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<strong>Sexuelle</strong> <strong>Selektion</strong> und die Evolution von Paarungssystemen bei Primaten <strong>Eberle</strong> & <strong>Fichtel</strong>, PdN-BioS 3/58<br />

Online-Ergänzungen (Ebene(n) von <strong>Selektion</strong>, Komponenten von Sozialsystemen, Literatur)<br />

Ebene(n) der <strong>Selektion</strong><br />

<strong>Selektion</strong> bedeutet ‘unterschiedlicher<br />

Fortpflanzungserfolg aufgrund vererbbarer<br />

Merkmale‘. <strong>Selektion</strong> verändert die<br />

Häufigkeiten von Allelen in Populationen<br />

dahingehend, dass ihre Träger in der<br />

selektierenden Umwelt überlebens- und<br />

fortpflanzungsfähig sind. Die Fitness -der<br />

relative individuelle Fortpflanzungserfolgeines<br />

Individuums erschließt sich dabei erst<br />

durch den Erfolg folgender Generationen. Die<br />

Einheit, an der die <strong>Selektion</strong> ansetzt, ist die<br />

Reproduktionseinheit, das Individuum.<br />

Besonders das Phänomen des Altruismus<br />

scheint dem jedoch zu widersprechen. Das<br />

Konzept einer '<strong>Selektion</strong> primär auf der Ebene<br />

der Gruppe' (Gruppenselektion, z.B. 'zum<br />

Wohle der Art') ist aber nicht haltbar.<br />

Darwins Formulierungen waren hinsichtlich<br />

der <strong>Selektion</strong>sebene mehrdeutig, "the success<br />

of certain individuals (...) in relation to the<br />

propagation of the species" [8]. Er hat<br />

mehrmals die Idee der Gruppenselektion<br />

aufgegriffen, um vermeintlich altruistisches<br />

Verhalten vor allem beim Menschen zu<br />

erklären, was aber zu Widersprüchen führte, da<br />

die Gruppenselektion der von ihm erkannten<br />

Individualselektion widersprach, vor allem im<br />

Hinblick auf die Entstehung von Altruismus:<br />

"But it may be asked, how within the limits of<br />

the same tribe did a large number of members<br />

first become endowed with these social and<br />

moral qualities, and how was the standard of<br />

excellence raised?" Darwin 1871, Kap. V [8].<br />

Etwa 100 Jahre <strong>nach</strong> diesen Bemerkungen von<br />

Darwin zeigte sich zunehmend, dass das<br />

Konzept der Gruppenselektion nicht<br />

funktioniert [z.B. 10, 27, 31, 36, 38].<br />

Selektierende Bedingungen existieren zwar auch<br />

auf den Ebenen von Genen ('egoistische' Gene<br />

[3, 9]) und von Gruppen von Individuen. Doch<br />

Gene sind immer nur Teil eines Genoms, das<br />

als Ganzes reproduziert und selektiert wird und<br />

Postulate einer primär auf Gruppenebene<br />

wirkenden <strong>Selektion</strong> (inkl. 'zum Wohle der<br />

Art') verwechseln Ursache und Konsequenzen.<br />

<strong>Selektion</strong> auf der Ebene von Individuen<br />

schließt nicht aus, dass es auch Merkmale gibt,<br />

die sowohl für das Individuum als auch für die<br />

Gruppe von Vorteil sind (Bsp. Alarmrufe<br />

gegen Prädatoren). Wenn Gruppenmitglieder<br />

Individual- vs. Gruppenselektion: Ein auf das<br />

Gemeinwohl ausgerichtete Verhalten z.B. zur<br />

Populationsregulierung wird sich nicht etablieren<br />

können, da es von jenen mit 'Rettungsring' verdrängt<br />

wird. Bild aus: Gary Larson, The Far Side<br />

gleichzeitig durch gruppenexterne Einflüsse<br />

bedroht werden, dann nähern sich die<br />

Interessen der Gruppe jenen der Individuen an.<br />

Damit Gruppenselektion jedoch nennenswert<br />

wirksam werden könnte, müsste sich die<br />

Reproduktionsrate von ganzen Gruppen jener<br />

von Individuen annähern. Dafür gibt es in der<br />

Natur nur sehr wenige Beispiele und selbst<br />

dann bleibt das Individuum die<br />

Reproduktionseinheit und Gruppeneffekte im<br />

Wesentlichen eine Konsequenz der<br />

Individualselektion.<br />

Obwohl kooperieren gegenüber Ausbeutern<br />

von Nachteil ist, ist es theoretisch möglich,<br />

dass Gruppen mit ausschließlich kooperierenden<br />

Individuen anders zusammengesetzte<br />

Gruppen verdrängen [2]. Dies sind jedoch sehr<br />

instabile Systeme, die nur solange bestehen,<br />

solange in den Gruppen mit ausschließlich<br />

kooperierenden Individuen keine die<br />

Kooperation ausbeutende Individuen auftreten.<br />

Die Gruppenvorteile reichen dann nicht mehr<br />

aus, um die Effekte der Individualselektion zu<br />

dominieren. Modelle, in denen es nicht zu<br />

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<strong>Sexuelle</strong> <strong>Selektion</strong> und die Evolution von Paarungssystemen bei Primaten <strong>Eberle</strong> & <strong>Fichtel</strong>, PdN-BioS 3/58<br />

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dieser Instabilität kommt, treffen Annahmen<br />

