WETTBEWERB Plattform-Kapitalismus im Zeitraffer FREE NOW EIFERT UBER NACH Obwohl der Senat das Taxigewerbe eigentlich vor Free Now, Uber und anderen fragwürdigen Anbietern schützen will, sind in Berlin offiziell bereits über 4.000 Mietwagen unterwegs. Ihre Anzahl steigt täglich. Heute, gut zehn Jahre nachdem „mytaxi“ mit seiner Bestell-App den Markt aufzumischen begann, haben sich alle damaligen Warnungen mehr als bewahrheitet. Der Wolf hat sich des Schafspelzes entledigt und „mytaxi“ ist zu Free Now mutiert. BMW Group und Daimler AG haben ihre Kräfte in der gemeinsamen Plattform „Ride“ gebündelt. Mittlerweile wurden die Fahrdienst-Vermittler Beat (Griechenland, Peru, Chile, Kolumbien und Mexiko), Kapten (Frankreich, Großbritannien, Portugal und die Schweiz) und Clever (Rumänien) allesamt geschluckt. Damit ist Free Now alleine in Europa in bereits neun Ländern aktiv. Ziel ist es, weltweit der führende Ansprechpartner für alle wichtigen Mobilitätsdienste zu werden und sich – nach jüngsten Aussagen des Deutschlandchefs von Free Now, Alexander Mönch – auch verstärkt Drittanbietern zu öffnen. So können mittlerweile bereits E-Tretroller von Voi über die Free-Now-App gebucht werden. SIXT HILFT DEM TAXI AUF DEN WELTMARKT Allen im Taxigewerbe, die die Zusammenarbeit mit Sixt bisher skeptisch betrachten, sei gesagt, dass diese vorausschauende Zusammenarbeit wahrscheinlich die momentan einzige Chance ist, Taxis auf einer großen Mobilitätsplattform anzubieten, ohne Gefahr zu laufen, dass dort die eigenen Kunden abgeworben werden. Niemand kann mehr den Wert der klassischen Funkzentralen leugnen. Sie werben Herwig Kollar, Rechtsanwalt für die Taxi Deutschland eG und Vizepräsident des Bundesverbandes Taxi und Mietwagen e. V. und wahren Kunden ausschließlich für das Taxigewerbe. Free Now dagegen gibt Taxikunden fleißig weiter in Mietwagen. Das Wort Taxi ist nicht nur aus dem Firmennamen verschwunden, das gesamte Geschäft des kleinteilig organisierten Taxigewerbes soll übernommen und bestehende Strukturen vernichtet werden. Auch hier drängt sich der Vergleich mit Uber auf, und es ist offensichtlich, wie diese Konzerne um den Beförderungsmarkt kämpfen. Kollaborateure unter den Taxiunternehmern und -fahrern haben es dem Gegner leicht gemacht, im Personenbeförderungsmarkt Fuß zu fassen. Während viele dieser Kollegen heute ihren Seitensprung bereuen, bauen andere ihre ehemaligen Taxiflotten zu Mietwagenflotten um. Als das „Gesicht des Verrats“ dürfte der ehemalige Taxi-Großunternehmer Thomas Mohnke gesehen werden, der mit der Übernahme des Berliner Fahrdienstes „RocVin“ den Beginn einer engen Zusammenarbeit mit Uber startete. Schnell das kurze Schwarze übergestreift, lässt Mohnke mit der SafeDriver Group GmbH bundesweit Mietwagen für das US-Unternehmen Uber rollen. Vieles deutet allerdings mittlerweile darauf hin, dass mit Mietwagen, neben den Fahraufträgen des US-Konzerns, auch Fahrten für Free Now ausgeführt werden, was im Übrigen bei fast allen Subunternehmen gängige Praxis ist. Jobangebote von Mietwagenunternehmen, in denen Fahrer für Uber und Free Now gesucht werden, beweisen, dass Mietwagenunternehmen für beide Anbieter unterwegs sind. Ist es da nicht naheliegend zu fragen, ob Free Now die Rückkehrpflicht und Auftragsannahme am Betriebssitz des Mietwagenpartners ebenso handhabt wie Uber? Es gibt in der App jedenfalls keine klaren technischen Möglichkeiten, die entsprechende Verstöße durch die Mietwagenpartner rechtssicher ausschließen. Die Taxi Deutschland eG und deren Anwalt Herwig Kollar lassen das bereits intensiv beobachten und werden auch gegen Free Now gerichtlich vorgehen, sollten Verstöße nachgewiesen werden. Entsprechend der Feststellung des Landgerichts Frankfurt am Main im Fall Uber stellt sich zudem die Frage, ob nicht genauso Free Now eine eigene Mietwagenlizenz beantragen müsste. GRAFIK: Jérôme Kirschkowski; FOTO: Axel Rühle / Taxi Times 28 3. QUARTAL 2020 TAXI
