08.07.2014 Aufrufe

Magazin für den nicht-heterosexuellen Film - Sissy

Magazin für den nicht-heterosexuellen Film - Sissy

Magazin für den nicht-heterosexuellen Film - Sissy

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Magazin</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>nicht</strong>-<strong>heterosexuellen</strong> <strong>Film</strong><br />

Ausgabe neunzehn · September bis November 2013 · kostenlos<br />

s Wasserspiele: Eigenwilliger Zauber der Cruising-Welt s Floh im Korsett: Rein pragmatische Lüge s Wärmebecken: Wild um sich schlagendes<br />

Herz s Mann im Mund: Der Tanz des Lebens s Hochtemperiertes Klavier: Talmi, Flitter und Nippes s Explosives Gemisch: Verschmolzen<br />

mit der Naturkulisse s Tourismus: Kein Platz <strong>für</strong> Grit s Transiträume: Die Schönheit verstummender Worte s Haus und Garten: Ordnung der<br />

sozialen Dinge s Schlag in die Fresse: Gedankenverloren ein paar Erbsen essen s Pappritzer & Putzi: Ins Archiv eingegraben s Innenaufnahme:<br />

Sanftes Leder s Zu Gast: Liebe auf der Tonspur s In der Mikrowelle: Amazed, happy, tired, sad s <strong>Film</strong>verstehertypologie: Madonna ist schuld!


vorspann<br />

<strong>Sissy</strong> neunzehn<br />

Was können Bilder, was können <strong>Film</strong>e bewirken? In Russland, dem<br />

Land des schwulen Pionierfilmemachers Sergej M. Eisenstein, bei<br />

dem die meisten, wenn sie Panzerkreuzer Potemkin hören, an einen<br />

Kinderwagen auf der Treppe in Odessa <strong>den</strong>ken, ein paar andere aber<br />

an halbnackte Matrosen, wer<strong>den</strong> seit einiger Zeit Bilder, die in <strong>nicht</strong><strong>heterosexuellen</strong><br />

Kontexten entstehen, als Pornografie und Jugendgefährdung<br />

verboten. Das ist <strong>nicht</strong> neu. Ein anderer berühmter <strong>Film</strong>emacher,<br />

Sergej Paradschanow, wurde erstmals 1947 aufgrund seiner<br />

Homosexualität verhaftet, 1974 schließlich zu fünf Jahren schwerer<br />

Lagerhaft verurteilt und mit Berufsverbot belegt. Damals engagierten<br />

sich Antonioni, Fellini und Rosselini <strong>für</strong> ihren Kollegen. Heute<br />

engangiert sich Madonna <strong>für</strong> die ebenfalls<br />

aus dem Medienblick ins Lager verbannten<br />

Aktionskünstlerinnen von Pussy Riot. Und<br />

Tilda Swinton, die sich schon mit Derek<br />

Jarman zusammen in <strong>den</strong> 1980ern mit der<br />

Thatcher-Regierung anlegte, hält vor dem<br />

Kreml eine Regenbogenflagge hoch, lässt<br />

sich dabei von ihrem Freund fotografieren<br />

und injiziert dieses Bild in die Medienöffentlichkeit.<br />

Dieses Bild wird verbreitet, es<br />

steht gegen Folter- und Diskriminierungsbilder,<br />

die junge Schwule zeigen, <strong>den</strong>en die<br />

Bürgerrechte entzogen sind. Pride-Märsche<br />

sind verboten, eine entsprechende Medienpräsenz<br />

russischer Homosexueller wird es<br />

<strong>nicht</strong> mehr geben.<br />

Dem Side-by-Side-Festival in St. Petersburg,<br />

das seit 2008 gegen großen Widerstand<br />

versucht hat, internationale queere<br />

<strong>Film</strong>e einer russischen Öffentlichkeit<br />

vorzustellen, ist die Unterstützung aus dem Westen zum Verhängnis<br />

gewor<strong>den</strong>. Es wurde als Werkzeug und Projekt „ausländischer<br />

Agenten“ sprach- und bildlos gemacht. Die reiche Auswahl aktueller<br />

queerer <strong>Film</strong>e, die im vorliegen<strong>den</strong> Heft vorgestellt wird, wird höchstens<br />

noch auf klandestinem Weg nach Russland fin<strong>den</strong>. Bildverbot.<br />

Schwarzblende.<br />

Können bei uns Bilder wie das einer regenbogenfahnenschwingen<strong>den</strong><br />

Tilda Swinton das Medieninteresse zumindest so lange wach<br />

halten, dass sich die bildüberflutete weltweite Öffentlichkeit der<br />

Ungerechtigkeiten bewusst bleibt?<br />

Sandro Kopp<br />

Die letzten Preisträger des Side-by-Side-Festivals 2012 waren: Beauty<br />

von Oliver Hermanus, Call Me Kuchu von Malika Zouhali-Worrall<br />

und Katherine Fairfax Wright, La Duche von Maria José San Martín<br />

und Codebreaker von Clare Beavan. Auf www.bok-o-bok.ru kann man<br />

<strong>für</strong> <strong>den</strong> Erhalt des Festivals spen<strong>den</strong>.<br />

Titelbild: „Liberace – Zuviel des Guten ist wundervoll" von Steven Soderbergh (Seite 26)<br />

titelbild: dcm<br />

Wenn Sie SISSY kostenlos abonnieren möchten: E-Mail an abo@sissymag.de<br />

sissy 19 3


mein dvd-regal<br />

Christian Horn, <strong>Film</strong>journalist<br />

Ginevra Paolovna<br />

4 sissy 19 sissy 19 5


kino<br />

kino<br />

Könige des Verweilens<br />

von Sascha Westphal<br />

Selten war die internationale <strong>Film</strong>kritik so sehr über <strong>den</strong> Anblick nackter schwuler Männer aus dem<br />

Häuschen wie nach der Uraufführung von Alain Guiraudies Cruising-Choreographie „Der Fremde am<br />

See“ in Cannes. Eine deutsche Kritikerin meinte gar verzückt, sie hätte noch nie so viele männliche<br />

Genitalien auf einmal gesehen. Guiraudie, der seit einiger Zeit skurrile queere Geschichten aus der<br />

französischen Provinz erzählt und damit schon lange ein Festival-Geheimtipp war, ist damit endgültig<br />

der Durchbruch gelungen. Unser Autor folgt seinen Wegen der Sehnsucht und Pfa<strong>den</strong> des Lebens.<br />

alamode film<br />

s Südfrankreich im Hochsommer. Das Sonnenlicht bricht sich auf<br />

der Oberfläche eines Sees. Glitzernde Reflexionen tanzen zauberisch<br />

über das Wasser. Ein Schauspiel der Natur, von erhabener Schönheit,<br />

verführerisch, blen<strong>den</strong>d. Dazu weht meist ein leichter, gelegentlich<br />

auch mal anschwellender Wind über <strong>den</strong> See und durch <strong>den</strong> ihn umgeben<strong>den</strong><br />

Streifen Wald. Ein stetes Rauschen der Blätter und Zweige<br />

erfüllt die Luft, Musik der Sphären, ein kosmisches Konzert. Der See,<br />

die kleine Bucht mit ihrem leicht ansteigen<strong>den</strong> Kieselstrand, der sich<br />

daran anschließende Wald samt Anhöhe, von der aus sich ein herrlicher<br />

Blick bietet. Ein von der Zeit weitgehend unberührtes, ursprüngliches<br />

Idyll und zugleich die perfekte Bühne <strong>für</strong> die Männer, die hier<br />

Sommertag <strong>für</strong> Sommertag hinkommen, zum Sonnen und Schwimmen,<br />

zum Re<strong>den</strong> und Schweigen, aber vor allem zum Cruising.<br />

Diese Bühne der Natur ist die Welt, ein Mikrokosmos der Lei<strong>den</strong>schaften<br />

und Wünsche, der Emotionen und Obsessionen. Nicht ein<br />

einziges Mal verlässt Alain Guiraudie dieses genau umrissene Terrain.<br />

Die Wege führen von dem kleinen Parkplatz am Rand des Waldstücks<br />

zum See, vom Strand in <strong>den</strong> Wald. Alles, was jenseits dieses<br />

kleinen Frei-Raums der Begegnungen und der Begier<strong>den</strong> geschieht,<br />

bleibt ausgeblendet. Es gibt ein Leben in der anderen Welt; und auch<br />

dort treffen sich Guiraudies Protagonisten gelegentlich, zu einem<br />

Abendessen oder auf einen Drink in der Happy Hour. Aber hier am<br />

See haben die gemeinsamen Minuten, die manchmal auch zu Stun<strong>den</strong><br />

wer<strong>den</strong>, eine andere Bedeutung.<br />

In „The Sexual Outlaw“, seiner 1977 erschienenen ‚Dokumentation‘,<br />

beschreibt John Rechy die cruising spots im Los Angeles<br />

der 70er Jahre mit einer überwältigen<strong>den</strong> Detailliebe. Der verlassene<br />

und verfallende Pier am Strand von Santa Monica, der kleine,<br />

in <strong>den</strong> Nachtstun<strong>den</strong> so beliebte Greenstone Park und der Griffith<br />

Park mit seinen verwinkelten Wegen und seinen versteckten Lichtungen.<br />

Orte, an <strong>den</strong>en eine gesteigerte Wahrnehmung alles, das<br />

Licht und die Schatten, <strong>den</strong> Sand und die Sträucher, die Geräusche<br />

und die Gerüche, überhöht. Der Rausch der Freiheit, <strong>den</strong> Rechy so<br />

eindringlich beschreibt, vermischt sich in jenen Jahren immer auch<br />

mit dem Taumel der Bedrohung. Ein Leben „in threat of law“, wie es<br />

Marc Almond in seinem Song „I’ve Never Seen Your Face“ heraufbeschwört.<br />

Die Wirklichkeit wird hyperreal, Alltägliches erscheint<br />

überlebensgroß.<br />

Die enorme Intensität eines Lebens jenseits bürgerlicher Normen,<br />

die in Rechys akribischen Beobachtungen und Beschreibungen ihren<br />

Ausdruck findet, erfüllt auch Guiraudies Der Fremde am See. Die<br />

Konzentration auf die wenigen Schauplätze am See geht einher mit<br />

einer beinahe pantheistischen Aufmerksamkeit <strong>für</strong> ihre Wesen. Das<br />

Raunen des Windes, das durch Schritte verursachte Knirschen der<br />

Kiesel am Strand, die Art, in der sich das Gras im Wald hin und her<br />

wiegt, der Lärm eines Flugzeugs, das unsichtbar bleibt, die Motorengeräusche<br />

auf dem Parkplatz, aber auch die achtlos weggeworfenen<br />

Kondome, die unter <strong>den</strong> Bäumen liegen. Guiraudie fängt jede noch so<br />

kleine Einzelheit ein und schenkt ihr Beachtung. Alles ist bedeutsam<br />

in <strong>den</strong> nachmittäglichen Stun<strong>den</strong> am See, schließlich ist hier auch<br />

alles möglich. No threat of law. Doch die Intensität des Lebens und die<br />

Wucht der Gefühle bringen ihre eigene Drohung mit sich, zumindest<br />

<strong>für</strong> <strong>den</strong> von Pierre Deladonchamps gespielten Franck.<br />

Zehn Tage lang begleitet Guiraudie <strong>den</strong> attraktiven jungen Mann,<br />

der einmal erzählt, dass er lange Zeit Gemüse und Obst auf Märkten<br />

verkauft hat, bei seinen Streifzügen am See. Einige Bilder kehren<br />

immer wieder. Fast jeder Tag beginnt mit einem Blick aus erhöhter<br />

Position auf <strong>den</strong> improvisierten Parkplatz. Der Totale, die Francks<br />

Ankunft registriert (er parkt seinen Wagen jedes Mal in der Nähe desselben<br />

Baums) folgt jedes Mal eine subjektive Einstellung: Der Neuankömmling<br />

lässt seinen Blick über <strong>den</strong> Strand schweifen und wird<br />

seinerseits von <strong>den</strong> Anwesen<strong>den</strong> taxiert. Ein Ritual, das sich jedes<br />

Mal von neuem wiederholt. Jeder hier ist auf die eine oder andere<br />

Art auf der Suche. Die mal abschätzen<strong>den</strong>, mal fragen<strong>den</strong>, mal hoff-<br />

6 sissy 19 sissy 19 7


kino<br />

Streichelt euch!<br />

Ein Gespräch mit Alain Guiraudie.<br />

kino<br />

nungsvollen oder auch nur flüchtigen Blicke sind Teil einer komplexen<br />

Dynamik, die sich mit Francks Erscheinen verändert. Gleich am<br />

ersten Nachmittag wird er zwei Bekanntschaften machen und damit<br />

alles Weitere in Gang setzen.<br />

Henri (Patrick d’Assumçao), der etwas abseits sitzt und <strong>nicht</strong><br />

die geringsten Anstalten macht, auf die anderen zuzugehen, fällt<br />

Franck zum ersten Mal vom Wasser aus auf. Er schwimmt zu dem<br />

korpulenten Mittvierziger hinüber, geht an Land und setzt sich zu<br />

ihm. Noch während sie sich unterhalten, bemerkt Franck einen anderen<br />

Schwimmer, <strong>den</strong> athletisch gebauten Michel (Christophe Paou),<br />

der gerade wieder ans Ufer gekommen ist, sich Shorts anzieht und<br />

in Richtung Wald verschwindet. Franck ist in diesem Moment wie<br />

verzaubert. Etwas an Michel zieht ihn unwiderstehlich an. Also verlässt<br />

er Henri überstürzt und folgt dem anderen. Schließlich findet er<br />

ihn im hohen Gras unter einem der Bäume. Nur ist das Objekt seiner<br />

Begierde bereits mit einem anderen zusammen. Während die bei<strong>den</strong><br />

sich küssen und miteinander schlafen, wirft Michel allerdings einen<br />

Blick zu Franck hinüber und lächelt ihm kurz zu. Das Interesse ist<br />

beiderseitig, der erste Schritt gemacht.<br />

Das Versprechen dieses kurzen Augenkontakts, mit dem Michel<br />

sich letztlich schon von seinem Partner gelöst hat, wird sich <strong>für</strong><br />

Franck erst zwei Tage später erfüllen. Am nächsten Nachmittag<br />

spricht er zwar kurz mit dem nackt am Strand liegen<strong>den</strong> Michel.<br />

Doch bevor etwas passieren könnte, kommt Philippe, der Mann aus<br />

dem Wald, dazwischen. Als die Abenddämmerung heraufzieht, wird<br />

Franck von der Anhöhe aus Zeuge einer Gewalttat. Was zunächst<br />

noch wie ein übermütiges Spiel unter Freun<strong>den</strong> wirkt, nimmt plötzlich<br />

bedrohlichere Züge an. Michel schwimmt ans Ufer.<br />

Guiraudie bleibt die ganze Zeit über bei Franck und beobachtet<br />

das Geschehen aus seiner Perspektive. Diese eine lange Einstellung<br />

lässt kaum einen Zweifel zu, und doch hat sie etwas beinahe Irreales.<br />

Von diesem Moment an geht ein Riss durch Franck. Die Augen<br />

sehen das eine, das Herz sagt etwas anderes. Natürlich verändert sich<br />

sein Blick auf Michel. Nicht ohne Grund versteckt er sich im Wald,<br />

bis der andere weggefahren ist. Aber sein Begehren und seine Sehnsucht<br />

bleiben. Sie sind so stark, dass er sich schon einen Tag später auf<br />

eine Affäre mit Michel einlässt. Weder dessen emotionale Distanz (er<br />

ist <strong>nicht</strong> bereit, einen Abend oder gar eine Nacht mit Franck zu verbringen),<br />

noch die Warnungen und Mahnungen, mit <strong>den</strong>en Henri ihn<br />

davon überzeugen will, dass Sex alleine auf Dauer nieman<strong>den</strong> glücklich<br />

macht, zeigen Wirkung. Franck steht so sehr im Bann seiner eigenen<br />

Lust, dass er ihr immer wieder nachgibt. Selbst als die Polizei in<br />

Gestalt von Inspecteur Damroder (Jérôme Chappatte) Ermittlungen<br />

am See aufnimmt, spricht Franck <strong>nicht</strong> über das, was er gesehen hat.<br />

Zwischen Francks Wissen und seinem Verlangen klafft ein riesiger,<br />

immer größer wer<strong>den</strong>der Abgrund, in dem schließlich alles,<br />

sogar die Welt, verschwin<strong>den</strong> wird. Aber <strong>nicht</strong> nur er, der sieht und<br />

doch blind begehrt, will das eine <strong>nicht</strong> mit dem anderen vereinen.<br />

Der Fremde am See ist selbst ein Ausdruck dieses Widerspruchs.<br />

Wie Franck sieht auch Guiraudie alles. Sein Blick auf diesen Cruising-Ort<br />

und seine Rituale nähert sich in seiner radikalen räumlichen<br />

Beschränkung und seinem konsequenten Verzicht auf Musik dem<br />

Dokumentarischen so weit wie nur eben möglich an. Zugleich fügen<br />

sich der See und der angrenzende Wald aber auch perfekt in die Topographie<br />

des Verwunschenen ein, die sein Kino schon seit längerem<br />

prägt. So trägt die südfranzösische Provinz in Der König der Fluchten,<br />

Guiraudies vorherigem <strong>Film</strong>, ganz deutlich märchenhafte Züge. Es<br />

ist, als ob das strahlende Sonnenlicht die Menschen von der Last der<br />

Konventionen befreit. So haben in dieser bizarren Komödie um <strong>den</strong><br />

Traktorenverkäufer Armand, einen ziemlich korpulenten 43-jährigen<br />

Schwulen, in <strong>den</strong> sich eine 16-Jährige unsterblich verliebt, nahezu<br />

alle homoerotische Neigungen. Selbst der Kommissar, der lange Zeit<br />

als Repräsentant einer mehr oder weniger bürgerlichen Normalität<br />

fungiert und das seltsame Treiben der anderen mit distanziertem<br />

Interesse zu verfolgen scheint, landet schließlich mit Guiraudies Hel<strong>den</strong><br />

und zwei anderen Männern im Bett. Homosexualität ist in der<br />

Welt dieses <strong>Film</strong>s genauso selbstverständlich wie das Begehren, das<br />

ein junges Mädchen <strong>für</strong> einen deutlich älteren und alles andere als<br />

attraktiven Mann empfindet. Die Liebe, oder zumindest die Lust ist<br />

in Guiraudies Werk tatsächlich meist blind.<br />

Francks wie auch Michels Begierde bewegen sich in deutlich<br />

konventionelleren Bahnen. Ihr sich am Körper des jeweils anderen<br />

entzün<strong>den</strong>des Begehren spiegelt durchaus Realitäten wieder. In <strong>den</strong><br />

kurzen, eher angedeuteten Cruising-Szenen in Der König der Fluchten<br />

herrschte noch ein anderer Geist. Armand bekannte sich in ihnen<br />

freimütig zu seiner Vorliebe <strong>für</strong> ältere Männer, und Guiraudie träumte<br />

von einer von allen Äußerlichkeiten befreiten Lust. Doch unterschwellig<br />

erfüllt dieser utopische Gedanke auch <strong>den</strong> neuen <strong>Film</strong>. Nur trennt<br />

Guiraudie das Körperliche schärfer von allen anderen Sehnsüchten<br />

und Begier<strong>den</strong>. Mit der größten Selbstverständlichkeit überhaupt<br />

wer<strong>den</strong> Franck und Henri innerhalb kürzester Zeit zu Freun<strong>den</strong>, die<br />

sich letztlich näher stehen als Liebende. Dabei erweist sich die zwischen<br />

ihnen bestehende platonische Zuneigung auf ihre Art als ebenso<br />

mächtig wie die erotische Anziehung zwischen Franck und Michel.<br />

Ein eigenwilliger Zauber liegt über dieser in sich abgeschlossenen<br />

Cruising-Welt. Ein Zauber, <strong>den</strong> schließlich Henri mit seinen letzten<br />

Worten benennen wird: „Lass es gut sein. Ich habe bekommen, was<br />

ich wollte.“ Hier am See findet tatsächlich jeder, was er sucht und<br />

begehrt. Eric, der die Paare im Wald am liebsten beobachtet und sich<br />

dabei selbst einen herunterholt, wird von <strong>den</strong> anderen zwar immer<br />

wieder weggeschickt. Aber schließlich gewährt Guiraudie auch ihm,<br />

der von Franck geradewegs besessen zu sein scheint und immer wie-<br />

der in dessen Nähe auftaucht, einen Moment der Erfüllung. Nur <strong>für</strong><br />