z.B. über Populationsstrukturen und Genfluss,<br />

die so in der Natur keine Entsprechung finden<br />

oder sie ver<strong>nach</strong>lässigen die Bedeutung von<br />

vererbten Merkmalen oder sie verwaschen die<br />

Ebenen von Gruppe und Individuum [10].<br />

Einige erklären sogar die Verwandtenselektion<br />

zu einem Spezialfall von Gruppenselektion<br />

[41], obwohl das Konzept der<br />

Gruppenselektion nur deshalb formuliert<br />

wurde, um Altruismus zwischen unverwandten<br />

zu erklären. Neuere Modelle sehen<br />

Gruppenselektion als emergentes Resultat der<br />

Individualselektion. Diese sind zwar schlüssig,<br />

verlassen damit aber das Gruppenselektionsproblem,<br />

denn Gruppenselektion im engeren<br />

Sinne bedeutet ja gerade, dass Individualselektion<br />

im Hinblick auf Kooperation nicht<br />

notwendig bzw. sogar kontraproduktiv ist.<br />

Auch all jene neueren Konzepte, die<br />

Gruppenselektion als Teil einer Multilevel-<br />

<strong>Selektion</strong> betrachten, lösen sich vom<br />

ursprünglichen Konzept der Gruppenselektion<br />

zugunsten der Individualselektion.<br />

Postulate von Gruppenselektion scheitern<br />

immer wieder vor allem an dem Problem der<br />

langfristigen evolutionären Stabilität [31]. Bis<br />

dato ist nicht nur kein Gruppenselektions-<br />

Modell verfügbar, das in der Lage wäre, die<br />

Entstehung von Altruismus-Gruppen in einer<br />

Umwelt mit heterogenen Strategien zu<br />

erklären, sondern auch keines, das erklären<br />

kann, wie solche -wie auch immer<br />

entstandenen- Gruppen unter realistischen<br />

Bedingungen evolutionär gegenüber<br />

individuellen Strategien stabil sein sollen.<br />

Allein die Tatsache, dass verschiedene<br />

Phänomene von Kooperation nicht<br />

abschließend erklärt sind, ist noch kein<br />

Argument für Gruppenselektion.<br />

Viele Beispiele vermeintlicher Selbstlosigkeit<br />

sind <strong>nach</strong> genauer Überprüfung ohne<br />

Gruppenselektion erklärbar [15, 38, 40]: Sie<br />

basiert entweder doch auf Verwandtenselektion,<br />

also der Unterstützung der Weitergabe<br />

der eigenen genetischen Information<br />

durch Verwandte, die anteilig Kopien der<br />

eigenen Allele tragen, oder auf Gegenseitigkeit<br />

(Reziprozität, beim Menschen oft verbunden<br />

mit Reputation) oder auf Zwang (Sanktionen)<br />

oder auf Ventilfunktionen (z.B. Adoption<br />

unverwandter oder gar artfremder Individuen)<br />

oder auf der Erhöhung der Chance, überhaupt<br />

zur Fortpflanzung zu kommen. Diese Ursachen<br />

schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern<br />

können auch gemeinsam auf Grundlage der<br />

Individualselektion Kooperation fördern.<br />

Der individuelle Ansatz der Evolutionsbiologie<br />

ist nicht egoistisch im moralischen Sinn und<br />

Individualselektion schließt die Evolution von<br />

Kooperation keineswegs aus. Evolutionsbiologisch<br />

gesehen kann es Altruismus im<br />

engeren Sinn allerdings gar nicht geben, da er<br />

sich auf Dauer selbst ausrottet, weil seine<br />

Nutznießer das Rennen machen. Diese<br />

Widersprüchlichkeit des Begriffes Altruismus<br />

ist bisweilen eine Hürde für das Verständnis<br />

von Altruismus im evolutionsbiologischen<br />

Kontext. Hier bezieht sich Altruismus nur auf<br />

kurz- bis mittelfristige netto-Investitionen<br />

durch den so genannten Altruisten. Evolutionär<br />

stabil ist dieser Altruismus nur, solange sich<br />

die kooperierenden Individuen der Kooperation<br />

wegen erfolgreich fortpflanzen, via unterstützter<br />

Verwandter oder weil sie auf Altruismus<br />

ihrerseits Altruismus erfahren (reziproker<br />

Altruismus), womit es sich langfristig nicht<br />

mehr um Altruismus im engeren Sinne handelt.<br />

Diese auszahlungsorientierte Natur von<br />

Altruismus gilt <strong>nach</strong> aktuellen Erkenntnissen<br />

der Kooperationsforschung auch für die relativ<br />

stark ausgeprägte Kooperationsbereitschaft des<br />

Menschen [z.B. 15, 40].<br />

Es bleibt festzuhalten, dass die Idee des<br />

'Wohles der Art' und die ganze Diskussion um<br />

Gruppenselektion nur aufkamen, weil man von<br />

der Existenz von echtem 'moralisch korrektem'<br />

Altruismus auch außerhalb menschlicher<br />

Normen ausging. Ausgehend von der<br />

inzwischen erkannten und oben beschriebenen<br />

langfristigen Natur von 'Altruismus', auch im<br />

Rahmen menschlicher Kooperation, stellt sich<br />

das Gruppenselektionsproblem gar nicht mehr.<br />

Insgesamt herrscht inzwischen allerdings ein<br />

heilloses begriffliches Durcheinander um die<br />

Gruppenselektion und in vielen Fällen wird<br />

noch von Gruppenselektion gesprochen,<br />

obwohl anerkanntermaßen Konsequenzen der<br />

Individualselektion gemeint sind. Besonders<br />

außerhalb der Fachwelt kommt erschwerend<br />

hinzu, dass der Mensch dazu neigt, in für ein<br />

Verständnis evolutiver Prozesse viel zu kurzen<br />

Zeiträumen zu denken. So werden die<br />

unmittelbare (emotionale) Wirkung von<br />

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Altruismus und Fragen <strong>nach</strong> den<br />

