Peter Oppliger, Tee-Philosoph vom Berg - Natürlich

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Peter Oppliger ist leidenschaftlicher Teeliebhaber, Heilpflanzenspezialist, Gründer der Historischen Drogerie auf dem Ballenberg und Buchautor. Seit drei Jahren betreibt er im Tessin die nördlichste Teeplantage der Welt. Text: André Schäppi Fotos: Remy Steinegger Der Tee-Philosoph, wie Peter Oppliger sich selber nennt, sitzt auf der Terrasse des Restaurants des Monte Verità und bestellt sich einen Tee. Einen Grüntee natürlich. Hier auf dem Berg der Wahrheit, oberhalb von Ascona TI, suchten vor hundert Jahren Lebenskünstler und Vegetarier die Wahrheit. Leute wie Hermann Hesse, Rainer Maria Rilke, C. G. Jung. Revolutionäre wie Trotzki, Lenin und Bakunin. Sie und viele andere haben dazu beigetragen, dass der Berg ein Mythos wurde. Hier oben also hat sich der ehemalige Drogist einen Traum erfüllt. Im feuchten subtropischen Mikroklima des Lago Maggiore hat er eine Teeplantage mit 1000 Pflanzen der immergrünen Camellia sinensis anpflanzen lassen. Kamelien. «Doch nur die Camellia sinensis, zusammen mit der Camellia assamica, werden für die Teeproduktion genutzt», erklärt Peter Oppliger und präzisiert: «Ich bevorzuge den unfermentierten Grüntee.» Tee unfermentiert, so der Autor des «Buchs vom grünen Tee», ist ein sehr gesundes Getränk. Vom fermentierten Tee, also dem Schwarztee, hält er nicht viel. Da seien fast alle wertvollen Substanzen zerstört. «Der Tee wird durch diesen Verarbeitungsschritt zu einem reinen Genussmittel. Aber wenn man das weiss, hat er schon seine Berechtigung», räumt er versöhnlich ein. Grüntee gegen Zivilisationskrankheiten «Grüntee», sagt der Naturheilkundler mit Überzeugung in der Stimme, «ist der Tee unserer Zeit. Er hilft bei zahlreichen Zivilisationskrankheiten.» Da hat er nicht unrecht. Grüntee gehört mittlerweile zu den wissenschaftlich bestuntersuchten Getränken der Welt und liefert laufend neue Erkenntnisse: Konzentra- tionserhöhung, Hilfe bei Depressionen und Rheumatismus, Stärkung von Herz und Kreislauf sind nur einige davon. Allerdings liegt Oppliger missionarischer Eifer fern. Es geht ihm mehr darum, dass die Leute von den vorhandenen Schätzen der Natur für ihre Gesundheit profitieren. Grossmutters Rat fürs Leben Oppliger, Jahrgang 1940, wächst in Zofingen auf. Die Stadt liegt nahe am Kreuzungspunkt wichtiger Verkehrswege der Schweiz. Vielleicht deshalb die Offenheit, die Peter Oppliger im späteren Leben zeigt. Der Vater versucht jedoch vorerst, die Die japanische Tee-Zeremonie Die Tee-Zeremonie wird in der japanischen Sprache «chanoyu» oder «sado» genannt. Der Tee, der dabei serviert wird, nennt sich «Mattcha». Vereinfacht gesagt ist die japanische Tee-Zeremonie ein choreografisches Ritual der Zubereitung und des Servierens von Tee zusammen mit kleinen Süssigkeiten. Jede Bewegung ist genau vorgeschrieben. Die richtige Ausführung der Tee-Zeremonie erfordert ein jahrelanges Training und den Gebrauch von verschiedenen Utensilien wie dem «Chasen», einem Bambus-Pinsel. Das Wesen der Tee-Zeremonie hat der grosse Meister Senno Rikyu (1522 bis 1591) in vier Prinzipien zusammengefasst: wa, kei, sei, jaku. Wa bedeutet Harmonie zwischen den Menschen, zwischen Mensch und Natur, mit den Teegeräten und der Art, sie zu