28.02.2013 Aufrufe

Psychotherapeutenjournal 2/2009

Psychotherapeutenjournal 2/2009

Psychotherapeutenjournal 2/2009

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Methodenvielfalt in der Psychotherapieforschung<br />

viorale, humanistische (z. B. Gesprächspsychotherapie)<br />

und systemisch-familientherapeutische<br />

Verfahren gleichberechtigt<br />

nebeneinander. Dass es für diese vier<br />

Hauptorientierungen in Deutschland unterschiedliche<br />

Möglichkeiten der Finanzierung<br />

über das GKV-System gibt, hat also<br />

wenig mit deren eben quantitativ nicht<br />

nachweisbaren unterschiedlichen Wirksamkeiten<br />

zu tun. Dies hat vielmehr mit<br />

historischen und professionsspezifischen<br />

Entwicklungen und Traditionen der mit<br />

Psychotherapie zusammenhängenden<br />

Gesundheits- und Bildungssysteme zu tun<br />

– und dem Niederschlag dieser Entwicklungen<br />

und Traditionen in entsprechenden<br />

entscheidungsrelevanten sozialpolitischen<br />

und Berufungsgremien. Retzlaff, von Sydow,<br />

Rotthaus, Beher und Schweitzer<br />

(<strong>2009</strong>) weisen in diesem Zusammenhang<br />

darauf hin, dass eine hohe Anzahl von Studien<br />

zu einem Psychotherapieverfahren<br />

allein ein Indikator dafür ist, dass innerhalb<br />

des Wissenschaftsbetriebs zu diesem Verfahren<br />

Forschungsgelder zu erhalten sind.<br />

Sie besagt nicht, dass weniger beforschte<br />

Verfahren nicht auch wirksam wären, sondern<br />

dass sie eine geringere Chance zu<br />

einer solchen Überprüfung haben.<br />

Psychotherapeuten (nicht Verfahren) scheinen<br />

sich jedoch hinsichtlich ihrer Effektivität<br />

zu unterscheiden. Und hier scheinen tatsächlich<br />

einige Psychotherapeuten andere<br />

Psychotherapeuten in ihrer Wirksamkeit in<br />

den Schatten zu stellen. Okiishi, Lambert,<br />

Nielsen und Ogles (2003) und Okiishi<br />

et al. (2006) konnten beispielsweise zeigen,<br />

dass erfolgreiche Psychotherapeuten<br />

zehnmal effektiver sind als erfolglose Psychotherapeuten<br />

(vgl. auch Strauss, 2008).<br />

Sie identifizierten drastische Unterschiede<br />

zwischen „supershrinks“ und „toxic shrinks“<br />

und siedelten beide Extremgruppen bei<br />

ungefähr 10% an. Qualitative Forschung<br />

kann wesentlich dazu beitragen, diese Unterschiede<br />

noch besser zu verstehen und<br />

etwa für die Ausbildung von Psychotherapeuten<br />

nutzbar zu machen.<br />

Weiterentwicklungen und<br />

Schulenüberschreitungen<br />

Quantitative Psychotherapieforschung<br />

erschöpft sich natürlich nicht in Legitima-<br />

124<br />

tionsforschung. Die Weiterentwicklung<br />

quantitativer Psychotherapieforschung<br />

(siehe hierzu beispielhaft den Kriterienkatalog<br />

zur Beurteilung der Studienqualität<br />

von Psychotherapiestudien des Wissenschaftlichen<br />

Beirats Psychotherapie,<br />

2007), etwa mittels verbesserter Untersuchungsdesigns,<br />

Messinstrumente oder<br />

Auswertungsverfahren, wie zum Beispiel<br />

Intention-to-treat-Analysen, führt natürlich<br />

auch weiterhin zu wichtigen praxisrelevanten<br />

inhaltlich-fachlichen Erkenntnissen.<br />

So kann inzwischen etwa gezeigt werden,<br />

dass die Effektstärken der kognitiven Verhaltenstherapie<br />

bei Depressionen lange<br />

Zeit überschätzt wurden und paartherapeutische<br />

Verfahren die größten Effektstärken<br />

aufweisen (Barnow, 2008, wobei<br />

nicht unterschieden wird etwa zwischen<br />

systemischer oder behavioraler Paartherapie).<br />

Ohne hier weiter ins Detail gehen zu<br />

können, kann aber formuliert werden, dass<br />

empirisch-quantitative Forschung auch zukünftig<br />

dazu beitragen wird, „scheinbar<br />

selbstverständliche Wahrheiten“ in der<br />

Psychotherapie, wie dies Jaques Barber,<br />

der ehemalige Präsident der Society of<br />