Voraussetzungen einer evolutiven Stabilität<br />

vermischt. Zudem ist es allgemein noch immer<br />

ein Tabu, menschliche Neigungen, besonders<br />

im Rahmen von Kooperation und<br />

zwischenmenschlichen Beziehungen, als<br />

evolutives Resultat von natürlicher und<br />

sexueller <strong>Selektion</strong> zu betrachten, obwohl dies<br />

für das intuitive Erleben und die persönliche<br />

Wertschätzung dieser Neigungen keinerlei<br />

Unterschied machen würde, denn diese sind<br />

Teil der ganzen Geschichte.<br />

Für die Heranführung von nicht-Biologen oder angehenden Biologen an verschiedene evolutive<br />

Fragestellungen hat sich aus Sicht der Autoren auch der folgende Hinweis als sehr konstruktiv<br />

erwiesen:<br />

Die Vorstellung, dass Individualselektion im Gegensatz zur Gruppenselektion keine Kooperation<br />

zwischen unverwandten hervorbringen kann, ist ein populärer Irrtum, der sich -neben der oben<br />

geschilderten Widersprüchlichkeit des Begriffes Altruismus- zu einem nicht unerheblichen Teil aus<br />

sprachlichen Missverständnissen nährt, da für biologische Phänomene (zwangsläufig) Begriffe<br />

verwendet werden, die emotional/moralisch belegt sind. So wird in der Evolutionsbiologie mit den<br />

Begriffen Altruismus und Egoismus keine Absicht verbunden (die jedoch zusätzlich -als selektierte<br />

Anpassung- vorliegen kann, vor allem beim Menschen). Man versteht darunter indes wertefrei alle<br />

Verhaltensweisen eines Individuums, von denen überwiegend andere Individuen (Altruismus) oder<br />

das handelnde Individuum (Egoismus) im Sinne eines relativ höheren Fortpflanzungserfolgs<br />

profitieren. Dieser biologische Ansatz des Altruismus/Egoismus wird oft missverstanden, da er sich<br />

nicht mit dem allgemeinen Konzept dieser Phänomene deckt. Im normalen Sprachgebrauch wird von<br />

einer Handlung als einer altruistischen/egoistischen nur gesprochen, wenn sie auch mit der Absicht<br />

erfolgt, anderen zu helfen/schaden. Ähnliche Missverständnisse bestehen hinsichtlich des "Struggle<br />

for life" (C. Darwin 1859). 'Kampf ums Dasein' gibt die Natur der Evolution nur mangelhaft wieder,<br />

denn nur äußerst selten wird physisch gekämpft. 'Streben <strong>nach</strong> Fortbestand' wäre eine mögliche<br />

alternative Übersetzung. Auch der Begriff des "Survival of the fittest" (H. Spencer 1864) ist<br />

unvollständig und missverständlich. Es geht zum Einen nicht nur um das nackte Überleben, sondern<br />

um das Fortbestehen durch erfolgreiche Fortpflanzung. Darüber hinaus geht es nicht um den<br />

Bestangepassten im Sinne von perfekt. Es genügt, besser zu sein. Keine Lebewesen ist perfekt<br />

angepasst, wie man häufig hört, sondern seine Vorfahren waren lediglich ausreichend angepasst, um<br />

es zu produzieren.<br />

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Komponenten von Sozialsystemen: Soziale Organisation - Soziale Struktur - Paarungssysteme<br />