gebrauchen. Das zweite Prinzip, kei, bedeutet Respekt, Achtung, Ehrerbietung, Rücksicht, und wird allen Wesen entgegengebracht. Das dritte Prinzip, sei, ist die Reinheit und umfasst die Reinheit der Dinge und des Geistes, äussere und innere Reinheit. Portrait GESELLSCHAFT Wege des jungen Peters «in geordnete» Bahnen zu lenken. Doch das klappt nur bedingt. Die Grossmutter gibt dem damals 16-Jährigen kurz vor ihrem Tod den Ratschlag: «Mach von nun an, was du willst!» Ein Rat, den er beherzigt und der vielleicht so etwas wie eine Aufbruchstimmung erzeugt. Der junge Mann entdeckt sein Interesse für Naturheilpflanzen, reist nach Indien, studiert Naturheilkunde, Homöopathie und Phytotherapie sowie Ernährung an der East West Foundation in Boston, USA. Die Liebe zum Tee findet Oppliger 1964 als 24-Jähriger, als er mit dem Auto mit einem Freund erneut nach Indien reist. Die Teepflanze verzaubert ihn. Eine Liebe fürs Leben. Schwarzer Tee war das damals. Allerdings sagt er heute: «Die Briten haben den Tee ‹versiechet›, indem sie ihn fermentierten.» Ein Schweizer kommt in Japan an Über Indonesien und Malaysia kommt er auf das Teeland Japan, das nur den Grüntee kennt. Eine glückliche Fügung, findet Das vierte Prinzip, jaku, ist die Stille, die Ruhe, der Friede des Gemütes, die aus der Verwirklichung der ersten drei Prinzipien entspringen. Auf dem Monte Verità wird die Tee-Zeremonie von der Japanerin Noriko Vezzoli durchgeführt. Die Teemeisterin stammt aus der japanischen Teehauptstadt Shizuoka. Foto: André Schäppi Natürlich | 5-2007 67
GESELLSCHAFT 68 Natürlich | 5-2007 Portrait Oppliger. Als Drogist ist sein wissenschaftliches Interesse geweckt. Er erhält Einblick in Forschungsinstitute und damit Kontakt zur japanischen Teeindustrie. Oppliger beginnt, Grüntee aus Japan in die Schweiz zu importieren, als Grüntee hier noch eine Exklusivität ist. Offensichtlich kommt seine Art bei den Japanern an. Zweimal tritt der Schweizer im japanischen Fernsehen auf und erklärte der grössten Grüntee-Nation der Welt, was ihn selber an dieser Pflanze so fasziniert. Als einziger nichtjapanischer Referent wird er von der japanischen Regierung zum Welt-Tee-Symposium eingeladen. Oft reist er nach Shizuoka, hundert Kilometer von Tokio entfernt. Sie gilt als Hauptstadt des japanischen Tees und aus dieser Region stammt rund die Hälfte der japanischen Teeproduktion. Hier trifft er Bekannte und Handelspartner, lässt sich über neuste Forschungsergebnisse aus erster Hand informieren, besucht die Teebörse und deckt sich für seine Grünteeimporte ein. Tee-Rituale für Harmonie und Ruhe Aber es ist nicht nur der Grüntee, der ihn an Japan fasziniert. Es ist die fernöstliche Welt der Rituale und Mythen, die ihn gleichermassen anziehen. In der Tee-Zeremonie, wie sie die Japaner zelebrieren, findet Oppliger Grundregeln fürs Leben. Es sind die Aspekte Harmonie, Reinheit, Respekt und Ruhe, die darin enthalten sind. «Wenn man sie richtig deutet und anwendet, kann Warum Grüntee so wertvoll ist Polyphenole (Pflanzeninhaltsstoffe) werden intensiv erforscht. Es liegen zahlreiche Hinweise auf eine entzündungshemmende und gefässschützende Wirkung vor. Ebenso ist die zellschützende und krebshemmende Potenz der Polyphenole nachgewiesen worden. Natürliche Polyphenole sind im Pflanzenreich als