<strong>den</strong> einen wahren Außenseiter, <strong>den</strong> Polizisten Damroder, der wie<br />

schon der Kommissar in Der König der Fluchten ein Mittler zwischen<br />

<strong>den</strong> in ihrem ganz eigenen Kosmos kreisen<strong>den</strong> Figuren und<br />

dem Zuschauer ist, gibt es keinen solchen Moment. Er, der in seiner<br />

Steifheit und seiner scheinbaren Naivität etwas ebenso Groteskes wie<br />

Anrührendes hat, wird einfach ausgelöscht.<br />

Für einen Moment scheint der <strong>Film</strong>, der nach dem gewalttätigen<br />

Vorfall beharrlich mit Thriller-Konventionen kokettiert, sie aber<br />

immer wieder unterläuft, endgültig umzukippen und sich in einen<br />

Slasher zu verwandeln. In diesem Augenblick ist er William Friedkins<br />

Cruising, der auch vorher schon über ihm schwebte, mit einmal<br />

ganz nah, nur um sich dann endgültig aus seinem Schatten zu<br />

lösen. Es wird dunkel, die Nacht senkt sich über <strong>den</strong> Wald. Guiraudie<br />

bleibt bei Franck, der Michel wie schon einmal am Abend des<br />

zweiten Tages ausweicht. Er reagiert <strong>nicht</strong> auf dessen Rufe, aber er<br />

flieht auch <strong>nicht</strong>. Er, der seine Lust von Anfang an ohne Be<strong>den</strong>ken<br />

und auch ohne Angst ausleben will, der auf ungeschützten Sex steht<br />

und sich in die Hand eines Mörders begibt, verschwindet einfach im<br />

Schwarz des Abspanns. Am Ende von Der König der Fluchten liegen<br />

vier Männer gemeinsam im Bett. Jeder wird mit jedem schlafen, ein<br />

Traum von Freiheit, der in Erfüllung geht. Am Ende von Der Fremde<br />

am See verlieren oder – und das ist bei Guiraudie nur eine Frage<br />

der Perspektive – fin<strong>den</strong> sich vier Männer in einem Wald. In dem<br />

Moment, in dem das Bild schwarz wird, scheint noch einmal alles<br />

möglich. Mit Moral oder Psychologie ist diesem Ende genauso wenig<br />

beizukommen wie dem von Der König der Fluchten. Das eine wie<br />

das andere löst sich auf in diesen Utopien der Lust, die alle Grenzen<br />

überschreiten.<br />

s<br />

Der Fremde am See<br />

von Alain Guiraudie<br />

FR 2013, 97 Minuten, deutsche SF<br />

und französische OmU<br />

Alamode <strong>Film</strong>,<br />

www.alamodefilm.de<br />

Im Kino in der Gay-<strong>Film</strong>nacht im<br />

September, www.Gay-<strong>Film</strong>nacht.de<br />

Kinostart: 19. September 2013<br />

Der König der Fluchten<br />

von Alain Guiraudie<br />

FR 2009, 90 Minuten,<br />

französische OF mit deutschen UT<br />

Auf DVD bei der Edition<br />

Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

alamode film (3)<br />

sissy: Lieber Herr Guiraudie, ist das <strong>nicht</strong> eigentlich das komplette<br />

Spektrum schwuler Männlichkeiten, was Sie da an diesem See versammeln?<br />

Alain Guiraudie: Nun, es gibt drei Hauptfiguren: Franck, der Frivole,<br />

Michel, der Libertinäre und Henri, der auf der Suche nach<br />

rein platonischer Freundschaft ist. Aber Sie haben Recht, um sie<br />

herum gibt es <strong>den</strong> Voyeur, das Paar, das immer zusammen kommt<br />

und geht, <strong>den</strong> Ehemann, der sich mal eine Auszeit vom Hetero-<br />

Alltag gönnt … und natürlich <strong>den</strong> Typen, der ohne Gummi noch<br />

<strong>nicht</strong> mal blasen will.<br />

Wie kommt man eigentlich auf eine solche Idee, schwules Cruising<br />

zu einem <strong>Film</strong>thema zu machen?<br />

Eigentlich sollte das ein <strong>Film</strong> über die Liebe und die Lieben<strong>den</strong><br />

wer<strong>den</strong>, ganz davon abgesehen, dass ich mich mit meiner eigenen<br />

Sexualität auseinandergesetzt habe. Mir ging es vor allem darum,<br />

einen Mikrokosmos zu zeigen, in dem sich schwule Männer frei<br />

bewegen und lieben. Für mich ist es ein <strong>Film</strong> im Licht der sexuellen<br />

Befreiung. Ende der 1960er Jahre gab es in Frankreich eine<br />

Gruppe schwuler und lesbischer AktivistInnen namens Front<br />

homosexuel d’action révolutionnaire, die einen Slogan hatte: „Proletarier<br />

aller Länder, streichelt euch!“ Es ging um eine sexuelle<br />

Befreiung <strong>für</strong> alle. Heute kämpfen sie dagegen <strong>für</strong> die Homo-Ehe …<br />

Es war schon immer eine Mär, dass die Schwulen automatisch<br />

progressiver sind. Und das Ideal der sexuellen Befreiung hat sich<br />

zu einer Diktatur gewandelt, man muss dauernd Befriedigung fin<strong>den</strong><br />

und das Ganze ist zu einer großen Industrie verkommen. Das<br />

Cruising hat sich von frei zugänglichen Orten zu kommerziellen<br />

verlagert, wo man Eintritt zahlen und sich auf eine festgelegte Art<br />

verhalten muss. Ja, Schwule und Lesben sind akzeptierter, aber sie<br />

haben auch einen Preis da<strong>für</strong> bezahlt.<br />

Deshalb wirkt ja auch der See in Zeiten von schwulen Sexportalen<br />

wie Gaydar, Grindr oder Scruff fast wie eine untergegangene Welt.<br />

Bei Ihnen laufen die Männer durch die Büsche, während die meisten<br />

heute auf ihr Handydisplay starren.<br />

Mir gefällt diese Situation, die Begegnungen, die Verführung.<br />

Aber es ist keine Nostalgie, weil diese Orte immer noch existieren,<br />

auch wenn es immer weniger wer<strong>den</strong>.<br />

Expliziten Sex zeigen Sie, weil …<br />

… weil zur Liebe und Lei<strong>den</strong>schaft auch der Sex gehört, und <strong>den</strong><br />

gibt es eben <strong>nicht</strong> ohne Geschlechtsorgane. Die großen romantischen<br />

Gefühle und der triviale Sexakt, beides ist gleichberechtigt.<br />

Und Sex ist auch <strong>nicht</strong>s Schmutziges, eine Ejakulation ist doch<br />

sehr schön. Diese Szenen sind <strong>nicht</strong> simuliert, aber ich habe sie<br />

von Doubles ausführen lassen.<br />

Es gibt ja mittlerweile mehrere <strong>Film</strong>emacher wie Travis Matthews,<br />

die Erektionen und echten Sex in Spielfilmen zeigen …<br />

Das wurde aber auch höchste Zeit!<br />

Folgen Franck und die Männer, die auf Verhütung verzichten, in<br />

diesem Paradies, auf das ein Schatten fällt, einem Todestrieb?<br />

Mit einem Todestrieb hat das <strong>nicht</strong>s zu tun. Ein Kondom ist<br />

schlicht kein Instrument der Lei<strong>den</strong>schaft. Es geht um <strong>den</strong><br />

Wunsch, Lei<strong>den</strong>schaft bis zum Letzten auszukosten, alle Grenzen<br />

einzureißen. Das gilt auch <strong>für</strong> Franck. Ich glaube <strong>nicht</strong>, dass er<br />

nach der Gefahr sucht, sondern seine Lust ist stärker als die Angst<br />

vor dem Tod.<br />

s<br />

Interview: Thomas Abeltshauser<br />

8 sissy 19 sissy 19 9


kino<br />

kino<br />

s Wir schreiben das späte 19. Jahrhundert. Im Dubliner Nobelhotel<br />

Morrisson’s arbeitet ein introvertierter Butler namens Albert Nobbs.<br />

Er kennt die geheimen Ausschweifungen aller Gäste, doch sein eigenes<br />

Geheimnis kennt niemand: Nicht einmal die engsten Kollegen ahnen,<br />

dass sich unter der schicken Uniform eine Frau verbirgt. Um der Armut<br />

zu entgehen, die einer unverheirateten Dame der damaligen Gesellschaft<br />

blühen würde, verwandelt sie sich Tag <strong>für</strong> Tag in Kellner Nobbs<br />

(kaum wiederzuerkennen mit kurzen roten Haaren und ungeschminkten<br />

Sommersprossen: Hollywood-Star Glenn Close).<br />

Nirgendwo sonst offenbart sich der Klassenunterschied so eklatant<br />

wie in Morrisson’s Interieur, wo der britische Adel seine Langeweile<br />

regelmäßig im Champagner ertränkt. Nichts hier ist wie es<br />

aussieht, weder die Großherzigkeit der Hotelbesitzerin Mrs. Baker<br />

(Pauline Collins), noch die mit einer Horde gackernder Verehrerinnen<br />

aufkreuzen<strong>den</strong> jungen Aristokraten, die am nächsten Morgen nackt<br />

aus <strong>den</strong> gleichen Federn steigen. Nur der unscheinbare Albert Nobbs<br />

scheint über je<strong>den</strong> Zweifel erhaben. Ein wenig an Charlie Chaplin<br />

erinnernd, wankt dieser Pinguin durch seinen<br />

Gastronomie-Alltag, der stets mit dem<br />

gleichen Ritual endet: Unter einer losen Diele<br />

in ihrer Dachkammer versteckt Nobbs ihr<br />

Trinkgeld, über das sie akribisch Buch führt.<br />

Eines schönen Tages, so träumt sie, will sie<br />

im leer stehen<strong>den</strong> La<strong>den</strong>lokal nebenan ein<br />

Tabakgeschäft eröffnen.<br />

Jahrelang hat sie eisern gespart, doch alle<br />

Pläne geraten aus dem Takt, als ihre knauserige<br />

Chefin <strong>den</strong> Maler Hubert Page bei ihr<br />

einquartiert. Prompt fliegt die Maskerade<br />

auf – ausgerechnet wegen eines Flohs, der<br />

sich in Nobbs’ Korsett verirrt hat. Page komplettiert<br />

das Gefühlschaos noch, indem der<br />

Handwerker sich selbst als Frau zu erkennen<br />

gibt. Sie eröffnet der überrumpelten Nobbs<br />

eine gänzlich neue Perspektive auf ihr Rollenspiel.<br />

Denn während Nobbs die Männlichkeit<br />

nur als schützende Tarnjacke nutzt, die<br />

ihr Sicherheit und Anonymität gewährt, ist<br />

Page (JanetMcTeer) ein wahrer Lebemann:<br />

Als ketterauchende Butch genießt sie offen<br />

die Privilegien ihrer Täuschung, wozu auch<br />

die Existenz einer devoten Ehefrau zählt.<br />

Fremde<br />

Haut<br />

von Maike Schultz<br />

„Wie heißt du?“, fragt Page Nobbs, kurz nachdem sie einander<br />

offenbart haben. „Albert“, lautet die Antwort. „Nein, wie lautet<br />

dein wahrer Name?“ – „Albert“. Es gibt nur diese eine I<strong>den</strong>tität <strong>für</strong><br />

Nobbs, alle Erinnerungen an ein anderes Leben sind verdrängt und<br />

vom Schmerz verschüttet. Nur einmal kurz lüftet sie <strong>den</strong> Schleier, als<br />

sie Page in deren Wohnhaus aufsucht – wohl auch, um sich von der<br />

tatsächlichen Anwesenheit einer Gattin zu überzeugen. Nach einem<br />

warmen Abendessen und selbstgedrehten Zigaretten erzählt sie dem<br />

Frauenpaar, das doch <strong>nicht</strong> als solches lebt, von ihrem Trauma als<br />

Waisenkind: Mit dem Tod der Eltern und einer anschließen<strong>den</strong> Vergewaltigung<br />

wurde auch Albert Nobbs geboren. Viel mehr erfährt der<br />

Zuschauer <strong>nicht</strong> über die Vergangenheit.<br />

Albert bleibt Albert, eine geheimnisumwitterte, leicht verschrobene<br />

Person in einem irischen Hotel. Eine Person, <strong>für</strong> die Förmlichkeit<br />

und taktvolles Handeln kein Unterdrücken von Gefühlen, sondern<br />

deren vollkommensten Ausdruck darstellen. Sie ist kein Dandy<br />

aus Lei<strong>den</strong>schaft, wie etwa Lou Dillon im <strong>Film</strong> Gigola, dessen Pariser<br />

Halbwelt aus Transen, Prostituierten und Garçonnes freilich erst<br />

Jahrzehnte später spielt. Dass Nobbs eine rein pragmatische Lüge<br />

lebt, wird deutlich, als sie sich einmal in Frauenkleidern an die Luft<br />

wagt: Frei und gelöst rennt sie mit Luftsprüngen <strong>den</strong> Strand entlang,<br />

um <strong>nicht</strong> zu sagen: glücklich.<br />

Vom Überleben in einer männlich<br />

dominierten Welt: Glenn Close spielt die<br />

irische Schattenexistenz „Albert Nobbs“,<br />

eine <strong>Film</strong>rolle, um die sie fast 30 Jahre<br />

lang gekämpft hat. Nach diversen Drehbuchversuchen,<br />

dem Wechsel mehrerer<br />

Regiekandidaten und einer komplizierten<br />

Produktionsgeschichte, in der die Hauptdarstellerin<br />

selbst zur Autorin, Produzentin<br />

und zum Locationscout wurde,<br />

erblickt „Albert Nobbs“ nun endlich das<br />

Licht der Leinwand.<br />

Umso mehr stellt sich die Frage, was Nobbs eigentlich umtreibt.<br />

Warum kam es <strong>für</strong> sie <strong>nicht</strong> infrage, als alleinstehendes Zimmermädchen<br />

im Hotel zu arbeiten, wie ihre Kolleginnen es durchaus<br />

unbehelligt und beschei<strong>den</strong> tun? Was, wenn <strong>nicht</strong> auch die Liebe zu<br />

Frauen, zwingt sie dazu, <strong>den</strong> Mann zu spielen? Vorhan<strong>den</strong> ist diese<br />

Liebe, je<strong>den</strong>falls wenn man Nobbs’ steifes Werben um die Hotel-<br />

Angestellte Helen (Mia Wasikowska, Julianne Moores Tochter im<br />

Teddy-Gewinnerfilm The Kids Are Allright) so nennen mag. Tapfer<br />

investiert sie die streng behüteten Ersparnisse in Schokolade, Hüte<br />

und andere Frauengelüste, die sie sich selbst verbietet.<br />

Überzeugend wirkt dieser Annäherungsversuch aber kaum –<br />

<strong>nicht</strong> etwa durch das Spiel von Glenn Close, die <strong>für</strong> ihre Lieblingsrolle<br />

völlig zu Recht <strong>für</strong> einen Oscar als beste Hauptdarstellerin nominiert<br />

war. Eher wegen der Tatsache, dass Nobbs auch dann weiter mit<br />

Helen ausgeht, als sie erfährt, dass diese längst mit dem Tagelöhner<br />

Joe (Aaron Johnson aus Anna Karenina) schläft. So tief sitzt ihr<br />

heteronormatives Weltbild, dass sie mehr in die Vorstellung verliebt<br />

zu sein scheint, im Tabakla<strong>den</strong> eine Frau an<br />

Alberts Seite zu sehen, als in Helen selbst. Im<br />

Gegensatz zur „Lei<strong>den</strong>sgenossin“ Page und<br />

ihrer angeheirateten Geliebten, sucht Nobbs<br />

nur eine platonische Beziehung, die es ihr<br />

erlaubt, weiterhin Albert Nobbs zu sein; eine<br />

Vernunftehe gegen die Einsamkeit. Selbst<br />

das Frauenporträt, das sie in sehnsüchtigen<br />

Momenten aus ihrem Tagebuch zieht, entpuppt<br />

sich als Fotografie ihrer Mutter.<br />

„Hat Page ihrer Frau wohl vor oder nach<br />

der Hochzeit ihr wahres Geschlecht verraten?“,<br />

sinniert Nobbs bar jeglicher verruchter<br />

Gedanken. Wer in ihrer Geschichte (Homo-)<br />

Erotik erwartet, wie man sie aus <strong>den</strong> opulent<br />

ausgestatteten BBC-Verfilmungen von Sarah<br />

Waters’ historischen Romanen kennt, wird<br />

enttäuscht. Abgesehen von ein paar Hotel-<br />

Eskapa<strong>den</strong> findet Sexualität <strong>nicht</strong> statt in der<br />

Inszenierung des Kolumbianers Rodrigo García,<br />

der als erfahrener TV-Regisseur (Six Feet<br />

Under) und sensibler Frauenversteher (Nine<br />

Lives) gilt.<br />

Auch Glenn Close geht es bei der Adaption<br />

von George Moores Kurzgeschichte<br />

„The Singular Life of Albert Nobbs“ um eine höhere Botschaft: „Die<br />

Leute <strong>den</strong>ken, das Thema sei Gender, aber ich glaube, es geht schlicht<br />

darum, wie Menschen damals überlebt haben“, sagt die 64-Jährige.<br />

„Obwohl sie so simpel ist, entfaltet diese Geschichte eine große emotionale<br />

Wucht.“ Tatsächlich berührt einen dieses Schicksal, so vernebelt<br />

es auch bleibt, bis zur letzten Minute: Da stirbt Nobbs genau<br />

so, wie sie die ganze Zeit über gelebt hat. Edelmütig, selbstlos, dezent<br />

und allein.<br />

Glenn Close selbst entwickelte das Drehbuch <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Film</strong>, gemeinsam<br />

mit dem irischen Booker-Prize-Gewinner John Banville („The<br />

Sea“). Schon 1982 hatte sie Off-Broadway die preisgekrönte Rolle des<br />

Albert Nobbs gespielt und musste sehr lange darum kämpfen, ihr Herzensprojekt<br />

ins Kino zu bringen. Man sieht diesem Nobbs an, dass er<br />

einer Theaterbühne entsprungen ist. Schauspielkunst steht im Vordergrund<br />

der Tragödie, die sich zu 80 Prozent zwischen <strong>den</strong> Hotelwän<strong>den</strong><br />

und dessen Bewohnern abspielt – dank Harry Potter-Stars wie Brendan<br />

Gleeson und Mark Williams (er war zuletzt als schwuler Intellektueller<br />

in Ginger und Rosa zu sehen) auch mit durchaus komödiantischen<br />

Szenen. Nur eines überstrahlt sie alle mit seiner Traurigkeit. Das<br />

ausdruckslose und doch 1.000 Geschichten erzählende Gesicht von<br />

Close mit diesem fein geschwungenen, sanften Mund. Ach, würde man<br />

diese Lippen nur einmal die Contenance verlieren sehen.<br />

s<br />

Edition Salzgeber / Pandastorm pictures<br />

Albert Nobbs<br />

von Rodrigo García<br />

US 2011, 109 Minuten, deutsche SF und englische OmU<br />

Pandastorm Pictures, www.pandastorm.com<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino in der L-<strong>Film</strong>nacht im<br />

September, www.L-<strong>Film</strong>nacht.de<br />

Kinostart: 26. September 2013<br />

www.albertnobbs.de<br />

10 sissy 19<br />

sissy 19 11


kino<br />

kino<br />

Manchmal<br />

ist das<br />

Leben …<br />

von Paul Schulz<br />

Magischer Realismus als deutsches Kinoglück: Axel Ranisch hat nach „Dicke<br />

Mädchen“ seinen zweiten Langfilm gedreht. „Ich fühl mich Disco“ ist eine zarte,<br />

unfassbar komische und stellenweise sehr tragische Vater-Sohn-Geschichte, die so<br />

wunderbar ist, dass uns fast die Worte fehlen. Aber nur fast.<br />

Edition Salzgeber<br />

s Muttis letzte Frage: „Wann hast du eigentlich das letzte Mal Frühstück gemacht?“ Danach<br />

müssen die Jungs allein klarkommen. Das ist <strong>nicht</strong> so einfach. Denn der eine Junge ist Hanno,<br />

ein cholerischer Turmsprungtrainer Anfang 40, der auch schon mal Plastikstühle in <strong>den</strong> Pool<br />

schmeißt, wenn ihm was <strong>nicht</strong> passt, und der andere sein fetter, zartbesaiteter Sohn Florian,<br />

der es am schönsten findet, wenn Papa <strong>nicht</strong> da ist. Dann ist er mit Mama Monika allein und<br />

tanzt in einem weißen Anzug mit ihr durch die enge Neubauwohnung irgendwo im Berliner<br />