Soziale Organisation<br />

Solitär. Solitär wird fälschlicherweise oft<br />

gleichgesetzt mit 'nicht sozial', bedeutet aber<br />

nur 'überwiegend nicht assoziiert'. Wenn adulte<br />

Individuen während ihrer Aktivitätsphase nicht<br />

permanent mit Artgenossen assoziiert sind und<br />

ihre Bewegungen nicht direkt mit anderen<br />

koordinieren, werden sie als einzelgängerisch<br />

oder solitär bezeichnet. Die Mehrzahl aller<br />

Tierarten ist solitär, aber nur ca. ein Viertel der<br />

Primatenarten, wobei diese alle bis auf eine<br />

(Orang-Utan, Pongo) zu den Strepsirrhini<br />

gehören und <strong>nach</strong>taktiv sind.<br />

Paarlebend. Die kleinste soziale Einheit bilden<br />

ein adultes Männchen und ein adultes<br />

Weibchen, die ihre Aktivitäten miteinander<br />

koordinieren. Paarlebende Säuger bilden die<br />

Ausnahme. Verhältnismäßig viele dieser Arten<br />

finden sich aus noch nicht befriedigend<br />

erklärten Gründen unter den Lemuren. Es ist<br />

wichtig, zwischen paarlebend und Monogamie<br />

zu unterscheiden, da es bei vielen paarlebenden<br />

Arten regelmäßig zu Kopulationen außerhalb<br />

des Paarverbundes kommt. Aufgrund der<br />

unterschiedlichen potentiellen Reproduktionsraten<br />

der Geschlechter ist Paarleben vor allem<br />

aus Sicht der Männchen erklärungsbedürftig.<br />

Um die Frage <strong>nach</strong> den selektiven Zwängen,<br />

die ein Leben in Paaren begünstigen, zu<br />

beantworten, wurden mehrere Hypothesen<br />

postuliert. Die wichtigste nimmt an, dass<br />

elterliche Fürsorge beider Paarpartner für das<br />

Überleben des Nachwuchses essentiell ist.<br />

Leben in Gruppen. Arten, bei denen drei oder<br />

mehr adulte Individuen permanent assoziiert<br />

sind, werden als gruppenlebend bezeichnet.<br />

Die Größe von Gruppen bei Primaten reicht<br />

von drei Tieren bis zu (stark substrukturierten)<br />

Verbänden von mehreren hundert Individuen.<br />

Die sexuellen Strategien von Männchen und<br />

Weibchen können neben der Gruppengröße<br />

auch einen Einfluss auf die Zusammensetzung<br />

einer Gruppe haben. Die Frage, ob eine Gruppe<br />

ein oder mehrere Männchen enthält, ist von<br />

grundlegender Bedeutung für die Fortpflanzungsstrategien<br />

beider Geschlechter.<br />

Männchen in bisexuellen Gruppen sollten<br />

daran interessiert sein, den Zugang zu<br />

Weibchen mit möglichst wenigen Rivalen<br />

teilen zu müssen. Weibchen können aber ein<br />

Interesse daran haben, mehr Männchen in der<br />

Gruppe zu Auswahl zu haben, als für die<br />