Psychotherapy Research (SPR), in seinem<br />

Eröffnungsvortrag auf dem 39. Meeting<br />

der SPR formuliert hat (zitiert in Harfst<br />

et al., 2008), zu hinterfragen.<br />

Zudem werden auf der Basis der experimentell-quantitativen<br />

Überprüfung psychotherapeutische<br />

Methoden (z. B. sog.<br />

„Trademark-Therapien“, vgl. v. Sydow,<br />

2007) entwickelt, die sozusagen „quer“<br />

zu den Psychotherapieverfahren verlaufen.<br />

Ein Beispiel hierfür stelle die Multisystemische<br />

Therapie (z. B. Swenson & Henggeler,<br />

2005) dar. Diese Methode, die bei schwer<br />

delinquenten Jugendlichen besonders gut<br />

greift, hat sich in einer Reihe hochwertiger<br />

RCT-Studien (Curtis, Ronan & Borduin,<br />

2004) als sehr effektiv gezeigt. Die Methode<br />

setzt sich größtenteils aus systemischen,<br />

aber eben auch aus verhaltenstherapeutischen<br />

Techniken zusammen.<br />

Qualitative Ansätze<br />

Qualitativen Forschungsansätzen geht es<br />

innerhalb der Psychotherapieforschung<br />

weniger um Legitimation, Beleg und Vergleich<br />

psychotherapeutischer Wirksamkeit.<br />

Es geht ergänzend hierzu darum, subjektive<br />

Bedeutungs-, Sinngebungs- sowie Erlebnisprozesse<br />

etwa seitens Therapeuten,<br />

Patienten und Angehörigen im Kontext von<br />

Psychotherapie zu erkunden, zu verstehen<br />

und zu beschreiben. Ein Beispiel: Es ist gut<br />

bekannt, dass Arbeitslosigkeit eine Fülle<br />

psychosozialer und psychischer Probleme<br />

nach sich zieht, wie Ängste, Depressionen,<br />

unklare körperliche Beschwerden,<br />

Sucht- und Familienprobleme (z. B. Berth,<br />

Balck, Brähler & Stöbel-Richter, 2008).<br />

Eine typische Fragestellung quantitativ<br />

orientierter Forschung könnte hier etwa<br />

sein: „Wie hoch ist der Anteil der behandlungsbedürftigen<br />

psychischen Störungen<br />

bei Arbeitslosen? Wie viele nehmen tatsächlich<br />

professionelle Hilfe in Anspruch?“<br />

Ein qualitativ orientierter Forscher könnte<br />

hier eher Fragen: „Warum fällt es Arbeitslosen<br />

so schwer, sich an einen psychosozialen<br />

Profi zu wenden? Was sind mögliche<br />

Gründe dafür?“ Ein anderes Beispiel: Man<br />

weiß, dass Burnout unter Mitarbeitern der<br />

akutpsychiatrisch-stationären Versorgung<br />

gehäuft anzutreffen ist (z. B. Amstutz,<br />

Neuenschwander & Modestin, 2001). Eine<br />

interessante quantitative Fragestellung<br />

könnte sein: „Wie hoch ist der Durchschnittswert<br />

im Maslach Burnout Inventar<br />

bei Psychotherapeuten in der Psychiatrie?<br />

Unterscheiden sich in der Psychiatrie tätige<br />

von niedergelassenen Psychotherapeuten<br />

in ihrer Burnout-Ausprägung?“ Ein qualitativer<br />

Forscher würde vielleicht fragen: „Wie<br />

erlebt es ein Psychotherapeut heutzutage,<br />

auf einer psychiatrischen Akutstation zu arbeiten?<br />

Was hilft ihm dabei, dort gesund<br />

zu bleiben?“<br />

Innerhalb der Sozialforschung (z. B. in der<br />

Sozialen Arbeit) erfreuen sich qualitative<br />

Ansätze großer Verbreitung und bunter<br />

Vielfalt (Bock & Miethe, <strong>2009</strong>). Methodenvielfalt<br />

würde in diesem Kontext eher das<br />

Bemühen um eine verstärkte Einbeziehung<br />

auch experimentell-quantitativer Ansätze<br />

bedeuten (Sommerfeld & Hüttemann,<br />

2007). Binnen der akademischen Psychologie<br />

unterlag die Akzeptanz qualitativer<br />

Ansätze allerdings bestimmten Wellenbewegungen.<br />

Inzwischen haben qualitative<br />

Ansätze dort jedoch wieder recht kräftigen<br />

Aufwind erfahren (z. B. Camic, Rhodes &<br />

Yardley, 2003). Das gilt auch für die Psychotherapieforschung<br />

(z. B. Buchholz &<br />

<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 2/<strong>2009</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!