Osten, während sie beide ihrem Idol, dem Anarchoschlagersänger Christian Steiffen huldigen,<br />

der so schöne Zeilen singt wie: „Ja, ich sehne mich so sehr / nach Sexualverkehr“ und „Manchmal<br />

ist das Leben nur eine Flasche Bier“.<br />

Wenn Papa dann nach Hause kommt und herumschreit („Wie seht ihr eigentlich aus!?“),<br />

und weil Florian die „Scheiß-Simson“, die er <strong>nicht</strong> zum Geburtstag haben wollte, beim ersten<br />

Fahrversuch vor dem Olympiastadion mit Karacho gegen Hannos Auto gesetzt hat, bil<strong>den</strong><br />

Mutter und Kind eine geschlossene Front. „Du hörst halt <strong>nicht</strong>, was sich dein Sohn wünscht.“<br />

„Andere Jungs hätten sich gefreut.“ Sein Junge will aber lieber ein Klavier als einen fahrbaren<br />

Untersatz. Und ein paar andere Dinge, mit <strong>den</strong>en Hanno eher <strong>nicht</strong> so viel anfangen kann.<br />

Mit <strong>den</strong>en muss er sich plötzlich beschäftigen, als Monika <strong>nicht</strong> mehr übersetzen kann<br />

zwischen dem schwulen Tagträumer und der Bollerhete, die sie beide liebt. Hanno versucht,<br />

Florian in sein Leben mitzunehmen. Das findet hauptsächlich in der Schwimmhalle statt,<br />

in der er seinen Meisterschüler Radu zusammenscheißt, weil der besser sein könnte als er<br />

ist, „wenn er sich <strong>nicht</strong> immer so leicht ablenken ließe.“ Florian sieht in seiner Badehose aus<br />

wie ein gestrandeter Wal und wird vom Vater ins Wärmebecken verbannt, „da störst du am<br />

wenigsten“. Was ihm <strong>nicht</strong> unrecht ist, <strong>den</strong>n er will wirklich <strong>nicht</strong> stören, sondern lieber Radu<br />

zusehen. Beim Springen, beim Duschen, beim Den-Turm-wieder-hoch-Klettern. Und auch der<br />

Springer interessiert sich <strong>für</strong> <strong>den</strong> Sohn des Trainers. Wie sehr genau und warum eigentlich, ist<br />

<strong>nicht</strong> klar, auch wenn die bei<strong>den</strong> an Florian Geburtstag zusammen Schnaps klauen und trinken,<br />

Radu mit zu Mama darf und sie am Ende zusammen in einem Bett lan<strong>den</strong>. Wo Papa, der<br />

sich aus Frust mal so richtig hat zulaufen lassen, sie „erwischt“, so glaubt er je<strong>den</strong>falls.<br />

Jetzt wird es zart. Denn Hanno liebt sein Kind wirklich und glaubt nun endlich zu verstehen,<br />

was mit ihm los ist, obwohl ihn ein Video über schwulen Nachwuchs, in dem Rosa<br />

von Praunheim einen unfassbar komischen Auftritt als Sexualtherapeut hat, eher verwirrt als<br />

erleuchtet. Was dazu führt, dass er versucht, ein gemeinsames Essen mit <strong>den</strong> Jungs zu arrangieren,<br />

das <strong>nicht</strong> schiefer laufen könnte und alle Beteiligten frustriert und mit teilweise blutigen<br />

Nasen zurücklässt. Liebe ist halt <strong>nicht</strong> so einfach.<br />

<strong>Film</strong>e zu drehen, die ihr Publikum glücklich machen, auch <strong>nicht</strong>. Aber Axel Ranisch ist<br />

einer, der das kann. Das hat der 30-Jährige schon letztes Jahr mit Dicke Mädchen bewiesen,<br />

einer wirklich schönen schwulen Liebesgeschichte. Jetzt legt er noch mal eine Schippe drauf.<br />

Und das Ergebnis ist so wunderbar, dass einem fast die Worte fehlen. Weil es so persönlich ist.<br />

Ich fühl mich Disco ist offensichtlich vollgesogen mit autobiografischen Details, die Ranisch<br />

12 sissy 19<br />

sissy 19 13


kino<br />

kino<br />

Edition Salzgeber (3)<br />

auch gar <strong>nicht</strong> leugnet. „Es ist kaum zu verstecken, dass vieles an<br />

diesem Flori dem Axel ähnelt und einiges an Hanno meinem eigenen<br />

Papa. Und doch haben sich im Laufe der vier Jahre, die ich an dieser<br />

Geschichte gearbeitet habe, die Charaktere emanzipiert. Schließlich<br />

haben meine bei<strong>den</strong> Hauptdarsteller Heiko Pinkowski und Frithjof<br />

Gawenda dieses Vater-Sohn-Gespann mit ganz eigenem Leben, mit<br />

Humor, Fantasie und Charme gefüllt. Der <strong>Film</strong> ist eine große Liebeserklärung:<br />

an meine Jugend, an meine Heimat Lichtenberg und an<br />

meinen Papa“, sagt der Regisseur und Drehbuchautor. Die ist so schön,<br />

dass sich die Macher bei ersten Festivalbesuchen mit ihrem <strong>Film</strong> feiern<br />

lassen durften.<br />

Ranisch ist der, auf <strong>den</strong> das deutsche Kino, aber wohl besonders<br />

das deutsche Publikum, gewartet hat. Das dürfte auch seinem<br />

Ziehvater geschuldet sein. Der heißt Rosa von Praunheim. Ranisch<br />

ist einer von <strong>den</strong>en, <strong>den</strong>en der Meister während seiner Lehrtätigkeit<br />

an der Hochschule <strong>für</strong> <strong>Film</strong> und Fernsehen in Potsdam gesagt hat:<br />

„Mach einen <strong>Film</strong> darüber, womit du dich auskennst!“ Sein Schüler<br />

hält sich seitdem daran. In einem knappen Jahrzehnt hat er mehr als<br />

80 Kurzfilme realisiert, bevor er 2012 mit Dicke Mädchen, der angeblich<br />

<strong>für</strong> ungefähr 500 Euro entstan<strong>den</strong> ist, abgeräumt hat. Er ist ein<br />

Queerling reinster Güte, der einfach seine Geschichten erzählt, an<br />

Orten, die er kennt, über Menschen, die er versteht, undogmatisch,<br />

aber eigen. Diese Geschichten zeichnet etwas aus, das westdeutsche<br />

Autorenfilmer, seit Fassbinder tot ist, nie konnten: Ranisch erzählt<br />

von einem Alltag, der <strong>nicht</strong> in <strong>den</strong> Büros von Werbeagenturen spielt<br />

oder mit geistigen Ellipsen über <strong>den</strong> Köpfen der Zuschauer entschuldigt<br />

wer<strong>den</strong> muss, sondern der so blutwarm und gegenwärtig ist, dass<br />

man glaubt, nur in die S-Bahn nach Lichtenberg steigen zu müssen,<br />

um seinen Protagonisten zu begegnen.<br />

Das heißt <strong>nicht</strong>, Ranisch-<strong>Film</strong>e blieben immer auf dem Bo<strong>den</strong> der<br />

Tatsachen, im Gegenteil. Ich fühl mich Disco ist magischer Realismus<br />

pur, stellenweise ein Musical, gespickt mit so vielen fantastischen<br />

Einfällen, dass man als Rezensent gar <strong>nicht</strong> weiß, was man zuerst<br />

<strong>nicht</strong> verraten soll, um dem Publikum die große Freude <strong>nicht</strong> zu verderben.<br />

Soviel sei verraten: Am Schluss sitzen Papa und Sohn beim<br />

Angeln und wissen, dass sie sich lieb haben.<br />

Ich fühl mich Disco ist kein Zufallstreffer. 1962 veröffentlichte eine<br />

Gruppe junger, deutscher <strong>Film</strong>emacher das „Oberhausener Manifest“,<br />

in dem eine Reihe formaler und stilistischer Eckpunkte an die<br />

deutschen <strong>Film</strong>kunst herangetragen wur<strong>den</strong>, die seinerzeit als revolutionär<br />

galten. Vielen gilt das Schriftstück als die Geburtsurkunde<br />

des neuen deutschen <strong>Film</strong>s. Als der 2012 50 wird, verliest Ranisch<br />

am 8. Februar in Köln sein „Sehr gutes Manifest“. Das hat er mit dem<br />

Schauspieler Heiko Pinkowski, dem Kameramann Dennis Pauls und<br />

der Produzentin Anne Baeker geschrieben. Es ist die Firmenphilosophie<br />

ihrer gemeinsam gegründeten Produktionsfirma „Sehr Gute<br />

<strong>Film</strong>e“ und ein Schuss vor <strong>den</strong> Bug der etablierten deutschen <strong>Film</strong>wirtschaft.<br />

Weil es Sätze enthält wie: „Ein sehr guter <strong>Film</strong> hängt <strong>nicht</strong><br />

vom Budget ab“, „Redakteure, Produzenten und Förderer dürfen und<br />

sollten ihr eigenes sehr gutes Geld investieren“, „Sehr gute <strong>Film</strong>e sind<br />

nie länger als 90 Minuten“, und: „Sehr gute <strong>Film</strong>e entstehen von der<br />

Idee über <strong>den</strong> Dreh bis zum Schnitt in einem Schwung – wie in einem<br />

einzigen rauschhaften Arbeitsvorgang. Die Intuition ist ihr wichtigstes<br />

Werkzeug, sie zu achten ihr oberstes Gebot.“ Das Manifest ist<br />

kurz, keine ganze Seite lang, und ist doch die Anti-Eichinger-Bibel,<br />

ein fröhlicher Kampfschrei, auszustoßen auf <strong>den</strong> unbefahrenen, kurzen<br />

Wegen zum individuellen deutschen Kinoglück.<br />

Dem folgen in kaum einem Jahr zwei <strong>Film</strong>e, einer davon ist Ich<br />

fühl mich Disco, aber: „Unzählige weitere wer<strong>den</strong> ihm folgen. Traut<br />

euch mit uns! Folgt eurer Intuition! Lasst uns <strong>nicht</strong> allein!“<br />

Die Erstunterzeichner sollten sich keine Sorgen machen. Ihr kleines<br />

Pamphlet stieß auf breite Gegenliebe und hängt derweil sicher<br />

über vielen Schnittplätzen der Republik. Denn es ist mehr als ein Forderungskatalog,<br />

es ist eine Wunschliste.<br />

Der folgt als erstes Ranisch selbst und mit ihm seine kleine <strong>Film</strong>familie.<br />

Ich fühl mich Disco ist zwar <strong>nicht</strong> selbst produziert und hat (deswegen?)<br />

auch etwas länger gedauert, aber Dennis Pauls ist wieder der<br />

Kameramann und Heiko Pinkowski spielt die väterliche Hauptrolle so<br />

hinreißend, dass man ihm je<strong>den</strong> Darstellerpreis der Welt in die Hand<br />

drücken möchte. Womit wir beim Ensemble wären. Das besteht neben<br />

Pinkowski aus der wunderbaren Christina Große als Monika, Robert<br />

Alexander Baer als Radu und Frithjof Gawenda als Florian. Gawenda<br />

ist die große Entdeckung des <strong>Film</strong>s. Der junge Schauspieler und <strong>Film</strong>emacher gibt Ich fühl mich<br />

Disco sein wild um sich schlagendes Herz und ist immer dann am besten, wenn er <strong>nicht</strong> spricht,<br />

sondern einfach ist und seinen Körper erzählen lässt, wie es Florian gerade geht.<br />

Dazu hat er viel Gelegenheit, <strong>den</strong>n wie schon in Dicke Mädchen hat Ranisch es auch in<br />

seinem neuen <strong>Film</strong> wieder geschafft, Sexualität einfach mitzuerzählen, sie <strong>nicht</strong> auszustellen,<br />

sondern so zu zeigen, dass sie einfach naturbelassen Teil seiner Charaktere ist. Wenn der 150<br />

Kilo schwere Hanno seiner sportlichen Frau Monika mit <strong>den</strong> Zähnen <strong>den</strong> Schlüpfer auszieht<br />

und dann fröhlich auf das kichernde Objekt seiner Begierde kriecht, Radu vor Florian wichst<br />

oder Rosa von Praunheim dem Papa auf dem heimischen Sofa rät, sich doch mal einen kleinen<br />

Dildo einzuführen, um herauszufin<strong>den</strong>, wie sich <strong>den</strong>n der Analverkehr, <strong>den</strong> sein Kind bald<br />

haben wird, wohl anfühlen könnte, ist das nie aus sich heraus komisch, weil fette auf schmale<br />

Leiber treffen oder Homos auf Heteros – die Komik, Tragik und Erotik der Situation entstehen<br />

vielmehr, weil es echte Menschen sind, die da Dinge miteinander tun, die vom voyeuristischen<br />

Standpunkt des Zuschauers aus gesehen anders wirken als <strong>für</strong> die Figuren.<br />

Dieser völlig unpornografische Blick kann nur entstehen, weil Ranisch ihn zulässt, ja<br />

herausfordert, weil er <strong>nicht</strong> bügelt oder über die Maßen schön ausleuchtet, damit der Sex<br />

dann besser aussieht, sondern er ihn so zeigen will, wie er ist: alltäglich. Auch hier dürfte von<br />

Praunheim gedanklich seine lustvoll schmutzigen Finger im Spiel haben, <strong>den</strong>n auch in seinen<br />

<strong>Film</strong>en aus <strong>den</strong> 1980ern war Sex nie etwas, das erst schön oder gefährlich aussehen musste,<br />

um das zu sein.<br />

Die emotionale Achterbahn, die Ich fühl mich Disco auch ist, wird beschleunigt, weil<br />

Ranisch es hinbekommt, tragische auf komische Momente folgen zu lassen, Fantastisches auf<br />

Realistisches, ohne dass man als Zuschauer befremdet oder verstört wäre. Das Leben ist eben<br />

so, es kippelt ständig hin und her, und wenn man <strong>nicht</strong> aus der Kurve fliegen will, hält man<br />

sich besser fest, und zwar aneinander. Und wenn man dabei noch Bier trinken kann, super.<br />

Den Soundtrack dazu liefert Christian Steiffen, der sich in Ich fühl mich Disco selber spielt,<br />

und im Herbst, parallel zum Kinostart, sein Debütalbum veröffentlicht. Manche nennen ihn<br />

einen „Indie-Schlagersänger“, wir erkennen aber das in Steiffen, was ihn eigentlich ausmacht<br />

und zu einem queeren Idol wer<strong>den</strong> lassen wird: Der Mann ist der reine Punk. Deswegen kann<br />

er auch an <strong>den</strong> wichtigen Stellen im <strong>Film</strong> die Welt retten oder geraderücken und lässt sich<br />

gerne mal eine reinhauen, wenn sich der Schläger danach besser fühlt. Steiffen ist ein verdienter<br />

Künstler des Volkes, schon jetzt.<br />

Ich fühl mich Disco ist eine Geschichte darüber, wie zwei Männer auf Umwegen entdecken,<br />

was sie aneinander bindet, und dass diese Bindung, bei allen Unterschie<strong>den</strong>, etwas<br />

Gutes, Wahres und Wunderbares ist, das man pflegen sollte, weil es dann <strong>den</strong> Tod überdauert.<br />

Ein wirklich schöner <strong>Film</strong>.<br />

s<br />

Ich fühl mich Disco<br />

von Axel Ranisch<br />

DE 2013, 95 Minuten, deutsche OF<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino in der Gay-<strong>Film</strong>nacht im<br />

Oktober, www.Gay-<strong>Film</strong>nacht.de<br />

Kinostart: 31. Oktober 2013<br />

www.disco-film.de<br />

14 sissy 19 sissy 19 15


kino<br />

kino<br />

Liebe versetzt Berge<br />

von Ingeborg Boxhammer<br />

In <strong>den</strong> 50er Jahren reist die New Yorker Dichterin Elizabeth Bishop nach Brasilien und lernt dort die<br />

Architektin Lota kennen, von der sie im Sturm erobert wird und die ihr ein Haus zum Schreiben baut,<br />

mit Blick auf <strong>den</strong> Dschungel. Die stürmische Affäre zweier eigensinniger und erfolgreicher Frauen hat<br />

Bruno Barreto auf der Grundlage historischer Figuren und Fakten zu einer Fantasie über die Verbindung<br />

von brasilianischer Moderne und US-amerikanischer Poesie verschmolzen.<br />

pandastorm pictures<br />

Reaching For The Moon<br />

von Bruno Barreto<br />

BR 2013, 118 Minuten,<br />

englisch-portugiesische OF<br />

mit deutschen UT<br />

Pandastrom Pictures,<br />

www.pandastorm.com<br />

Im Kino in der L-<strong>Film</strong>nacht im<br />

Oktober, www.L-<strong>Film</strong>nacht.de<br />

Die geheimen Tagebücher<br />

der Anne Lister<br />

von Avshalom Caspi<br />

UK 2010, 90 Minuten,<br />

deutsche SF, englische OmU<br />

Auf DVD bei Polyband Medien,<br />

www.polyband.de<br />

Daphne<br />

von Clare Beavan<br />

UK 2008, 88 Minuten,<br />

deutsche SF, englische OmU<br />

Auf DVD bei KSM,<br />

www.ksmfilm.de<br />

s Biografische Spielfilme umgibt ein abenteuerliches<br />

Flair, <strong>den</strong>n sie bedienen gleich<br />

mehrere Erwartungen: Sie öffnen <strong>den</strong><br />

Zuschauer_innenblick <strong>für</strong> eine bestimmte<br />

Zeitspanne in der Vergangenheit, beschreiben<br />

das Leben und Lieben einer meist öffentlichen<br />

Person und interpretieren (oder erfin<strong>den</strong>)<br />

die vorliegen<strong>den</strong> historischen Eckdaten<br />

und private Details. Explizite <strong>Film</strong>biografien<br />

von Frauen, die lesbisch gelebt haben, gibt es<br />

nach wie vor zu wenige. In der Wahrnehmung<br />

des Publikums bleiben diejenigen, die neben<br />

<strong>den</strong> als relevanter behaupteten Beziehungen<br />

zu Männern auch Frauenbeziehungen hatten,<br />

oft eindimensional und heterosexuell.<br />

Der Schwerpunkt dieser Inszenierungen liegt<br />

beinah grundsätzlich auf tatsächlich gelebten<br />

oder ausgedachten <strong>heterosexuellen</strong> Beziehungen,<br />

die – mit Hilfe der scheinbar zu Fakten<br />

gewor<strong>den</strong>en Behauptungen – diese Lesart<br />

nachdrücklich zementiert. Schon weil sie dieser<br />

Ten<strong>den</strong>z entgegenwirkt, ist Reaching for<br />

the Moon eine wichtige Produktion.<br />

Biografische Spielfilme mit lesbischen<br />

Frauen im Mittelpunkt können gleichzeitig<br />

auch so etwas wie eine unterhaltsame und<br />

aufschlussreiche Geschichtsstunde sein.<br />

Vielen dieser Verfilmungen gehen Buchveröffentlichungen<br />

voraus, die eine andere<br />

Perspektive wählen als frühere biografische<br />

Publikationen. Nicht selten richtet sich dieser<br />

neue Blick zum ersten Mal auf die homosexuellen<br />

Lebensweisen der Porträtierten.<br />

So beispielsweise in <strong>den</strong> BBC-Produktionen<br />

Daphne (UK 2007, Regie: Clare Beavan), die<br />

auf dem Buch von Margaret Foster (1994)<br />

über die Schriftstellerin Daphne du Maurier<br />

(1907–1989) basiert, oder auch Die geheimen<br />

Tagebücher der Anne Lister (UK 2010, R:<br />

James Kent), über eine englische Gutsbesitzerin<br />

(1791–1840), deren erotische Texte<br />

Helena Whitbread bereits 1988 in einer entschlüsselten<br />

Version herausgab. Ähnlich verhält<br />

es sich mit biografischen Versatzstücken<br />

der US-amerikanischen Lyri kerin Elizabeth<br />

Bishop (1911–1979), die Bruno Barreto zu<br />

einer zentralen Figur seines <strong>Film</strong>s Reaching<br />

for the Moon erkoren hat. Als Pulitzer-Preisträgerin<br />

(1956) und mit zahlreichen anderen<br />

Auszeichnungen geehrt, ist die Schriftstellerin<br />

vor allem der internationalen Literaturwissenschaft<br />

ein Begriff, in deren Lesart ihre<br />

Homosexualität – wie üblich – kaum Thema<br />

war, obwohl sie bereits seit <strong>den</strong> dreißiger<br />

Jahren lesbisch lebte.<br />

In aller Munde war Bishop offenbar erst<br />

im Jahr 2011: Anlässlich des 100. Geburtstages<br />

der 1979 verstorbenen Dichterin<br />

erschienen einige Publikationen über sie,<br />

auch in Deutschland. Hierzulande fast völlig<br />

unbekannt ist bis dato die wohl große Liebe<br />

ihres Lebens geblieben: die brasilianische<br />

Architektin Maria Carlota de Macedo Soares,<br />

genannt Lota (1910–1967). Zielsicher<br />

und furchtlos erlernte sie die Baukunst im<br />

Selbststudium und schreckte bald auch vor<br />

Großprojekten <strong>nicht</strong> zurück, die sie mit Hilfe<br />

ihrer Beziehungen zur brasilianischen Elite<br />

realisieren konnte. Ihr Anfang der sechziger<br />

Jahre entworfener und umstrittener Flamengo<br />

Park, der heute als Rio de Janeiros<br />

größtes Naherholungsgebiet gilt, soll 2016<br />

Olympia-Park wer<strong>den</strong>. Ob dann vor Ort ihrer<br />

gedacht wird?<br />

Auch wenn Brett Millier als enthüllende<br />

Biografin Bishops gilt, war es Carmen<br />

L. Oliveira, die in ihrer 2002 erschienenen<br />

romanhaften Lebensgeschichte „Rare<br />

and Commonplace Flowers. The Story of<br />

Elizabeth Bishop and Lota de Macedo Soares“<br />

der Beziehung gerade dieser bei<strong>den</strong> so<br />

gegensätzlichen Frauen ein Denkmal setzte,<br />

welches die Grundlage <strong>für</strong> Barretos <strong>Film</strong><br />

darstellt. Seine Erzählung beginnt 1951, also<br />

zu einer Zeit, in der alle Beteiligten <strong>nicht</strong><br />

mehr ganz jung sind: Die Nordamerikanerin<br />

Elizabeth Bishop, längst weltweit eine<br />

bekannte und gefeierte Dichterin, besucht<br />

Mary Morse, eine alte Freundin, in der Nähe<br />

von Rio de Janeiro und verliebt sich in deren<br />

eindrucksvolle Geliebte, die temperamentvolle,<br />

aber auch dominante Lota. Aus Liebe<br />

bleibt Elizabeth in Brasilien; Lota baut ihr<br />

flugs ein Studio zum Arbeiten. Mary bleibt –<br />

nach der ersten Verzweiflung – ebenfalls auf<br />

dem märchenhaften Anwesen. Ihr gebrochenes<br />

Herz versucht Lota zu beschwichtigen,<br />

indem sie ihr – mal eben so – ein lang ersehntes<br />

Baby aus <strong>den</strong> Favelas kauft, das ab sofort<br />

zur Familie gehört. Die drei Frauen raufen<br />

sich mehr schlecht als recht zusammen und<br />

formen eine ungewöhnliche Gemeinschaft,<br />

bis Lotas enger Freund, der Journalist und<br />

Politiker Carlos Lacerda (1914–1977), 1964<br />

einen Putsch gegen <strong>den</strong> linken Präsi<strong>den</strong>ten<br />

