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Taxi Times Berlin - Juni 2017

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KOLUMNE FÜNFUNDZWANZIG.

KOLUMNE FÜNFUNDZWANZIG. DREISSIG. FÜNFUNDVIERZIG. Schon unser Ausbilder wusste: Wenn während der Nachtschicht irgendwann die Mülleimer zu winken anfangen, ist es Zeit, Feierabend zu machen. Fuck, ich stehe wirklich schon wieder eine Dreiviertelstunde, dabei konnte ich die Augen schon vor der letzten Fahrt aus Langeweile kaum mehr offen halten. Position drei an der Halte, aber der erste Kombi, der erste Großraumwagen mit hohem Einstieg. Die Frau mit Kinderwagen scheint gar kein Taxi zu suchen, der jugendliche Typ im Anzug scheint mir zu zögern. Will er sich ein bestimmtes Auto aussuchen? Wenn ja, was für eines? Nein, wohl eher gar keines. Als der nun strammen Schrittes am Stand entlang geht, sehe ich zwei Meter vor meinem Auto eine geradezu comichafte Bananenschale liegen, das internationale Warnsymbol für Rutschgefahr, auch wenn ich nicht einmal in meinem Leben einem Menschen begegnet bin, der je wirklich auf einer Bananenschale ausgerutscht ist. „Das wäre jetzt ja was ...“, denke ich so bei mir und sehe quasi zeitgleich den wenig eleganten Ausfallschritt des jungen Herren, der darin mündet, dass er sich gerade noch mit beiden Händen auf meiner Motorhaube abstützen kann. Er springt erzürnt auf und tritt mit voller Wucht gegen die Heckstoßstange des Kollegen vor mir. Vermutlich glaubt er, der hätte die Schale aus seinem Fenster geworfen. Der Kollege, ein bereits weitgehend ergrauter Rentner, steigt behände und fluchend aus, ganz offensichtlich hat er sich vor Schreck den Kaffee übers Hemd geschüttet und ist nun den Umständen entsprechend leicht gereizt. Ich kann ihn gut verstehen, er hatte meines Wissens nach nun wirklich nix mit dem Bananenvorfall zu tun. Ebenso gut verstehen kann ich aber auch die Gruppe aus mehreren Jugendlichen, die eben erst aufgetaucht war und nun nur noch einen pöbelnden Typen sieht, der einen jungen Kerl im Anzug anfaucht und ihm Wunder weiß was für Ausdrücke an den Kopf wirft. Der Größte von ihnen, ein braungebrannter Typ im Muscle-Shirt droht dem Kollegen Prügel an und zwei Frauen, über deren jeweilige Beziehung zu dem Typen ich länger nachdenken müsste, versuchen ihn einerseits zu beruhigen, andererseits aber auch zu bestätigen, er solle „den Opa weghauen“. Natürlich denke ich so vor mich hin, dass ich den Kollegen in Schutz nehmen sollte, aber selbstverständlich ist die Polizei hier, direkt vor ihrer Wache, auch schon längst vor Ort. „Hey, hey, hey!“, ruft einer der Beamten aus sicherer Distanz dem Cliquen-Führer warnend zu. Das missversteht einer seiner Kumpel gründlichst und tritt mit seiner Freundin zusammen einen überhektischen Fluchtversuch an. Ich persönlich tippe auf etwas Gras im Gepäck, vermutlich leicht über der Eigenbedarfsgrenze. Besagte überhektische Flucht findet ihr Ende aber bereits am voll belandenen Einkaufswagen eines offensichtlich obdachlosen Flaschensammlers, dessen Hab und Gut sich unter lautem Klirren auf dem Asphalt auflöst. Eine einzelne Flasche rollt zielstrebig auf die den Vorfall eingeleitet habende Banane zu, die ich nach kurzem Hochschrecken wegen des ganzen Krachs nun auch als harmloses gelbes Flugblatt identifiziere, die Demo vorher, ich erinnere mich! Die Jugendlichen, die Polizisten, der Flaschensammler, der Kollege ... wo zur Hölle sind sie? „Na, haste auch gedacht, dass der Typ im Anzug bei Dir einsteigt?“ Kollege Hassan grinst mich an. Der ganze Scheiß gerade ... das war ... hab ich das nur ...? Ich war schlagartig wieder wirklich wach. „Der sah aus, als ob er bis irgendwo außerhalb fahren würde. Gut, vielleicht ein Serienkiller, aber es hätte eine gute Tour werden können!“, meinte Hassan augenzwinkernd. Ey, wir Taxifahrer haben doch alle zu viel Fantasie für die langen Wartezeiten da draußen! sash Der Autor Sascha Bors betreibt als „Sash“ einen eigenen Taxiblog. GRAFIK: Stanislav Statsenko / Taxi Times GRAFIK: Stanislav Statsenko / Taxi Times 32 JUNI / 2017 TAXI

LESETIPP SCHNITTSTELLE DER VIER MÄCHTE Berlin hatte nach dem Krieg mit seiner Lage an der Schnittstelle zwischen den Machtblöcken den Ruf einer Hauptstadt der Spione. GRAFIK: Stanislav Statsenko / Taxi Times Ausgedachte Geschichten über Spione gibt es zuhauf. Ian Flemmings James Bond war sicher einer der berühmtesten. Der Leiter des Alliierten-Museums Bernd von Kostka und der Journalist Sven Felix Kellerhoff haben sich in ihrem Buch „Hauptstadt der Spione“ mit echten Spionen beschäftigt, die in Berlin tätig waren. Geheimdienste und ihre Spione arbeiten im Geheimen. An die Öffentlichkeit gelangen sie oft erst, wenn es schiefgegangen ist. Die Akten und Unterlagen über sie bleiben lange gesperrt. Keine leichte Aufgabe für Autoren, etwas darüber zu schreiben. Originalquellen werden meist erst zugänglich, wenn 20, 30 Jahre vergangen sind. Trotzdem haben die beiden Autoren einiges zu Tage gefördert. Was die alliierten Militärverbindungsmissionen eigentlich machen, ist den Berlinern erst aufgegangen, als der Missionsangehörige Arthur D. Nicholson auf einer Erkundungsfahrt in der DDR von einem sowjetischen Wachposten erschossen wurde. Über Jeffrey M. Carney, den Stasi-Spion in der Field Station auf dem Teufelsberg, ist kürzlich sogar eine Fernseh-Dokumentation gelaufen. Dass Karl-Heinz Kurras, der als Zivilpolizist am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, ein Stasi-Agent war, drängt gerade jetzt, zum 50. Jahrestag der Tat, wieder ins Bewusstsein. Einzelheiten über diese und viele andere Fälle kann man in der überarbeiteten und aktualisierten Neuauflage des Buches nachlesen. wh Sven Felix Kellerhoff, Bernd v. Kostka: Hauptstadt der Spione – Geheimdienst in Berlin im Kalten Krieg Berlin Story Verlag 19,95 Euro GRAFIK: Stanislav Statsenko / Taxi Times Auf Wunsch auch mit TIM Box (999.00 € ) inkl. einbau TAXI JUNI/ 2017 33

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