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titelgeschichte bundeskongress<br />

GeWerkschaFt ist soZiales GeWissen<br />

exKluSiV­interView Mit DeM theoloGen unD prieSter uniV.­prof. DDr. paul zulehner.<br />

inTerview: Jakob Glaser<br />

Unsere Gesellschaft orientiert sich an<br />

Erfolg, Geld, Macht. Für Familie und Kinder<br />

bleibt oft wenig Zeit. Ein Trend, der<br />

nicht mehr umkehrbar ist?<br />

Wenn wir – etwa in der Europäischen<br />

Wertestudie – die Fragen stellen, was<br />

moralisch auf keinen Fall erlaubt ist,<br />

dann zeigen sich die Menschen in allen<br />

Themen, die <strong>mit</strong> dem Leben und dem<br />

Lebensdienlichen zu tun haben, großzügig:<br />

bei der Abtreibung, der Euthanasie,<br />

der Ehescheidung. Ganz streng sind die<br />

Menschen hingegen, wenn es um ein<br />

parkendes Auto geht, das unbefugt in<br />

Betrieb genommen wird. Man müsste,<br />

spitz formuliert, das Glück haben, in Europa<br />

als Auto zur Welt zu kommen, dann<br />

wäre man moralisch gut geschützt. Wie<br />

unwichtig uns das Lebensdienliche ist,<br />

zeigt sich daran, wie wenig wir für Berufe<br />

zahlen, die dem Leben dienen, und die<br />

meistens Frauenberufe sind: die Tagesmutter,<br />

die Kindergärtnerin, die Frau im<br />

Pflegeheim, in der Hospizarbeit.<br />

Stichwort Pflege. Sie sagen, Legalisierung<br />

der illegalen PflegerInnen aus dem Ausland<br />

sei lediglich eine Überlagerung des<br />

eigentlichen Problems ...<br />

Wir werden immer älter. Zugleich haben<br />

wir den Wunsch, daheim alt zu werden<br />

– nur 6 Prozent wollen in ein Heim, wenn<br />

sie einmal „rund um die Uhr“ jemanden<br />

brauchen. Nun gibt es nicht mehr<br />

die größeren Familien. Zudem sind die<br />

Frauen heute berufstätig. Die Kernfrage<br />

ist daher, gibt es für die Angehörigen<br />

„Leihangehörige“, die all das auch tun<br />

dürfen, was Angehörige machen, und die<br />

auch sozial und finanziell verantwortlich<br />

abgefedert sind. Die Legalisierung allein<br />

nützt da wenig. Denn die herkömmlichen<br />

Berufe sind zu teuer, das Arbeitsrecht<br />

unzulänglich. Man muss die soziale Fantasie<br />

der „illegal“ handelnden Angehörigen<br />

legalisieren und nicht die Betroffenen<br />

in überholte Gesetze zwängen.<br />

Welche sozialen Reformen sind denn<br />

Ihrer Meinung nach notwendig?<br />

Durch die Erfindung des Mikrochips h<strong>at</strong><br />

die Globalisierung von wirtschaftlichen<br />

Freiheiten eine perfekte Chance erhalten.<br />

Profitiert haben davon Finanzmärkte<br />

und intern<strong>at</strong>ionale Konzerne. Zugleich<br />

wächst die Zahl der Modernisierungsverlierenden.<br />

So gilt auch heute, was der<br />

Sozialreformer Jean B. Lacordaire im 19.<br />

Jahrhundert gefordert h<strong>at</strong>: „Man muss<br />

der Freiheit Gerechtigkeit abringen“ –<br />

heute globale Gerechtigkeit. Sonst wird<br />

es keine Globalisierung des Friedens, sondern<br />

des Terrors geben. Nur Gerechtigkeit<br />

schafft Frieden, lese ich in der Bibel.<br />

Worin unterscheidet sich die neue soziale<br />

Frage von der „alten“?<br />

War für die alte soziale Frage der Auslöser<br />

die Erfindung der Dampfmaschine,<br />

ist er jetzt die Erfindung des Mikrochips.<br />

War die alte soziale Frage eher n<strong>at</strong>ional<br />

und regional, ist die neue soziale Frage in<br />

ihrer Tendenz global, also regional nicht<br />

mehr zu lösen.<br />

Global umspannende Firmenmonopole<br />

sind die Gewinner unserer Zeit. Woran<br />

scheitertdieBildungeinerschlagkräftigen<br />

globalen Gewerkschaft, und warum wäre<br />

es wichtig, eine solche zu gründen?<br />

Der einzige derzeit gut funktionierende<br />

Global Player ist – neben den Finanzmärkten<br />

und einigen Weltkonzernen –<br />

die k<strong>at</strong>holische Weltkirche. Die Gewerkschaftsbewegung<br />

muss sich also rasch<br />

globalisieren. Erste Ansätze sind ja vorhanden.<br />

Aber der Weg ist noch weit.<br />

Welche neuen Aufgaben kommen dabei<br />

auf die Gewerkschaften zu?<br />

Gewerkschaften werden global denken<br />

und lokal handeln. Es ist ja gut, etwa<br />

im Zuge der Europäisierung Europas,<br />

die heimischen Arbeitsplätze zu sichern,<br />

indem der Zuzug europäischer Arbeitskräfte<br />

erschwert wird. Dadurch entsolidarisieren<br />

sich unbemerkt die Modernisierungsbedrohten:<br />

Die slowakische<br />

Pflegekraft bedroht dann die österreichische.<br />

Das schwächt intern<strong>at</strong>ional die<br />

Organisierung der Bedrohten.<br />

WelcheRolleh<strong>at</strong>dieGewerkschaft,speziell<br />

die <strong>GÖD</strong>, in der Zukunft?<br />

Gewerkschaften müssen das soziale<br />

Gewissen der Betroffenen bleiben. Die<br />

<strong>GÖD</strong> h<strong>at</strong> in ihren Reihen ein hohes intellektuelles<br />

Potenzial. Dieses könnte der<br />

Horizonterweiterung gewerkschaftlichen<br />

Denkens hilfreich sein. Es braucht<br />

klare Analysen und entschlossene Optionen,<br />

die die eins werdende Welt im<br />

Blick h<strong>at</strong>, und nicht nur die begrenzten<br />

n<strong>at</strong>ionalen Interessen – noch dazu einer<br />

Teilgruppe der Gesellschaft. Ob solche<br />

weltumspannende solidarische Freiheit<br />

gelingen wird? ■<br />

22 <strong>GÖD</strong>_Ausgabe 1_2007<br />

Fotos: Andi Bruckner

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