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Der mündige Patient - mehr als nur ein Schlagwort - Gesundheit ...

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30<br />

<strong>Patient</strong>eninteressen Info_Dienst für <strong>Gesundheit</strong>sförderung 1_08<br />

GEK-Report ambulant-ärztliche<br />

Versorgung 2007<br />

Schwerpunktthema: Ambulante Psychotherapie<br />

Auswertungen von Routinedaten aus der<br />

ambulanten Versorgung spielen bisher in der<br />

Epidemiologie <strong>nur</strong> <strong>ein</strong>e untergeordnete<br />

Rolle. Die Umsetzung der Datentransparenzregelung<br />

nach § 303 a) bis f) SGB V kommt<br />

nicht recht voran, die Epidemiologie, auch in<br />

ihrem Segment Versorgungsforschung, hat<br />

sich vielfach anderen Datenquellen zugewandt.<br />

<strong>Der</strong> jetzt zum zweiten Mal vorgelegte GEK-<br />

Report zur ambulant-ärztlichen Versorgung<br />

zeigt jedoch, welches Potential in den Daten<br />

der ambulanten Versorgung steckt. <strong>Der</strong><br />

Report umfasst drei Teile. <strong>Der</strong> erste Teil gibt<br />

<strong>ein</strong>en Überblick über die ambulante Versorgung,<br />

etwa die Inanspruchnahme ambulanter<br />

Behandlungen im zeitlichen Verlauf, nach<br />

Alter und Geschlecht, nach Region, die fachärztliche<br />

Behandlungshäufigkeit oder die<br />

nach Diagnosen differenzierten Behandlungsanlässe.<br />

<strong>Der</strong> zweite Teil ist dem Schwerpunkt<br />

der ambulanten Psychotherapie<br />

gewidmet und beschreibt sehr differenziert<br />

<strong>ein</strong>zelne Störungsbilder nach Alter und<br />

Geschlecht. <strong>Der</strong> dritte Teil des Buches stellt<br />

die Auswertung der Arbeitsunfähigkeitsdaten<br />

dar - diese Daten werden auch von anderen<br />

Krankenkassen seit längerem bereitgestellt.<br />

<strong>Der</strong> Report wartet mit gewichtigen Botschaften<br />

auf. Beispielsweise sei die Zahl der Arztkontakte<br />

in Deutschland mit 17,1 Kontakten<br />

pro Kopf deutlich höher <strong>als</strong> im internationalen<br />

Vergleich und auch höher <strong>als</strong> in den<br />

OECD-Statistiken ausgewiesen. <strong>Der</strong> eigentliche<br />

"Datenschatz" ist aber im zweiten Teil<br />

des Buches zu heben, <strong>als</strong>o in der Darstellung<br />

der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung.<br />

Auch hier wartet der Bericht<br />

zunächst mit <strong>ein</strong>er be<strong>ein</strong>druckenden Aussage<br />

zum Mengengerüst der Versorgung auf:<br />

die Zahl der bewilligten Psychotherapien sei<br />

in den letzten 7 Jahren um 61 Prozent gestiegen.<br />

Inwiefern diese Zahl repräsentativ für<br />

die Versicherten anderer Krankenkassen ist<br />

oder <strong>ein</strong>e Besonderheit der GEK-Versicherten<br />

widerspiegelt, sei <strong>ein</strong>mal dahingestellt. Wer<br />

dahinter <strong>ein</strong>e ungerechtfertigte Ausweitung<br />

der Psychotherapie vermutet, dürfte jedenfalls<br />

f<strong>als</strong>ch liegen. Dies soll <strong>nur</strong> an zwei Beispielen<br />

gezeigt werden. In der Diagnosegruppe<br />

F 30 - F 39 (Affektive Störungen, z.B.<br />

Depressionen) beschreibt der Report <strong>ein</strong>en<br />

starken Anstieg der Zahl der diagnostizierten<br />

Störungen mit dem Alter <strong>ein</strong>erseits und <strong>ein</strong>en<br />

ebenso ausgeprägten Rückgang der bewilligten<br />

Psychotherapien im Alter andererseits.<br />

Diesem Aus<strong>ein</strong>anderklaffen zwischen Diagnose<br />

und Psychotherapie bei älteren Menschen<br />

wäre nicht <strong>nur</strong> angesichts der mit dem<br />

Alter stark ansteigenden Suizidraten dringend<br />

nachzugehen. Dass Depressionen beim<br />

Hausarzt gerade bei Älteren zu selten<br />

erkannt bzw. zu selten diagnostiziert werden,<br />

ist <strong>ein</strong>e Seite der Unter- bzw. Fehlversorgung<br />

psychisch kranker älterer Menschen. Dass<br />

trotz vorliegender Diagnose <strong>nur</strong> selten <strong>ein</strong>e<br />

