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medizin&technik 03.2017

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VISIONEN MIT NADEL UND

VISIONEN MIT NADEL UND FADEN Wundversorgung | Löcher flicken, Getrenntes zusammenfügen – in diesem Punkt arbeiten Chirurg und Schneider ähnlich. Wurde früher auch das gleiche Material verwendet, bieten heute sterile Hightech-Materialien für jede Anwendung die passende Nadel-Faden-Kombination. Schon im alten Ägypten wurden mit Nadel und Faden auch Wunden vernäht: Ein ägyptischer Papyrus aus der Zeit vor rund 1500 v. Chr. beschreibt den Wundverschluss durch Leinenfäden sowie -pflaster. Steril war das Ganze natürlich nicht und endete dadurch häufig tödlich. Erst 1906 wurde der erste wirklich sterile Faden aus Catgut (tierischer Darm oder Rinderkollagen) geschaffen. Heutzutage ist das Material steril, Nadel und Faden sind zu einer Einheit verbunden und haben nur noch sehr wenig gemein mit dem Handwerkszeug eines Schneiders. Für jede Anwendung gibt es angepasste Einweg Nadel-Faden-Kombinationen: unterschiedlichste Fadenmaterialien und -dicken, ebenso entsprechende Nadeln in verschiedenen Formen, Längen und Durchmessern. Die Fäden müssen je nach Material später wieder gezogen werden oder aber können, zum Beispiel bei Wunden im Körperinneren, im Körper verbleiben und werden dort resorbiert. Spezielle Nähte und Knoten sorgen für eine größere Halt-, Dehn- oder auch „Unsichtbarkeit“ – unschöne, leiterartige Quernarben gibt es kaum noch. Eine gute Naht gehört inzwischen zum Selbstverständnis der Mediziner und ist heute quasi Alltag. In diesem Punkt sind sich Schneider und Chirurg in der Moderne wieder sehr nah. Anke Biester Fachjournalistin in Aichstetten Eine ganze Dissertation ist dem Thema gewidmet: http://d-nb.info/969152930/34 Genäht wurde früher mit allem, was sich einigermaßen gut handhaben ließ und nicht zu sehr aufquoll, so zum Beispiel Leinen zwirn, Pergament, Gold oder Schleimharzen wie Kautschuk. Zum Einsatz kamen ebenso tierische Materialien wie Pferde- oder Kamelhaar, tierischer Darm, Feder kiele, Seide oder Silkwormgut, ein Fadenmaterial der Schmetterlingsart Seidenspinner. Im 16. Jahrhundert waren auch Jungfrauenhaare en vogue. Es gab einen tierischen Vorläufer der heutigen Wundklammerung. So berichtet im 10. Jahrhundert der andalusisch-arabische Arzt Abu l-Qāsim (auch als Abulcasis bekannt) in seinem Lehrbuch: „Schwarze Ameisen beißen sich in den Wundrändern fest, werden dann geköpft, und ihre Zangen bleiben in den Eingeweiden zurück. Die Eingeweide werden in die Bauchhöhle zurückgelegt und der gemachte Einschnitt in der Bauchdecke wird mit einer Nadel vernäht.“ Diese Methode wurde in Indien bereits seit 500 v.Chr. verwendet und breitete sich von dort bis nach Kleinasien, Europa und Nordafrika aus. 6 medizin&technik 03/2017

Für eine chirurgische Naht werden heute im Grunde drei verschiedene Materialien, je nach Anforderung, verwendet: Metall, Polymere oder Seide. Bei der Ein - teilung des Nahtmaterials wird nach Resorbierbarkeit, Materialherkunft und Fadenaufbau unterschieden. Fäden sind inzwischen nicht nur monofil, also aus einem Einzelfaden bestehend, sondern auch multifil – aus mehreren verdrehten, geflochtenen oder verzwirnten Fäden bestehend – , und können zusätzlich beschichtet sein. Heute gelten viele Anforderungen an chirurgisches Nahtmaterial: Es muss steril und gewebeverträglich sein. Weder der Faden noch der Knoten darf schnell reißen oder brechen. Der Faden darf keine Kapillarwirkung aufweisen, um nicht im Gewebe aufzuquellen. Er soll sich nur minimal oder reversibel und berechenbar (Gummibandeffekt) dehnen. Der Knoten soll fest sitzen. Und natürlich soll sich der Faden in Bezug auf Flexibilität, Geschmeidigkeit und Knüpfbarkeit leicht handhaben lassen. Vernäht wird heute oft nicht mehr mit der Hand, sondern mit Hilfe eines so genannten Nadelhalters: Die Operateure tragen Handschuhe und können mit dem Nadelhalter leichter nähen sowie auch wesentlich kleinere Nadeln fassen. Sie können in tiefere Wundhöhlen eindringen. Auch versehentliche Stichverletzungen sind mit dem Nadelhalter weniger häufig, was die Gefahr einer Infek tion verringert. Fadendicke: Ein einheitliches Maß für die Dicke eines Fadens zu finden, war durch die verschiedenen Materialien nicht einfach. So definierte man zu Beginn der industriellen Fadenproduktion die Dicke des ersten gefertigten Fadens mit 1, alle nachfolgenden dickeren Materialien erhielten dann eine aufsteigende Kennzeichnung mit 2, 3, 4 und so weiter. Doch dann wurden dünnere Fäden verlangt. Die Lösung: Der erste dünnere Faden erhielt die Null, danach ging es abwärts, 2/0, 3/0, 4/0 und so fort. Als europäische einheitliche Maßeinheiten gelten daher nun die X/O Werte. Je höher der Wert, desto dünner der Faden. Eine Hautnaht verschließt der Arzt zum Beispiel normaler weise mit einem 3/0er- oder 4/0er-Faden – mit einer Dicke von 0,2 mm bis 0,3 mm. Bild: Fotoloa/Todor Rusinov 03/2017 medizin&tec hn i k 7

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