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Seite AZ ABCDE ·Nummer 74 Die Seite drei<br />
Samstag, 29. März 2008<br />
Provokateur anderGrenzedesUnerträglichen<br />
Bei aller Hysterie im Vorfeld: Die Reaktionen auf den Anti-Koran-Film des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders fallen sehr gelassen aus<br />
Von unserem Korrespondenten<br />
Helmut Hetzel<br />
Den Haag. „Fitna, the movie.<br />
Geert Wilders über den Koran.“ So<br />
beginnt der Film des niederländischen<br />
Politikers Geert Wilders.<br />
Zwei Hände streichen über den<br />
Koran. Eine Blattseite wird umgedreht.<br />
Dann wird der Bildschirm<br />
schwarz.<br />
Man hört, wie eine<br />
Seite aus einem Buch<br />
gerissen wird. Dann folgen<br />
die Sätze: „Das Geräusch<br />
ist das Zerreißen<br />
von Seiten aus einem<br />
Telefonbuch. Es ist<br />
nicht meine Sache, sondern<br />
es ist die Sache der<br />
Muslime, um die Verse<br />
aus dem Koran zu zerreißen,<br />
in denen Hass<br />
gepredigt wird. Muslime<br />
wollen, dass wir dem Islam<br />
alles zustehen, aber der Islam will<br />
uns in Schranken weisen. Wir sollen<br />
laut staatlicher Doktrin Respekt<br />
haben vor dem Islam. Aber<br />
der Islam hat keinen Respekt vor<br />
uns. Der Islam will dominieren,<br />
unterwerfen und die westliche Zivilisation<br />
vernichten.“<br />
Es blitzt und donnert<br />
Dann folgt die umstrittene Mohammed-Karikatur<br />
des dänischen<br />
Karikaturisten Kurt Westergaard.<br />
Sie zeigt Mohammed mit einer<br />
Bombe im Turban. Wieder wird<br />
der Bildschirm schwarz. Es blitzt<br />
und donnert. Die Geräusche<br />
könnten aber auch eine Explosion<br />
sein. So endet der Film „Fitna“<br />
(Zwiespalt) von Geert Wilders. Dazwischen<br />
in Form einer Collage<br />
aneinandergereihte Video-Dokumente.<br />
Die Anschläge auf die Twin<br />
Towers in New York, die Züge in<br />
Madrid, Leichen, viele Leichen, fanatische<br />
Imame, die Tod für die<br />
Juden predigen und die Weltherrschaft<br />
für den Islam fordern. Dann<br />
der im November 2004 von einem<br />
Muslim-Extremisten ermordete<br />
islam-kritische Filmemacher<br />
Theo van Gogh, der noch zu Lebzeiten<br />
frotzelte: „Ich habe kein<br />
Angst um mein Leben.“<br />
Geert Wilders hat all diese Film-<br />
Dokumente aneinandergereiht.<br />
Koran-Zitate dazu gestellt und seine<br />
Botschaft formuliert. Sie lautet:<br />
Der extreme Islam bedroht unsere<br />
Freiheit. Er predigt keinen Hass<br />
gegen die Muslime. Er beleidigt<br />
nicht. Er zeigt Bilder, die nicht neu<br />
sind, die allerdings in ihrer neuen<br />
Zusammenstellung die schrecklichen<br />
Auswüchse des vom Islam<br />
inspirierten Terrorismus darstellen.<br />
19 Uhr,Weltpremiere<br />
Kurz nachdem der Film „Fitna“<br />
auf der Website Live-Leak.com am<br />
Donnerstag Abend um 19 Uhr seine<br />
Weltpremiere erlebte, tritt wenig<br />
später der niederländische Ministerpräsident<br />
Jan Peter Balkenende<br />
vor die Presse in Den Haag.<br />
Zweisprachig, in Niederländisch<br />
