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Programme du soir (PDF) - Philharmonie

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Auf dem Weg<br />

zur Literaturoper<br />

Massenets Manon zwischen Libertinage und Wagnérisme<br />

Christoph Vratz<br />

Als Jules Massenet im Frühling des Jahres 1912 zum letzten Mal<br />

als Ehrenrat an einer Senatssitzung des Pariser Konservatoriums<br />

teilnimmt, wirkt er hilflos, wie ein jüngerer Teilnehmer zu Protokoll<br />

gibt: «Er verirrt sich in den langen Korridoren und beginnt,<br />

eine <strong>du</strong>nkle und steile Treppe hinabzusteigen, fast eine Leiter,<br />

auf der er einen Sturz riskiert – er ist siebzig Jahre alt. Ich gehe<br />

mit ihm nach und biete ihm meinen Arm: ‹Ja, sagt er, seien Sie<br />

meine Altersstütze…›»<br />

Doch Massenet leidet nicht nur unter seinem Alter. Er fühlt sich<br />

von den Zeitläuften verraten, der französische Wagnérisme – eine<br />

im Gegensatz zum deutschen Richard-Wagner-Kult das kulturelle<br />

und intellektuelle Leben Frankreichs erschütternde Bewegung –<br />

hat Massenet überrollt. Vorbei die Zeit, als Massenet sich mit Freude<br />

daran erinnert, wie er als Student den ersten in Paris gespielten<br />

Orchesterstücken aus Tannhäuser und Lohengrin zugejubelt und<br />

ihnen damit zum Durchbruch verholfen hat.<br />

Vorbei auch die Zeit, in der Massenet bereit gewesen ist, das beim<br />

Publikum neu entfachte Bedürfnis nach religiöser Symbolik zu<br />

bedienen. Nach dem Sakraldrama Maria Magdalena von 1873<br />

folgen zwei Jahre später das Mysterium Eva sowie die Legende<br />

La Vierge, die Massenet 1880 in der Opéra dirigiert. Dem Gebet<br />

der Jungfrau Maria erteilt er sozusagen selbst die Seligsprechung:<br />

mit einem kitschigen Schluss-Magnificat, in dem sich Kinderchor,<br />

Harfe und Orgel vereinen. «Ich glaube nicht an all diesen<br />

weinerlichen Jesus-Kitsch», schreibt er seinem jüngeren Kollegen<br />

Vincent d’Indy, «aber das Publikum liebt ihn, und man muss die<br />

Übereinstimmung mit dem Publikum finden.»<br />

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