Männchen optimal ist. Die Zusammensetzung<br />

von Primatengruppen ist entsprechend<br />

dynamisch. Das sekundäre Geschlechterverhältnis<br />

vieler Gruppen ist jedoch zu den<br />

Weibchen hin verschoben und Haremsgruppen<br />

mit nur einem Männchen, bei unterschiedlicher<br />

Anzahl von Weibchen, sind nicht selten (Abb.<br />

2). Bei Lemuren findet man, bis dato ebenfalls<br />

aus noch nicht befriedigend erklärten Gründen,<br />

verhältnismäßig viele gruppenlebende Arten<br />

mit einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis,<br />

welches aber nicht notwendigerweise<br />

einhergeht mit einem ausgeglichenen<br />

Fortpflanzungserfolg, trotz fehlendem Sexualdimorphismus<br />

(Lemur-Syndrome, [25]). Bei<br />

manchen Primatenarten, bei denen Männchen<br />

Gruppen von Weibchen monopolisieren,<br />

können sich 'überzählige' Männchen zu<br />

Junggesellen-Gruppen zusammen schließen.<br />

Soziale Struktur<br />

Die sozialen Strukturen der Primatengemeinschaften<br />

sind außerordentlich vielfältig.<br />

Bei solitären Arten gibt es naturgemäß wenig<br />

soziale Interaktionen, die darüber hinaus wenig<br />

untersucht sind (alle bis auf eine Art sind<br />

<strong>nach</strong>taktiv). Während bei paarlebenden Arten<br />

die Interaktionen hauptsächlich auf die<br />

Paarpartner beschränkt sind, kann besonders in<br />

Gruppen eine intensive reziproke Kommunikation<br />

zwischen den Individuen stattfinden und<br />

ihre Mitglieder stehen häufig in Kooperations-<br />

und Dominanzbeziehungen zueinander. Eine<br />

Besonderheit innerhalb der Primaten betrifft<br />

die sozialen Strukturen der Lemuren besonders<br />

im Vergleich zu jenen der haplorrhinen<br />

Primaten. Lemuren zeichnen sich durch<br />

kleinere Gruppen und durch wenig oder<br />

diffusere Dominanzbeziehungen aus. Eine<br />

spezielle Form von mehreren dyadischen<br />

Beziehungen zwischen bestimmten Männchen<br />

und Weibchen innerhalb einer einzigen Gruppe<br />

findet sich bei Rotstirnmakis (Eulemur fulvus<br />

rufus). Bei Lemuren finden sich zudem<br />

Gruppen mit viel mehr Männchen, während es<br />

keine Haremgruppen gibt. Auf der anderen<br />

Seite findet sich eine verhältnismäßig hohe<br />

Aggression unter den Weibchen und Weibchen<br />

dominieren fast durchgehend die Männchen.<br />

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<strong>Sexuelle</strong> <strong>Selektion</strong> und die Evolution von Paarungssystemen bei Primaten <strong>Eberle</strong> & <strong>Fichtel</strong>, PdN-BioS 3/58<br />