und Englisch, distanziert er sich<br />
im Namen der niederländischen<br />
Regierung von dem Wilders-Film<br />
über den Koran, mit dem Wilders<br />
nach Ansicht von Balkenende<br />
„nur das Ziel verfolgt hat, die Gefühle<br />
von anderen Menschen zu<br />
verletzen“. Als Jan Peter Balkenende<br />
spricht, so gegen 22 Uhr, haben<br />
weltweit schon rund drei Millionen<br />
Menschen den kritischen Koran-Film<br />
von Wilders im Internet<br />
gesehen.<br />
„Wir sind erleichtert darüber,<br />
dass wir den Film gesehen<br />
haben. Es wurde niemand<br />
beleidigt. Der Film hat die<br />
Grenzen des Gesetzes<br />
beachtet.“<br />
Brahim Bourzik, Sprecher der<br />
Dachorganisation der in Holland<br />
lebenden Marokkaner<br />
In den Niederlanden selbst, wo<br />
die Regierung mit gewalttätigen<br />
Reaktionen erboster Muslime<br />
rechnete, bleibt alles ruhig. „Wir<br />
sind erleichtert darüber, dass wir<br />
den Film gesehen haben. Es<br />
wurde niemand beleidigt“,<br />
stellt Brahim Bourzik, Sprecher<br />
des „Landelijk Beraad<br />
Marokkanen“, der Dachorganisation<br />
der in Holland<br />
lebenden Marokkaner, in<br />
einer ersten Reaktion fest.<br />
„Der Film hat die Grenzen<br />
des Gesetzes beachtet.“<br />
Yusuf Altuntas von der<br />
Kontakt-Plattform Muslime<br />
meint: „Wilders<br />
tastet mit dem Film nur<br />
ab, wie weit er gehen<br />
kann, aber er hat die<br />
zulässige Grenze nicht<br />
überschritten. Es ist<br />
ein sehr subtiler Film.“<br />
Altuntas geht davon<br />
aus „dass die meisten<br />
Muslime in den Niederlanden<br />
gelassen auf diesen<br />
Film reagieren werden.<br />
Wie das im Ausland<br />
sein wird, das<br />
kann ich aber nicht<br />
beurteilen.“<br />
„Der Film ist keine<br />
Beleidigung der Muslime,<br />
nicht einmal eine<br />
Provokation“, behauptet der<br />
Arabist und Professor Maurits<br />
Berger. „Was wir sehen sind Bilder<br />
von Kriminellen und von Terroristen,<br />
die schlimme Verbrechen begangen<br />
haben. Es wäre völlig übertrieben,<br />
wenn man in der islamischen<br />
Welt gegen diesen Film<br />
demonstrieren würde.“<br />
Das aber bleibt noch abzuwarten.<br />
Dann viel hängt jetzt<br />
davon ab, wie die Freitagsgebete<br />
in den Moscheen in<br />
den Niederlanden und anderswo<br />
in der islamischen<br />
Welt verlaufen. Wie werden<br />
die Imame reagieren?<br />
Wie werden sie in<br />
ihrem Predigten den<br />
Film „Fitna“ von Wilders<br />
bewerten?<br />
Für manche dürfte<br />
Wilders inzwischen<br />
jedenfalls der meist<br />
gehasste, für andere<br />
der beliebteste Politiker<br />
der Niederlan-<br />
de sein. Sicher aber ist: Nach der<br />
Publikation des Films im Internet<br />
der weltweit wohl bekannteste Politiker<br />
aus Holland.<br />
Noch vor vier Jahren war der<br />
Fraktionsvorsitzende der von ihm<br />
selbst gegründeten „Partij voor de<br />
Vrijheid, PVV“ (Partei für die Freiheit)<br />
außerhalb der Niederlande<br />
gänzlich unbekannt. Seither allerdings<br />
sorgt er ständig für Aufregung.<br />
