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Beschaffung aktuell 03.2023

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» MANAGEMENT Neue Tools

» MANAGEMENT Neue Tools helfen nicht immer. Was ist für die Digitalisierung des Einkaufs wichtig? Komitsch: Sehr oft werden die falschen Fragen gestellt. Die Frage „Sag mir bitte, wie die Liefersicherheit auf dem Transportweg von Asien ist“, ist nicht die richtige. Ich muss mir zunächst meine Schwachstellen anschauen. Oftmals ergeben sich aus digitalen Abläufen außerdem völlig andere Lösungen als beabsichtigt. Ein Beispiel: Wir wollten die präqualifizierten Lieferanten rund um unsere regional verteilten Baustellen gezielter adressieren, um in der Ausschreibung schneller zu werden. Hierfür haben wir eine digitale Lösung entwickelt. Jetzt haben wir über diesen Prozess aber vor allem erreicht, dass wir sehr viel mehr Angebote erhalten und bessere Preise erzielen. Der eigentliche Hebel saß für uns also an einer anderen Stelle. Wie erkenne ich solche Potenziale, bevor die Data Analysten aktiv werden? Komitsch: Um das zu erkennen, braucht man sehr viele Freiheitsgrade in der Führung und für die Teams, die solche Lösungen entwickeln. Das Erfahrungswissen, das wir uns im Management über Jahre erarbeitet haben, hilft bei der Beantwortung digitaler Fragestellen oft nicht weiter. Es steht uns sogar im Weg. Das muss man erkennen und akzeptieren. Selbstentwickelte Lösungen haben in der Praxis, bei unseren Mitarbeitern, eine deutlich bessere Akzeptanz, als wenn die Tools von außen kommen, weil die Teams an der Gestaltung teilgenommen haben. Für mich entsteht erfolgreiche Digitalisierung aus dem digitalen Denken und nicht aus der Einführung von Tools. Wind, Solar, E-Mobilität: Die Schwerpunkte der Energieversorgung haben sich mit der Energiewende verlagert. Das hat für die Beschaffung weitreichende Konsequenzen. Bilder: EnBW AG Das müssen Sie näher erklären … Komitsch: Ein Beispiel: die Rechnungsfreigabe soll um eine automatische Lieferantenbewertung erweitert werden. Dazu bedarf es, aus der Perspektive des Bedarfsträgers zu denken und zu handeln. Die klassische Führungskraft hingegen denkt in Systemen, Abteilungen und an die mögliche Komplikation der Verknüpfung, weil wir wissen, wie lange solche System veränderungen gedauert haben. 16 Beschaffung aktuell » 03 | 2023

