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Download als PDF (4,8 MB) - Klinikum Idar-Oberstein

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REPoRt<br />

Behandlungsleitfäden, Diagnoseschemata, Verhaltensprotokolle<br />

und Ablaufpläne sind in diesem Fach besonders<br />

wichtig, weil ein Bezug wie der vom rechtsseitigen<br />

Schmerz im oberen Bauchraum zur notwendigen Gallenblasenoperation<br />

eben einfach nicht so direkt und simpel<br />

ersichtlich ist und manche wichtigen Faktoren in der<br />

Komplexität der Bedingungsgefüge übersehen werden<br />

können.<br />

Hier sind die Leitlinien der wissenschaftlich-medizinischen<br />

Fachgesellschaften hervorzuheben, sie beschreiben<br />

für jedes kinder- und jugendpsychiatrische Krankheitsbild<br />

ganz klar und in multiaxialer Sicht diagnostische<br />

Entscheidungsbäume und machen – davon abhängig –<br />

notfalls jederzeit auch juristisch relevante – therapeutische<br />

Vorgaben. Sie sind im Netz unter AWMF herunterzuladen<br />

und werden beständig von den führenden Vertretern<br />

der wissenschaftlichen Fachgesellschaften aktualisiert.<br />

Krankheitsbilder<br />

Nichts bildet das wahre – schillernde und facettenreiche –<br />

Gesicht der KJPP so gut ab, wie ein Mausklick auf diese<br />

Seiten. Wenige Disziplinen weisen eine solche Vielfalt<br />

auf wie die kinder- und jugendpsychiatrischen Krankheitsbilder.<br />

Deren Manigfaltigkeit reicht von auch bei<br />

Erwachsenen vorkommenden Krankheitsbildern wie Psychosen,<br />

Manien, Phobien, Zwangsstörungen und Depressionen<br />

über die Krankheiten des Schulkinds wie ADHS,<br />

Tourette-Syndrom, Schulphobien, Autismus, Einkoten und<br />

Sozialverhaltensstörung, zu Kleinkinderkrankheiten wie<br />

Pica, Mutismus, Rumination oder erbgenetischen Syndromen.<br />

Insgesamt werden Krankheitsbilder beschrieben,<br />

Gesundheit im Blickpunkt<br />

die alle doch ein immerhin so häufiges Vorkommen haben,<br />

dass jeder Kinder- und Jugendpsychiater im Laufe<br />

seiner Ausbildung mindestens ein Beispiel von jedem<br />

erleben durfte. Nichtsdestotrotz sind die vorrangig und<br />

am häufigsten diagnostizierten Krankheiten das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom,<br />