João Goulart (1919–1976) unterstützt. Während<br />

Lota in Goulart das Gespenst des Kommunismus<br />

<strong>für</strong>chtet, verteidigt Elizabeth<br />

demokratische Prinzipien – und reist zurück<br />

in ihre Heimat, um dort Literatur-Vorlesungen<br />

zu halten. Leider wird – wie <strong>nicht</strong> selten<br />

– <strong>den</strong> politischen Überzeugungen der<br />

Frauen <strong>nicht</strong> sonderlich viel Aufmerksamkeit<br />

geschenkt. Die staats- und gesellschaftspolitische<br />

Situation Brasiliens in <strong>den</strong> fünfziger<br />

und sechziger Jahren bildet lediglich <strong>den</strong><br />

künstlerischen Rahmen, vor dem sich eine<br />

mitreißende Liebesgeschichte abspielt.<br />

Mit der malerischen Naturkulisse<br />

erscheint die enthusiastische Lota verschmolzen,<br />

während sie dort gleichzeitig wie ein<br />

explosives Gemisch agiert und wegsprengt,<br />

was ihr im Weg ist. Sie gehört als gebildete<br />

und vermögende Journalistentochter zur<br />

brasilianischen Oberschicht und nimmt sich,<br />

was sie haben will. Glória Pires spielt diese<br />

Lota mit Verve und flirrender Energie, der<br />

die reservierte und scheue Elizabeth schon<br />

bald erliegt. Die Australie rin Miranda Otto,<br />

spätestens bekannt seit ihrer Rolle als kämpferische<br />

Eowyn auf <strong>den</strong> Schlachtfeldern in<br />

Herr der Ringe – Die zwei Türme (2002), interpretiert<br />

die Dichterin als dünnhäutig und<br />

zerbrechlich, deren gallige Ausbrüche nur im<br />

angetrunkenem Zustand statffin<strong>den</strong>.<br />

Vielleicht ist es <strong>nicht</strong> nur Lotas Zügellosigkeit,<br />

sondern gerade das ungetrübte<br />

Selbstvertrauen, mit dem Lota ihre architektonischen<br />

Pläne und Werke präsentiert, das<br />

bei der einsam wirken<strong>den</strong> Elizabeth heiße<br />

Lei<strong>den</strong>schaft entflammt. Elizabeth scheint<br />

<strong>den</strong> Wert ihrer eigenen Arbeiten <strong>nicht</strong><br />

ermessen zu können, quält sich lange mit<br />

Formulierung und Versmaß, bis ein Gedicht<br />

endlich steht. Viel zu oft lässt sie sich von<br />

ihrem chauvinistischen Freund Robert<br />

Lowell (fehlbesetzt mit einem zu „anständig“<br />

wirken<strong>den</strong> Treat Williams) kritisieren<br />

und maßregeln. Elizabeth, labil in ihrem<br />

Selbstwertgefühl und voller Zweifel, die sie<br />

regelmäßig in Alkohol ertränkt, äußert hier<br />

ebenfalls zaghafte Skrupel: Sie ist sich <strong>nicht</strong><br />

sicher, ob sie es ihrer Freundin Mary antun<br />

kann, ihr die Geliebte auszuspannen. „Aber<br />

zu was <strong>für</strong> einem Leben soll das führen“,<br />

gibt Lota zu be<strong>den</strong>ken, „wenn du Freundschaft<br />

über Liebe stellst?“ Zumindest <strong>für</strong> die<br />

<strong>Film</strong>-Elizabeth funktioniert die implizite<br />

Drohung lebenslangen Alleinseins. Ist diese<br />

Überzeugung, dass Liebe mehr wert sei als<br />

Freundschaft, der Figur der Lota inhärent<br />

oder ist sie <strong>nicht</strong> viel mehr als grundlegende<br />

Message des <strong>Film</strong>s angelegt? Einerseits<br />

dient dieses Motto in der Konsequenz dazu,<br />

eine lesbische Liebesgeschichte und damit<br />

auch lesbisches Verlangen mit <strong>heterosexuellen</strong><br />

Liebesdramen auf eine Stufe zu stellen,<br />

sie genauso zu behandeln und austauschbar<br />

in Szene zu setzen. Das kann als Verdienst<br />

angesehen wer<strong>den</strong>. Andererseits manifestiert<br />

Barreto gleichzeitig eine oft als Weisheit<br />

kolportierte Annahme, dass Freundschaft<br />

im Zweifel zurückstehen müsse<br />

und zwischen ehemals Verliebten ohnehin<br />

unmöglich sei. Die zweifach verschmähte<br />

Mary rächt sich auf ihre Weise und wird<br />

zur einsamen Verliererin. Wenn sich die von<br />

ihren Liebsten Verlassene gemein verhält, ist<br />

ihr Verlassen-Sein <strong>für</strong> das Publikum in Ordnung.<br />

Wie gemein die Liebe ist, scheint egal,<br />

<strong>den</strong>n mit ihr ist alles erlaubt.<br />

Das, was Bruno Barreto <strong>nicht</strong> differenziert,<br />

ist der maßgebliche Unterschied zwischen<br />

Liebe und Verlangen, die er hier aneinander<br />

gekoppelt begreift. Denn Lota verliert<br />

<strong>nicht</strong> ihre Zuneigung zu Mary, sondern folgt<br />

ihrem Begehren, nun ausschließlich auf<br />

Elizabeth gerichtet. Verlangen und Besitzansprüche<br />

sind es schlussendlich, an <strong>den</strong>en das<br />

Glück zerbricht.<br />

s<br />

16 sissy 19 sissy 19 17


kino<br />

kino<br />

Luftsprünge<br />

von Gunther Geltinger<br />

Ein junger Tänzer kommt in die große, kalte Stadt und alles, was er hat, ist sein<br />

Körper. Alan Browns („Private Romeo“) neuer Spielfilm „Five Dances“ ist ein<br />

Probenraum-Kammerspiel, in dem Bewegungen Geschichten erzählen, Positionen<br />

Beziehungen und ein Tanz das ganze Leben.<br />

s Warm up Erst der Makel macht wahre Schönheit sichtbar, und der Weg zur Perfektion<br />

führt durch <strong>den</strong> Schmerz. Chip stellt sich ihm mit geradezu selbstverleugnender Härte und<br />

Disziplin, <strong>für</strong> die sein zweijähriger Aufenthalt auf der Militärakademie eine gute Schule gewesen<br />

sein mag. Jetzt ist der junge Tänzer durch ein Stipendium nach New York gekommen, und<br />

obwohl er ohne Bleibe und klare Zukunftsperspektive ist, ausgestattet nur mit einem Schlafsack<br />

und seinem lebenshungrigen, bewegungsgierigen Körper, stürzt er sich in sein neues<br />

Tanzprojekt, als ginge es um Leben und Tod. Und tatsächlich – schon die ersten Bilder von<br />

Alan Browns kleinem Ensemblefilm um die Proben, Positionen und seelischen wie körperlichen<br />

Prüfungen zu „Five Dances“ verraten: Chip tanzt um sein Leben.<br />

Wie er beim Aufwärmen im Studio <strong>den</strong> Fuß überdehnt, auf <strong>den</strong> die Worte for you tätowiert<br />

sind, zunächst einziges sichtbares Zeichen seiner Sehnsucht nach Liebe; wie er das Bein nach<br />

oben in die Senkrechte zwingt, bis sein Körper eine gerade, in <strong>den</strong> tänzerischen Zenit weisende<br />

Linie bildet, sein Blick dabei fragend, fast entsetzt, wie im Angesicht von etwas Unfassbarem,<br />

des eigenen Abbilds im großen Wandspiegel über dem von unzähligen Tänzerfüßen<br />

blank polierten Parkett.<br />

Mit dem äußersten Willen zur Grazie versucht der Achtzehnjährige, seine geradezu krankhafte<br />

Gehemmtheit zu besiegen: Die Fragen von Katie und Cynthia, seinen Mittänzerinnen,<br />

beantwortet er knapp, stenographisch, fast bellt er seinen Namen mit zu Bo<strong>den</strong> gesenktem<br />

Blick; auf Militärschulen herrscht das Gesetz von Befehl und Replik. Nur Theo, der zweite<br />

männliche Tänzer der Truppe, scheint <strong>den</strong> verletzten, unter Verschluss gehaltenen jungen<br />

Mann hinter der verkniffenen Mimik zu ahnen, die Narbe im schmerzhaft schönen Gesicht.<br />

Anthony, der Choreograph, erklärt das Projekt: ein Stück in fünf Teilen zur Eröffnung<br />

eines wichtigen Tanzfestivals, zehn Minuten, auf die es ankommen wird. Besonders <strong>für</strong> Chip.<br />

Eins. Lose Körper, vereinzelt und isoliert. Sich bloß <strong>nicht</strong> nähern, noch <strong>nicht</strong>. Einer nach dem anderen<br />

reiht sich ein, eine Gruppe Menschen in einem unbestimmten Raum. Sie streben aufeinander<br />

zu, schrecken voreinander zurück, Hände strecken sich aus und greifen doch ins Leere. Plötzlich eine<br />

zaghafte, wie zufällige Berührung, die sich sofort wieder auflöst, je<strong>den</strong> zurückwirft in seine Einsamkeit,<br />

auf seine Sehnsucht.<br />

In seinen Schlafsack eingerollt wie ein Embryo, verbringt Chip die Nächte im Studio. Seine<br />

Mutter nervt mit Anrufen. Angeblich muss sie aus ihrem Haus ausziehen und weiß <strong>nicht</strong>,<br />

wohin. Der Ehemann ist schon geflüchtet, vertrieben oder einfach weg. Als Chip sich ihr verweigert,<br />

droht die Mutter mit dem elementaren Verstoß. Die Kindheit ist vorbei, die Überreste<br />

sollen nun entsorgt wer<strong>den</strong>, Chips Sachen auf <strong>den</strong> Müll.<br />

Bei Katie, die sich <strong>nicht</strong> nur <strong>für</strong> seine Herkunft interessiert, findet Chip ein neues Zuhause<br />

– und eine erste zaghafte Sprache der Nähe. Hinter Chips schmalen Lippen wohnt der Mann<br />

in der Mundhöhle, the man in the mouth, wie Chip selbst, plötzlich bauchre<strong>den</strong>d, <strong>den</strong> humorvollen<br />

und zugewandten Teil seiner Persönlichkeit nennt. Katie soll ihn befreien. Sie greift<br />

nach seinem Mund – zu spät, Chip hat Chip schon verschluckt. Doch er schenkt Katie ein<br />

Lächeln, das erste überhaupt.<br />

Edition Salzgeber<br />

Zwei. Die Körper schwingen sich aufeinander ein, nehmen <strong>den</strong> Rhythmus des anderen auf, übertragen<br />

ihn. Infektion, Inkubation. Ein Virus ergreift die Gruppe, die Krankheit bricht aus. Getroffenheit.<br />

Betroffen sein. Aus der Entzündung heraus, der virulent befallenen Stelle im Innern, wird die Pose<br />

zur wahrhaften Bewegung, wird aus Kunstwillen im Abgleich mit dem eigenen Schmerz Poesie. Das<br />

Fieber steigt.<br />

Es ist der Punkt, an dem Anthony zu arbeiten beginnt. Er fordert die Gruppe heraus, konfrontiert<br />

je<strong>den</strong> mit seinen Schwächen und sucht Wege, sie gemeinsam zu überwin<strong>den</strong>. Stets<br />

bleibt er dabei im Hintergrund, das Gesicht abgewandt, nie in Großaufnahme, und doch ist er<br />

18 sissy 19<br />

sissy 19 19


kino<br />

Festivalgänger<br />

oder Couch-Potato?<br />

Edition Salzgeber (2)<br />

rhythmisches Zentrum des Raums, Katalysator,<br />

der neue Energien freisetzt. Mühsam,<br />

nach Fehltritten und Frustrationen, wird die<br />

neue Dynamik erarbeitet: Wohin mit dem<br />

Arm in der Drehung zum Partner hin, um<br />

sich <strong>nicht</strong> selbst im Weg zu stehen? Oft bleibt<br />

die Gruppe nun abends zusammen. Cynthia,<br />

die Verheiratete, hat aus dem bürgerlichen<br />

Teil ihres Lebens die Lichterkette des abgebauten<br />

Weihnachtsbaums mitgebracht. Theo<br />

wickelt sich in die Lämpchen, lässt seinen<br />

Körper erglühen, von dem wir schon längst<br />

wissen, dass Chip ihn begehrt. Nur Chip<br />

selbst wehrt sich noch dagegen – bei <strong>den</strong> Proben<br />

zu ihrem Duo berühren sich die bei<strong>den</strong><br />

technisch, <strong>nicht</strong> als Menschen, die einander<br />

wollen, sondern als Tänzer, die das Begehren<br />

ästhetisch darstellen sollen. Theo, der Erfahrenere,<br />

weiß, dass nur die Verquickung des<br />

einen mit dem anderen zur Perfektion führt.<br />

Abends bleiben sie im Studio, um weiterzuarbeiten.<br />

Die Berührungen wer<strong>den</strong> intimer,<br />

gehen fehl – oder erreichen ihr wahres Ziel;<br />

auf Theos Anmache reagiert Chip mit einem<br />

kurzen Ausbruch von Gewalt, <strong>den</strong> Theo, nun<br />

plötzlich in der Rolle des Choreographen<br />

dieses erotischen Balletts, noch in derselben<br />

Bewegung mit einem Kuss kontert, der Chips<br />

Widerstand bricht. Erst aus der Bruchstelle<br />

heraus, die nun die Verletzbarkeit sichtbar<br />

macht, kann sich die Schönheit entfalten, auf<br />

die es beim Tanz ankommt – drei.<br />

Wachsame Menschenblicke haben die leeren<br />

Fensteraugen im Raum ersetzt. Chip tanzt<br />

allein, aber <strong>nicht</strong> isoliert, eingebun<strong>den</strong> in die<br />

Anteilnahme der anderen, verstrickt in ihre<br />

Leben. Noch wahren sie Distanz, versuchen<br />

<strong>nicht</strong>, <strong>den</strong> in der eigenen Haut eingeschlossenen<br />

Chip aus seinem Körper herauszubrechen.<br />

Mit gewohnt zusammengepressten Lippen, die<br />

einen Schrei zu unterdrücken scheinen, bewegt<br />

er sich durch <strong>den</strong> Raum, doch der, <strong>den</strong> wir jetzt<br />

tanzen sehen, ist der Mann im Mund.<br />

Die Proben folgen der strengen, oft brutalen<br />

Hierarchie, die das Streben nach vollkommener<br />

Anmut vorgibt. Sie legt Erschöpfung<br />

auf die Gesichter, belastet die Beziehungen.<br />

Rangordnungen bil<strong>den</strong> sich heraus; die<br />

Guten, die aber nie besser als talentiert sein<br />

wer<strong>den</strong>, und die nahezu Perfekten mit der<br />

explosiven Kraft ihrer pochen<strong>den</strong> Wun<strong>den</strong>.<br />

Nachts im dunklen Saal schläft Cynthia mit<br />

Anthony, dann, im plötzlich aufflammen<strong>den</strong><br />

Licht, unter <strong>den</strong> Augen des imaginären<br />

Zuschauers, der <strong>für</strong> einen Tänzer auch<br />

noch in der intimsten Bewegung anwesend<br />

scheint, fallen sie voneinander ab, zurück in<br />

ihre Rollen. Zieh dich an, befiehlt Anthony<br />

kalt, als gehöre zur vollkommenen Vision seines<br />

Tanzstücks auch die Erniedrigung.<br />

Vier. Schleppend tauchen die Körper aus der<br />

Tiefe auf, noch gebeugt vom Schmerz ziehen<br />

sie sich langsam an ihrer neuen Anmut empor,<br />

suchen nach Halt. Die Härte und Strenge,<br />

das Kämpferische und Widerspenstige ist aus<br />

ihren Bewegungen gewichen, die nun zaghafter<br />

erscheinen, zerbrochen, und in der Gebrochenheit,<br />

in der Zurückhaltung des Tastens und<br />

Suchens, so schön, leicht und geschmeidig wie<br />

nie zuvor.<br />

Selbst die markante Stimme des Sängers<br />

Scott Matthew, dessen Songs alle fünf Tänze<br />

des <strong>Film</strong>s in melancholischer Schwebe halten,<br />

droht an diesem Punkt zu kippen, ringt<br />

mit <strong>den</strong> Tänzern um Fassung. Chip findet<br />

sie wieder, indem er nun Theo selbstbewusst<br />

auffordert, mit ihm nach Probenschluss<br />

weiterzuarbeiten. Die folgende, hart an der<br />

Grenze zum Kitsch inszenierte Sexszene ist<br />

ein Bruch in der Ästhetik des <strong>Film</strong>s und eines<br />

der wenigen Zugeständnisse, die Alan Brown<br />

in seiner größtenteils getanzten Geschichte<br />

an konventionelle Sehgewohnheiten macht.<br />

Die Tanzbilder stehen <strong>für</strong> sich, haben mit<br />

ihren poetischen choreographischen Figuren<br />

<strong>nicht</strong> nur längst erzählt, dass die bei<strong>den</strong><br />

miteinander schlafen wer<strong>den</strong>, sondern auch<br />

gezeigt, wie sie es tun:<br />

Fünf. Lange hält Chip Theo fest umschlungen,<br />

der auf ihn gesprungen, regelrecht in ihn hineingestürzt<br />

ist, und nun schutzlos in seinen Armen<br />

hängt, bis Chip ihn langsam und vorsichtig<br />

ablegt; nur <strong>nicht</strong>s zerbrechen, bloß bewahren<br />

und hegen, was er liebt. Er richtet Theo auf,<br />

führend, dominant, doch mit größter Zärtlichkeit.<br />

Ihre Blicke, die <strong>den</strong> anderen erkennen und<br />

bejahen, lenken die Körper, die nun einer Kraft<br />

folgen, die stärker ist als die Regeln jeder Choreographie.<br />

Es ist der unbeholfene erste Sex, und<br />

der vollkommene Tanz.<br />

Chip gesteht Katie seine Gefühle <strong>für</strong><br />

Theo, als wollte er sich die Erlaubnis der<br />

Freundin zu seinem neuen Leben einholen.<br />

In Anthonys Abwesenheit witzelt die<br />

Gruppe über <strong>den</strong> „Boss“, ist über ihren Choreographen<br />

längst hinausgewachsen. Immer<br />

öfter lächelt Chip jetzt, reißt schließlich<br />

im Gelächter <strong>den</strong> Mund auf und würgt <strong>den</strong><br />

darin eingeschlossenen Mann in die Welt.<br />

Der maximale Punkt der Leichtigkeit ist<br />

erreicht. In diesem Zustand verbringen Chip<br />

und Theo noch eine Nacht im Studio, vielleicht<br />

die letzte vor ihrem großen Auftritt.<br />

Chip will jetzt alles wissen – über die Liebe<br />

und ihre Stolpersteine. Spielerisch treten<br />

sie in einen Wettbewerb um die beste Pirouette,<br />

werfen sich euphorisch in die Proben<br />

zu ihrem gemeinsamen Glück. Fast erwartet<br />

man nun <strong>den</strong> dramatischen Wendepunkt,<br />

<strong>den</strong> Sturz, der das hochfliegende Projekt jäh<br />

zu Fall bringt: einen verstauchten Fuß, <strong>den</strong><br />

Sehnenriss, das gebrochene Herz.<br />

Der sechste Tanz – er gehört dem Leben.<br />

Five Dances<br />

von Alan Brown<br />

US 2013, 83 Minuten, englische OF<br />

mit deutschen UT<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino in der Gay-<strong>Film</strong>nacht im<br />

