Inhalt Ausgabe 54.indd - beim Hebelbund Lörrach
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auch keine theologische Bedeutung mehr besitzen, zumal Luther endgültig mit<br />
einer solchen Scholastik aufräumen wollte, die sich unter anderem auch mit<br />
der Frage beschäftigte, wie viele Engel auf einer Nadelspitze Platz finden. Nur<br />
geht Hebel, wie man nicht genug betonen kann, einen anderen Weg, nämlich<br />
den Weg von der Wissenschaft zur Erzählung, oder man könnte auch sagen<br />
zur Dichtung, während so mancher Scholastiker ja den Anspruch hatte, reine<br />
Wissenschaft zu betreiben, und auch die Theologie als nichts anderes verstand.<br />
Hebels kosmologische Betrachtungen haben damit allerdings schon deshalb<br />
wenig zu tun, weil sie das ganze Universum verdörflichen und dadurch etwas<br />
fast Märchenhaftes besitzen.<br />
An Märchen glauben wir allerdings nicht und an Dichtung im Grunde auch nicht,<br />
gleichgültig, ob sie religiös unterfüttert ist oder nicht. Wir können Dichtungen<br />
mögen oder sogar über alles schätzen, nur ändert das nichts daran, dass wir sie<br />
in erster Linie als Dichtung und nicht als etwas Wahres empfinden, zumindest<br />
nicht in dem Sinne, dass das, wovon sie handeln, mit Tatsachen zu tun haben<br />
und beweisbar sein muss. Läsen wir eine christliche Abhandlung über den Zusammenhang<br />
des Universums, die den Anspruch vor sich herträgt, wissenschaftlich<br />
korrekt zu sein, und die die gleichen Gedanken wie diejenige von Hebel<br />
aufwiese, nur eben nicht seine Sprache besäße, so wäre es nicht verwunderlich,<br />
wenn die meisten von uns sagten: Das ist ja recht und schön, allein mir fehlt der<br />
Glaube! Bei Hebel dagegen nehmen wir diese Gedanken sofort an, ganz gleich,<br />
was wir vom Christentum halten. Natürlich weiß auch Hebel, dass einem <strong>beim</strong><br />
Blick zum gestirnten Himmel hinauf noch ganz anderes in den Sinn kommen<br />
kann, zumal in seinen Geschichten auch gelegentlich Schildwachen auftreten,<br />
die sich <strong>beim</strong> öden Herumstehen auf ihrem nächtlichem Posten angesichts des<br />
Sternengefunkels denken: „Glitzert ihr, solange ihr wollt, ihr seid doch nicht<br />
so schön als zwei Augen, welche jetzt schlafen in der untern Mühle“. Eine<br />
andere Schildwache wiederum, mit der in der nächtlichen Einsamkeit auf dem<br />
Feld draußen die Gedanken durchgehen, fängt gar an zu glauben, man könne<br />
die Sterne, wenn man nur gut ziele, mit einem Gewehr abschießen, weshalb<br />
Hebel ihr vorhält, seine Betrachtung über das Weltgebäude im Kalender nicht<br />
gelesen zu haben.<br />
Doch wer redet heute überhaupt noch vom Firmament, wie Hebel es tut und<br />
wie es meine Großmutter noch getan hat, schließlich ist damit – genau genommen<br />
- die Vorstellung eines Himmelszelts verbunden, an das die vielen Sterne<br />
in schönster Weise geheftet sind. So schön diese Vorstellung ist, so gehört sie<br />
längst ins Reich der Märchen und Mythen, während man heutzutage an Satelliten<br />
denkt, die dort oben ihre Bahnen drehen und nicht nur friedlichen Zwecken<br />
dienen, nebst so manchem Weltraumschrott, der da draußen seit einiger Zeit<br />
ebenfalls herumschwirrt. Oft hängt es nur von der jeweiligen Stimmung ab,<br />
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