27.02.2013 Aufrufe

download - Deutsch-Rumänische Gesellschaft

download - Deutsch-Rumänische Gesellschaft

download - Deutsch-Rumänische Gesellschaft

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Freundschaften und Netzwerke in der Sozialdemokratie um 1900 – einige Beispiele<br />

„Schreiben Sie mir doch, lieber Genosse, wie es Ihnen geht …“<br />

Von Laura Polexe<br />

„Schreiben Sie mir doch, lieber Genosse, wie es Ihnen<br />

geht und was es Neues gibt. Sie können es sich gar<br />

nicht vorstellen, wie sehr und tief ich es bedauere, dass<br />

ich nicht am Kongress teilnehmen kann und vor allem,<br />

dass ich Sie nicht sehen kann, obwohl ich dies so gehofft<br />

hatte. Machen Sie es gut, geliebter Freund […].“ Diese<br />

Zeilen schrieb der rumänische Sozialdemokrat Constantin<br />

Dobrogeanu-Gherea im Jahre 1896 an den in der<br />

Schweiz lebenden russischen Sozialdemokraten Georgij<br />

Plechanov. Dabei bedauerte er, nicht wie gewünscht am<br />

Kongress der Zweiten Internationale teilnehmen zu können,<br />

der Ende Juli 1896 in London stattfand.<br />

In meinem Beitrag möchte ich das Netzwerk der Zweiten<br />

Internationale an der Wende zum 20. Jahrhundert exemplarisch<br />

betrachten anhand der Beziehung zwischen dem<br />

russischen Revolutionär Georgij Plechanov, seinem in<br />

der Schweiz naturalisierten Landsmann Pavel Aksel‘rod<br />

und dem ebenfalls aus Russland stammenden Constantin<br />

Dobrogeanu-Gherea, der sich in Rumänien niederließ.<br />

Allen dreien ist gemeinsam, dass sie einer Generation<br />

entstammten, die sich mit den damaligen gesellschaftlichen<br />

und politischen Zuständen in Russland nicht zufrieden<br />

gab, sich den Narodniki, den „Volkstümlern“, annäherten<br />

und in revolutionären Kreisen tätig wurden, die<br />

sich später der Zweiten Internationale zuordneten.<br />

Die Zweite Internationale<br />

Über die Zweite Internationale, über ihre Entstehung, ihre<br />

Existenz und ihr Ende, ist schon viel geschrieben worden.<br />

Es fällt aber auf, dass in den meisten Darstellungen<br />

die Ideologie und die Strukturgeschichte im Vordergrund<br />

stehen. Es ist nur wenig über die Beziehungen zwischen<br />

persönlichen Bindungen und politischen Entscheidungen<br />

zu erfahren. Wegweisend wirken u.a. die Werke des rumänisch-französischen<br />

Historikers Georges Haupt, der<br />

schon in den 1950er und 1960er Jahren auf die Bedeutung<br />

der persönlichen Verflechtungen und Bekanntschaften<br />

innerhalb der Zweiten Internationale hinwies.<br />

Ich gehe von der Annahme aus, dass die internationale<br />

Sozialdemokratie um 1900 als ein System sich überlappender<br />

Freundschafts- und Patronagenetzwerke verstanden<br />

werden kann, über die Informationen ausgetauscht,<br />

Solidarität und Hilfe geübt und Interessen vertreten wurden.<br />

Zeitlich und räumlich wurden die Sozialdemokraten<br />

der vorigen Jahrhundertwende vor allem von der Erfahrung<br />

des Exils als Raum geprägt. Diese Erfahrung teilten<br />

die drei Protagonisten dieses Beitrags: Pavel Aksel‘rod<br />

lebte seit 1875 in der Schweiz, seit 1881 fortwährend in<br />

Zürich, wo er 1899 eingebürgert wurde. Georgij Plechanov<br />