November, www.Gay-<strong>Film</strong>nacht.de<br />

s<br />

Beste Auswahl!<br />

Beste Beratung!<br />

Bester Service!<br />

The Furry Gay & Lesbian Bookshop<br />

Lange Reihe 102 | 20099 Hamburg<br />

la<strong>den</strong>@maennerschwarm.de<br />

www.gay-and-lesbianbooks.de<br />

Lietzenburger Str. 9a | 10789 Berlin<br />

la<strong>den</strong>@prinz-eisenherz.com<br />

Auch bei Comics,<br />

Zeitschriften,<br />

Büchern …<br />

Nesenbachstr. 52 | 70178 Stuttgart<br />

info@buchla<strong>den</strong>-erlkoenig.de<br />

20 sissy 19


kino<br />

kino<br />

Concussion<br />

von Stacie Passon<br />

US 2013, 96 Minuten, englische OF<br />

mit deutschen UT<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Die Erschütterten<br />

Im Kino in der L-<strong>Film</strong>nacht im<br />

November, www-L-<strong>Film</strong>nacht.de<br />

von André Wendler<br />

Durch eine heile, aber <strong>nicht</strong> wirklich eingespielte Vorstadt-Regenbogen-Familie geht<br />

ein kleiner Riss. Ausgelöst durch eine Gehirnerschütterung („Concussion“), begreift<br />

eine der bei<strong>den</strong> Mütter in Stacey Passons abgründigen Debüt, dass ihre Welt zu klein<br />

gewor<strong>den</strong> ist, dass eine größere aber vielleicht auch <strong>nicht</strong> so anders aussehen würde.<br />

„Concussion“ war ein Hit beim Sundance Festival und erhielt einen Special-Jury-Teddy<br />

bei der diesjährigen Berlinale. Der <strong>Film</strong>, produziert von der New-Queer-Cinema-<br />

Veteranin Rose Troche, steht aber auch <strong>für</strong> ein neues Thema im <strong>nicht</strong>-<strong>heterosexuellen</strong><br />

Kino: dass Glücklichwer<strong>den</strong> auch nach der Emanzipation und rechtlichen<br />

Gleichstellung kein Automatismus ist. The Moms are not all right.<br />

Edition Salzgeber<br />

s Bewegung, Lärm, Schwitzen, Energie. Es wird davon gesprochen, von wem man sich was<br />

ins Gesicht spritzen lassen würde. Erst kurz darauf sehen wir ein gutes Dutzend or<strong>den</strong>tlich<br />

trainierter Frauen beim Indoor-Biking. Sie treten in die Pedale und bewegen sich keinen Schritt<br />

nach vorn. Sie trainieren, um auszusehen, als könnten sie allen möglichen Herausforderungen<br />

begegnen. Sie sind bereit <strong>für</strong> jedes Abenteuer. Die Ironie in ihren Sätzen weiß, dass die Bereitschaft<br />

ausreicht, weil es <strong>für</strong> die weiße Mittelschicht keine Abenteuer mehr gibt. Ereignisse sind<br />

hier höchstens theatralische Un- oder Zwischenfälle, etwas zu rotes Kunstblut inklusive.<br />

Die Welt, in der sich der <strong>Film</strong> <strong>für</strong> einen Augenblick eine Erschütterung vorstellt, ist eine<br />

Welt der gedeckten Farben: grau, beige, mauve, taupe, greige, dazu Silber, Bronze, Edelstahl,<br />

mattes schwarz und alle möglichen Erd- und Holzfarben. Die bequemen Sofas, gut gepolsterten<br />

Betten, Küchenstühle und gemütlichen Bänke in diesen Farben sind so unaufdringlich,<br />

dass es weh tut. Wie viele Einrichtungsgegenstände in diesem wohltemperierten Farbschema<br />

kann ein Mensch ertragen? Abby hat es sich in dieser hellen Welt mit ihrer Frau und <strong>den</strong> bei<strong>den</strong><br />

Kindern so gemütlich gemacht wie es eben geht. Sie sorgt da<strong>für</strong>, dass der Garten or<strong>den</strong>tlich,<br />

die Wäsche faltenfrei, das Essen <strong>für</strong> die Kinder nahrhaft und gesund ist.<br />

Nachdem der Sohn ihr einen Baseball an <strong>den</strong> Kopf geworfen hat, sucht sie die Veränderung.<br />

In Manhattan renoviert sie mit einem Freund ein Loft. Kreative Beschäftigungstherapie<br />

<strong>für</strong> saturierte Mittelstandsmütter. Wie sehr solche kleinen Ausbrüche schon mit einkalkuliert<br />

sind, zeigt sich daran, dass hier die Fragen die gleichen wie dort im Suburb sind: Wie sieht<br />

der Holzbo<strong>den</strong> am besten aus, welche Farbe soll der Bettüberwurf haben, verkörpern diese<br />

Küchenfliesen <strong>den</strong> Spirit der Wohnung? Irgendwann ist das Loft fertig, es ist so perfekt wie<br />

alle wohlgeplanten Familienbehausungen dieser Welt. Immer wieder tastet die Kamera die<br />

Einrichtungsgegenstände in Schwenks ab: Flacons, Bilderrahmen, Uhren, Aschenbecher, Grafiken,<br />

Bücher. Sie liegen herum und wer<strong>den</strong> von uns und <strong>den</strong> <strong>Film</strong>figuren angestarrt, aber sie<br />

können <strong>nicht</strong>s erzählen. Aus einstmals nützlichen oder bedeutungsvollen Dingen ist hübscher,<br />

farblich passender Dekorationsplunder gewor<strong>den</strong>, der Besucher_innen sagen lässt: „You seem<br />

cultured.“ Das amerikanische Kino ist normalerweise wie besessen davon, uns das Außen<br />

dieser hermetischen Welten zu zeigen: Seine Protagonist_innen entkommen in fremde Länder,<br />

auf unbekannte Planeten, in eine Welt im Kleiderschrank. Oder sie begegnen <strong>den</strong> großen<br />

anderen, die ein <strong>für</strong> alle mal alles ändern: Außerirdische, die große Liebe, der verlorene Vater,<br />

der alles umstürzende Held. Concussion quält uns <strong>nicht</strong> mit solchen sinnlosen Utopien, sondern<br />

sieht der Realität ins Angesicht. Die Flucht aus einem grau-beigen Haus führt in ein anderes<br />

grau-beiges Haus. Die Aussicht ist überall dieselbe: Es gibt diese oder jene Aussicht auf die<br />

New Yorker Skyline oder irgendwelche benachbarten Vorgärten. Es ist bewundernswert, wie<br />

der <strong>Film</strong> es schafft, die Gefährdung und gleichzeitige Stabilität dieser Welt zu zeigen. Es ist<br />

ein bisschen die lesbische Version von David Lynchs Straight Story: Die Bedrohungen und Brüche<br />

sind subtil und manchmal kaum zu sehen. Oft ist es <strong>nicht</strong> mehr als ein entgleister Mundwinkel,<br />

ein aus Versehen entblößter blauer Fleck oder ein kurzer Moment, in dem man das<br />

Auto einfach an <strong>den</strong> Straßenrand fahren muss, um aus dem Fenster zu starren. Wir sehen die<br />

Gesichter von Menschen, die alles haben, was man sich wünschen kann und die doch die Leere<br />

<strong>nicht</strong> länger übersehen können. Es sind diese typisch amerikanischen Fernsehgesichter: gute<br />

Haare, gute Zähne, gute Haut, gute europäische Gene. Sie sehen wahlweise amazed, happy,<br />

tired, sad oder bored aus. Gute Schauspieler_innen habe noch einige Adjektive mehr <strong>für</strong> ihre<br />

Gesichter. Wenn Abby ihre Mini-Revolution noch ein bisschen weitertreibt und sich auf bei<strong>den</strong><br />

Seiten der Transaktion mit Sex <strong>für</strong> Geld beschäftigt, wird ihr Loft zu einem regelrechten<br />

22 sissy 19<br />

sissy 19 23


kino<br />

Casting-Studio. In der Reihenfolge ihres Auftretens:<br />

ein schwarz-langhaariges Victoria-<br />

Secret-Model mit aufdringlich trainiertem<br />

Bauch und verwegenen Tattoos; eine etwas<br />

übergewichtige und wahnsinnig nervöse<br />

Women’s-Studies-Stu<strong>den</strong>tin auf der Suche<br />

nach ihrem ersten Kuss; ein überambitionierter<br />

Girls-Sidekick mit psychoanalytisch<br />

einschlägigen Ohrringen; eine im Innersten<br />

zerbrechliche aber nach außen hart gewor<strong>den</strong>e<br />

Akteurin des Kunstbetriebes mit dünnen<br />

rötlichen Haaren; eine junge Frau, die<br />

ihre Widerständigkeit durch ihr „we are in<br />

hell“-Tattoos beglaubigt haben will; die Frau<br />

eines Goldman-Sachs-Analysten mit einem<br />

obszön großen Diamentring. Diese Frauen<br />

kommen und gehen, sie plaudern, kommen<br />

wieder, bäumen sich beim Orgasmus auf, verteilen<br />

romantische Küsse danach und zahlen,<br />

was vereinbart war. Das klingt hoffnungslos<br />

und ist es wohl auch, aber in Concussion ahnt<br />

man, dass es so etwas wie Hoffnung gibt.<br />

„I wanna take a hot<br />

yoga class after this.“<br />

Dass unter jeder professionellen Maskerade<br />

verletzbare Menschenkinder hausen, die<br />

eine Berührung suchen und keinen anderen<br />

Ausweg wissen, als da<strong>für</strong> ein paar hundert<br />

Dollar zu investieren. Abby kann an dem<br />

Leben dieser Menschen so wenig ändern wie<br />

an ihrem eigenen. Der einzige Skandal an<br />

dieser Welt ist, dass es keine Skandale gibt.<br />

Wenn eine Ehe auseinandergeht, weiß keiner<br />

so recht, woran es gelegen hat, aber es gibt<br />

gute Anwälte, die alles in Ordnung bringen.<br />

Wenn einem mal jemand unter <strong>den</strong> Rock<br />

gefasst hat, während man hinter einer Dragqueen<br />

am Unisexklo angestan<strong>den</strong> hat, dann<br />

ist das eine tolle Geschichte, um sie auf einer<br />

Party zu erzählen. Alles ist möglich, alles<br />

lässt sich integrieren, solang es irgendwann<br />

als Ware, Dienstleistung oder gute Unterhaltung<br />

in <strong>den</strong> allgemeinen Tauschkreislauf eingebracht<br />

wer<strong>den</strong> kann.<br />

Das gilt <strong>nicht</strong> nur <strong>für</strong> alles und jede_n<br />

in Concussion, sondern auch <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Film</strong><br />

selbst. Die lakonische Kamera hat weder<br />

Angst vor Kalauern noch vor pathetischen<br />

Momenten. Sie schenkt uns die New-York-<br />

Bilder, auf die wir alle warten und überrascht<br />

uns mit kleinen zauberhaften Anordnungen,<br />

die erst auf <strong>den</strong> zweiten Blick verraten, was<br />

sie sind, woher ihre Symmetrie stammt oder<br />

wieso in ihnen verrückte Lichteffekte blitzen.<br />

Der leicht verdauliche Totalitarismus<br />

des <strong>Film</strong>s und seiner Welt kommt auch in<br />

seinen immer passend getönten Bildern zum<br />

Ausdruck. Sieht alles sehr schön aus, passt<br />

alles gut zusammen, gibt keinen Ausweg.<br />

Concussion findet immer wieder Bilder, um<br />

diesen Zustand sichtbar zu machen. Das ist<br />

so subtil, dass man es kaum beschreiben<br />

kann. Man muss hingehen und es anschauen.<br />

Dieser Text könnte hier zu Ende sein,<br />

so wie der <strong>Film</strong> zu Ende sein könnte, wenn<br />

Abbys Partnerin Kate merkt, wie sinn- und<br />

hoffnungsleer ihre Welt ist. Es gelingt dem<br />

<strong>Film</strong>, seinen Schauspieler_innen und seiner<br />

Regisseurin aber, einen subtilen doppelten<br />

Bo<strong>den</strong> zu installieren, der diesen ganzen<br />

heteronormativen, kapitalistischen Irrsinn<br />

weder erträglicher oder besser, da<strong>für</strong> aber<br />

verständlich macht. Das beginnt schon zu<br />

Anfang. Eine Freundin erklärt Abby, dass sie<br />

einen Beitrag <strong>für</strong> ein Elternmagazin schreibt<br />

über die Träume junger Mütter. Abby hat<br />

ihr aufgeschrieben, dass sie träumte, wie<br />

sie ihren kleinen Sohn entweder in die Mikrowelle<br />

setzte oder ihn heiratete. „My poor<br />

baby. I didn’t know whether to kill him, fuck<br />

edition salzgeber<br />

him or eat him.“ Ihre Freundin findet das<br />

unangebracht und erklärt Abby, dass sie eher<br />

an Träume dachte, in <strong>den</strong>en man vergisst sein<br />

Kind zu füttern, weil man so unter Druck<br />

steht. Abby ergibt sich in ihr Schicksal: „OK. I<br />

dreamt I forgot to feed him.“ In dieser Gesellschaft<br />

sind alle ständig auf der Suche nach<br />

Ereignissen, nach Geschichten, nach ungewöhnlichen<br />

Personen und Konstellationen.<br />

Wann immer sie eine treffen, sind sie enttäuscht,<br />

dass ihre Erwartungen von Ereignissen,<br />

Geschichten und ungewöhnlichen<br />

Personen <strong>nicht</strong> mit diesen übereinstimmen.<br />

Wenn Abby ihre Kundinnen erst auf einen<br />

Kaffee treffen möchte, sind diese zunächst<br />

mit <strong>nicht</strong>s anderem beschäftigt als dieses<br />

Treffen in die Kategorien von Date oder Sexjob<br />

einzuordnen: „But I do pay you.“ Abby ist<br />

halb schockiert und halb ernüchtert, dass es<br />

ihr <strong>nicht</strong> gelingt, die Grenzen ihres bürgerlichen<br />

Gesellschaftsmodells zu fin<strong>den</strong>. Sie ist<br />

aber wohl auch froh darüber. Am Ende sind<br />

ihre Pläne, am Wochenende die Haustür neu<br />

zu streichen, das Auto in die Werkstatt zu<br />

bringen und sich um die Sprinkleranlage zu<br />

kümmern. Was sie wirklich will? „I wanna<br />

take a hot yoga class after this.“<br />

Sie sagt das mit diesem besonderen<br />

Gesicht, das sie die ganze Zeit durch <strong>den</strong> <strong>Film</strong><br />

trägt. Es ist ein vernünftiges Gesicht: aufgeräumt,<br />

gut erhalten, angemessen dekoriert,<br />

bewegt genug, um die notwendigen Adjektive<br />

zu zeigen: amazed, happy, tired, sad, bored.<br />

Ihr Lächeln erscheint aber etwas zu schnell,<br />

der Aufschlag ihrer Augen erfolgt etwas zu<br />

automatisiert, eine empörte Mimik ist zu<br />

bereitwillig zu Hand, wenn sie gebraucht<br />

wird. Ich habe das zu oft gesehen, um noch<br />

daran glauben zu wollen. Schaut Carry<br />

Bradshaw <strong>nicht</strong> viel glücklicher, wenn sie die<br />

Skyline von Manhattan sieht? Zieht Hannah<br />

Horvath ihre Augenbrauen <strong>nicht</strong> viel lakonischer<br />

nach oben, wenn sie ihre Mitbewohnerin<br />

beim Sex auf dem Esstisch überrascht?<br />

Abby ist eine Frau, die einem <strong>nicht</strong> leid tun<br />

muss und die am Ende jede Illusion über ihr<br />

Leben verloren hat. In der letzten Einstellung<br />

schaut sie mit festem Blick in die Kamera, in<br />

ihre Zukunft. Es wird wohl ungefähr so weitergehen,<br />

strampeln auf dem Indoor-Bike,<br />

eine neue Veranda bauen, Innenräume schaffen.<br />

Die Klugheit von Concussion besteht<br />

darin, <strong>nicht</strong> <strong>den</strong> großen Ausbruch zu simulieren,<br />

sondern die Bedingungen zu schildern,<br />

unter <strong>den</strong>en wir uns so lang selbst verbessern<br />

dürfen, wie alles beim alten bleibt. Vor<br />

etwas mehr als hundert Jahren hat man sich<br />

„The Love That Dare Not Speak Its Name“<br />

als einen Ausweg vorgestellt. Nun hocken die<br />

Namenlosen in gedecktfarbigen Familienbehausungen<br />

und beobachten an sich und ihren<br />

Nächsten die wenigen sichtbaren Erschütterungen.<br />

Concussion ist das großartige Familienalbum<br />

der Erschütterten.<br />

s<br />

Ambulantes<br />

Delirium<br />

Ein Hinweis von Richard Garay<br />

s Was kann einem jungen <strong>Film</strong>emacher Besseres passieren, als auf<br />

bislang unentdecktes Material seines berühmten Künstleronkels zu<br />

stoßen – und wie wunderbar obendrei, wenn es sich um <strong>Film</strong>-, sprich:<br />

Super8-Material handelt? Cesar Oiticica Filho ist als Journalist, bil<strong>den</strong>der<br />

Künstler und Absolvent der New Yorker <strong>Film</strong> Academy das<br />

unbeschreibliche Glück passiert, dieses Material seines Onkels, des<br />

Happening-Künstlers Hélio Oticica, in die Hände zu bekommen – und<br />

damit Familien- und Kunstgeschichte gleichermaßen fortschreiben<br />

zu können.<br />

Was der Neffe mit dem grandiosen, poppigen, performativen<br />

Material macht, folgt wunderbarerweise <strong>nicht</strong> der üblichen Nachlassverwaltermentalität<br />

vieler Familienmitglieder berühmter Künstler:<br />

Er ordnet es wild und filmisch, lässt Oiticica selbst mithilfe von Tonaufnahmen<br />

zu Wort kommen, hält sich ansonsten dem Kommentieren<br />

fern und missachtet Biografie und Werkchronologie des Erfinders<br />

der Tropicalismo-Bewegung völlig.<br />

Ein derart freier Zugriff ist im Sinne des Porträtierten gedacht<br />

– ob sich dessen Kontextkunst, in der Körper <strong>nicht</strong> nur an Farben,<br />

sondern auch an Räume, soziale Ungerechtigkeiten und ein queeres<br />

Bewusstsein gekoppelt sind, tatsächlich so auf einen filmischen Raum<br />

übertragen lässt, ist die Frage.<br />

Nicht verpassen sollte man deshalb die Kinotour von Cesar Oiticica<br />

Filho mit seinem <strong>Film</strong>, mit dem Material seines Onkels im Gepäck,<br />

mit einer Frankfurter Oiticica-Ausstellung und <strong>den</strong> Fragen des Publikums<br />

