Homosexual's Film Quarterly - Sissy
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kino<br />
EDiTion SALZGEbER<br />
geiSter<br />
von Silvy Pommerenke<br />
Mit „Ghosted“ kommt endlich ein neuer Spielfilm von Monka Treut in die<br />
Kinos. Ein portrait der Regisseurin.<br />
s Die deutsche Regisseurin Monika Treut ist überwiegend<br />
als Dokumentarfilmerin bekannt und hat sich<br />
bereits in den achtziger und neunziger Jahren mit Themen<br />
wie Transgender, Bondage oder SM filmisch auseinandergesetzt.<br />
Das, was heute in den Blättern der yellow<br />
Press kaum noch für Aufsehen sorgt, verstörte vor zwanzig<br />
Jahren die Öffentlichkeit, und Monika Treut hat mit<br />
ihrem bisweilen surrealistischen – aber immer humorvollen<br />
– Stil diese Verstörung noch zusätzlich gefördert.<br />
Sie hatte immer schon ein Händchen für die originelle<br />
Darstellung von Menschen jenseits des Mainstreams.<br />
Beispielsweise produzierte sie den ungewöhnlichen<br />
Dokumentarfilm Didn’t Do It for Love über Eva Norvind<br />
aka Mistress Ava Taurel aka Eva Johanne Chegodaieva<br />
Sakonskaya: Adlige, Schauspielerin, Sexsymbol, Domina<br />
und Universitätsdozentin. Ein Leben, wie es eigentlich<br />
nur in einem Roman erfunden werden kann, und das<br />
Monika Treut wie keine Zweite in eindrucksvollen Bildern<br />
nacherzählte. Es tat gut, zu sehen, dass es solche<br />
unangepassten Menschen wie Eva Norvind gab, die sich<br />
bewusst gegen gesellschaftliche Zwänge stellten und<br />
ihr Leben kreativ und grenzüberschreitend inszenierten.<br />
Genau so individuell gestaltete sich allerdings auch<br />
der Tod der Dominatrix, denn sie ertrank eine Woche<br />
nach ihrem 62. Geburtstag an der Küste Mexikos, die für<br />
einige Jahre ihre Wahlheimat war und der sie sich immer<br />
zugehörig gefühlt hatte.<br />
Monika Treut hatte durch ihre internationale Arbeit<br />
– wobei die USA hier ihr bevorzugter Tummelplatz war<br />
– immer die Gender-Nase vorn, denn sie bearbeitete<br />
das Thema Trans* zu einem Zeitpunkt, als es hier in<br />
Deutschland in feministischen Kreisen eine absolute No-<br />
Go-Area war. Während ihr Dokumentarfilm Female Misbehavior<br />
dank eines geschickt eingesetzten Spekulums<br />
den tiefen Einblick in Annie Sprinkle gewährte, erklärte<br />
Schnellrednerin, Quasselstrippe und Frauentheoretikerin<br />
Camille Paglia: „Haltet euch raus aus unserem Sexualleben!“,<br />
und F2M Max Valerio war gerade mitten drin,<br />
sich zum Mann umbauen zu lassen. Sieben Jahre später<br />
konnte man in Gendernauts erfahren, dass in Los Angeles<br />
ein reger Transgender-Tourismus eingesetzt hatte,<br />
und bei Max wenigstens schon die Brüste ab waren, auch<br />
wenn der Schwanz erst eine Länge von fünf Zentimetern<br />
erreicht hatte – aber die Länge ist ja bekanntlich nicht so<br />
wichtig. Ach, und natürlich nicht zu vergessen die schrägen<br />
Spielfilme Die Jungfrauenmaschine oder My Father Is<br />
Coming. Was haben wir gelacht!<br />
Gerade hat Monika Treut ihren neuen Spielfilm Ghosted<br />
im Berlinale Panorama vorgestellt. Wie bereits in ihrer<br />
letzten Arbeit, Den Tigerfrauen wachsen Flügel, beschäftigt<br />
sie sich mit Taiwan, und plötzlich hat man das Gefühl,<br />
Treut ist sehr, sehr reif geworden. In schönen, bisweilen<br />
asketischen Bildern lässt sie ein Beziehungsdrama zwischen<br />
Hamburg und Taipeh, zwischen der Vergangenheit<br />
und der Gegenwart entstehen, das als Mixtur aus Krimi,<br />
