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Inhalt Ausgabe 54.indd - beim Hebelbund Lörrach

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zu weiten Teilen ausmacht, nämlich den Rückhalt in einem Christentum, das<br />

so, wie es in Hebels Dichtung erscheint, sich von seiner schönsten Seite zeigt.<br />

Dass in einem solchen Christentum die Wissenschaft nur eine dienende Funktion<br />

besitzt, während das Ästhetische eine weit wichtigere Rolle spielt, erfahren wir<br />

zur Genüge aus der Allgemeinen Betrachtung über das Weltgebäude. Wenn Hebel<br />

vom göttlichen Buch der Natur spricht, das dadurch seine Tücken besitzt, dass<br />

es allererst übersetzt werden muss, dann ist das insofern real und symbolisch<br />

zugleich gemeint, als er voraussetzt, dass die Schönheit des Kosmos tatsächlich<br />

eine göttliche Handschrift trägt, es aber natürlich kein wirkliches Buch ist, das<br />

wir da entziffern müssen. Uns Heutigen sind solche Gedanken fremd geworden,<br />

zumindest vielen von uns, und zwar nicht nur deshalb, weil der Glaube an einen<br />

Gott zur privaten Ansichtssache geworden ist, sondern auch deshalb, weil uns<br />

<strong>beim</strong> Gedanken an die Natur vor allem Katastrophen in den Sinn kommen.<br />

Entscheidender dabei allerdings ist noch, dass der ästhetische Blick auf die<br />

Welt nur noch als eine unter vielen Möglichkeiten angesehen wird und letztlich<br />

genauso als bloße Geschmackssache gilt. In Louis-Sebastien Merciers 1781<br />

erschienener Schrift Tableau de Paris, die später den deutschen Titel Paris am<br />

Vorabend der Revolution erhält, heißt es: „Die Herrschaft der Literatur ist passé;<br />

die Physiker haben die Poeten und Romanciers ersetzt; die elektrische Maschine<br />

ist an die Stelle des Theaterstücks getreten.“ Vorausgesetzt, dass das in dieser<br />

Weise überhaupt je gestimmt hat, steckt in dieser Übertreibung bis heute etwas<br />

Wahres. Zwar lesen und schreiben wir nach wie vor Romane und die Theater,<br />

öffnen nach wie vor so gut wie jeden Abend ihre Türen, doch als tatsächlich<br />

relevant für unser Leben gilt neben den Wissenschaften und technischen Errungenschaften<br />

vor allem die Politik. Dem Ästhetischen wird keine wirkliche<br />

Wichtigkeit zugesprochen, auch wenn wir es alle schätzen und es uns nach wie<br />

vor prägt, nur dass wir es nicht für etwas so Lebensnotwendiges halten, dass es<br />

an erster Stelle genannt werden müsste.<br />

Hebel dagegen meint es ernst mit dem göttlichen Buch der Natur, auch wenn<br />

dieser Ernst etwas höchst Spielerisches und beinahe Märchenhaftes besitzt. Er<br />

meint es ernst, insofern für ihn Sinn und Schönheit nicht auseinanderzudividieren<br />

sind. Dass zur göttlichen Vorsehung auch das Schreckliche gehört, und<br />

sei es nur, weil es einen Teil unserer Freiheit ausmacht, widerspricht dem nicht.<br />

Im Grunde, so könnte man sagen, sorgt es sogar dafür, dass das Schöne umso<br />

dankbarer hervortritt. Gänzlich Abschied genommen haben wir von solchen<br />

ästhetischen Gesichtspunkten allerdings dann doch noch nicht. Denn wer vom<br />

Gleichgewicht der Natur spricht – was immer das im Einzelnen sein mag – und<br />

wer zu ihrer Rettung aufruft, hat vermutlich nicht nur etwas rein Funktionales<br />

im Sinn. In aller Regel schwingen dabei Vorstellungen mit, hinter denen auch<br />

die Überzeugung steckt, dass die Natur eine Art prästabilierter Harmonie besitzt.<br />

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