lebte mit seiner Familie seit 1880 in Genf, wo sich<br />

die größte sogenannte „russische Kolonie“ zu jener Zeit<br />

befand und sozialdemokratisch-revolutionäre Ideen auf<br />

fruchtbaren Boden fielen. Constantin Dobrogeanu-Gherea<br />

schließlich lebte in Rumänien, zunächst in der Nähe<br />

der Grenze zum Russischen Reich, später dann unweit<br />

der Hauptstadt Bukarest.<br />

Die vielfältigen Beziehungen der Akteure untereinander<br />

reichten häufig von einfacher Kameradschaft über<br />

politische Freundschaft bis hin zu langjähriger privater<br />

Freundschaft, die von den Höhen und Tiefen des politischen<br />

Geschäfts oft in Mitleidenschaft gezogen wurde.<br />

Für die sozialistische Beziehungskultur war die Idee der<br />

Gemeinschaft prägend, die durch gemeinsame Erfahrungen<br />

und Lebenssituationen sowie gleiches politisches<br />

Gedankengut zusammengehalten wurde. Die Sozialde- Sozialde-<br />

mokratie um die Jahrhundertwende bildete einen eigenen<br />

sozialen Raum, mit bestimmten Handlungspraktiken<br />

und -ritualen, die von den Akteuren als Abgrenzung von<br />

der bürgerlichen <strong>Gesellschaft</strong> verstanden und inszeniert<br />

wurden. Der Raum konnte erst durch Performanz angeeignet<br />

werden, durch Handlungen wie Aufmärsche, Demonstrationen<br />

und Streiks oder virtuell durch die Schaffung<br />

eines eigenen Kommunikationsbereichs.<br />

In der Zweiten Internationale konnte man Bekanntschaften<br />

vor allem auf verschiedenen Treffen, Kongressen und<br />

sonstigen politischen Zusammenkünften sowie allgemein<br />

im Exil oder in der Verbannung machen. Man konnte sich<br />

in Bahnhöfen, an Grenzpunkten, in Salons, Gefängnissen,<br />

Botschaften, Redaktionen, Cafés, Instituten begegnen.<br />

Dies sind konkrete Begegnungsorte, denn, so Karl<br />

Schlögel, „Geschichte findet nicht im luftleeren Raum<br />

statt. Geschichte hat einen Ort.“ Am einprägsamsten waren<br />

jedoch die Treffen auf Kongressen der Internationale,<br />

wie die Beschreibungen der Kongresse von 1893 in Zürich<br />

und 1912 in Basel verdeutlichen. Vor allem das Gefühl<br />

der Kameradschaft und der Nähe zueinander wird<br />

in den Erinnerungen und Artikeln hierzu heraufbeschworen.<br />

Sie stellten in diesem Zusammenhang eine besondere<br />

Form von Kommunikation dar: Einerseits waren sie<br />

für ihre Mitglieder, durch die Symbolhaftigkeit, identitätsstiftend,<br />

andererseits gaben sie durch die Aneignung<br />

des Raums dem Wunsch nach öffentlicher Anerkennung<br />

Ausdruck. Die Sozialdemokratie musste sich im öffentlichen<br />

Raum, in dem sie mit „bürgerlichen“ Organisationen<br />

konkurrierte, erst behaupten. Am besten ist dies in<br />

der Ansprache August Bebels vom Basler Friedenskongress<br />

1912 verdeutlicht: Die Bedeutung des Kongresses<br />

liege, so Bebel, auch darin, dass die Behörden und sogar<br />

die Kirche mit der Sozialdemokratie zusammengearbeitet,<br />

ja sie sogar mit offenen Armen empfangen hätten.<br />

Die Symbolhaftigkeit dieser Gesten lag für die Arbeiterbewegung<br />

in der Umwidmung öffentlicher bürgerlicher<br />

Markenzeichen, wie es hier das Münster war, welches für<br />

DRH 1/2012 | 15

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!