Psychotherapeutenjournal 2/2009
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Methodenvielfalt in der Psychotherapieforschung<br />
viorale, humanistische (z. B. Gesprächspsychotherapie)<br />
und systemisch-familientherapeutische<br />
Verfahren gleichberechtigt<br />
nebeneinander. Dass es für diese vier<br />
Hauptorientierungen in Deutschland unterschiedliche<br />
Möglichkeiten der Finanzierung<br />
über das GKV-System gibt, hat also<br />
wenig mit deren eben quantitativ nicht<br />
nachweisbaren unterschiedlichen Wirksamkeiten<br />
zu tun. Dies hat vielmehr mit<br />
historischen und professionsspezifischen<br />
Entwicklungen und Traditionen der mit<br />
Psychotherapie zusammenhängenden<br />
Gesundheits- und Bildungssysteme zu tun<br />
– und dem Niederschlag dieser Entwicklungen<br />
und Traditionen in entsprechenden<br />
entscheidungsrelevanten sozialpolitischen<br />
und Berufungsgremien. Retzlaff, von Sydow,<br />
Rotthaus, Beher und Schweitzer<br />
(<strong>2009</strong>) weisen in diesem Zusammenhang<br />
darauf hin, dass eine hohe Anzahl von Studien<br />
zu einem Psychotherapieverfahren<br />
allein ein Indikator dafür ist, dass innerhalb<br />
des Wissenschaftsbetriebs zu diesem Verfahren<br />
Forschungsgelder zu erhalten sind.<br />
Sie besagt nicht, dass weniger beforschte<br />
Verfahren nicht auch wirksam wären, sondern<br />
dass sie eine geringere Chance zu<br />
einer solchen Überprüfung haben.<br />
Psychotherapeuten (nicht Verfahren) scheinen<br />
sich jedoch hinsichtlich ihrer Effektivität<br />
zu unterscheiden. Und hier scheinen tatsächlich<br />
einige Psychotherapeuten andere<br />
Psychotherapeuten in ihrer Wirksamkeit in<br />
den Schatten zu stellen. Okiishi, Lambert,<br />
Nielsen und Ogles (2003) und Okiishi<br />
et al. (2006) konnten beispielsweise zeigen,<br />
dass erfolgreiche Psychotherapeuten<br />
zehnmal effektiver sind als erfolglose Psychotherapeuten<br />
(vgl. auch Strauss, 2008).<br />
Sie identifizierten drastische Unterschiede<br />
zwischen „supershrinks“ und „toxic shrinks“<br />
und siedelten beide Extremgruppen bei<br />
ungefähr 10% an. Qualitative Forschung<br />
kann wesentlich dazu beitragen, diese Unterschiede<br />
noch besser zu verstehen und<br />
etwa für die Ausbildung von Psychotherapeuten<br />
nutzbar zu machen.<br />
Weiterentwicklungen und<br />
Schulenüberschreitungen<br />
Quantitative Psychotherapieforschung<br />
erschöpft sich natürlich nicht in Legitima-<br />
124<br />
tionsforschung. Die Weiterentwicklung<br />
quantitativer Psychotherapieforschung<br />
(siehe hierzu beispielhaft den Kriterienkatalog<br />
zur Beurteilung der Studienqualität<br />
von Psychotherapiestudien des Wissenschaftlichen<br />
Beirats Psychotherapie,<br />
2007), etwa mittels verbesserter Untersuchungsdesigns,<br />
Messinstrumente oder<br />
Auswertungsverfahren, wie zum Beispiel<br />
Intention-to-treat-Analysen, führt natürlich<br />
auch weiterhin zu wichtigen praxisrelevanten<br />
inhaltlich-fachlichen Erkenntnissen.<br />
So kann inzwischen etwa gezeigt werden,<br />
dass die Effektstärken der kognitiven Verhaltenstherapie<br />
bei Depressionen lange<br />
Zeit überschätzt wurden und paartherapeutische<br />
Verfahren die größten Effektstärken<br />
aufweisen (Barnow, 2008, wobei<br />
nicht unterschieden wird etwa zwischen<br />
systemischer oder behavioraler Paartherapie).<br />
Ohne hier weiter ins Detail gehen zu<br />
können, kann aber formuliert werden, dass<br />
empirisch-quantitative Forschung auch zukünftig<br />
dazu beitragen wird, „scheinbar<br />
selbstverständliche Wahrheiten“ in der<br />
Psychotherapie, wie dies Jaques Barber,<br />
der ehemalige Präsident der Society of<br />
