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prima! Magazin - Ausgabe Dezember 2020

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Foto © T.Den_Team

Foto © T.Den_Team 2020! Alles ist anders Corona hat vieles verändert. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Kollateralschäden verursacht. Und jeder Mensch steht vor der Herausforderung, diese Krise für sich selbst zu verarbeiten. Depressionen, die gab es schon vor Corona. Aber heuer berichten Psychotherapeuten von einer anderen, neuen Dimension der psychologischen Erkrankungen. Welche das sind und welcher Fallschirm für die Betroffenen gespannt wurde, hat prima! beim Experten erfragt. Eva Maria Kamper Der erste Lockdown im Frühjahr hat uns schlagartig aller gewohnter Strukturen beraubt. Menschen haben ihren Job beziehungsweise ihre wirtschaftliche Grundlage verloren. Andere mussten bis an den Rand ihrer Belastungsgrenze arbeiten. Diese Krise hat niemanden ausgelassen. Wir waren aufgefordert, unser soziales Zusammensein von heute auf morgen zu bremsen und uns zuhause zu isolieren. Dem Virus keine Chance zu geben. Die Kurve abzuflachen. Ein halbes Jahr später wird deutlich, dass dieser Ausnahmezustand in der Gesellschaft den Bedarf an psychotherapeutischen Behandlungen spürbar erhöht hat. Doch dann kam im November bereits der zweite Lockdown und – was uns völlig aus der Bahn wirft – ein Terroranschlag in Wien. Unserem Wien. Der lebenswertesten Stadt der Welt. Dabei haben wir noch nicht einmal die Auswirkungen des beinahe zweieinhalbmonatigen Stillstands im Frühjahr verarbeitet. „Singles, Pärchen und Familien waren im ersten Lockdown lange Zeit alleine beziehungsweise unter sich. Dies hat sehr schnell zum Vorschein gebracht, welche Dynamik und emotionale Dichte in der privaten Welt der Gesellschaft vorhanden sind. Und wie es sich äußert, wenn man auf einmal Zeit hat“, schildert Alexander Mladenow, Vorstandsmitglied des Burgenländischen Landesverbandes für Psychotherapie, die Stimmungslage des heurigen Frühjahrs. „Da brechen oft Themen auf, die quer durch das Jahr vermieden oder aufgrund von mangelnder Gesprächsbereitschaft ignoriert werden. Keine Frage, die Covid-19-Maßnahmen waren und sind wichtig, um Leben zu retten, allerdings verlangen sie von uns ein Verhalten wie das der sozialen Isolation, das nicht unseren Urinstinkten entspricht.“ Wir sind „Kleingruppenviecher“ Der Psychotherapeut kann in diesem Fall aus dem Lehrbuch zitieren: „Soziale Kontakte sind für uns Menschen extrem wichtig. Wir sind ‚Kleingruppenviecher‘, wir brauchen dieses soziale Umfeld. Und eine Kleingruppe bedeutet für einen Menschen circa zehn bis Bgm. Marcus Martschitsch und die Stadt- und Gemeinderäte der Stadtgemeinde Hartberg wünschen Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch! 10 DEZEMBER 2020 www.prima-magazin.at