Wir sind uns häufig nicht bewusst, wie viele Daten verfügbar sind, wie einfach Daten zu Informationen zusammengeführt werden können und wie leicht wir Infos – auch vom Lieferanten oder zum Lieferanten – fließen lassen können. Daher gebe ich meinen Analysten klare Problemstellungen und dann viel Freiheit, damit nicht meine klassische Denke als Führungskraft die beste Lösung verstellt. Wer Systemkomponenten kauft, braucht eine gute Abstimmung nach innen. Wie klappt der Austausch mit Ihren Geschäftsbereichen? Komitsch: Ich würde mir wünschen, dass wir in Wertschöpfungsketten und nicht mehr in Funktionen denken: Lieferant, Einkauf, Geschäftsbereich. Die Lieferanten sind ein großer Teil unserer Wertschöpfung. Die Zeit der Datensilos und Kopfmonopole ist vorbei. Wir müssen integriert denken, welche Fähigkeiten, wir wo benötigen. Was bietet der Nachbarbereich und der Lieferantenmarkt an dieser Stelle? Unsere Arbeit fängt ganz vorne bei der Spezifikation an, in der Zusammenarbeit mit den Geschäftsbereichen, ausgehend vom Bedarf der Kunden. Der Lieferant muss viel früher in die Produktentwicklung eingebunden werden. Das ist in gewisser Weise Neuland für uns. Wir tun das daher in kleinen Schritten, als EnBW investieren wir zum Beispiel auch in Start-ups. Was folgt daraus für die Zusammenarbeit? Komitsch: Wenn ich diese integrierte Sicht habe, muss ich überlegen, was ich tun kann, damit keiner in der Kette zum Bottleneck wird. Deshalb sitzen wir immer häufiger in interdisziplinären Teams an einem Tisch. Und wenn ich auf die Risiken in der Wertschöpfungskette schaue und wie ich diese vernünftig absichern kann, muss ich ehrlicherweise auch über die Margenverteilung anders nachdenken. Über immer höhere Versicherungsprämien lässt sich aus meiner Sicht nicht alles lösen. Wir müssen uns mit unseren Partnern darauf verständigen, wie wir miteinander umgehen, wenn es unerwartet nicht läuft. Das halte ich für ganz entscheidend, weil wir uns sonst mit Versicherungsprämien überbieten. Über Verträge allein lassen sich nicht alle unerwarteten Eventualitäten einer Lieferkette abdecken. Wir brauchen eine neue Form von Agreement für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. »Für mich entsteht erfolgreiche Digitalisierung aus dem digitalen Denken und nicht aus der Einführung von Tools.« Welche Anforderungen stellen Sie in Bezug auf Nachhaltigkeit an Ihre Lieferanten? Komitsch: Der Fokus auf soziale und gesellschaftliche Verantwortung ist natürlich wie bei allen Firmen wichtig für die ganzheitliche Nachhaltigkeit. Aufgrund unseres Produktes von Stromerzeugung und Gasvertrieb machen die CO 2 -Emissionen unserer vorgelagerten Wertschöpfung den geringsten Teil an unseren Gesamtemissionen aus. Andererseits sind unsere Lieferanten an unserem regenerativ erzeugten Strom stark interessiert, um selbst „grüner“ zu werden. Wir können im Einkauf somit aus Überzeugung handeln und mit gegenseitiger Aufmerksamkeit unserer Lieferanten rechnen. Uns kommt es auf jedes Gramm CO 2 -Reduktion an. Dies in einer nach wie vor kommerziell gesteuerten Welt zu vermitteln, ist jedoch ein Spagat. Wie wollen Sie vorgehen? Komitsch: Unter anderem haben wir ein Produkt entwickelt, über das wir aus öffent lich zugänglichen Quellen den CO 2 -Fußabdruck auf den detaillierten Warengruppenschlüssel eClass heruntergebrochen haben. Somit arbeiten wir zwar nicht auf Lieferantenebene, aber wir haben den Branchendurchschnitt aller Produktkategorien, haben eine Augenhöhe, einen Startpunkt, von dem aus wir mit den Lieferanten arbeiten. Hierfür brauchen wir im Einkauf kein riesiges Team, das aufwändige Nachhaltigkeitsberechnungen anstellt, wir machen das für die EnBW mit zwei Leuten. Die Daten kommen aus EU- Quellen. Wir arbeiten also mit der gleichen Datenbasis, auf der wahrscheinlich die EU- Gesetzgebung fußt. Und dann kann der Lieferant punkten und sagen, ok, ich habe hier aber eine Zertifizierung, die besagt, wir liegen deutlich drunter. Das akzeptieren wir im ersten Schritt und nähern uns nachhaltiger CO 2 -Einsparungen. Das hört sich nach einem pragmatischen Ansatz an… Komitsch: Ja und er wurde unter die besten Drei gewählt. Ende Oktober haben wir hierfür auf dem Sustainability Kongress in Berlin – neben der Deutschen Bahn und Miele – eine Ehrung in der Kategorie „Einkauf“ erhalten. Für Beschaffung aktuell stellte Annette Mühlberger die Fragen. EnBW Energie Baden-Württemberg AG Die EnBW mit Sitz in Karlsruhe ist gemessen am Umsatz nach Uniper und E.ON der drittgrößte Energieversorger Deutschlands und versorgt rund 5,5 Millionen Kundinnen und Kunden. Dabei konzentriert sich die EnBW auf erneuerbare Energien, Elektromobilität, Strom- und Telekommunikationsnetze sowie smarte , nachhaltige Energielösungen. 2021 lag der Umsatz bei 32,1 Milliarden Euro. Mehr als 26.000 Menschen arbeiten für das Energieunternehmen Beschaffung aktuell » 03 | 2023 17

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