Psychotherapy Research (SPR), in seinem<br />
Eröffnungsvortrag auf dem 39. Meeting<br />
der SPR formuliert hat (zitiert in Harfst<br />
et al., 2008), zu hinterfragen.<br />
Zudem werden auf der Basis der experimentell-quantitativen<br />
Überprüfung psychotherapeutische<br />
Methoden (z. B. sog.<br />
„Trademark-Therapien“, vgl. v. Sydow,<br />
2007) entwickelt, die sozusagen „quer“<br />
zu den Psychotherapieverfahren verlaufen.<br />
Ein Beispiel hierfür stelle die Multisystemische<br />
Therapie (z. B. Swenson & Henggeler,<br />
2005) dar. Diese Methode, die bei schwer<br />
delinquenten Jugendlichen besonders gut<br />
greift, hat sich in einer Reihe hochwertiger<br />
RCT-Studien (Curtis, Ronan & Borduin,<br />
2004) als sehr effektiv gezeigt. Die Methode<br />
setzt sich größtenteils aus systemischen,<br />
aber eben auch aus verhaltenstherapeutischen<br />
Techniken zusammen.<br />
Qualitative Ansätze<br />
Qualitativen Forschungsansätzen geht es<br />
innerhalb der Psychotherapieforschung<br />
weniger um Legitimation, Beleg und Vergleich<br />
psychotherapeutischer Wirksamkeit.<br />
Es geht ergänzend hierzu darum, subjektive<br />
Bedeutungs-, Sinngebungs- sowie Erlebnisprozesse<br />
etwa seitens Therapeuten,<br />
Patienten und Angehörigen im Kontext von<br />
Psychotherapie zu erkunden, zu verstehen<br />
und zu beschreiben. Ein Beispiel: Es ist gut<br />
bekannt, dass Arbeitslosigkeit eine Fülle<br />
psychosozialer und psychischer Probleme<br />
nach sich zieht, wie Ängste, Depressionen,<br />
unklare körperliche Beschwerden,<br />
Sucht- und Familienprobleme (z. B. Berth,<br />
Balck, Brähler & Stöbel-Richter, 2008).<br />
Eine typische Fragestellung quantitativ<br />
orientierter Forschung könnte hier etwa<br />
sein: „Wie hoch ist der Anteil der behandlungsbedürftigen<br />
psychischen Störungen<br />
bei Arbeitslosen? Wie viele nehmen tatsächlich<br />
professionelle Hilfe in Anspruch?“<br />
Ein qualitativ orientierter Forscher könnte<br />
hier eher Fragen: „Warum fällt es Arbeitslosen<br />
so schwer, sich an einen psychosozialen<br />
Profi zu wenden? Was sind mögliche<br />
Gründe dafür?“ Ein anderes Beispiel: Man<br />
weiß, dass Burnout unter Mitarbeitern der<br />
akutpsychiatrisch-stationären Versorgung<br />
gehäuft anzutreffen ist (z. B. Amstutz,<br />
Neuenschwander & Modestin, 2001). Eine<br />
interessante quantitative Fragestellung<br />
könnte sein: „Wie hoch ist der Durchschnittswert<br />
im Maslach Burnout Inventar<br />
bei Psychotherapeuten in der Psychiatrie?<br />
Unterscheiden sich in der Psychiatrie tätige<br />
von niedergelassenen Psychotherapeuten<br />
in ihrer Burnout-Ausprägung?“ Ein qualitativer<br />
Forscher würde vielleicht fragen: „Wie<br />
erlebt es ein Psychotherapeut heutzutage,<br />
auf einer psychiatrischen Akutstation zu arbeiten?<br />
Was hilft ihm dabei, dort gesund<br />
zu bleiben?“<br />
Innerhalb der Sozialforschung (z. B. in der<br />
Sozialen Arbeit) erfreuen sich qualitative<br />
Ansätze großer Verbreitung und bunter<br />
Vielfalt (Bock & Miethe, <strong>2009</strong>). Methodenvielfalt<br />
würde in diesem Kontext eher das<br />
Bemühen um eine verstärkte Einbeziehung<br />
auch experimentell-quantitativer Ansätze<br />
bedeuten (Sommerfeld & Hüttemann,<br />
2007). Binnen der akademischen Psychologie<br />
unterlag die Akzeptanz qualitativer<br />
Ansätze allerdings bestimmten Wellenbewegungen.<br />
Inzwischen haben qualitative<br />
Ansätze dort jedoch wieder recht kräftigen<br />
Aufwind erfahren (z. B. Camic, Rhodes &<br />
Yardley, 2003). Das gilt auch für die Psychotherapieforschung<br />
(z. B. Buchholz &<br />
<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 2/<strong>2009</strong>