Umschlag 2008 final - Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg
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Wiebke Kolbe • Reisen zu den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs<br />
er mit Tochter und Schwiegersohn unternahm, um das Grab se<strong>in</strong>es Vaters zu suchen,<br />
der am 26. Dezember 1944 <strong>in</strong> der dritten Kurland-Schlacht gefallen war.<br />
Der Ort se<strong>in</strong>er Beisetzung war unbekannt gewesen, bis der Volksbund Deutsche<br />
Kriegsgräber<strong>für</strong>sorge nach dem Ende des Kalten Krieges auch <strong>in</strong> Osteuropa mit<br />
den Umbettungen Zehntausender deutscher Kriegstoter auf zentrale Kriegsgräberstätten<br />
beg<strong>in</strong>nen konnte. Dabei wurde auch der Vater Wendel<strong>in</strong> Müllers<br />
umgebettet und der Ort se<strong>in</strong>er Erstbestattung ebenso <strong>in</strong> der Datenbank des<br />
Volksbundes verzeichnet wie se<strong>in</strong> endgültiges Grab auf der 1999 e<strong>in</strong>gerichteten<br />
Kriegsgräberstätte Saldus <strong>in</strong> Lettland. Überrascht, nach so langer Zeit den Begräbnisort<br />
des kaum gekannten Vaters zu erfahren, entschloss sich Müller, nach<br />
Lettland zu fahren und das Grab zu besuchen. Se<strong>in</strong>e Reise dokumentierte er <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em Bericht mit Fotos im Internet: auf der privat von e<strong>in</strong>em Kurland-Interessierten<br />
betriebenen Webseite www.kurland-kessel.de, die neben detaillierten<br />
Informationen über die Kurlandschlachten auch weitere Reiseberichte enthält.<br />
Die Müllers hatten ihre Reise gut vorbereitet und suchten zielstrebig sowohl<br />
nach dem Ort, an dem der Vater Wendel<strong>in</strong> Müllers verstorben war, als<br />
auch nach dem Ort se<strong>in</strong>er Erstbestattung und nach se<strong>in</strong>em heutigen Grab. An<br />
diesem „verweilten wir dann e<strong>in</strong>ige Zeit, verstreuten mitgebrachte Heimaterde<br />
und zündeten e<strong>in</strong> Grablicht an“. Nachdem alle Orte gefunden und die Trauerrituale<br />
vollzogen waren, verbrachte die kle<strong>in</strong>e Gruppe die beiden letzten Tage<br />
„wie geplant mit Besichtigungen“ und sah sich das Hochmoor von Kemeri, den<br />
Strand von Jarmala und die Altstadt von Riga an. Aber auch an den anderen<br />
Tagen ihrer Reise hatte sie nahe gelegene Sehenswürdigkeiten besichtigt, und<br />
Wendel<strong>in</strong> Müller beschrieb und fotografierte <strong>für</strong> se<strong>in</strong>en Bericht durchgängig<br />
auch landschaftliche Schönheiten, kulturell Interessantes und Alltägliches.<br />
Wie bereits die Beispiele der Familien Joost und Christians gezeigt haben,<br />
erfasst e<strong>in</strong>e Reise auf den Spuren der eigenen Kriegsvergangenheit oder der<br />
e<strong>in</strong>es nahen Angehörigen häufig die gesamte Familie, besonders die direkten<br />
Nachkommen nicht nur der nächsten, sondern auch der übernächsten Generation<br />
– willentlich oder unwillentlich. Wendel<strong>in</strong> Müllers erwachsene Tochter<br />
Carol<strong>in</strong>e fuhr aus Interesse mit nach Lettland, e<strong>in</strong>em Interesse, das durch die<br />
Beschäftigung ihres Vaters mit dem Schicksal ihres Großvaters geweckt worden<br />
war. Insofern können Schlachtfeldreisen auch Bedeutung <strong>für</strong> die Familiengeschichte<br />
haben: etwa durch die <strong>in</strong>tergenerationelle Weitergabe von Kriegserfahrungen,<br />
wie bei den Christians; <strong>in</strong>dem das geme<strong>in</strong>same Aufsuchen der Kriegs-<br />
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