die Störung des Sozialverhaltens<br />

und der Emotionen und Angststörungen oder<br />

Depressionen.<br />

Kaum vorzustellen, dass ein einziger Arzt oder Psychologe<br />

sich allen diesen Krankheitsbildern mit dem gleichen<br />

Spezialisierungsgrad zuwenden kann. Auch deshalb ist<br />

ein multiprofessionelles Team wichtig, das – bei aller<br />

Heterogenität – den gleichen nationalen Behandlungsstandards<br />

verpflichtet ist.<br />

Perspektiven<br />

Und wo steht unser adoleszent jetzt? Zum abschluss<br />

einer „Fallbesprechung“ bleibt immer die Frage nach den<br />

Perspektiven – was braucht das Fach, hat es eine Zukunft<br />

und welche könnte es sein?<br />

Zu der Frage, was das Fach braucht ist zunächst zu konstatieren,<br />

dass es <strong>als</strong> Fach vor allem gebraucht wird: Nach<br />

der BELLA-Studie, die an die Kindergesundheitsstudie<br />

KIGGS des Robert-Koch-Institutes assoziiert war, haben<br />

18% aller Kinder- und Jugendlichen eine psychische<br />

Störung, 10% mit Behandlungs- und/oder Beratungsbedarf.<br />

Hans-Christoph Steinhausen (2009) beschreibt<br />

eine Prävalenzrate zwischen 17 und 22%, ähnlich Bühren<br />

et al. (2008) mit Jahresprävalenzen zwischen 15 und<br />

22%. Barkmann gibt eine aktuelle Prävalenzrate mit<br />

17,6% an, so dass diese Zahlen zwar erschreckend hoch,<br />

aber trotzdem – allein aufgrund ihrer verschiedenen Quellen<br />

und häufigen Replikation – verlässlich erscheinen.<br />

Was ist denn los mit unseren Kindern? Von den vielen<br />

diskutierten Faktoren haben einige wissenschaftlicher<br />

Überprüfung standgehalten:<br />

Faktoren<br />

Das „Aussterben der traditionellen Familie“: Wir haben<br />

eine Zunahme an Alleinerziehenden, wie sie vom Statistischen<br />

Bundesamt 2008 belegt ist und tatsächlich, laut<br />

Hölling 2009 mehr auffällige Kinder in unvollständigen<br />

Familien. Wir haben auch eine zunehmend hohe Scheidungsrate<br />

(laut Statistischem Bundesamt 2007), die im<br />

direkten Zusammenhang mit psychischer Auffälligkeit,<br />

vor allem jüngerer Kinder steht.<br />

Postuliert wird auch die statistische Zunahme an Kindern<br />

mit Migrationshintergrund (Prognos AG 2001), wobei<br />

diese sich die beiden Postulate dann teilweise widersprechen,<br />

denn in Migrationsfamilien finden sich andererseits<br />

überdurchschnittlich häufig „traditionelle“ Familien. Hier<br />

sind eher kulturelle Schnittstellen und mangelnde Integration<br />

ein potenzielles – behebbares – Problem.<br />

Nachgewiesen ist auch eine Häufung kinderpsychiatrischer<br />

Erkrankungen in niedrigen sozialen Schichten<br />

(Hölling, 2009), was im Rahmen der Wirtschaftskrise<br />

dann ein weiteres Anwachsen der Inanspruchnahmepopulation<br />

befürchten lässt. Faktoren wie Internet- und<br />

PC-Sucht sind hervorgehoben worden.<br />

Hölling (2009) beschreibt dabei eine Veränderung des<br />

Krankheitsspektrums mit einer Verschiebung von eher<br />

akuten Störungen zu chronischen kinderpsychiatrischen<br />

Erkrankungen, eine Entwicklung, die besonders Anlass<br />

zur Sorge gibt und auch dazu, unsere aktuellen medizinischen<br />

und gesellschaftlichen Versorgungsstrukturen ein<br />

wenig in Frage zu stellen.<br />

Die Agentur für Arbeit beschreibt einen hohen Anteil<br />

psychisch Kranker bei jugendlichen Langzeitarbeitslosen<br />

ausgabe 01-10 | april 2010<br />

06 | 07<br />

(Support 25), was besagt, dass hier vielleicht früher hätte<br />

interveniert und therapiert werden müssen.<br />

Gieseke (2009) spricht von einer nach wie vor im Bereich<br />

der KJPP bestehenden Mangelversorgung, so kritisiert<br />

Stand (2007) dass oft – insbesondere in den neuen Bundesländern<br />

– stationäre Behandlungen durchgeführt werden<br />

müssen, weil ambulante und teilstationäre Strukturen<br />

nicht in hinreichender regionaler Dichte existieren.<br />

Auch für die Prävention wird laut Gieseke (2009) nicht<br />

genügend getan und es gibt auf allen Ebenen nicht genügend<br />

Behandlungsangebote.<br />

Gebraucht wird sie <strong>als</strong>o werden, die KJPP, aber was<br />

braucht sie selbst angesichts dieser zahlreichen neuen<br />

herausforderungen?<br />

Sie braucht vor allem eine gute Kooperation mit anderen<br />

Bereichen, wie dem öffentlichen Gesundheitsdienst, der<br />

Jugendhilfe, Bildungssystemen, der Pädiatrie, der Psychiatrie<br />

und der Psychosomatik. Sie braucht aber auch – wie<br />

jeder Heranwachsende – innerhalb dieser Kooperationen<br />

fachliche Autonomie und Abgrenzungsmöglichkeiten.<br />

Kinder und Jugendliche sind keine kleinen Erwachsenen!<br />

Ohne einen Ausbau der Strukturen wird es mittel- und<br />

langfristig nicht möglich sein, dem zunehmenden Bedarf<br />

gerecht werden zu können. Insbesondere hinsichtlich des<br />

bereits beschriebenen Trends zur Chronifizierung brauchen<br />

wir frühere und evtl. auch aufsuchende Hilfen und<br />

kooperative Strukturen, in denen sich Klinik und Jugendhilfe<br />

vernetzen, um auch chronisch Kranken hinreichend<br />

helfen zu können.<br />

Denn – und das ist das Schöne an der KJPP – auch ein<br />

chronisch kranker Jugendlicher kann wieder

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