Liebesfilm und Mystery-Thriller inszeniert ist. Erstaunlich<br />
brav werden hier zwar die Sexszenen zwischen der<br />
Video-Künstlerin Sophie Schmitt (Inga Busch) und der<br />
jungen Taiwanesin Ai-Ling (Huan-Ru Ke) gezeigt, die<br />
absolut nichts mit Bondage, SM oder Pornographie zu<br />
tun haben, aber das ist nicht weiter schlimm, denn Treut<br />
scheint sich an diesen Themen in der Vergangenheit mehr<br />
als abgearbeitet zu haben. Stattdessen ist ein spannender<br />
Spielfilm entstanden – Treut reloaded, aber mit anderer<br />
Munition. Die sieht nämlich eine zarte und dennoch leidenschaftliche<br />
Beziehung von zwei Frauen vor, die sehr<br />
märchenhaft und klischeehaft schön dargestellt wird.<br />
Allerdings trübt sich bald der Himmel voller Geigen, da<br />
Ai-Ling besessen von der Suche nach ihrem leiblichem<br />
Vater ist, und Sophie die Art ihres Zusammenlebens bald<br />
zu eng wird. Hier prallen unterschiedliche kulturelle<br />
Lebensentwürfe aufeinander, die auch durch die tiefe<br />
Liebe kaum aufgehoben werden können. Westlicher Individualismus<br />
versus östlichem Gemeinschaftsgefühl führt<br />
die beiden Liebenden in ihre erste große Krise. Während<br />
Sophie vor der einengenden Symbiose flieht, versucht Ai-<br />
Ling sich in ihrer neuen – ungewollten – Freiheit zurechtzufinden.<br />
Ein Ausflug in eine Lesbenbar lässt sie auch<br />
direkt auf die blondierte Rechtsanwältin Katrin Bendersen<br />
(Jana Schulz) treffen, die sofort von ihr entflammt ist.<br />
Auf dem gemeinsamen Heimweg geschieht jedoch etwas<br />
Unfassbares, und Sophies Anruf auf der Mailbox ist das<br />
Letzte, was Ai-Ling noch zu hören bekommt …<br />
Die neue Monika Treut tut richtig gut, und sie vermittelt<br />
– neben der spannenden und mystischen Rahmenhandlung,<br />
die die Grenze von Fiktion und Realität<br />
manches Mal verwischt, – ein tiefsinniges Porträt von<br />
Taiwan, das zwischen Moderne und Tradition hin- und<br />
hergerissen ist. Trotz aller kultureller Unterschiede zeigt<br />
der <strong>Film</strong> jedoch vor allem eines: Liebe ist universell und<br />
kümmert sich nicht um gesellschaftliche Normen.<br />
Monika Treut<br />
Monika Treut studierte in Marburg<br />
Germanistik und politik (Staatsexamen<br />
1978) und promovierte 1984 mit der<br />
Dissertation „Die grausame Frau. Zum<br />
Frauenbild bei de Sade und Sacher<br />
Masoch“. im selben Jahr gründete sie<br />
mit der Regisseurin und Kamerafrau<br />
Elfi Mikesch die Hyäne <strong>Film</strong>produktion<br />
in Hamburg. nach einer Theaterregie-<br />
Assistenz bei Werner Schroeter am<br />
Düsseldorfer Schauspielhaus lebte<br />
Monika Treut von 1989 bis 1992 in<br />
new York, wo u.a. der Spielfilm „My<br />
Father is Coming“ entstand. ihre<br />
Spiel- und Dokumentarfilme erhielten<br />
preise in italien, brasilien, England<br />
und Griechenland. Retrospektiven<br />
haben bisher in Cambridge, bologna,<br />
Los Angeles, Toronto, Mexiko City,<br />
Lissabon, Thessaloniki, Sao paolo,<br />
Helsinki, Taipeh, Warschau und prag<br />
stattgefunden. Sie unterrichtet an<br />
Universitäten in Kalifornien und new<br />
York und schreibt beiträge für bücher<br />
und Zeitschriften. Monika Treut<br />
ist inhaberin der produktionsfirma<br />
Hyena <strong>Film</strong>s in Hamburg.<br />
ghosted<br />
von Monika Treut<br />
D/TW 2009, 89 Min, OmU<br />
Edition Salzgeber,<br />
www.salzgeber.de<br />
im Kino<br />
Bundesstart 30. April 2009<br />
L-<strong>Film</strong>nacht im April<br />
www.l-filmnacht.de<br />
6 7<br />
kino