– so wird sich das „ambulante Delirium“ des „brasilianischen<br />

Beuys“ in die Gegenwart übersetzen lassen.<br />

s<br />

Hélio Oiticica<br />

von Cesar Oiticica Filho<br />

BR 2012, 94 Minuten, portugiesisch-englische<br />

OF mit deutschen UT<br />

Arsenal Distribution, www.arsenal-berlin.de/distribution<br />

Im Kino Caligarifilmpreis-Tournee: 29.09. <strong>Film</strong>museum<br />

Frankfurt · 30.09. Kino Arsenal, Berlin · 07.10. Caligari<br />

<strong>Film</strong>bühne, Wiesba<strong>den</strong> · 09.10.Kinemathek Karlsruhe ·<br />

Außerdem: 04.10. <strong>Film</strong>palette Köln · Hélio-Oiticica-Retrospektive<br />

im Museum <strong>für</strong> Moderne Kunst in Frankfurt<br />

von 27. September 2013 bis 12. Januar 2014<br />

kino<br />

arsenal distribution<br />

OSCAR® PREISTRÄGER<br />

MICHAEL DOUGLAS<br />

OSCAR® PREISTRÄGER<br />

MATT DAMON<br />

GAY-FILM-<br />

NACHT-SPEZIAL<br />

am 02.10.<br />

24 sissy 19<br />

sissy 19 25


kino<br />

kino<br />

Sex,<br />

Lügen<br />

und ein<br />

weiSSer<br />

Pudel<br />

von Matthias Frings<br />

Nein, Michael Douglas wird <strong>für</strong> die Rolle<br />

seines Lebens keinen Oscar bekommen.<br />

Auch <strong>nicht</strong> Matt Damon <strong>für</strong> seine<br />

wirklich berührende Darstellung des<br />

Liberace-Liebhabers Scott. Und auch Rob<br />

Lowes todesmutiger Knallchargenauftritt<br />

als drogensüchtiger Schönheitschirurg<br />

wird es <strong>nicht</strong> in die Auswahl der besten<br />

männlichen Nebendarsteller schaffen.<br />

Denn: „Liberace – Zuviel des Guten<br />

ist wundervoll“ konnte in <strong>den</strong> USA nur<br />

als Fernsehfilm finanziert wer<strong>den</strong>, <strong>für</strong><br />

Hollywood war er „too gay“. Was <strong>nicht</strong>s<br />

oder gerade sehr viel über die Qualität<br />

dieses <strong>Film</strong>s aussagt. Wir in Europa<br />

haben es besser: Wir können jetzt im<br />

Kino schockiert zur Kenntnis nehmen,<br />

dass Liberace tatsächlich Sex hatte.<br />

s Der Star. Was <strong>für</strong> ein Schmierlappen. Dieser Mann ist die Fleischwerdung<br />

des bösen lieben Onkels, vor dem uns unsere Mütter immer<br />

gewarnt haben. Puddinggesicht mit Hakennase, ein uferloses Lächeln,<br />

auf dem man ausrutscht. Er näselt, hat zwei gebrochene Handgelenke<br />

und trägt ein glitterbestäubtes Schmalzlockentoupet. Die Vokabel<br />

„warmer Bruder“ hätte speziell <strong>für</strong> ihn erfun<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> können.<br />

Eine „one name celebrity“ – sein polnischer Vorname ist zu schwer<br />

auszusprechen – macht Liberace schon als Wunderkind auf sich aufmerksam.<br />

Er spielt exzellent Klavier, vor allem aber so schnell wie<br />

kein anderer. Bald ist er „Mr. Showmanship“, ein Superstar von <strong>den</strong><br />

Fünfzigern bis in die Achtziger, als er an <strong>den</strong> Folgen von Aids stirbt.<br />

Grell gekleidet in Pailletten-Barock inklusive Mantel aus weißem<br />

Fuchs mit Schleppe und Strass <strong>für</strong> hunderttausend Dollar („Schauen<br />

Sie genau hin, Sie haben ihn bezahlt!“), die Bühne ein multipler Orgasmus<br />

<strong>für</strong> Camp-Liebhaber, stets ein Kandelaber auf dem Klavier, hat er<br />

ausverkaufte Häuser zwischen New York und Las Vegas. Das große<br />

Bling haben <strong>nicht</strong> Äffinnen wie Paris Hilton erfun<strong>den</strong>, es war Liberace<br />

ganz allein, eine Mischung aus André Rieu und Harald Glööckler.<br />

Die Überraschung: Dieser Mann ist ein Sexsymbol, der feuchte<br />

Traum verzweifelter Hausfrauen. Schwul? Der doch <strong>nicht</strong>! „Liberace’s<br />

smile“ wird sogar in Nina Simones „My baby just cares for me“ verewigt.<br />

(George Michael ersetzte es in seiner Version durch „Ricky<br />

Martin’s smile“). Munter seiner Überzeugung folgend, dass das Publikum<br />

nur das sieht, was es sehen will, stürzt er sich nach allerlei Affären<br />

in die Beziehung mit einem Siebzehnjährigen.<br />

Man könnte die alte Geschichte vom Star und seinem Fan als Farce<br />

auf Speed erzählen, als „schrilles“ Melodram oder Tragikomödie.<br />

Nächste Überraschung: Steven Soderbergh tut <strong>nicht</strong>s dergleichen.<br />

Der Lover. Knusprig, naiv wie eine Brezel und tierlieb. Siebzehn ist<br />

<strong>nicht</strong> nur Scotts Alter, sondern als Waise hat er auch schon ebenso<br />

viele Pflegeeltern gehabt. Er arbeitet als Tiertrainer beim <strong>Film</strong>, eine<br />

schwule Barbekanntschaft nimmt ihn mit auf ein Liberace-Konzert<br />

in Las Vegas, und prompt lan<strong>den</strong> sie Backstage. Liberace ist von dem<br />

Gol<strong>den</strong> Boy entzückt. Als der auch noch <strong>für</strong>sorglich seinen Hund<br />

von einer Augenkrankheit erlöst, ist die Sache in trockenen Betttüchern.<br />

Ein weißer Königspudel als Kuppler – es könnte kein besseres<br />

Wappentier <strong>für</strong> diese Verbindung geben. Selbstre<strong>den</strong>d ist Scott vom<br />

Ruhm, der Villa, dem Geld geblendet, aber er ist weder gierig noch<br />

berechnend. Nur erstaunt wie ein Kind. Und er sucht Wärme, Nähe,<br />

Liebe.<br />

Ihre Beziehung. Von hier an könnte jeder <strong>den</strong> <strong>Film</strong> zu Ende schreiben:<br />

Eine verhängnisvolle Affäre, der falsche Glanz der Glimmerwelt, die<br />

sich als hart und schal erweist, sexuelle wie emotionale Ausbeutung,<br />

unausweichlicher Abstieg, Streit, Hass Drogen, Trennung, Erpressung.<br />

Nächste Überraschung. Soderbergh zeigt all dies. Weil es so stattgefun<strong>den</strong><br />

hat. Und zur gleichen Zeit erzählt er eine ganz andere, ganz<br />

alltägliche Geschichte. Weil er ein exzellenter Regisseur ist. Und sein<br />

Drehbuchautor verdammt originell schreiben kann. Abgesehen vom<br />

DCM<br />

ganzen Talmi, Flitter und Nippes – Liberace bezeichnet sein Haus<br />

zutreffend als „Palast-Kitsch“ – sieht man die Entwicklung einer<br />

x-beliebigen Liebesbeziehung, wie sie zwischen Männern, Frauen<br />

oder bekennen<strong>den</strong> Heterosexuellen so auch in Bad Salzuflen ablaufen<br />

könnte: Das erste Verliebtsein, die häuslichen Freu<strong>den</strong> einer sich eingrooven<strong>den</strong><br />

Zweisamkeit, das freundliche Gezänk darüber, was im<br />

Bett so alles passieren soll, der erste Streit, die ersten Freiheitsbestrebungen,<br />

Auseinandersetzungen über eine offene oder geschlossene<br />

Beziehung, Fremdgehen. Eifersucht, Trennung.<br />

Gerade weil hier alles im Las-Vegas-Format daherkommt, wird<br />

das Gewöhnliche, das Allgemeingültige dieser Beziehung zweier<br />

Menschen umso kenntlicher. Und so steht dieser <strong>Film</strong> ganz überraschend<br />

in einer Reihe mit anderen erwachsenen Werken des Queer<br />

Cinema, wo <strong>nicht</strong> mehr ausschließlich Schwulsein das Thema ist,<br />

ohne die Besonderheiten einer Liebe zwischen Männern zu leugnen.<br />

Die Darsteller. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit: Wie kann man<br />

eine flamboyante Tunte spielen, ohne in Klischees zu verfallen? Liberace<br />

selbst ist schon Klischee pur, noch einen drauflegen würde <strong>nicht</strong><br />

nur Diabetes verursachen, es wäre eine witzlose Parodie der Parodie<br />

und diskriminierend obendrein. Unterspielen geht aber auch <strong>nicht</strong>.<br />

Also greift Michael Douglas tief ins Schatzkästlein seiner Schauspielkunst.<br />

Er näselt sich absolut glaubwürdig durch Liberaces Manierismen,<br />

schlüpft mit atemberaubender Selbstverständlichkeit in seine<br />

weichen Bewegungen, präpariert die harten Seiten dieses scheinbar<br />

so leichtgewichtigen Mannes deutlich heraus. Alles ohne die großkotzige<br />

Selbstgefälligkeit, die so viele heterosexuelle Darsteller schwuler<br />

Charaktere an <strong>den</strong> Tag legen. Vor allem aber fügt er seiner Figur<br />

etwas Essentielles hinzu – die nächste Überraschung: Wärme, Liebenswürdigkeit,<br />

Charme. Da kann jemand Anteil nehmen, ist besorgt,<br />

liebevoll, aufmerksam. Gol<strong>den</strong>es Herz und eiserner Wille, er nimmt<br />

und gibt großzügig.<br />

Michael Douglas spielt schlafwandlerisch sicher, ein Augenaufschlag<br />

zu viel, eine ehrliches Lächeln zu wenig – und schon würde die<br />

Chose zusammenschrumpfen auf einen Käfig voller Narren.<br />

Matt Damon ist <strong>nicht</strong> zu benei<strong>den</strong>. Nicht nur, dass der Zweiundvierzigjährige<br />

sich verständlicherweise schwer tut, einen Siebzehnjährigen<br />

glaubwürdig darzustellen – Verbeugung vor der Kunst der<br />

Maskenbildner, Beleuchter und Fitnesstrainer – er muss auch mit seiner<br />

Boy-next-door-Rolle neben dem exzentrischen Mr. Überlebensgroß<br />

bestehen.<br />

Ganz ohne Arg legt er ihn an, ein wirklich netter Junge, eher zum<br />

Knuddeln als zum Ficken. Doch während dieser junge Mann langsam<br />

Blut leckt, Spaß findet an Ruhm, Geld und Drogen und sich trotz der<br />

Seitesprünge seines vierzig Jahre älteren Lovers an diese Beziehung<br />

klammert, rückt er immer stärker ins Zentrum des Geschehens. Eine<br />

Coming-of-Age-Story in Cinemascope. Auch bei Damon wirkt das<br />

Spiel leichtfüßig, ganz selbstverständlich. Und die Liebhaber draller<br />

Jungmännlichkeit kommen auch noch auf ihre Kosten.<br />

Die Regie. Das Buch. Welcher Regisseur würde sich diesen quietschbunten<br />

Tuschekasten entgehen lassen, die dicken Goldringe, <strong>den</strong><br />

verspiegelten Rolls Royce, Palmen, Pool und lebensgroße Leopar<strong>den</strong><br />

aus Porzellan? „Ludwig II. war der Liberace von Bayern“, sagt einmal<br />

ein Gast. Völlig zu recht. Doch inmitten dieser herrlich schwülstigen<br />

Kulissen legt Soderbergh die Struktur einer intimen Verbindung frei.<br />

Während die großen Showszenen in feurigem Rot und königlichem<br />

Blau gehalten sind, schafft er <strong>für</strong> die Privatwelt der bei<strong>den</strong> Männer<br />

eine Art ästhetischen Schutzraum. Dazu operiert er mit Licht, setzt<br />

die Lieben<strong>den</strong> zwischen Tisch und Bett sonnengelb und im flaumigsten<br />

Apricot ins Bild. Konsequenterweise fin<strong>den</strong> sich die gleichen Farben<br />

auch auf der Farm von Scotts Adoptiveltern. Die Wärme der Farben<br />

zeigt an, dass hier zwei trudelnde Seelen Nähe und Halt suchen,<br />

letztendlich so etwas wie eine Familie.<br />

Soderbergh liebt seine Schauspieler und lässt ihnen viel Raum <strong>für</strong><br />

die Entwicklung all der kleinen Zeichen, die eine Beziehung charakterisieren.<br />

Wie sie gemeinsam vor der Glotze hocken, sich gemütlich<br />

streiten und streicheln, das erzählt er mit konzentrierter Beiläufigkeit.<br />

Es wird viel geküsst in diesem <strong>Film</strong>. Während die bei<strong>den</strong> über<br />

Schwulsein, Bisexualität und Gott diskutieren, vergisst man hin und<br />

wieder, dass hier Michael Douglas unter Matt Damon liegt, ihm Poppers<br />

anbietet und im Hintergrund auf dem Videorecorder ein schwuler<br />

Hardcoreporno läuft.<br />

Die Kamera ist äußerst aufmerksam, registriert fast eifersüchtig<br />

je<strong>den</strong> Blick, jede Geste des Paares. Erst als Scott durch die „Diätpillen“<br />

eines Schönheitschirurgen süchtig wird, ändern die Farben sich,<br />

und die Kamera agiert beweglicher, hektischer, jünger. Nur zweimal<br />

erlaubt der <strong>Film</strong> sich einen Ausflug in die Farce: Rob Lowe legt als<br />

drogensüchtiger, flachgelifteter Chirurg ein schreiend komisches<br />

Kabinettstückchen hin, und wenn Liberace und Scott einen nächtlichen<br />

Ausflug in ein schmuddeliges Homo-Pornokino riskieren (in<br />

bo<strong>den</strong>langen weißen Pelzmänteln!), zeugt das <strong>nicht</strong> nur von Milieukenntnis,<br />

sondern lässt in seiner deftigen Komik auch erahnen, wie<br />

bedrückend ein Leben im Schrank <strong>für</strong> einen großen Star sein muss.<br />

Der <strong>Film</strong> lässt sich Zeit, wirkt nie gehetzt, doch hinter dem lässigen<br />

Tempo arbeitet ein präzise schnurrendes dramaturgisches<br />

Räderwerk. Drehbuchautor Richard LaGravenese (The Fisher King,<br />

The Bridges of Madison County) baut die Story äußerst ökonomisch.<br />

Für je<strong>den</strong> biographischen oder charakterlichen Aspekt seiner Figuren<br />

benötigt er exakt eine Szene. Er schreckt <strong>nicht</strong> vor <strong>den</strong> weniger<br />

sympathischen Seiten seiner Protagonisten zurück, hellt sie aber<br />

immer wieder durch pointierte und witzige Dialoge auf. Ein paar deftige<br />

Zitate <strong>für</strong> die <strong>Film</strong>geschichte sind allemal drin. Er nimmt <strong>nicht</strong><br />

Partei und weiß wie jeder gute Drehbuchschreiber, dass das Beste<br />

und das Verabscheuungswürdigste im menschlichen Verhalten nahe<br />

beieinander liegen.<br />

Die schwule Mafia. Welche schwule Mafia? In Hollywood wird gerne<br />

darüber spekuliert, wie die Homos sich gegenseitig stützen und<br />

ihre Agenda durchbringen. Schön wär’s. Dass es sie leider <strong>nicht</strong> gibt<br />

beweist die Produktionsgeschichte dieses <strong>Film</strong>s. Da hat man einen<br />

berühmten Regisseur, zwei Weltstars als Zugpferde, die sahnige<br />

Lebensgeschichte eines Mannes, <strong>den</strong> jedes Kind in <strong>den</strong> USA kennt –<br />

und doch scheiterten jahrelang alle Bemühungen, <strong>den</strong> Stoff zu finanzieren.<br />

Vergleichsweise läppische 23 Millionen Dollar waren aufzubringen,<br />

doch sie kamen <strong>nicht</strong> zusammen. Begründung: zu schwul!<br />

Und so erweist sich nebenbei die These, Brokeback Mountain habe im<br />

Mainstreamkino einige Türen <strong>für</strong> schwule Themen aufgestoßen, als<br />

Wunsch<strong>den</strong>ken.<br />

Schließlich griff der Kabelsender HBO zu. Dass Soderbergh seinen<br />

ersten <strong>Film</strong> auf der großen Leinwand in Cannes präsentierte und<br />

seinen letzten <strong>für</strong> das Fernsehen realisierte (in Europa läuft der <strong>Film</strong><br />

allerdings im Kino), zeigt ungewollt, wie sich die Gewichte zwischen<br />

dem ideenmü<strong>den</strong> Hollywood und einem quicklebendigen Fernsehen<br />

verlagert haben.<br />

Bei seiner TV-Ausstrahlung holte Behind the Candelabra die besten<br />

Quoten <strong>für</strong> <strong>den</strong> Sender seit 2004. Bye, bye Hollywood. s<br />

Liberace –<br />

Zu viel des Guten ist wundervoll<br />

von Steven Soderbergh<br />

US 2013, 119 Minuten, deutsche SF<br />

und englische OmU<br />

DCM Distribution, www.dcmworld.com<br />

Im Kino ab 3. Oktober 2013<br />

www-liberace-derfilm.de<br />

Vorab bereits im Gay-<strong>Film</strong>nacht-Special<br />

am 2. Oktober 2013 · Teilnehmende<br />

Kinos unter www.Gay-<strong>Film</strong>nacht.de<br />

26 sissy 19 sissy 19 27


kino<br />

kino<br />

Berlin<br />

Mystery<br />

Tour<br />

von Jochen Werner<br />

Auf englisch mit spanischer Akzentfärbung fragt sich<br />

ein selbstvergessener Partytourist zu <strong>den</strong> Berliner Raves<br />

durch. Und gerät dort in eine Geschichte mit doppelten<br />

Tanzbö<strong>den</strong> und in <strong>den</strong> Podcast eines schon lange <strong>nicht</strong><br />

mehr abgelösten DJs. Stefan Westerwelles und Patrick<br />

Schuckmanns Easyjet-Thriller findet aber, allen Szenemü<strong>den</strong><br />

und Hipsternörglern zum Trotz, immer wieder zu Bildern,<br />

in <strong>den</strong>en Sehnsucht und Atmosphäre ganz <strong>für</strong> sich stehen.<br />

s So, also hierher kommen die Leute, um zu leben, ich würde eher<br />

meinen, es stürbe sich hier. Berlin, das kann ein Fegefeuer sein und<br />

ein Mahlstrom, und <strong>den</strong>, der unvorbereitet hineingerät, <strong>den</strong> schluckt<br />

es mit Haut und Haar und lässt es nie wieder los. Der süße Spanier<br />

Luis (Fernando Tielve) meint genau zu wissen, was er von der Stadt<br />

will. Als klischeetrunkener Partytourist stolpert er in die Clubszene<br />

hinein, um dort Spaß, Drogen, Sex, Ekstase zu fin<strong>den</strong> – Balsam, um<br />

<strong>den</strong> Schmerz der Trennung von seinem Exfreund Carlos zu lindern.<br />

Vom Flughafenterminal direkt auf die Tanzfläche schneidet Regisseur<br />

Stefan Westerwelle schon im Vorspann von Lose Your Head,<br />

auch wenn Luis dort noch <strong>nicht</strong> angekommen ist. Das von violettrosa<br />

fluoreszierendem Licht gestreichelte und von kristallin pulsieren<strong>den</strong><br />

Elektrobeats untermalte Treiben auf dem Dancefloor braucht ihn<br />

<strong>nicht</strong>, braucht im Grunde nieman<strong>den</strong>, es scheint sich fast unabhängig<br />

von <strong>den</strong> Individuen zu ereignen, aus <strong>den</strong>en es sich zusammensetzt.<br />

Eine fluide Substanz, in die man hinein- und aus der man wieder herausgleitet,<br />

ohne dass sich an ihrer Beschaffenheit etwas ändert. Eine<br />

Party, die vergisst, wie das Zuendegehen funktioniert.<br />

Luis ist aber noch <strong>nicht</strong> Teil des rosafarbenen Traums vom Glück.<br />

Seine Farbe ist ein etwas beißendes Grün, manchmal auch ein Nachtblau,<br />

das etwas Tod mit sich trägt. Im Grün aber trifft er auf <strong>den</strong> mysteriösen<br />

