28.02.2013 Aufrufe

Psychotherapeutenjournal 2/2009

Psychotherapeutenjournal 2/2009

Psychotherapeutenjournal 2/2009

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Methodenvielfalt in der Psychotherapieforschung<br />

Wenn-Dann-Beziehungen im Einzelfall<br />

geht. Was bedeutet das für diesen Fall?<br />

Warum tue ich was, welche Konsequenzen<br />

erwarte ich, wie gehe ich damit um,<br />

wenn es anders kommt? Solche Fragen<br />

sind in der geschlossenen klinischen Situation<br />

und für den konkreten Fall in der konkreten<br />

Beziehung nicht vermeidbar. Diese<br />

geschlossene klinische Situation ist jedoch<br />

von ihrer Grundstruktur her immer kontingent,<br />

die klinischen Phänomene, die dort<br />

auftauchen, immer unterdeterminiert.<br />

Die Unterdeterminiertheitsthese (Quine,<br />

1980) besagt, dass Theorien durch die<br />

Beobachtungsdaten nicht eindeutig bestimmt<br />

sind. Für jede Menge empirischer<br />

und klinischer Beobachtungen gibt es prinzipiell<br />

immer mehrere (klinische) Theorien,<br />

die mit ihnen kompatibel sein können.<br />

Es führt also nicht nur ein Weg von den<br />

klinischen Phänomenen zur den klinischpsychotherapeutischenHandlungstheorien<br />

