GLOBAL PERSPECTIVES | KOMMUNIKATION GLOBAL - 01 | 2009
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COUNTDOWN TO COPENHAGEN<br />
Arktis in fünf Jahren in den Sommermonaten eisfrei<br />
Von Stephen Leahy in Quebec-Stadt<br />
Deutsche Bearbeitung: Karina Böckmann<br />
Das Worst Case Scenario des Weltklimarats, wonach die Arktis in spätestens 70 Jahren in den Sommermonaten kein Eis mehr mit<br />
sich führt, wird nach neusten Schätzungen bereits in den nächsten fünf bis zehn Jahren traurige Wirklichkeit werden. Spätestens<br />
ab 2<strong>01</strong>5, so warnen Experten, ist das Nordpolargebiet in der Sommerzeit eisfrei.<br />
Wie der Klimatologe David Barber an der Universität von Manitoba auf einer jüngsten Konferenz im kanadischen Quebec berichtete,<br />
gehen Entwicklungen in der Arktis besonders schnell vonstatten. Gerade für Klimaexperten ist sie mit ihren rasanten<br />
Temperatursprüngen besonders gut geeignet, um die Folgen des Klimawandels zu evaluieren.<br />
Barber hatte letzten Winter im Rahmen eines 40 Millionen US-Dollar teuren Forschungsprojektes im Arktischen Meer auf dem<br />
kanadischen Eisbrecherschiff 'Amundsen' zugebracht. Anders als erwartet blieb die Amundsen nicht im arktischen Winter, in dem<br />
die Sonne wegbleibt und die Temperaturen auf minus 50 Grad Celsius absinken, über mehrere Monate hinweg feststecken, sondern<br />
konnte sich aufgrund der dünnen Eisschicht frei bewegen.<br />
Barber führt diesen Umstand auf die Restwärme zurück, die im Sommer 2007 das Meer aufgeheizt hatte. Dadurch verzögerte<br />
sich auch die Bildung des winterlichen Packeises in einigen Teilen des Arktischen Meeres. Hinzu kamen Stürme, Winde und mehr<br />
Schnee.<br />
Wettlauf gegen die Sonne<br />
Für die Arktisregion seien das völlig neue Klimaphänomene. Zusätzlicher Schnee wirkt Wärme isolierend und verhindert die weitere<br />
Eisbildung. Entsteht im Winter weniger Eis, schmilzt die Eisdecke im Sommer schneller und flächendeckender, was wiederum<br />
der Sonne erlaubt, mehr Wasser zu erwärmen.<br />
Im Sommer 2007 büßte die polare Eiskappe 30 bis 40 Prozent ihres Volumens ein. Damit lag die Eismenge<br />
um 2,6 Millionen Quadratkilometer unter dem bisher niedrigsten Durchschnittswert. Da das verbliebene<br />
Eis nach Erkenntnissen der Wissenschafter dünner als sonst war, sind die Voraussetzungen,<br />
dass es <strong>2009</strong> zu einer weiteren Schmelze kommen wird, gegeben.<br />
"Sonnenlicht heißt Leben", sagte Kevin Arrigo, ein Meeresbiologe an der Stanford-Universität auf der<br />
Konferenz 'Arctic Change 2008', an der vom 9. bis 12. Dezember fast 1.000 Wissenschaftler und Indigenenvertreter<br />
teilnahmen. Zusammen mit Kollegen konnte er in arktischen Gewässern eine Zunahme von<br />
Phytoplankton um 300 Prozent nachweisen.<br />
Phytoplankton sind mikroskopisch kleine Pflanzen, die im Oberflächenwasser der Meere wachsen und<br />
mit Hilfe der Photosynthese aus Kohlendioxid (CO2) und Nährstoffen wie Phosphor, Stickstoff, Eisen und<br />
Silikon seine Körpersubstanz aufbauen. Eisen macht Phytoplanktion zu regelrechten CO2-Fessern. Arri-<br />
Kevin Arrigo<br />
Bild: ocean.stanford.edu<br />
www.arctic‐change2008.com<br />