PSYCHOTHERAPIE IM FOKUS Foto © zVg 14 Personen. Das gleicht der alten Struktur einer Großfamilie, in der die Generationen früher lebten. Wenn dieses soziale Gebilde permanent fehlt, dann bekommt der Mensch einen psychischen Stress. Und Stress ist seit dem Jahr 1936 ein Begriff, den der Wiener Arzt Hans Selye entwickelt hat und der für den Körper mit Angst gleichzusetzen ist. Angst, die um sich greift, greift auch das Immunsystem an. Das kann dann nicht nur im Falle einer Corona-Infektion fatal sein, sondern langfristig generell in einer psychischen Erkrankung münden“, weiß Mladenow. Corona-Krise verursacht Ängste „Depressionen sind besonders im Herbst keine Seltenheit. Die überwiegende Dunkelheit, Bewegungsmangel, fehlende Motivation durch Regen, Wind und Kälte. Das körpereigene Antidepressivum Melatonin, das für das psychische Gleichgewicht zuständig ist, wird vermindert produziert. Man wird grantiger. Man mag einfach nicht. Aber das ist Standard, das war schon vor Corona so. Heuer ist allerdings neu, dass Ängste dazugekommen sind. Angst vor der Ansteckung, Angst vor der Ungewissheit, Angst vor der Zukunft. In meine Praxis kommen immer mehr Klientinnen und Klienten, die unter Ängsten und plötzlichen Panikattacken leiden. Das ist eindeutig eine Auswirkung der Corona-Krise“, bemerkt Mladenow. Einsamkeit und digitale Medien Die soziale Vollbremsung des ersten Lockdowns hatte es in sich: „Menschen, die grundsätzlich alleine leben, fanden sich durch das bitte umblättern >> Hilfe in Anspruch nehmen! Psychotherpeut Alexander Mladenow, Vorstandsmitglied des Burgenländischen Landesverbandes für Psychotherapie appelliert:„Wenn Sie an sich selbst oder an Menschen in Ihrem Umfeld psychische Veränderungen wahrnehmen, zögern Sie nicht, sich Hilfe zu holen. Die Zeiten, wo man sich – abseits der psychischen Probleme – vielleicht noch dafür geschämt hat, zum Therapeuten zu gehen, sind längst vorbei. Das sieht man am hohen Zulauf an Therapieanfragen quer durch alle Altersgruppen. Das IPR (Institut für Psychotherapie im ländlichen Raum) hat viele Umstrukturierungsmaßnahmen seit dem Beginn der Krise für die psychotherapeutische Hilfe für Betroffene in kürzester Zeit umsetzen können. So wurde beispielsweise Psychotherapie per Telefon oder Videotelefonie in Österreich erstmals erlaubt. Im neuen Lockdown hat die Psychotherapie-Hotline wieder aufgemacht (Tel. 02682/24690, Montag bis Freitag 10 – 12 Uhr). Die Menschen sollen auch keine Scheu haben, im Bedarfsfall die Telefonseelsorge oder ‚Rat auf Draht‘ (Notrufnummer 142) anzurufen. Auch gibt es Hilfe beim Psychosozialen Dienst (PSD, www.psychosozialerdienst.at). Und dann gibt es natürlich auch die Möglichkeit einer psychotherapeutischen Behandlung von der ÖGK (www.gesundheitskasse.at). Es gibt viele Wege, wieder aus dieser Abwärtsspirale herauszufinden, man muss sie nur in Anspruch nehmen!“ Wege zur kassenfinanzierten Psychotherapie: Die Erstberatungen werden in den regionalen Dienststellen der ÖGK im Burgenland angeboten, um den Zugang zu erleichtern (www.psychotherapie.at). Voraussetzung für einen zur Gänze von der ÖGK finanzierten Therapieplatz sind im Burgenland eine krankheitswertige Diagnose und finanzielle Notwendigkeit. Die Kosten werden in den Diagnosebereichen psychosomatische Erkrankungen, Suchtkrankheiten, neurotischen Störungen und Psychosen übernommen. Therapie bei Partnerschafts-, Erziehungs-, Familien-, Berufs- oder Sexualproblemen oder zur Persönlichkeitsentwicklung sind Privatleistungen. Die Soforttherapie, auch mit Teilkostenvergütung, ist jederzeit möglich. Die Kapazität an verfügbaren Therapeutinnen und Therapeuten ist groß. Die Warteliste auf einen vollfinanzierten Kassenplatz im Burgenland ist mit 2 – 3 Monaten Wartezeit relativ überschaubar. Nur im Bezirk Oberwart sind die Wartezeiten etwas länger. Die Versorgungslücken werden hier derzeit aber geschlossen und ein verbessertes Netz wird aufgebaut. Auch von Seiten des Bundes wurden schon weitere Gelder zugesagt. Zur Überbrückung der Wartezeit steht zukünftig im südlichen Burgenland wieder die „Einstiegsgruppentherapie“ zur Verfügung, die mit psychotherapeutische Unterstützung als Hilfestellung im Alltag dient, bis die eigentliche Therapie beginnt. DEZEMBER 2020 11

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