download - Deutsch-Rumänische Gesellschaft
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Grenzraumidentitäten und europäische Integrationsprozesse<br />
<strong>Rumänische</strong> Regionen als Fallbeispiele<br />
Von Konrad Gündisch<br />
Der Sammelband dokumentiert ein Symposium, das mit<br />
Unterstützung der VolkswagenStiftung von der Arbeitsgruppe<br />
Sozial- und Kulturgeographie, Migrationsforschung<br />
der Universität Potsdam in Kooperation mit dem<br />
„Interdisziplinary Centre of Advanced Studies on Territorial<br />
Dynamics“ der Universität Bukarest am 1.-3. Juli<br />
2010 in Bukarest veranstaltet wurde.<br />
Das Thema ist von besonderer Aktualität, bereichert es<br />
doch das Wissen um Fragen nach regionaler Identität<br />
und Mentalität, deren Beantwortung eine „umsichtige<br />
Gestaltung des europäischen Integrationsprozesses“ erst<br />
möglich macht. Gerade die Unkenntnis der verhaltensrelevanten<br />
Selbst- und Fremdwahrnehmungen von Bevölkerungen<br />
und Bevölkerungsgruppen hat die Probleme<br />
mit verursacht, die Europa heute umtreiben. Jean Claude<br />
Juncker, der luxemburgische Premier, hat diesen Mangel<br />
auf den Punkt gebracht: „Wir Europäer wissen immer<br />
noch viel zu wenig voneinander!“ (S. 1)<br />
Unter Identität verstehen Herausgeber und Autoren „das<br />
Gefühl oder die Gewissheit der Zugehörigkeit zu einer<br />
bestimmten Gruppe oder einem bestimmten Raum bzw.<br />
das ‚Eins-Sein‘ mit dieser Gruppe oder diesem Raum“<br />
(S. 2). Eine solche räumliche Identität ist in Regionen<br />
stets vorhanden, im europäischen Rahmen muss sie erst<br />
aufgebaut werden. Grenzregionen eignen sich dafür ganz<br />
besonders, treffen doch hier einerseits unterschiedliche,<br />
manchmal konträre Selbstwahrnehmungen aufeinander,<br />
ergänzen sich diese andererseits und ermöglichen den<br />
Austausch, die Wahrnehmung des Anderen, das Verständnis<br />
füreinander.<br />
Der Band beginnt mit einer ausführlichen und sehr kompetenten<br />
Einleitung des Herausgebers, gefolgt von einem<br />
theoretischen Teil, in dem Hans-Joachim Bürkner<br />
(S. 17-56) Ansatzpunkte für die Analyse von Identitäten<br />
in Grenzräumen definiert, Ioan Ianoş, Daniela-Rodica<br />
Stoian und Andrei Schvab (S. 57-69) aber Identitäten im<br />
Rahmen politischer, ökonomischer, sozialer und kultureller<br />
Entwicklungen erörtern und dabei Rumänien als Fallbeispiel<br />
verwenden.<br />
Der dritte Teil befasst sich mit den Identitäten an Staatsgrenzen<br />
der Europäischen Union, wobei zwischen EU-<br />
Binnengrenzen (beispielsweise zwischen <strong>Deutsch</strong>land<br />
und Polen oder zwischen der Slowakei und Ungarn) und<br />
„Doppelten“ Grenzräumen zu Staaten unterschieden wird,<br />
die nicht zur EU gehören (beispielsweise zwischen der<br />
EU und Russland oder zwischen Moldova und Rumänien).<br />
Für die Leser dieser Zeitschrift sind hier die Beiträge<br />
von Mihaela Narcisa Niemczik-Arambaşa über „Alltag<br />
und Identitätskonstruktionen im moldauisch-rumänischen<br />
Grenzraum“ (S. 165-181) und Smaranda Vultur über<br />
„Die Flexibilität der Grenze und die Rekonstruktion von<br />
Identitäten am Beispiel des Banats“ (S. 183-195) von besonderem<br />
Interesse. Niemczik-Arambaşas inhaltlich und<br />
methodisch hervorragender Aufsatz thematisiert unter anderem<br />
den konstruierten Gegensatz zwischen Moldovenismus<br />
und Rumänismus sowie den (tristen) Alltag an der<br />
EU-Außengrenze zwischen zwei einander durch die gemeinsame<br />
Herkunft und Geschichte besonders nahe stehenden<br />
Völkern und Staaten. Vultur analysiert die Neuausrichtung<br />
der unterschiedlichen Ethnien des Banats<br />
nach der Wende von 1989/1990 und geht dann zukunftsweisend<br />
auf die Euregio Donau-Kreisch-Marosch ein, die<br />
auf Zusammenarbeit und Kommunikation ausgerichtet<br />
ist. Ein besonderes Kapitel widmet Vultur den Identitätskonstruktionen<br />
der Banater Schwaben in der Heimat sowie<br />
in den Aussiedlungsgebieten. Im Literaturverzeichnis<br />
vermisst man die Arbeiten der Tübinger Geographen<br />
Horst Förster und Hans-Heinrich Rieser.<br />
Im vierten Teil werden lokale, regionale und nationale<br />
Identitäten in kulturellen Interferenzräumen untersucht,<br />
beispielsweise jene der Kaschuben (S. 197-208).<br />
Die Bedeutung einer bewussten, ja gesteuerten „europäischen<br />
Identitätspolitik“ wird für die EU-Nachbarstaaten<br />
Belarus und Ukraine thematisiert (S. 209-240), wobei in<br />
der Ukraine erwartungsgemäß eine europafreundlichere<br />
Stimmung diagnostiziert wird. Ein besonderes Augenmerk<br />
gilt außerdem der Türkei, jenem Land, das sich -<br />
je nach Einstellung „am Rande Europas oder schon in<br />
Asien“ befindet (Hans-Dietrich Schultz, S. 255-283) bzw.<br />
das sowohl orientalische als auch okzidentale Merkmale<br />
aufweist (Aydin Cingi, S. 285-297). Nicht zum eigentlichen<br />
EU-Grenzgebiet gehört Transnistrien, selbsternannter<br />
Mini-„Staat“ am Rande der Republik Moldova, dem<br />
Andreas Menn einen geistreichen Artikel mit dem Thema<br />
„Pridnestrowien: Ein Land als Wunsch und Vorstellung“<br />
(S. 227-239) widmet.<br />
Alle Beiträge des Bandes lassen das hohe theoretisch-methodische<br />
Niveau der Autoren erkennen, die aus <strong>Deutsch</strong>land,<br />
Rumänien, Polen, der Ukraine und der Türkei<br />
stammen. Sie sprechen eine gemeinsame sozial- und kulturgeographische<br />
bzw. historiographische Wissenschaftssprache<br />
und nehmen jene Integration vorweg, die letztendlich<br />
Thema dieses Buches ist, das nicht nur für die<br />
Forscher, sondern auch für die interessierten Leser eine<br />
gewinnbringende Lektüre verspricht.<br />
Wilfried Heller (Hg.): Identitäten und Imaginationen<br />
der Bevölkerung in Grenzräumen. Ostmittel- und Südosteuropa<br />
im Spannungsfeld von Regionalismus, Zentralismus,<br />
europäischem Integrationsprozess und Globalisierung.<br />
LIT Verlag, Berlin u.a. 2011 (= Region<br />
– Nation – Europa, 64), 299 Seiten, 29,90 €.<br />
DRH 1/2012 | 37