Inhalt Ausgabe 54.indd - beim Hebelbund Lörrach
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kann und hinter diesem Unergründlichen eine höhere Intelligenz stecken muss,<br />
oder ob mir beinahe schlecht wird bei dem Gedanken, wie nichtig unser Leben<br />
im Angesicht dieser Abgründe ist, das sagt in erster Linie etwas über meine<br />
Empfindungen, jedoch reichlich wenig darüber aus, was das alles tatsächlich<br />
zu bedeuten hat. Mit spekulativen Behauptungen über die Welt als Ganzer und<br />
darüber, was sie im Innersten zusammenhält, sind wir schon deshalb vorsichtig<br />
geworden, weil sich nichts davon beweisen lässt. Zu Hebels Zeiten galt das<br />
Christentum trotz aller damals schon kursierenden Religionskritik noch nicht als<br />
eine solche Privatmythologie, als die es heutzutage von vielen angesehen und<br />
deshalb auf eine Stufe mit allerlei sonstigen Weltanschauungen gestellt wird.<br />
Bei Hebel dagegen bekommt einer, der sich als Pilger ausgibt und scheinbar auf<br />
dem Weg nach Jerusalem ist, noch in jeder Markgräfler Wirtschaft ein Essen<br />
und einen Schoppen auf den Tisch gestellt, zumindest so lange, als man ihn<br />
noch nicht als einen Betrüger entlarvt hat, der es sich auf diese Weise in jeder<br />
zweiten Beiz gut gehen lässt.<br />
Den christlichen Glauben kann man heute nicht mehr als etwas Selbstverständliches<br />
voraussetzen, obwohl er, wie Hebel bemerkt, „allemal tröstlich im Leben“<br />
ist und vor allem „am Rande des Grabes“. Nur fügt er wohlweislich hinzu: „Für<br />
den, der glauben kann.“ Allerdings beten auch solche ein Credo nach, denen das,<br />
was man Aufklärung nennt, über alles geht, wozu solche Glaubensartikel gehören,<br />
die behaupten, der menschliche Geist habe in früheren Zeiten weniger hell<br />
gestrahlt und das Mittelalter sei finster gewesen. Begibt man sich jedoch in den<br />
Bereich der Dichtung, so beginnen solche Schwarz-Weiß- Muster und Finster-<br />
Hell-Entgegensetzungen ganz schnell ihre Bedeutung zu verlieren, und zwar<br />
deshalb, weil dort die Phantasie das gleiche Recht wie ein vermeintliches oder<br />
auch wirkliches Wissen besitzt. Schließlich wäre es Unsinn, bei einem Gedicht<br />
zu fragen, was an ihm beweisbar ist, so wie sich die Qualität einer Erzählung<br />
auch nicht danach bemessen lässt, ob sich das, wovon sie handelt, tatsächlich<br />
ereignet hat oder nicht. Segringen und Brassenheim gibt es auf der Landkarte<br />
nicht, doch sie besitzen nicht weniger Welthaltigkeit als jenes Mauchen und<br />
Neuhausen und Brombach und Steinen, in denen andere Hebel-Geschichten<br />
spielen. Und wenn Hebel erzählt, wie die Bewegungen der Himmelskörper und<br />
das Blühen der Märzveilchen miteinander zusammenhängen, geht es dabei auch<br />
nicht in erster Linie um richtig oder falsch, sondern darum, dass wir die Welt<br />
und das All vom Kleinsten bis ins Größte als etwas Schönes und Sinnvolles<br />
empfinden. Ob dabei jeder Gedanke von Kopernikus korrekt wiedergegeben ist<br />
oder nicht, spielt kaum eine Rolle, denn es geht um weit mehr als das, nämlich<br />
ums Ganze, und zwar in jeder Hinsicht. Wenn ich Hebels Betrachtungen über<br />
das Himmelsgebäude lese, möchte ich nämlich gar nicht, dass es anders ist, als<br />
er es mir auseinanderlegt und veranschaulicht. Und während ich das lese und<br />
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