go schätzt, dass durch ein Mehr an Phytoplankton mehr als 14 Gigatonnen zusätzliches CO2 aufgenommen<br />
werden kann.<br />
Wie aus einer Untersuchung von David Lawrence vom Nationalen Zentrum für atmosphärische Forschung<br />
in Boulder im US-Bundesstaat Colorado hervorgeht, wird der Trend, dass weite Teile Eis im Sommer schmelzen, in einer Entfernung<br />
von 1.500 Kilometer spürbar sein, Anhand von Computer-Modellen konnte gezeigt werden, dass der beschleunigte Verlust<br />
des Eises im Sommer die Temperaturen der Landoberfläche in der westlichen Arktis um das 3,5-Fache ansteigen lässt und dadurch<br />
eine Degradierung des Permafrostes verursacht. Gleichzeitig dringt die Wärme bis zu 1.500 Kilometer ins Inland vor.<br />
Hinter dem Begriff Permafrost verbergen sich Torfmoore, die weitere Teile Alaskas, Kanadas und Russlands bedecken und die ab<br />
einer gewissen Tiefe dauerhaft gefroren sind. Sie speichern mehr als das Doppelte der derzeit in der Atmosphäre befindlichen<br />
Menge CO2, wie aus einer von Ted Schuur, Ökologe an der Universität von Florida, veröffentlichter Untersuchung hervorgeht.<br />
Weniger Permafrost, mehr Treibhausgase<br />
Das Verbrennen fossiler Treibstoffe generiert jedes Jahr rund 8,5 Milliarden Tonnen CO2. Permafrostböden können mehr als 1,67<br />
Billionen Tonnen CO2 aufnehmen. "Das ist weit mehr, als wir erwartet haben", sagte Schuur in einer Pressemitteilung. Er geht<br />
davon aus, dass durch das Abtauen der Permafrostregionen zusätzlich 0,8 bis 1,1 Milliarden CO2 in die Erdatmosphäre gelangen.<br />
Das entspricht in etwa der Menge, die weltweit durch die jährliche Entwaldung freigesetzt wird. Besorgnis erregend ist, dass das<br />
auf diese Weise generierte klimaschädliche Treibhausgas CO2 nicht in den Klimahochrechnungen berücksichtigt wurde.<br />
Besondere finanzielle Zuwendungen im Internationalen Polarjahr haben Messungen der Permafrosttemperaturen durch ein<br />
Netzwerk aus Spezialisten möglich gemacht. So werden nach Angaben von Nikolay Shiklomanov, Permafrost-Experte an der Universität<br />
von Delaware in Kanada, in den Permafrostregionen Bohrlöcher für Temperaturmessgeräte gebohrt, die – einmal installiert<br />
– aufschlussreiche Informationen liefern sollen.<br />
Staaten wie Kanada verfügen derzeitig über äußerst dürftiges Zahlenmaterial, was die Entwicklung der Permafrostregionen<br />
angeht. Außerdem fehlt es an geeigneten Messstationen. Die Daten aus Alaska und Sibirien wiederum sind mehr als 20 Jahre alt,<br />
obwohl es auch dort in den letzten Jahren zu großen Temperatursprüngen gekommen ist.<br />
"Im arktischen System vollzieht sich derzeit ein Wandel", sagte Paul Wassmann, Ozeanograph an der University von Tromso in<br />
Norwegen. Das vorliegende Datenmaterial und die bisherigen Informationen seien unzuverlässige Indikatoren, um die Entwicklungen<br />
der Zukunft zu erfassen. Die Arktis werde wie sich alle Ökosysteme der Welt unwiederbringlich verändern. "Der menschliche<br />
Fingerabdruck ist überall auf dem Globus zu spüren. Das gilt besonders für den Norden." IPS | <strong>GLOBAL</strong> <strong>PERSPECTIVES</strong> �<br />
28 <strong>KOMMUNIKATION</strong> <strong>GLOBAL</strong> | JANUAR <strong>2009</strong>