(und wieder zu ihnen zurück); es sind<br />

prinzipiell immer mehrere, auch untereinander<br />

unverträgliche klinische Theorien<br />

(vgl. auch Heintz, 1993) möglich. Um den<br />

Weg von den klinischen Phänomenen zur<br />

klinischen Handlungstheorie und vice versa<br />

verstehbar zu machen und zu klären,<br />

dafür sind qualitative Methoden sehr nützlich,<br />

quantitative Methode jedoch nur sehr<br />

bedingt (etwa in Form von quantitativen<br />

Einzelfallanalysen) hilfreich. Ein Beispiel:<br />

Wie geht ein Psychotherapeut konkret mit<br />

den Ergebnissen eines Intelligenztests im<br />

Elterngespräch um? Welche klinischen<br />

Handlungstheorien leiten ihn bei der Verwendung<br />

dieses empirischen Datums in<br />

der psychotherapeutischen Situation? Was<br />

erwartet er sich von der Vermittlung der<br />

Testergebnisse an die Eltern?<br />

Prozess- und Ergebnisforschung<br />

Traditionell eignen sich qualitativ-inhaltliche<br />

Analysen besonders für Therapieprozessforschung,<br />

also für das Geschehen innerhalb<br />

der klinischen Situation (vgl. auch<br />

Hill & Lambert, 2004): Moustakas (1990)<br />

zeigte etwa, wie mittels einer heuristischen<br />

Forschungsmethode das Erleben der intuitiven<br />

Verbindung zwischen Therapeut<br />

126<br />

und Patient auf einer sehr persönlichen<br />

Ebene untersucht werden kann. Vehviläinen<br />

(2008) identifizierte beispielsweise<br />

konversationsanalytisch Widerstandsphänomene<br />

anhand struktureller Merkmale<br />

psychoanalytischer Gespräche. Buchholz<br />

und v. Kleist (1997) analysierten Therapietranskripte<br />

metaphernanalytisch nach<br />

Sprachbildern der Heilung.<br />

Aber auch die Ergebnisse psychotherapeutischer<br />

Behandlung lassen sich mittels<br />

qualitativer Methoden erfassen. Elliott,<br />

Slatick und Urman (2001) führten z. B.<br />

im Anschluss an Therapiesitzungen sog.<br />

Change-Interviews durch, die sie dann mittels<br />

Grounded Theory auswerteten. Miksch<br />

et al. (2004) führten Familieninterviews<br />

durch und werteten diese inhaltsanalytisch<br />

aus, um zu erfassen, welche Ressourcen<br />

im Umgang mit Kopfschmerzen Kinder<br />

und Jugendliche und ihre Familien im<br />

Rahmen eines ressourcen- und lösungsorientierten<br />

ambulanten Gruppen- und<br />

Familienbehandlungsprogramms für sich<br />

neu entdecken und/oder weiterentwickeln<br />

konnten und welche Bewältigungsstrategien<br />

sie als besonders hilfreich erfahren<br />

haben. Hill et al. (2000) untersuchten die<br />

Bedeutung der Einbeziehung von Träumen<br />

ins psychotherapeutische Arbeiten für das<br />

Therapieergebnis mittels der consensual<br />

qualitative research (CQR) method.<br />

Diese Auswahl mag knapp illustrieren, was<br />

mit qualitativer Therapieprozessforschung<br />

und Therapieergebnisforschung gemeint<br />

sein kann.<br />

Der Kontext von<br />

Psychotherapie<br />

Qualitative Forschung eignet sich darüber<br />

hinaus auch vor allem dazu zu erkunden,<br />

wie Profis und Hilfesuchende Psychotherapie<br />

als Teil des Gesundheitssystems sowie<br />

Psychotherapie anbietende Institutionen<br />

erleben und bewerten. Connor, Robinson<br />

und Wieling (2008) haben in einer aktuellen<br />

Studie die Erfahrungen von Paaren,<br />

die wegen Vulvodynie Hilfe innerhalb des<br />

Gesundheitssystems suchen, mittels „transcendental<br />

phenomenology methodology“<br />

(einem qualitativen Ansatz, welcher<br />

der hermeneutisch-phänomenologischen<br />

Analyse zuzurechen ist) erkundet. Bekanntlich<br />

stellen Patienten, die im Zusammenhang<br />

mit körperlichen Beschwerden<br />

und Erkrankungen psychosoziale und<br />

psychische Probleme entwickeln, eine potentiell<br />

unterversorgte Gruppe dar (z. B.<br />

Dinger-Broda & Schüssler, 2005). Sobo,<br />

Seid und Leticia Reyes (2006) führten<br />

Fokusgruppen mit Eltern von Kindern mit<br />

chronischen körperlichen Erkrankungen<br />

durch und untersuchten die Protokolle<br />

der Gruppensitzungen diskursanalytisch<br />

danach, welche „Machtdiskurse“ in der<br />

pädiatrischen Gesundheitsversorgung Eltern<br />

an der Teilnahme an dieser hindern.<br />

Quirk und Lelliot (2002) haben mittels<br />

ethnographischer teilnehmender Beobachtung<br />

soziale Interaktionen (z. B. die<br />

Beziehungsgestaltung zwischen Profis und<br />

Patienten) auf einer akutpsychiatrischen<br />

Aufnahmestation untersucht. Ein weiteres<br />

Beispiel: Dokumente aus dem Kontext der<br />

psychotherapeutischen Versorgung (z. B.<br />

Perspektivenpapiere, Projektanträge, Pressemitteilungen<br />

und Stellungnahmen von<br />

Krankenkassen, Berufs-, Fach- und Interessenverbänden;<br />

Informationsbroschüren/<br />

Internetauftritte von Institutionen, in denen<br />

Psychotherapie angeboten wird, wie<br />

etwa Medizinische Versorgungszentren<br />

oder psychosomatische Kliniken) könnten<br />

beispielsweise mit struktureller Inhaltsanalyse<br />

danach untersucht werden, wie häufig<br />

jeweils Begriffe mit ökonomischem Inhalt<br />

und Begriffe mit therapeutischer Konnotation<br />

Verwendung finden.<br />

Die Qualität qualitativer<br />

Daten<br />

Auch das weite Feld der qualitativen Psychotherapieforschung<br />

kann an dieser Stelle<br />

nicht annähernd dargestellt werden. Es soll<br />

jedoch nochmals kurz auf ein mögliches<br />

Missverständnis eingegangen werden,<br />

das im Zusammenhang mit qualitativer<br />

Forschung öfters auftaucht, nämlich, dass<br />

qualitative Methoden „unwissenschaftlicher“<br />

als quantitative Methoden seien,<br />

etwa wegen ungenügender Gütekriterien,<br />

fehlender methodologischer Nachvollziehbarkeit<br />

oder zu geringer Stichprobengröße.<br />

<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 2/<strong>2009</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!