WETTBEWERB Besonders brisant ist die Marke „Free Now Ride“, die gezielt Uber angreifen will und das Taxigewerbe dafür ausbluten lassen könnte. Bisherige Taxikunden werden durch umfangreiche und kostenintensive Marketingmaßnahmen und durch Preisdumping zur Bestellung eines Mietwagens geködert. Dem Taxigewerbe gehen sie dadurch verloren. Beispiele dafür gibt es bereits genug. Bei der Markteinführung in Düsseldorf wurden Fahrten im gesamten Stadtgebiet für maximal 9,99 Euro angeboten, im September 2019 wurde mit dem Slogan „Mit App und Ride für 5 Euro durch Berlin“ geworben und im Februar 2020 in der „Bild“-Zeitung Berlin mit „Nutze unseren 20 Euro Gutschein als Neukunde bei Free Now“, „Gutschein: die erste Fahrt gratis bei Free Now“ und mit „10 € Guthaben fürs Freunde werben bei Free Now“. Diese Angebote liegen allerdings preislich nicht nur unter dem Taxifahrpreis, sondern auch unter der Wirtschaftlichkeitsgrenze. So etwas nennt sich „unfair advantage“, den Großkonzerne nun eben einmal gegenüber Familienbetrieben haben. Langfristig rechnet sich das aber nur dann, wenn es gelingt, die Konkurrenz auszuschalten um dann die Preise zu erhöhen. Letztlich werden die jetzt geköderten Kunden die Zeche eines Tages zahlen müssen, wenn ein Monopolist die Preise bestimmt – ohne staatliche Kontrolle wie bei den Taxipreisen. Auch die Subunternehmer werden die Dummen sein. Solange „Free Now Ride“ diese Preise macht, haben sie gut zu tun und können die – im Vergleich zu den von Taxiunternehmen an ihre Taxizentralen zu entrichtenden Vermittlungsgebühren – viel höheren Provisionen (25 Prozent vom Umsatz) gerade noch so bezahlen. Da die Anzahl konkurrierender Subunternehmen aber stetig wächst, wird die Auslastung der Fahrzeuge abnehmen und die Rechnung für die Mietwagenbetreiber nicht mehr aufgehen. Schon jetzt wird beim Personal gespart. Da es für Mietwagen, anders als bei Taxis, kaum Kontrollmechanismen gibt, ist auch schwer zu kontrollieren, ob soziale Mindeststandards eingehalten werden. WORTE, WORTE, KEINE TATEN „Die Verkehrssenatorin will neue Fahrdienste ausbremsen“, schrieb der „Tagesspiegel“ am 26. Februar. Dabei ging es nur um eine Vorlage der Verkehrssenatorin. Ihr ist das Thema schon vertraut, und ihr Haus verfügt über die nötige Expertise, die Vorlage auch durchzusetzen. „Wir wollen Regulierungsoptionen“, sagte der Sprecher der Verkehrssenatorin, Jan Thomsen dem „Tagesspiegel“. Das Taxigewerbe sei ein „Teil der Daseinsvorsorge“, stehe in der Vorlage, die der Zeitung vorliegen soll. Taxen seien eine „sinnvolle Ergänzung des ÖPNV“, ergänzte Thomsen. Fahrdienste wie die digitale Plattform Uber, die nicht in den ÖPNV integriert sind, sollen „nicht uneingeschränkt genehmigungsfähig sein“, schreibt das Blatt weiter. Die Pläne des Senats sind ebenso begrüßenswert wie langwierig. Mit einer Umsetzung wären Verletzungen der Rückkehrpflicht, wie auch der Ort der Auftragsannahme, zweifelsfrei dokumentiert. Leider sind diesen Bekundungen aus der Zeit vor der Corona-Krise bisher keine spürbaren Taten gefolgt. Die unlautere Konkurrenz wuchert ungehindert weiter. Wie man hört, scheitert das Vorhaben, neu zugelassenen Mietwagen keine Ausnahmegenehmigung von der Wegstreckenzählerpflicht mehr zu erteilen, derzeit an den begrenzten Kapazitäten der Eichbehörde. Kleinanzeigen von Mietwagenunternehmen aus verschiedenen Städten, die Fahrer für Uber UND Free Now suchen Wird das Taxigewerbe geschützt, geht es nicht um Partikularinteressen einer in die Jahre gekommenen Branche. Vielmehr steht die Taxi-Community nur an einer von vielen Fronten in unserer modernen Gesellschaft, sinnbildlich für den Kampf gegen den allgegenwärtigen Plattform-Kapitalismus und unersättliche Datenkraken. Gegen den Ausverkauf unseres Mittelstands, gegen die soziale Spaltung der Bevölkerung, gegen umwelt- und menschenschädliche Entwicklungen und letztlich gegen den Verlust unserer Freiheit – kurz gesagt gegen „Uberisation“. Wenn es altmodisch sein soll, Kunden Verlässlichkeit bei Preis und Qualität der Beförderung garantieren zu wollen und dem eigenen Fahrpersonal gute Arbeitsbedingungen, ehrliche Löhne und soziale Absicherung, dann sollte das Taxigewerbe stolz auf seine Traditionen sein. sb TAXI 3. QUARTAL 2020 29
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