Antioxidantien, Geschmacks- und Bitterstoffe, Gerbstoffe und Pigmente verbreitet. Diese Gruppe bioaktiver Pflanzenstoffe kann in die Substanzklassen Phenolsäuren und Flavonoide gegliedert werden. Als besonders starker Radikalenfänger (und deshalb speziell wirksam) gilt ein Stoff mit dem zungenbrecherischen Namen «Epigallo-Cathechin-3-O-gallat», abgekürzt Peter Oppliger geniesst den eigenen Grüntee in seiner Plantage auf dem Monte Verità oberhalb von Ascona man eigentlich jedes Problem lösen», findet der Tee-Philosoph. Aber so einfach das klingt, so schwierig scheint es doch, denn er fügt hinzu: «Ich kenne die Tee-Zeremonie jetzt seit über dreissig Jahren, aber es hat 25 Jahre gedauert, bis ich sie verstanden habe.» Weil er überzeugt ist, dass dadurch auch für Menschen aus dem Westen Erkenntnisse für das Leben möglich sind, hat er ebenfalls auf dem Monte Verità die japanische Teekultur heimisch gemacht und ein Tee-Zentrum gegründet. Der Weg des Tees Der auf dem Berg nach japanischer Philosophie angelegte Teeweg führt die Besucher durch alle Stationen der Teekultur bis ins Teehaus. Der Pfad folgt der japanischen Weisheit «der Weg des Tees führt zur Selbsterkennung». Das ist Peter Oppligers Lieblingsspruch. «Am Tor werden alle Sorgen zurückgelassen. Das bewusste Be- EGCG, der im Grüntee reichlich vorhanden ist. In Versuchen konnte EGCG die Wirkung von zwei krebserzeugenden Substanzen aufheben und bereits entstandene Tumore zurückbilden. Der Wirkungsmechanismus des Stoffes ist noch nicht bis ins letzte Detail geklärt, aber es scheint, dass EGCG ein eiweissspaltendes Enzym hemmt, das der Krebs braucht, um in die Zellen hineinzukommen und um Metastasen zu bilden. Auch für den Kariesschutz dürfte EGCG von Bedeutung sein, denn es hemmt die Ausbreitung der Kariesbakterien. Seit kurzem weiss man auch, dass EGCG die Wirkung eines Hormons unterdrückt, das zu den Hauptauslösern des Bluthochdrucks gehört. gehen hilft, den Alltag hinter sich zu lassen und sich auf die faszinierende Welt des Tees zu konzentrieren», erklärt er. Das Teehaus beherbergt zwei Haupträume: Im japanisch eingerichteten Teeraum finden regelmässig rituelle Tee- Zeremonien und andere kulturelle japanische Anlässe statt. Im anderen, dem Laboratorio, wird gezeigt, wie Teeblätter nach der Ernte zu Tee verarbeitet werden. Daneben dient er als Museum und Verkaufslokal. Abwarten und Tee trinken Vor zwei Jahren hat Peter Oppliger seine gutgehende Drogerie und Apotheke in Luzern verkauft und ist mit seiner Frau endgültig nach Brissago gezogen. Wenn er durch seinen Teegarten geht, begreift man, dass er hier seine wahre Bestimmung gefunden hat. Manchmal bleibt er stehen, streicht fast liebevoll über die Blätter der Sträucher, die ihm viel bedeuten, bückt Die wichtigsten Grünteesorten • Mattcha: Die beste und teuerste Sorte. Wird zu feinem Pulver gemahlen und in Japan unter anderem bei Teezeremonien verwendet. • Sencha: Der meistgetrunkene Grüntee in Japan. Leicht bitter im Geschmack, von heller, goldener Farbe. • Bancha: Die billigste Grünteesorte aus Japan. Es werden auch ältere Blätter verwendet. Enthält wenig Koffein. • Gun Powder: Bekanntester Grüntee aus China. Die Blätter werden zu schrotähnlichen Kügelchen gerollt, daher der Name.
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