Ukrainer Viktor (Marko Mandic), und auch wenn ihn eine<br />

schöne blonde Weiblichkeit (Samia Muriel Chancrin) mit sich zieht,<br />

zunächst ins Pink, dann ins Sonnenlicht und schließlich in ihre Wohnung<br />

und ihr Bett, wo dann freilich aus physiologischen Grün<strong>den</strong><br />

schnell Schluss ist mit all dem queeren Hedonismus. Zwischen Carlos<br />

und Viktor passt hier keine Grit, und der einigermaßen zugedröhnte<br />

Luis wird kurzerhand in der verschlossenen Wohnung zurückgelassen,<br />

während die Clique, die ihn kurzzeitig umspülte, zur nächsten<br />

After-Hour weiterzieht. Nur ein schwarzer Kater bleibt zurück, als<br />

die Feuerwehr <strong>den</strong> Eingesperrten befreit,<br />

und im Kater Holzig, am pastellbunten Fotoautomaten,<br />

taucht schließlich Viktor wieder<br />

auf. Man landet auf der sonnenbeschienenen<br />

Tanzfläche, dann im Fluss und schließlich<br />

im Bett – diesmal im richtigen. Die bei<strong>den</strong><br />

verbringen die Nacht miteinander, und ein<br />

gemeinsames Frühstück macht aus einem<br />

One-Night-Stand eine Liebesgeschichte.<br />

Von diesem Moment an möchte Lose Your<br />

Head mehr sein als ein Berlinfilm, als ein<br />

Clubfilm, ein Elektropopfilm. Schade eigentlich.<br />

Denn seine schönsten Momente hat der<br />

zweite Spielfilm von Stefan Westerwelle –<br />

einem jungen <strong>Film</strong>emacher, der vor allem mit<br />

dem wundervollen Dokumentarfilm Detlef<br />

eine beeindruckende Talentprobe vorlegte –<br />

in jenen Augenblicken, in <strong>den</strong>en er ganz bei<br />

sich ist, in <strong>den</strong>en er <strong>nicht</strong>s erzählen zu müssen<br />

glaubt und sich ganz in atmosphärischen<br />

Momentaufnahmen verliert. Das Herumhängen<br />

nach einer viel zu langen Clubnacht,<br />

die drogengeschwängerten Gespräche dieser<br />

schier endlos sich zerdehnen<strong>den</strong> Zeit, rastlos<br />

zwischen Philosophie, Anekdote und Nonsens<br />

oszillierend, die weichwattige, rosafarbene<br />

Gedämpftheit dieser langen Tage, die<br />

nur <strong>für</strong> die Anderen wirklich Tage sind – in<br />

diese Momente hätte man sich mühelos zwei<br />

Stun<strong>den</strong> wohlig hineinkuscheln können, sich<br />

pro-fun media<br />

mit ihnen zudecken und hoffen, dass es nie<br />

wieder anders wird. Aber Lose Your Head hat<br />

auch etwas zu erzählen.<br />

An der Oberfläche der reinen Plotmechanik<br />

ist Westerwelles und Schuckmanns <strong>Film</strong><br />

ein recht klassisch konstruierter Mystery-<br />

Thriller: ein Geheimnis um eine abwesende,<br />

enigmatische Figur, die vielleicht tot ist, ein<br />

Liebhaber, der vielleicht ein Mörder ist, und<br />

eine unerzählte Geschichte, die mit Macht<br />

ans Licht des Tages und der Erkenntnis<br />

drängt. Die Geschichte eines Fin<strong>den</strong>s, oder<br />

Wiederfin<strong>den</strong>s, einer Wahrheit also. Eine<br />

Wahrheit freilich, die weder besonders originell<br />

noch besonders interessant ist – wesentlich<br />

mehr Faszinationskraft entwickelt<br />

Lose Your Head, wenn man seine narrative<br />

Camouflage in eine Tiefenstruktur hinein<br />

durchstößt und die, unterhalb des Radars,<br />

stets miterzählte Geschichte eines umfassen<strong>den</strong><br />

Verlustes verfolgt. Denn bevor er seinen<br />

Kopf zu verlieren droht, muss Luis zahlreiche<br />

ganz konkrete Verluste hinnehmen.<br />

Zuerst vermisst der junge Spanier, schon<br />

nach seiner ersten Berliner Clubnacht, lediglich<br />

seine Mütze, doch bald schon muss auch<br />

sein Kopfhaar dran glauben. Viktor gestaltet<br />

seine verwuschelten Haare zu einem militärisch<br />

ausrasierten Szene-Schnitt um – der<br />

unbedarfte Luis wird Schritt <strong>für</strong> Schritt zum<br />

stylish uniformierten Berlin-Hipster umgestaltet.<br />

Fast wie Kim Novak in Hitchcocks<br />

Vertigo gerät hier ein Mensch in die Mühle<br />

der Bilder, nach <strong>den</strong>en man ihn formen will,<br />

und setzt beim Versuch, diese Stadt zu umarmen,<br />

seine Souveränität als Individuum aufs<br />

Spiel. Der Preis, <strong>den</strong> man <strong>für</strong> die Hipness zu<br />

zahlen hat, so scheint alles in Lose Your Head<br />

zunächst zu schreien – ein Fanal gegen die<br />

Stilfaschismen der Subkulturen? Gegen die<br />

Mainstreams der Minderheiten, ihre Nivellierungen<br />

und Dresscodes?<br />

Ein aufregender, kritischer und subversiver<br />

Ansatz wäre das <strong>für</strong> einen so offensiv<br />

mit touristischem Gestus kokettieren<strong>den</strong><br />

schwulen Szenefilm wie diesen, und zwischen<br />

<strong>den</strong> Sequenzen und Bildern blitzt er<br />

auch in der Tat je<strong>den</strong>falls momenthaft immer<br />

wieder einmal auf. Lose Your Head lässt sich<br />

durchaus lesen als eine subtile und doch beißende<br />

Kritik an exakt jener schon ein wenig<br />

abgegriffenen Berliner Nachtleben-Ästhetik,<br />

die er offen aufgreift und bedient. Wenn er<br />

nur <strong>nicht</strong> so umständlich gebaut wäre, und<br />

wenn er nur seine spannen<strong>den</strong> Subtexte<br />

<strong>nicht</strong> fortwährend unter schnödem Plot<br />

verstecken würde. Denn in dem Moment, in<br />

dem das Geheimnis endlich in das Drehbuch<br />

von Patrick Schuckmann eintritt, beginnt<br />

nahezu alles andere sich, wie von magnetischer<br />

Kraft angezogen, um dieses zentrale<br />

Mysterium zu gruppieren. Es ist dann, wie<br />

es in vielen <strong>Film</strong>en ist: Für die wirklich interessanten<br />

Dinge bleibt kein Platz mehr, sich<br />

zu ereignen, wenn der Erzählapparat erst<br />

einmal angeworfen wird. Man kann dann<br />

Lose Your Head beim Zerbrechen zuschauen<br />

– aber unter dieser abgestreiften Außenhaut<br />

kommt ein interessanterer <strong>Film</strong> zum Vorschein.<br />

Zunächst aber versklavt er sich, nach<br />

dem erfreulich entspannten Auftakt, <strong>für</strong> eine<br />

ganze Weile an das Erzählen: Luis gerät an<br />

Elena, die ihn mit ihrem spurlos verschwun<strong>den</strong>en<br />

Bruder Dimitri verwechselt – kein<br />

Wunder, trägt er doch dessen Frisur und dessen<br />

T-Shirt. „There must be thousands of stupid<br />

shirts like this“, so stellt Elena resigniert,<br />

aber treffend fest, und aus dem etwas naiven<br />

Partytouristen Luis ist einer gewor<strong>den</strong>, der<br />

in Reih und Glied der Hipsterbrigade marschiert<br />

und dessen T-Shirt ihn als einen Niemand<br />

unter Tausend abstempelt. Einen Niemand<br />

aber, der einem Geheimnis nachspürt<br />

und dabei letztlich vor allem deshalb hinab<br />

in <strong>den</strong> Kaninchenbau steigt, um um seine<br />

eigene I<strong>den</strong>tität zu ringen.<br />

Bald drängen sich zahlreiche Fragen um<br />

<strong>den</strong> Abwesen<strong>den</strong> auf: Handelt es sich bei<br />

Dimitri etwa um die enthauptete Leiche,<br />

die kürzlich aus der Spree gefischt wurde?<br />

Oder aber doch um <strong>den</strong> Straßenräuber, der<br />

Luis beim eher kläglich gescheiterten Cruising-Versuch<br />

niederschlägt und abzieht?<br />

Die Fotos und Erinnerungsstücke Dimitris,<br />

die Luis beim heimlichen Stöbern in Viktors<br />

Wohnung entdeckt, deuten je<strong>den</strong>falls darauf<br />

hin, dass Viktor tiefer in dessen Verschwin<strong>den</strong><br />

verstrickt ist, als er zuzugeben bereit ist,<br />

und gemeinsam mit Elena versucht Luis, der<br />

Wahrheit auf die Spur zu kommen. Aber eine<br />

Wahrheit, wie muss man sich die eigentlich<br />

vorstellen in dieser Berliner Nachtwelt? Und<br />

hat sie, wenn sie sich doch immer nur auf<br />

Einzelschicksale bezieht, <strong>für</strong> das im pinkfarbenen<br />

Licht tanzende Kollektiv überhaupt<br />

irgendeine Bedeutung? Zwischenzeitlich<br />

je<strong>den</strong>falls beginnt sich der <strong>Film</strong> zu<br />

verdichten, auf einen Showdown hin, und<br />

dann stirbt auch tatsächlich jemand, aber<br />

schlussendlich tut das alles <strong>nicht</strong>s zur Sache.<br />

Alle Protagonisten, die auf <strong>den</strong> Spuren eines<br />

Berliner Mysteriums durch <strong>den</strong> <strong>Film</strong> irrten,<br />

fin<strong>den</strong> sich am Ende auf diesem violettrosa<br />

Dance floor wieder. Und der Tod wird einfach<br />

außer Kraft getanzt.<br />

s<br />

Lose Your Head<br />

von Stefan Westerwelle<br />

und Patrick Schuckmann<br />

DE 2013, 98 Minuten, deutsche OF<br />

Pro-Fun Media, www.pro-fun.de<br />

Im Kino ab 19. September 2013<br />

28 sissy 19 sissy 19 29


kino<br />

Bilder, die sprechen,<br />

wenn man sie lässt<br />

kino<br />

Silent Youth<br />

von Diemo Kemmesies<br />

DE 2012, 73 Minuten, deutsche OF<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino ab 17. Oktober 213<br />

Auf DVD ab 22. Oktober 213<br />

von Toby Ashraf<br />

Diemo Kemmesies stellt in seinem Spielfilm „Silent Youth“ zwei junge Männer ins Zentrum des Berliner<br />

Szenetrubels, schneidet sie dann aber so aus, als seien sie allein auf der Welt. Ganz langsam baut sich ihre<br />

Beziehung auf, ganz präzise ist das eingefangen. Eine Einladung zum sprachlosen Mitdriften.<br />

Edition Salzgeber<br />

s Es liegt ein ungemeiner Reiz darin, Menschen beim Schweigen<br />

zuzugucken. Das klingt in Worten ausgedrückt <strong>nicht</strong> sonderlich aufregend,<br />

doch glücklicherweise ist <strong>Film</strong> in erster Hinsicht ein visuelles<br />

Medium, dessen Sprache das Bild ist. Da sitzen also zwei junge<br />

Männer nebeneinander und schweigen sich an. Manchmal gehen sie<br />

nebeneinander her oder stehen irgendwann ziemlich unvermittelt<br />

nackt nebeneinander in der Dusche. Irgendwie ist klar, dass ihr Kennenlernen<br />

<strong>nicht</strong> über Sprache funktioniert – ab und zu mal ein paar<br />

Worte, ein kurzer verbaler Austausch, eine pragmatische Kommunikation<br />

– der Rest sind Blicke und Körpersprache.<br />

Schon die erste Begegnung von Marlo und Kirill deutet an, dass<br />

eine flüchtige Berührung und ein kurzer, wortloser Augenblick genügen,<br />

um zwei Menschen zu verbin<strong>den</strong>. So zufällig wie die Hand des<br />

einen die des anderen im Vorbeigehen streift ist auch das zweite Wiedersehen<br />

am S-Bahnhof, wo Kirill Marlo überraschend fragt, ob er<br />

„schon mal was mit Typen hatte“. Viel geredet wird nur am Küchentisch<br />

der Berliner WG, in der Marlo, Maschinenbaustu<strong>den</strong>t aus<br />

Lübeck, kurzzeitig wohnt, weil er eine Freundin besucht. Da geht es<br />

dann um physikalische Brechungsgesetze, um Statistiken und Zahlen<br />

und man merkt, dass Marlo in dieser Welt der Naturwissenschaften<br />

mehr zu Hause ist als in der Welt des Zwischenmenschlichen.<br />

Die Begegnung mit dem jungen Kirill, der – selbst noch Kind –<br />

schon Vater ist, läuft dann auch entgegen aller Gesetze der Wahrscheinlichkeit.<br />

Mitten in <strong>den</strong> Hauptschlagadern der Großstadt,<br />

zwischen Friedrichshain, Kreuzberg und Neukölln, steht plötzlich<br />

die Zeit still, und ein kurzer Abendspaziergang durch die Straßen<br />

Berlins endet im Morgengrauen auf einer fast menschenleeren Warschauer<br />

Straße. Auf seine Wunde im Gesicht angesprochen, erzählt<br />

Kirill, dass er in Russland zusammengeschlagen wurde. Er ist mit ein<br />

paar Männern trinken gegangen und ist dann ohne Hose und blutüberströmt<br />

in einem Fahrstuhl aufgewacht. Das ist <strong>nicht</strong> gerade die<br />

Art von Information, die man mal eben mit einem Unbekannten teilt,<br />

der einem durch die Nacht gefolgt ist, aber es zeigt, dass da jemand<br />

schnell und auf ungewöhnliche Weise Vertrauen aufbauen will.<br />

Kirill ist ein mysteriöser Einzelgänger, der es seiner Umwelt <strong>nicht</strong><br />

leicht macht, ihn zu durchschauen. In seinem kindlichen Gesicht<br />

spiegelt sich eine unerklärte Traurigkeit, die ihn verletzlich, aber<br />

auch unnahbar wirken lässt. Sein Körper und sein Wesen entsprechen<br />

<strong>nicht</strong> der Vorstellung von „Mann“, die die Mutter seines Kindes<br />

hat, und er selbst entspricht <strong>nicht</strong> dem, was andere von ihm erwarten.<br />

Marlo hingegen, der gar <strong>nicht</strong> wusste, dass er auf der Suche war, findet<br />

in Kirill etwas, das er <strong>nicht</strong> mehr loslassen möchte.<br />

Regisseur Diemo Kemmesies erzählt in seinem <strong>Film</strong>arche-<br />

Abschlussfilm Silent Youth sehr einfühlsam und außeror<strong>den</strong>tlich stilsicher<br />

von einer Ausnahmesituation, in der sich zwei Menschen trotz<br />

ihrer Sprachlosigkeit einander annähern. Viele Fragen wer<strong>den</strong> entweder<br />

<strong>nicht</strong> gestellt oder bleiben unbeantwortet, <strong>nicht</strong> nur zwischen<br />

<strong>den</strong> bei<strong>den</strong> Protagonisten dieser leisen Liebesgeschichte, sondern<br />

auch innerhalb der Geschichte des <strong>Film</strong>s selbst. Biographien sind hier<br />

angedeutet, aber <strong>nicht</strong> ausformuliert, Reaktionen bleiben unvorhersehbar,<br />

und an klassischen Figurenmotivationen oder Psychologisierungen<br />

hat Diemo Kemmesies dankbarer Weise keinerlei Interesse.<br />

Dass Bilder <strong>für</strong> sich sprechen können, wenn man sie lässt, und Worte<br />

oft am schönsten sind, wenn sie verstummen, glauben leider immer<br />

noch viel zu wenige <strong>Film</strong>emacherInnen. Es gehört viel Genauigkeit<br />

und noch mehr Mut dazu, mit wenig Sprache viel zu erzählen und<br />

sich dabei zudem einer bekannten Grundidee zu bedienen, die sich<br />

auf zwei Figuren und ein eventuelles Coming-Out beschränkt.<br />

Das Thema ist <strong>nicht</strong> neu, wird aber in letzter Zeit im deutschen<br />

<strong>Film</strong> mit außergewöhnlichem Gespür <strong>für</strong> Milieus und untypischen<br />

Figuren erfrischend neu und einfühlsam erzählt. In Stadt Land Fluss<br />

(2011) von Benjamin Cantu sind es zwei junge Lehrlinge auf einem<br />

Landwirtschaftsbetrieb in Bran<strong>den</strong>burg, die zaghaft zueinander fin<strong>den</strong>.<br />

In Tim Staffels Westerland (2012) begegnen sich mit Cem und<br />

Jésus zwei ungleiche junge Männer zwischen <strong>den</strong> glanzlosen Hochhäusern<br />

auf dem winterlichen Sylt. Silent Youth hingegen spielt in <strong>den</strong><br />

sogenannten Szenebezirken Berlins, lässt dabei aber jede Form von<br />

Hype und touristischer Faszination außen vor. Hier geht es <strong>nicht</strong> um<br />

die tausendfach wiederholten Bilder einer schrecklich angesagten<br />

Metropole, sondern um die filmische Neuentdeckung von Orten, die<br />

Marlo und Kirill sich fernab der Menschenströme erschließen. Wenn<br />

die bei<strong>den</strong> im Gras des Tempelhofer Flugfelds liegen, glaubt man, sie<br />

wären weit weg, machten etwa Pause auf einer abgelegenen Bergwiese,<br />

<strong>nicht</strong> jedoch auf dem Rollfeld des stillgelegten Stadtflughafens.<br />

Der Fernsehturm, an dessen Darstellung in der Regel lediglich <strong>Film</strong>emacherInnen<br />

Interesse haben, die Berlin als Kulisse, <strong>nicht</strong> aber als<br />

Lebensraum begreifen, kommt in Silent Youth nur in einer morbi<strong>den</strong><br />

Anekdote Marlos vor. Die Schauplätze des <strong>Film</strong>s sind fast ausschließlich<br />

Transiträume. Es sind S- und U-Bahnhöfe, Hauptverkehrsstraßen<br />

und Brücken, also Orte des Reisens, des Weiterkommens und des<br />

Umsteigens. Marlo und Kirill bewegen sich zwar ständig im öffentlichen<br />

Raum, ihre Fahrten und Gänge wirken aber wenig zielgerichtet<br />

und sind eher von einer inneren Suche als von einem klaren Bestimmungsort<br />

geprägt.<br />

Überhaupt wirkte Berlin selten geheimnisvoller und entkoppelter<br />

als in <strong>den</strong> Einstellungen von Kameramann Albrecht von Grünhagen.<br />

Seine Bilder arbeiten mit geringer Schärfentiefe und legen <strong>den</strong> Fokus<br />

dabei immer auf die Figuren, während die Stadt im Hintergrund verschwimmt.<br />

Oft erinnert diese Fotografie in ihrer Schönheit an die<br />

Arbeit Reinhold Vorschneiders, der es schon in Angela Schanelecs<br />

Mein langsames Leben schaffte, unmagischen Orten wie der Friedrichstraße<br />

eine Poesie zu verleihen, die sie hier zurückbekommt.<br />

Mit einer erhöhten Totalen sehen wir in Silent Youth vom S-Bahnhof<br />

auf die Friedrichstraße hinab und wundern uns über die Länge<br />

der Sequenz, bis wir in diesem Suchbild schließlich Marlo und Kirill<br />

entdecken, die langsam und beinahe ungeachtet des Verkehrs über<br />

die Straße schlendern. Ganz zum Schluss befin<strong>den</strong> wir uns im Inneren<br />

des Bahnhofs und sehen ein verschleiertes Bild, dessen bewegte<br />

Punkte wir gerade noch als Passanten erahnen können. Langsam<br />

zieht die Schärfe an und die reisen<strong>den</strong> Großstädter wer<strong>den</strong> genauso<br />

deutlich sichtbar wie die skeletthaften Strukturen der Bahnhofsüberdachung.<br />

Das Spiel mit der Unschärfe lässt sich im <strong>Film</strong> auf seine bei<strong>den</strong><br />

Hauptfiguren übertragen, deren Konzentration trotz der konstanten<br />

Flut an Reizen und neuen Impulsen nur aufeinander zu liegen<br />

scheint. Alles um sie herum verschwimmt, ihre Hintergründe bleiben<br />

unscharf.<br />

Silent Youth eröffnet durch seine Bildsprache Seh- und Denkräume,<br />

die keiner Worte mehr bedürfen. Dass die Beziehung zwischen<br />

Marlo und Kirill dabei glaubwürdig bleibt, ist <strong>den</strong> wunderbaren<br />