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Paarungssysteme<br />

Monogamie: Ein Männchen und ein Weibchen<br />

bilden eine exklusive Fortpflanzungsbeziehung<br />

für einen oder mehrere Fortpflanzungszyklen.<br />

Aufgrund der höheren potentiellen Fortpflanzungsrate<br />

der Männchen ist Monogamie<br />

nur in Ausnahmefällen zu erwarten. Trotzdem<br />

existieren monogame Arten in vielen großen<br />

Taxa. Bei Vögeln gilt Monogamie als das<br />

häufigste Paarungssystem. Verschiedene<br />

Faktoren werden als ultimate Ursachen von<br />

Monogamie diskutiert. Sie sind im<br />

Wesentlichen mit den Ursachen des Paarlebens<br />

identisch. Bezeichnend ist allerdings, dass es<br />

selten eine wirklich reine Monogamie gibt<br />

(auch bei Vögeln). Es ist meist nur das modale<br />

Paarungssystem. In vielen 'Monogamien' sind<br />

die Tiere nur paarlebend und beide<br />

Geschlechter verpaaren sich auch außerhalb<br />

ihrer modalen Paarbindung. So sind z.B. über<br />

44% der Jungen von paarlebenden<br />

Fettschwanzmaki-Weibchen (Cheirogaleus<br />

medius) nicht vom eigentlichen Paarpartner,<br />

dem so genannten sozialen Vater [16]. Dabei<br />

ist dieser Wert als Mittelwert für die<br />

untersuchte Population zu sehen. Auf<br />

individueller bzw. Paar-Ebene gibt es wie bei<br />

vielen modal monogamen Arten durchaus rein<br />

monogam lebende. Eine weitere Form der<br />

Monogamie ist die serielle Monogamie, wenn<br />

sich Partner zwar für einen (einige)<br />

Reproduktionszyklus zusammen fortpflanzen,<br />

die Paarpartner dann aber wechseln. Diese<br />

Einschränkungen der Monogamie gelten auch<br />

für die wenigen menschlichen Kulturen, die<br />

'offiziell' monogam sind (s. Haupttext, Punkt 9,<br />

<strong>Sexuelle</strong> <strong>Selektion</strong> beim Menschen).<br />

Polyandrie: Ein Weibchen verpaart sich mit<br />

mehreren Männchen und jedes dieser<br />

Männchen verpaart sich nur mit diesem einen<br />

Weibchen. Polyandrie ist in der Regel mit<br />

obligater männlicher Jungenfürsorge<br />

verbunden (umgekehrte Geschlechterrollen).<br />

Aufgrund der typischen potentiellen<br />

Fortpflanzungsraten ist sie theoretisch nur<br />

selten zu erwarten und tatsächlich die<br />

Ausnahme. Bei nicht-menschlichen Primaten<br />

tritt sie nur bei einigen Krallenaffenarten<br />

(Callitrichidae) in der neuen Welt auf, mit<br />

obligater väterlicher Fürsorge aber<br />

unterschiedlich an der Fortpflanzung<br />

beteiligten männlichen Gruppenmitgliedern.<br />

