Der klimafreundliche Einkaufsführer

Juni 2007 BLICK IN DIE STADT 2
Niedersachsen
nörgelt
Vor zwei Monaten wurde
in Braunschweig (245.000
Einwohner) hinter historisch
nachgebildeter Schlossfassade
ein ECE (30.000 qm Verkaufsfläche)
eröffnet. „Am
Anfang waren wir total dafür,
jetzt trauen wir uns auch mit
Kritik“, sagt Lokalredakteur
Norbert Jonscher. Die gedruckte
Bürgerkritik: „08/15-
Einkaufswelt“, „schlechte
Luft“, „extrem hoher Lärmpegel“
(Schalldämmung gespart),
„fehlgeplante Toilettenanlage“
(Obergeschoss),
„langweilige Plastikpflanzen“,
„primitiv und abstoßend“
(Fassadenrückseiten)...
Schwaben
schreckt auf
In Reutlingen
(110.000
Einwohner),
ECE geplant
mit 23.000
qm Verkaufsfläche,reagiert
ein frisch
gegründetes Bürgerforum mit
schonungsloser Aufklärung:
Zum Auftakt wurde ECE-Kritiker
Rolf Junker, Buchautor
„Angriff auf die City“, eingeladen.
Er warnt vor dem „Trojanischen
Pferd“.
Friseur Kuchler stutzt ECE.
„Ich freu mich drauf“, steht
über einem unbekannten Fotomodell
am ECE-Bauzaun.
Für viele Passauer klingt das
wie Hohn. Für einen wie eine
Ohrfeige: Gerd Kuchler, Friseurmeister
und Hauseigentümer
in der Bahnhofstraße. Ihm
wird der Kommerzkoloss direkt
vor die Nase gesetzt. Trotzdem
Baustopp bleibt! ECE
mit Efeu abgeblitzt
ist er zur Zeit guter Dinge. Denn
ein hohes Münchner Gericht hat
seine Beschwerde ernst genommen
und Baustopp verhängt.
Bürgerblick sprach mit dem zuständigen
Richter: Es sieht nicht
gut aus, wenn Stadt und ECE
den Fall Kuchler nicht ernst
nehmen.
Michael Happ, Vorsitzender
Passau trauert um...
Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
kann sich
in Hausbesitzer und Mieter gut
hineinfühlen. Es ist eben ein
Unterschied, ob vor dem Balkon
ein hübscher Kirchturm den
Blick zum Himmel verwehrt
oder eine hässliche
Der rote, beschädigte Bauzaun von ECE: Hamburger Peep-Show auf den Bau (kl. Foto) einer
schöneren Einkaufswelt? Schon jetzt reißt der Kommerz-Gigant schmerzhafte Löcher in
gewachsene Strukturen: Geschäfte schließen und immer mehr Mietflächen stehen leer.
Seit Baubeginn der Neuen Mitte stirbt immer wieder ein Stück altes Passau. Menschen
und Bäume werden entwurzelt, Kindheitserinnerungen und Kinovielfalt gingen verloren.
Bürgerblick zündet die Grabkerzen an. Fortzsetzung folgt.
Zum Todestag von
Anna Haas
Zur Grundsteinlegung
von
ECE gedenken
wir Anna Haas,
der letzten Mieterin der
Bahnhofstraße 13.
Anna Haas (86) galt als einsame
Kämpferin gegen ECE
und wollte nicht weichen.
„Ein so großes Kaufhaus
brauchen wir nicht“, sagte
sie in ihrem letzten Interview.
Am 30. Mai war ihr erster Todestag.
Eine Anzeige zu ihrem
Gedenken wurde von der
Lokalpresse abgelehnt. Ihre
Tochter Renate in Kiel hätte
sich darüber gefreut.
Betonwand. „Die einmauernde
Wirkung muss abgefedert
werden“, begründet Happ seine
Zwischenverfügung. „Die letzte
Entscheidung steht noch aus.“
Bauherr und Stadt nahmen
es zunächst auf die leichte
Schulter. Flugs wurden ein paar
Änderungen gezeichnet,
damit der Gefängnishofcharakter
verschwindet.
Die Hausaufgaben wurden
schlecht gemacht. Jetzt
darf die ECE den dritten
Versuch starten.
Als Ende Mai vor Gericht
in großer Runde diskutiert
wurde, drängte es den
Friseur aufzustehen und zu gehen.
„Es ging darum, wieviele
Efeupflanzen in welcher Größe
gepflanzt werden könnten“,
erzählt Kuchler. Oder um die
Frage der Wandfarbe. Ob Grün
vielleicht Abhilfe schafft? Der
Bauherr kam mit solch banalen
Lösungen nicht durch.
Richter Happ: „Wenn sich
der Beschwerdeführer zu den
neuen Plänen geäußert hat, wird
eine Entscheidung fallen“. Das
kann bis Sommer dauern.
Ob eine aufwändige Fassadengestaltung
genügt (angedacht
ist sogar die Wand mit
blinden Fenstern im Stil eines
Altstadthauses zu schmücken)
oder der Baukörper gar zurückweichen
muss, wird sich zeigen.
Schlimmstenfalls wird die
ECE-Baustelle tatsächlich auf
Eis gelegt oder Kuchler zieht
als letzte Bremse die sogenannte
Normenkontrollklage.
„Geld wurde mir natürlich
auch schon geboten. Aber erst
bei 30 Millionen fange ich zu
überlegen an“, feixt der Friseur.
Vernünftige Bayern:
Zwei Center adé
Die Städte Rosenheim (Stadtrat)
und Würzburg (Bürgerentscheid)
haben sich gegen
„Center“ am Bahnhof entschieden
– überzeugt von den
schädlichen Auswirkungen.
Fotos: Matthias Gieselmann, Hubert Denk