National wie international.<br />
Der jüngste Coup des Vollblutpolitikers<br />
und Islamkritikers ist<br />
sein bisher größter. Und sein mutigster.<br />
Denn seit der Ermordung<br />
von Theo van Gogh am 2. November<br />
2004 steht auch<br />
Geert Wilders auf<br />
der Todesliste<br />
von islami-<br />
schen Terrororganisationen. Nun<br />
wohl, nach der Publikation von<br />
„Fitna“, ganz oben.<br />
Seither lebt der mit einer Ungarin<br />
verheirate Geert Wilders unter<br />
ständiger Bewachung. Er ist rund<br />
um die Uhr von Bodyguards umgeben.<br />
Nach dem Mord an Theo<br />
van Gogh musste er sogar wochenlang<br />
in einem Gefängnis untertauchen,<br />
weil der niederländische<br />
Staat nur dort seine Sicherheit<br />
garantieren konnte. Wilders<br />
wurde zu einem unfreiwilligen<br />
Gefangenen des extremen Islam.<br />
Diese Erfahrung hat auch ihn offenbarradikalisiert.<br />
Denn seine Islam-Kritik wurde<br />
immer schärfer. Er forderte das<br />
Burka-Verbot, dann das Verbot des<br />
Koran. Er verglich die heilige<br />
Schrift der Muslime mit Hitlers<br />
Buch „Mein Kampf“ und nannte<br />
den Koran „faschistisch“. Ferner<br />
forderte er einen sofortigen Einwanderungsstopp<br />
für Muslime in<br />
den Niederlande sowie ein Verbot<br />
für den Bau weiterer<br />
Moscheen in Holland.<br />
Und jetzt als vorläufiger<br />
Höhepunkt seiner Anti-<br />
Islam-Polemik der Film.<br />
Aber Wilders hat damit<br />
wohl erreicht, was<br />
er erreichen wollte. Er<br />
hat erneut eine heftige<br />
Debatte über den Islam<br />
losgetreten und er ist<br />
selbst der Mittelpunkt<br />
in der Auseinandersetzung.<br />
Der Rechtspopulist<br />
weiß, wie<br />
man das macht, er<br />
weiß, wie man mit sehr griffigen<br />
Parolen Wählerstimmen<br />
gewinnt. Glaubt man aktuellen<br />
Umfragen, dann könnten<br />
Wilders und seine Freiheitspartei<br />
bei einem Urnengang<br />
heute ihre Mandate<br />
auf bis zu 20 mehr<br />
als verdoppeln.<br />
Der kometenhafte politische<br />
Aufstieg von<br />
Wilders begann am 3.<br />
September 2004. An<br />
diesem Tag verließ der<br />
in Venlo direkt an der<br />
deutschen-niederländischen<br />
Grenze geborene<br />
Politiker nämlich<br />
die bürgerlich-liberale<br />
Partei für Freiheit<br />
und Demokratie<br />
(VVD). Wilders hatte<br />
die VVD mit der<br />
Publikation eines<br />
Pamphlets provoziert.<br />
Darin ventilierte<br />
er erstmals seine<br />
radikale Kritik am<br />
Islam als einer ,,zurückgebliebenenKultur.‘‘<br />
Und darin rief er<br />
damals auch dazu auf,<br />
gegen den EU-Verfassungsvertragsentwurf<br />
zu stimmen, den eine<br />
Mehrheit seiner Landsleute<br />
dann im Sommer<br />
2005 in einem Referendum<br />
tatsächlich auch ablehnte.<br />
Solche Standpunkte<br />
waren mit dem Parteiprogramm<br />
der liberalen VVD nicht<br />
mehr vereinbar. Wilders verließ<br />
die VVD.<br />
Nach dem Bruch mit der VVD<br />
blieb der nun parteilose Wilders<br />
zunächst als Ein-Mann-Fraktion<br />
im Haager Parlament. Er nannte<br />