Polygynie: Ein Männchen paart sich mit<br />

mehreren Weibchen, wobei die betreffenden<br />

Weibchen sich nur mit diesem einen Männchen<br />

paaren. In einem polygynen Paarungssystem<br />

können erfolgreiche Männchen ihren<br />

Fortpflanzungserfolg maximieren, so dass<br />

Polygynie für Männchen vorteilhaft ist, so<br />

lange ihre Beteiligung an der Jungenaufzucht<br />

nicht essentiell ist. Polygyne Arten sind durch<br />

intensive Konkurrenz zwischen Männchen<br />

charakterisiert. Polygynie entsteht, wenn ein<br />

Männchen die Streifgebiete von mehreren<br />

Weibchen kontrollieren kann oder wenn<br />

Weibchen in Gruppen leben, die verteidigt<br />

werden können. Ob mehrere Weibchen<br />

monopolisiert werden können, hängt von deren<br />

Verteilung im Raum bzw. von der Gruppengröße<br />

sowie von der Synchronität ihrer<br />

Fortpflanzungsaktivität ab. Eine vollständige<br />

Monopolisierung gelingt nur in Haremsgruppen.<br />

Bei Thomas-Languren (Presbytis<br />

thomasi) bilden sich Gruppen von Weibchen<br />

um ein Männchen, das ihren Nachwuchs vor<br />

Infantizid durch fremde Männchen schützen<br />

soll. Kranke und alte Männchen werden von<br />

den Weibchen umgehend verlassen.<br />

Polygynandrie (Promiskuität): Beide<br />

Geschlechter verpaaren sich mehrmals mit<br />

verschiedenen Individuen, wobei es jedes<br />

Ausmaß von Promiskuität gibt. Hier sind<br />

Männchen nicht in der Lage, mehrere<br />

Weibchen zu monopolisieren. Väterliche<br />

Fürsorge ist in den meisten Fällen nicht<br />

vorhanden. In promisken Paarungssystemen<br />

überschneiden sich ein geringes männliches<br />

Monopolisierungspotential und das Bestreben<br />

zur Maximierung der männlichen<br />

Verpaarungsrate mit den Vorteilen multipler<br />

Verpaarungen für Weibchen. Aufgrund<br />

multipler Paarungen kommt es außerdem zu<br />

intensiver Spermienkonkurrenz. Manche<br />

Männchen können auch ganz von der<br />

Fortpflanzung ausgeschlossen sein. Insgesamt<br />

verpaaren sich aber die Männchen mit mehr<br />

Weibchen als umgekehrt und dominante<br />

erfolgreicher als subordinierte, so dass auch<br />

hier die Konkurrenz unter den Männchen<br />

größer ist [35]. Als die am meisten promiske<br />

Primatenart gilt der Zwergschimpanse<br />

(Bonobo, Pan paniscus). Dies ist auch die<br />

einzige nicht-menschliche Primatenart, die<br />

ähnlich häufig Sexualkontakte pflegt wie der<br />

Mensch.<br />

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