Psychotherapie <strong>ein</strong>geleitet wird, sch<strong>ein</strong>t <strong>ein</strong>e<br />

zweite Seite dieser Problematik zu s<strong>ein</strong>.<br />

Zudem ist anzunehmen, dass sich die Differenz<br />

zwischen diagnostizierten und psychotherapeutisch<br />

behandelten Depressionen<br />

sozial ungleich verteilt. Ein zweites Beispiel:<br />

Hyperkinetische Störungen bei Kindern (F 90)<br />

nehmen in der öffentlichen Diskussion seit<br />

<strong>ein</strong>iger Zeit viel Raum <strong>ein</strong>, in den Medien ist<br />

gelegentlich von <strong>ein</strong>er "Zappelphilipp-Generation"<br />

zu lesen. Dem GEK-Report zufolge<br />

waren im Jahr 2006 9,6 Prozent der Jungen<br />

und 3,5 Prozent der Mädchen im Alter von 5<br />

bis 9 Jahren mit <strong>ein</strong>er solchen Diagnose in<br />

ambulanter Behandlung. Auch hier liegt der<br />

Anteil der Kinder mit <strong>ein</strong>er bewilligten Psychotherapie<br />

deutlich niedriger. Für andere<br />

Störungsbilder, z.B. die Störung des Sozialverhaltens<br />

(F 91), gilt ähnliches. Auch hier<br />

wäre es interessant zu wissen, wie sich der<br />

Anteil der Kinder mit Diagnose, aber ohne<br />

Psychotherapie, nach sozialer Herkunft verteilt.<br />

Versorgungsgerechtigkeit wird sich<br />

schließlich auch im Bereich der Psychotherapie<br />

nicht im All<strong>ein</strong>gang herstellen.<br />

<strong>Der</strong> GEK-Report enthält zum Schwerpunkt<br />

"Psychotherapie" außerdem Analysen zu<br />

Arzneiverordnungen, Krankenhausaufenthalten,<br />

zum Behandlungsverlauf und zum Outcome<br />

bei unterschiedlichen Therapieformen<br />

und -verfahren. Hingewiesen sei jedoch auch<br />

auf <strong>ein</strong>ige Schwächen des Reports. So ist die<br />

Häufigkeit der Inanspruchnahme von ärztlichen<br />

Behandlungen nach <strong>ein</strong>er Psychotherapie<br />

(S. 192 ff.) zwar <strong>ein</strong> interessanter gesundheitsökonomischer<br />

Indikator, aber <strong>als</strong> Kriterium<br />

des Erfolgs <strong>ein</strong>er Psychotherapie sicher<br />

nicht ausreichend. Auch der Beobachtungszeitraum<br />

von drei Jahren dürfte für <strong>ein</strong>e<br />

Bewertung von Therapie-Outcomes zumin-<br />

dest bei Langzeittherapien zu kurz s<strong>ein</strong>. Die<br />

Unwirksamkeit von Psychotherapien, wie die<br />

Studie in ersten Reaktionen schon interpretiert<br />

wurde, lässt sich aus den Daten jedenfalls<br />

nicht ableiten. Die Psychotherapie-Forschung<br />

ist hier <strong>ein</strong>en Schritt weiter. Gelegentlich<br />

gibt es auch handwerkliche Unsauberkeiten,<br />

so ist z.B. die ICD-Ziffer F 90 nicht, wie<br />

im Text erläutert (S. 186), mit dem Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom<br />

(ADS) gleichzusetzen.<br />

ADS ist dadurch gekennzeichnet, dass<br />

gerade k<strong>ein</strong>e hyperkinetische Störung vorliegt<br />

und wird unter F 98.8 codiert.<br />

Das schmälert aber nicht den Verdienst des<br />

GEK-Reports, die ambulanten Versorgungsdaten<br />

in <strong>ein</strong>er erkenntnisreichen Weise<br />

erschlossen zu haben. Die ambulanten Versorgungsdaten<br />

liefern für die Psychotherapie-Forschung<br />

sehr aufschlussreiche Grundlagen,<br />

es geht darum, sie systematischer <strong>als</strong><br />

bisher zu nutzen. Das Buch ist allgem<strong>ein</strong>verständlich<br />

geschrieben, die Daten sind übersichtlich<br />

aufbereitet und vielfach grafisch<br />

dargestellt. <strong>Der</strong> Report ist im Buchhandel<br />

erhältlich, er kann aber zusammen mit<br />

zusätzlichen Tabellen auch im Internet heruntergeladen<br />

werden: www.gek.de/10467.<br />

Grobe, T., Dörning, H., Schwartz, F.W.:<br />

GEK-Report ambulant-ärztliche Versorgung<br />

2007. GEK-Edition Band 59, Asgard-Verlag,<br />

St. Augustin, 2007. ISBN 978-3-537-44059-<br />

4. 14,90 Euro.<br />

Dr. Joseph Kuhn<br />

Literaturtipp: Eigenverantwortung haben<br />

immer die Anderen.<br />

Ist <strong>mehr</strong> Verantwortung<br />

für die eigene <strong>Gesundheit</strong><br />

immer besser? Das<br />

Fördern und Fordern<br />

von Eigenverantwortung<br />

ist zentrale Zielsetzung<br />

zahlreicher gesundheitspolitischer<br />

Anstrengungen, um<br />

Menschen zu <strong>mehr</strong><br />

<strong>Gesundheit</strong> zu aktivieren. Aber wer kann diese<br />

Verantwortung überhaupt leisten? Neben konzeptionellen<br />

und begrifflichen Präzisierungen<br />

werden Chancen und Risiken von Eigenverantwortung<br />

für die <strong>Gesundheit</strong> sowie für das<br />

<strong>Gesundheit</strong>swesen dargestellt und funktionierende<br />

Möglichkeiten zur Verbesserung der<br />

Bevölkerungsgesundheit erörtert.<br />

Eigenverantwortung haben immer die Anderen.<br />

<strong>Der</strong> Verantwortungsdiskurs im <strong>Gesundheit</strong>swesen,<br />

Bettina Schmidt, Bern 2008, EURO 24.95,<br />

ISBN: 978-3-456-84552-4, Hans Huber.

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