sich ,,Groep Wilders‘‘<br />
(Gruppe Wilders). Dann<br />
gründete er seine eigene<br />
Partei, die PVV. Mit ihr<br />
landete er bei den<br />
Wahlen im November<br />
2006 aus dem<br />
Stand heraus einen<br />
großen Erfolg.<br />
Die PVV<br />
Markenzeichen blonde Mozart-Frisur: Der Islam-Kritiker Geert Wilders –das EnfantTerrible der niederländischen<br />
Politik. Foto: dpa<br />
eroberte neun<br />
der insgesamt<br />
150 Mandate<br />
in der Haager Volksvertretung.<br />
Politisch sieht sich Wilders in<br />
der Tradition von Pim Fortuyn,<br />
der im Mai 2002 ermordet wurde,<br />
Ayaan Hirsi Ali und Theo van<br />
Gogh, der im November 2004 von<br />
einem fundamentalistischen Muslim<br />
umgebracht wurde. Wilders Islamkritik<br />
aber ist polemischer und<br />
politischer als die von Fortuyn,<br />
„Was wir sehen, sind Bilder von<br />
Kriminellen und von<br />
Terroristen, die schlimme<br />
Verbrechen begangen haben. Es<br />
wäre völlig übertrieben, wenn<br />
man inder islamischen Welt<br />
gegen diesen Film<br />
demonstrieren würde.“<br />
Professor Maurits Berger,<br />
Arabist<br />
während Ayaan Hirsi Ali und Theo<br />
van Gogh gemeinsam in ihrem<br />
Film „Submission“ (Unterwerfung)<br />
vor allem die Unterdrückung<br />
der Frauen im Islam thematisierten<br />
und anprangerten.<br />
Zentrale These<br />
Wilders zentrale These lautet:<br />
Der Islam ist mehr eine politische<br />
Ideologie als eine Religion. Der<br />
extreme politische Islam, der Islamismus,<br />
bedroht nach Ansicht<br />
von Geert Wilders die westliche<br />
Freiheit und muss politisch ebenso<br />
bekämpft werden wie der Faschismus<br />
und der Kommunismus.<br />
Reaktionen<br />
� Die großen muslimischen<br />
Dachverbände in Deutschland<br />
haben Geert Wilders Film verurteilt<br />
und gleichzeitig zu<br />
gesellschaftlichem Frieden und<br />
Besonnenheit aufgerufen. Der<br />
Film sei das aktuellste Beispiel<br />
in einer Folge „grenzenloser<br />
rechtspopulistischer Feindseligkeiten“,<br />
sagte der Koordinationsrat<br />
der Muslime (KRM) gestern<br />
inKöln. Es handele sich<br />
um eine Pervertierung der Meinungs-<br />
und Pressefreiheit.<br />
� KRM-Sprecher Bekir Alboga<br />
sagte, der Film wolle mit seiner<br />
antiislamischen und rassistischen<br />
Zielrichtung Menschen<br />
manipulieren und Angst,Verwirrung<br />
und Ekel auslösen.<br />
� Alboga appellierte an die Bundesbürger,<br />
eine Gleichstellung<br />
des Islams mit Gewalt oder<br />
Terrorismus zu verhindern und<br />
sich mit Muslimen zu solidarisieren.<br />
„Permanentes Schüren<br />
von Angst und Hass gegenüber<br />
Muslimen zerreißt auf Dauer<br />
unsere Gesellschaft und<br />
gefährdet das friedliche<br />
Zusammenleben.“ Er betonte,<br />
die Muslime in Deutschland<br />
verurteilten Terrorismus und<br />
Gewalt in jeder Form und<br />
lehnten den „Missbrauch unserer<br />
Religion für diese Zwecke“<br />
ab. Sie bekennten sich zu den<br />
Werten in Europa, die sowohl<br />
die Presse- als auch die Religionsfreiheit<br />
garantierten. (kna)