).<br />
E<strong>in</strong>en erschöpfen<strong>den</strong> Überblick über die wirtschaftliche, kulturelle und militärische Durchdr<strong>in</strong>gungspolitik <strong>der</strong><br />
Vere<strong>in</strong>igten <strong>Staaten</strong> gegenüber Late<strong>in</strong>arnerika hat <strong>der</strong> Französische Botschafter <strong>in</strong> Wash<strong>in</strong>gton <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Vorschau auf die<br />
für Ende Dezember 1938 nach Lima e<strong>in</strong>berufene VIII. Panamerikanische Konferenz gegeben. Der Botschafter er<strong>in</strong>nert<br />
an <strong>den</strong> von <strong>der</strong> Wash<strong>in</strong>gtoner Regierung seit längerer Zeit <strong>in</strong>spirierten "nationalistischen Feldzug panamerikanischer<br />
und sogar imperialistischer Färbung" und hebt beson<strong>der</strong>s die bereits damals auftauchen<strong>den</strong> For<strong>der</strong>ungen nach<br />
"Flottenstützpunkten <strong>in</strong> <strong>den</strong> französischen o<strong>der</strong> britischen Besitzungen <strong>der</strong> Antillen" hervor. Bezeichnen<strong>der</strong>weise<br />
erwähnt dieser vom 9. November 1938 datierte Bericht ausdrücklich, daß solch weitgehende Wünsche von <strong>den</strong><br />
"verantwortlichen Persönlichkeiten <strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>igten <strong>Staaten</strong>" mit dem Argument <strong>der</strong> Südarrierika angeblich drohen<strong>den</strong><br />
deutschen und faschistischen Gefahr begründet wur<strong>den</strong>. Über <strong>den</strong> Wahrheitsgehalt dieses <strong>in</strong> Zukunft immer häufiger<br />
auftauchen<strong>den</strong> Tamungsmittels <strong>des</strong> USA.-Imperialismus und <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong>shetze vermag auch <strong>der</strong> französische Diplomat<br />
e<strong>in</strong>e skeptische Bemerkung nicht zu unterdrücken. Von <strong>den</strong> Handelsvertragsideen Cordell Hulls wird festgestellt, daß<br />
sie sich mit <strong>den</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>teressen <strong>der</strong> USA. aufs beste deckten, <strong>den</strong> Bedürfnissen <strong>der</strong> Südamerikaner aber nicht <strong>in</strong><br />
gleicher Weise Rechnung trügen, da sich die Vere<strong>in</strong>igten <strong>Staaten</strong> und die südamerikanischen Län<strong>der</strong> wirtschaftlich<br />
durchaus nicht ergänzten und für Late<strong>in</strong>amerika <strong>der</strong> unmittelbare Tauschhandel (wie er damals bekanntlich mit<br />
Deutschland <strong>in</strong> die <strong>Weg</strong>e geleitet wor<strong>den</strong> war) vorteilhafter sei. Der Botschafter weist weiter auf die immer größere<br />
Ausmaße annehmende Anleihepolitik Wash<strong>in</strong>gtons, auf die als Kulturpropagatida getarnte politische Propaganda und<br />
schließlich auf die für Limageplante Behandlung <strong>der</strong> "militärischen Verteidigung <strong>des</strong> amerikanischen Kont<strong>in</strong>ents" h<strong>in</strong>.<br />
Abschließend faßt er zusammen, daß die Regierung <strong>Roosevelts</strong> sich bei dieser Politik auf e<strong>in</strong> demokratisches Ideal<br />
berufe, "das für die Vere<strong>in</strong>igten <strong>Staaten</strong> selbst <strong>in</strong> Wirklichkeit e<strong>in</strong> panamerikanisches, imperialistisch durchsetztes Ideal