Schauspielern Martin Bruchmann und Josef Mattes zu verdanken.<br />

Beide schaffen es allein durch kurze Blicke und subtile Gesten, die<br />

Unsicherheiten und Zweifel, Fragen und Probleme ihrer Figuren<br />

durch <strong>den</strong> <strong>Film</strong> zu transportieren.<br />

Durch das vorsichtige Spiel der bei<strong>den</strong> und die zurückgenommene<br />

Inszenierung baut sich langsam eine Spannung auf, die sich<br />

dann besonders effektiv entlädt, wenn Marlo und Kirill ihre Schutzpanzer<br />

ablegen und Gefühle zulassen.<br />

Auch diese Momente sind dann Momente des Schweigens, auch<br />

hier wird <strong>nicht</strong>s ausgesprochen oder erklärt, analysiert oder diskutiert.<br />

Stattdessen bewegen sich zwei junge Männer aufeinander zu,<br />

umkreisen sich und laufen nebeneinander her. Sie driften durch eine<br />

Stadt, deren Reize sie <strong>nicht</strong> wahrnehmen und machen sich dabei auf<br />

die Suche nach sich selbst. Ob sie dabei erfolgreich sind, können wir<br />

nur erkennen, wenn wir am Ende ganz genau hingucken. s<br />

30 sissy 19 sissy 19 31


kino<br />

kino<br />

Geschichten<br />

und Geschichte<br />

von Ringo Rösener<br />

Nachdem bereits „Unter Männern – Schwul in der DDR“<br />

versucht hat, <strong>den</strong> kaum dokumentierten schwulen Alltag in<br />

der DDR zu rekonstruieren, greifen Jochen Hick und Andreas<br />

Strohfeldt das Thema erneut auf und bringen erstmals auch<br />

die Situation von Lesben in ihre Erzählung ein. Ringo Rösener,<br />

einer der bei<strong>den</strong> Regisseure von „Unter Männern“, gibt einen<br />

Einblick in die besondere Problemlage dieses Dokumentarfilm-<br />

Sujets und hebt die Besonderheiten von „Out in Ost-Berlin –<br />

Lesben und Schwule in der DDR“ hervor.<br />

s Für mich bedeutet <strong>Film</strong>emachen in erster Linie, eine Geschichte<br />

in bewegten Bildern zu erzählen – also ein movie zu drehen, wie es<br />

aus dem Englischen ableitbar wäre. Deshalb scheint mir auch das Herz<br />

eines <strong>Film</strong>s seine Bildergeschichte zu sein. Natürlich ist das eine etwas<br />

flache, vielleicht sogar naive Einstellung zum <strong>Film</strong>, aber sie hilft doch,<br />

um mit dem <strong>Film</strong>emachen zu beginnen. Daneben gibt es zahlreiche<br />

andere Formate <strong>nicht</strong>-narrativer <strong>Film</strong>e, die trotz allem movies sind,<br />

aber zumeist doch etwas anderes wollen. Vielleicht etwas aufzeigen,<br />

was man sonst <strong>nicht</strong> so einfach sieht, oder über etwas informieren. Das<br />

ist jedoch meines Erachtens kein genuines Erzählen mehr.<br />

Der Dokumentarfilm scheint hierbei ein Schwellenprodukt zu<br />

sein, <strong>den</strong>n er befindet sich genau auf der Grenze zwischen Information<br />

aus Bildern und einer Erzählung in Bildern. Er versucht <strong>den</strong><br />

Spagat zwischen unserer alltäglichen und zufälligen Wirklichkeit<br />

und einer narrativen und bewussten Erzähldramaturgie des <strong>Film</strong>s.<br />

Dabei wandelt er das, was in unserer wirklichen Welt geschieht oder<br />

geschah, in eine künstliche visuelle <strong>Film</strong>welt um. So wird mitunter<br />

das Fin<strong>den</strong> und Organisieren – das Montieren – der Bilder aus der<br />

Wirklichkeit zur Hauptaufgabe des Dokumentarfilmers.<br />

Nun steht insbesondere der Dokumentarfilm, der sich der Vergangenheit<br />

zuwendet, vor einem Problem. Er muss dieses Vergangene,<br />

und das bedeutet zumeist Verschwun<strong>den</strong>es, in eine filmische<br />

Form bringen. Dabei versucht er, über eine längst <strong>nicht</strong> mehr existierende<br />

Zeit mehr zu erfahren, und gleichzeitig, diese so lebendig wie<br />

möglich in seiner Erzählung darzustellen. Oft sind es hierbei ProtagonistInnen,<br />

die dem narrativen Dokumentarfilm zum Leben verhelfen.<br />

Aber erst Fotos, Archivaufnahmen und vieles mehr aus der Zeit, von<br />

der man erzählen will, übertragen deren Geschichten ins <strong>Film</strong>ische.<br />

Was hat das alles mit einem Dokumentarfilm über Schwule und<br />

Lesben in der DDR zu tun, um <strong>den</strong> es hier eigentlich gehen soll? Im<br />

Gegensatz zu anderen Dokumentarfilmsujets ist es oft viel schwerer,<br />

einen <strong>Film</strong> über die Vergangenheit homosexuellen Lebens zu drehen,<br />

da die verfügbaren zeithistorischen Dokumente per se <strong>nicht</strong>s Homosexuelles<br />

zeigen. Denn was verboten war oder verschwiegen wurde,<br />

ist natürlich <strong>nicht</strong> kulturell und eher selten bildlich überliefert. Und<br />

gerade da, wo ein Staat viele Wege des Dokumentierens über Monopolisierungen<br />

(oder Verstaatlichungen) kontrolliert, zögert man vielleicht<br />

schon aus Selbstschutz, verdächtige Dokumente herzustellen.<br />

Für ein bebildertes Lesben- und Schwulenleben in der DDR ist „Es<br />

gab ja <strong>nicht</strong>s“ somit <strong>nicht</strong> nur eine ostalgische Phrase, sondern ein<br />

tatsächlicher Fakt. Denn die homosexuelle Kultur in der DDR war<br />

über weite Strecken eine unsichtbare. (Anders als die homosexuelle<br />

Bewegung ausgehend von <strong>den</strong> 1970ern im Westen kann die ostdeutsche<br />

homosexuelle Lebenskultur <strong>nicht</strong> auf einen vergleichsweise<br />

reichhaltigen und leicht verfügbaren Fundus an Bildern und <strong>Film</strong>en,<br />

an Erzählungen und Anekdoten zurückgreifen.) Wie soll man nun<br />

aber vom lesbischen und schwulen Leben filmisch erzählen, wenn<br />

man <strong>nicht</strong>s oder wenig hat, um es sichtbar wer<strong>den</strong> zu lassen? Der im<br />

Oktober in <strong>den</strong> Kinos startende Dokumentarfilm Out in Ost-Berlin.<br />

Lesben und Schwule in der DDR von Jochen Hick und Andreas Strohfeldt<br />

beantwortet diese Frage nun zum zweiten Mal, nachdem Markus<br />

Stein und ich 2012 mit dem Dokumentarfilm Unter Männern –<br />

Schwul in der DDR Ähnliches versucht haben.<br />

Dabei scheint es mir, dass die bei<strong>den</strong> Berliner <strong>Film</strong>emacher Hick<br />

und Strohfeld <strong>den</strong> gleichen Hinweisen gefolgt sind wie damals Markus<br />

Stein und ich. Diese kündeten von einer spannen<strong>den</strong> Zeit und<br />

einem farbenfrohen statt tristen Leben in der DDR. Hick und Strohfeldt<br />

wer<strong>den</strong> vom „Burgfrie<strong>den</strong>“, von der „Schoppenstube“, von der<br />

„Busche“ und von <strong>den</strong> zahllosen Klappen gehört haben, die es in der<br />

DDR gab, ebenso wer<strong>den</strong> sie von Heiner Carows <strong>Film</strong> Coming Out<br />

und der berühmten Charlotte von Mahlsdorf gewusst haben. Ja, das<br />

gab es alles. Trotzdem erzählen sie, genauso wie wir damals in Unter<br />

Männern, recht wenig davon. Warum eigentlich? Ich glaube, das hat<br />

mehrere Gründe:<br />

Einerseits gibt es kaum visuelles Material von all diesen Orten,<br />

das es dem <strong>Film</strong>emacher gestattet, in seinem Dokumentarvorhaben<br />

filmisch davon zu erzählen. Anderseits haben auch sie Protagonisten<br />

gefun<strong>den</strong>, die viel spannendere Geschichten zu erzählen haben, als<br />

die immer gleichen Mythen um Schoppenstube, Burgfrie<strong>den</strong>, Opern<br />

Café oder Busche zu wiederholen. Zum Glück! Denn sie hätten auch<br />

<strong>den</strong> Weg von Martin Persiel und seinem DDR-Skaterfilm This ain’t<br />

California folgen können. Dieser <strong>Film</strong> widmet sich ja einer nachweislich<br />

<strong>nicht</strong> bebilderten und damit umso mythischeren Lebenskultur.<br />

Da Persiel gerade vom Mythos DDR-Rollbrett berichten will, muss<br />

dieser sich etlicher „dokumentarischen“ Tricks bedienen. Er stellte<br />

<strong>nicht</strong> nur Bilder her, die aussehen, als wären sie in der DDR gefilmt<br />

– äußerst kluge und gut gemachte Sequenzen –, er erfand sogar eine<br />

Geschichte und eine fiktive Person, um überhaupt vom Mythos der<br />

DDR-Skater als <strong>Film</strong> berichten zu können. Diesen eher fiktionalen<br />

statt dokumentarischen Holzweg wollten weder die <strong>Film</strong>emacher<br />

Hick und Strohfeldt noch Stein und ich gehen.<br />

Stein und ich versuchten, uns dem Problem aus einer sehr persönlichen<br />

Perspektive zu nähern. Für uns nahmen vor allem die Coming-<br />

Out-Erfahrungen der Protagonisten Bedeutung an. Hick und Strohfeldt<br />

wählten einen ähnlichen, aber anders akzentuierten Weg. Ihnen<br />

war es wichtig, die Nahtstelle des privaten Lebens der Protagonisten<br />

mit dem System der DDR offenzulegen. Aus <strong>den</strong> Konfliktsituation jenseits<br />

des Coming-Outs mit dem Staat geben sie einen Einblick in das<br />

Funktionieren der untergegangenen DDR und in <strong>den</strong> Lebensstil von<br />

Schwulen und Lesben der DDR. Darunter leidet mitunter die Anforderung,<br />

einen <strong>Film</strong> visuell spannend zu erzählen, aber ganz und gar<br />

<strong>nicht</strong> die des filmischen Aufzeigens von bisher Ungesehenem.<br />

Hick und Strohfeldt heben die Konfliktsituationen heraus, auf die<br />

Schwule und Lesben nach ihrem Outing trafen: Klaus Laabs, der aus<br />

der SED und der Universität ausgeschlossen wurde und dem damit<br />

ein ganzer Lebenslauf wegbrach; Eduard Stapel, der ins Visier der<br />

Stasi geriet, weil er Arbeitskreise zur Homosexualität in der DDR als<br />

sogenannter Schwulenpfarrer organisierte; Christian Pulz, der das<br />

Theologische Seminar Leipzig verlassen musste; oder auch die „Terrorlesben“<br />

Marina Krug, Marinka Körzendörfer und Bettina Dzigge,<br />

die zur Aufgabe ihres Engagements <strong>für</strong> die lesbischen Insassinnen<br />

des KZ in Ravensbrück gezwungen wur<strong>den</strong> und Andreas Fux, der<br />

einen Pakt mit der Stasi einging.<br />

Hick und Strohfeldt haben sich da<strong>für</strong> tief ins Archiv hineingegraben.<br />

So entdecken sie bisher im Kino <strong>nicht</strong> gezeigte Raritäten,<br />

die mutige Schwule und Lesben selbst ab <strong>den</strong> 1970er Jahren pro-<br />

duzierten. Auf einigen Bildern ist der Brite Peter Tatchell als erster<br />

Demonstrant <strong>für</strong> die Rechte der Homosexuellen hinter dem Eisernen<br />

Vorhang zu sehen. Dokumente, die ich verschwun<strong>den</strong> glaubte. Kontrastiert<br />

wird dieses „inoffizielle“ und nie gezeigte Bildmaterial durch<br />

echtes, in der DDR hergestelltes Material aus Dokumentarfilmen,<br />

Spielfilmen und Fernsehaufzeichnungen. Unter diesen ganzen <strong>Film</strong>ausschnitten<br />

zur DDR zeigen Hick und Strohfeldt einen ganz kurzen<br />

Schnipsel, der auch in Persiels This ain’t California auftaucht, und<br />

<strong>den</strong> auch Markus Stein und ich fast verwendet hätten. Es handelt sich<br />

dabei um eine wenige Sekun<strong>den</strong> lange Sequenz aus Wieland Specks<br />

Spielfilm Westler. Sie zeigt einen DDR-Grenzbeamten, der einen Pass<br />

im Berliner Grenzübergang an der Friedrichstraße, <strong>den</strong> „Tränenpalast“,<br />

abstempelt. Specks <strong>Film</strong>, in <strong>den</strong> 1980ern in der BRD gedreht,<br />

stellt fiktional eine Erfahrung nach, die vielleicht <strong>den</strong> Tatsachen entspricht,<br />

aber sie ist keine Originalaufnahme, wie es beide Dokumentarfilme<br />

suggerieren. Doch sie gehört nun mit dem Eingang in gleich<br />

zwei <strong>Film</strong>e zu einem dokumentarischen und damit ja eigentlich tatsächlichen<br />

DDR-Bild unserer Zeit. Damit sind die Grenzen zwischen<br />

unserer bzw. der vergangenen Wirklichkeit und der <strong>Film</strong>welt fast<br />

aufs Unkenntliche verwischt. Der Zuschauer nimmt die Sequenz als<br />

Beleg wahr, wie die DDR ausgesehen hat, ohne zu bemerken, dass<br />

hier geschauspielert wird.<br />

An so einem hergestellten Bild wird die Spannung deutlich, in der<br />

insbesondere der Dokumentarfilm anderen <strong>Film</strong>genres gegenüber<br />

steht. Wahrheit und Fiktion laufen im Dokumentarfilm manchmal<br />

einfach ineinander über. Das ist ein geschicktes Verfahren (kein verwerfliches!),<br />

das <strong>nicht</strong> nur von Hick und Strohfeldt genutzt wird. Als<br />

<strong>Film</strong>emacher wollen sie in erster Linie ihrer Aufgabe nachkommen<br />

und eine visuelle Erzählung entwerfen. Dabei loten sie die Grenzen<br />

des Dokumentarischen aus.<br />

Dass sie diese Grenzen <strong>nicht</strong> überschreiten müssen, verdanken<br />

die Regisseure ihren Protagonisten, die <strong>den</strong> Takt des <strong>Film</strong>s angeben<br />

und <strong>den</strong>en sie sich als Dokumentarfilmer letztlich verpflichtet<br />

fühlen. Hick und Strohfeldt haben hier<strong>für</strong> Händchen beweisen; das<br />

zeigen die schönen Momente im Leben des Ehepaares Peter Bausdorf<br />

und Gerhard Plöse, auch „Die Pappritzer“ und „Putzi“ genannt,<br />

oder auch die schlagfertigen Erzählungen von Marinka Körzendörfer.<br />

Es sind die Momente, in <strong>den</strong>en der DDR-Alltag nahezu anfassbar<br />

wird und der Zuschauer mehr erfährt als durch Archivbilder, die uns<br />

zeigen sollen, wie die DDR ausgesehen hat, und die ständig Gefahr<br />

laufen, bloße Trickserei zu sein. Mir scheint auch hier: Wer seinen<br />

Protagonisten vertraut, hat manchmal mehr und auch <strong>den</strong> Zuschauer<br />

gewonnen. Damit ist Out in Ost-Berlin <strong>nicht</strong> nur ein Dokumentarfilm<br />

über Geschichte, sondern auch gute und interessante Unterhaltung.<br />

Hick und Strohfeldt wissen darum und lenken deshalb ihren<br />

<strong>Film</strong> geschickt über Bezugspunkte der DDR-Historie hinaus. Am<br />

Ende erzählt Out in Ost-Berlin DDR-Geschichte anhand Ost-Berliner<br />

Typen und wird damit selbst zu einem doch unverzichtbaren Beitrag<br />

<strong>für</strong> unsere homosexuelle Geschichte – und davon kann es eigentlich<br />

gar <strong>nicht</strong> genug geben!<br />

s<br />

Out in Ost-Berlin<br />

von Jochen Hick und<br />

Andreas Strohfeldt<br />

DE 2013, 94 Minuten, dt. OF<br />

Déjà-vu <strong>Film</strong>, www.dejavu-film.de<br />

Im Kino ab 31. Oktober 2013<br />

Unter Männern –<br />

Schwul in der DDR<br />

von Ringo Rösener<br />

und Markus Stein<br />

DE 2012, 91 Minuten, dt. OF<br />

Auf DVD bei der Edition<br />

Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

déjà-vu film<br />

This ain’t California<br />

von Marten Persiel<br />

DE 2012, 109 Minuten, deutsche<br />

OF<br />

Auf DVD bei der Deutschen<br />

Entertainment AG, www.deag.de<br />

32 sissy 19 sissy 19 33


kino<br />

kino<br />

Langsamer Sommer<br />

der feinen Unterschiede<br />

von Sebastian Markt<br />

Zwei Männer wer<strong>den</strong> vom Leben zusammen geführt und gleichzeitig durch ihre<br />

soziale Situation getrennt. Einseitigkeiten, Ungleichheiten, Schieflagen lädt Marco<br />

Berger in seinem dritten Spielfilm „Hawaii“ zu einem komplexen Spiel des Begehrens<br />

auf. Ein etwas anderer Sommerfilm.<br />

s Zum Beispiel, wie der eine Mann nahe<br />

seines improvisierten Nachtlagers sorgfältig<br />

erst seine Hände und dann <strong>den</strong> Pfirsich<br />

wäscht. Wie er später das Sandwich, das<br />

ihm die Arbeit eines Tages eingebracht hat,<br />

gierig verschlingt. Wie der andere Mann<br />

<strong>den</strong> einen mustert, erst beiläufig, dann neugierig,<br />

schließlich begehrlich. Wie der eine<br />

in der Sonne, mit seinem Werkzeug hantierend,<br />

schwitzt, und der andere im Schatten<br />

in seine Computertastatur hackt. Wie der<br />

andere Mann dem einen abgelegte Kleidung<br />

anbietet, weil dieser sie brauchen könnte,<br />

aber auch, weil das Anprobieren es nötig<br />

macht, dass er sich erst der entledigt, die er<br />

gerade anhat. Wie der eine Mann die Sachen<br />

anzieht, wie ein geborgtes Leben, und später<br />

wie sein eigenes. Wie sie in ihren Körpern zu<br />

Hause sind, selbstbewusst der eine, selbstvergessen<br />

der andere. Wie der eine beginnt,<br />

die Blicke des anderen, die er vielleicht gesehen<br />

hat, oder vielleicht auch <strong>nicht</strong>, zu erwidern,<br />

auf seine Weise auf ihn zu sehen.<br />

Am Anfang von Marco Bergers drittem<br />

Langfilm Hawaii steht ein Bild, das an die<br />

Great Depression gemahnt: Martín (Mateo<br />

Chiarino), obdachloser Binnenmigrant,<br />

schläft in einem Lager im Wald, zieht von<br />

Haus zu Haus und biete seine Dienste als<br />

Hilfsarbeiter an, gegen Essen oder Taschengeld.<br />

Das Echo klingt kurz an, dann breitet<br />

sich der <strong>Film</strong> in der Gegenwart aus: argentinische<br />

Provinz, im (Süd-)Sommer. Die<br />

Suche nach Arbeit führt Martín an die Tür<br />

von Eugenio (Manuel Vignau, der schon<br />

in Bergers Debüt Plan B zu sehen war), der<br />

das Haus seines Onkels <strong>den</strong> Sommer über in<br />

Beschlag genommen hat. Sie kennen sich von<br />

früher, ganz früher, als beide Kinder waren<br />

und Nachbarn und Martín im Pool von Eugenios<br />

Familie schwimmen durfte. Eugenio<br />

engangiert Martín, der sagt, im Winter einen<br />

Job in Buenos Aires zu haben, <strong>für</strong> <strong>den</strong> Rest<br />

des Sommers, um Renovierungen und Ausbesserungen<br />

am Haus durchzuführen.<br />

Eugenio ist Journalist. Ob er sein augenscheinlich<br />

sorgenfreies Leben seiner Arbeit<br />

verdankt oder familiär abgesichert ist, bleibt<br />

unklar. Den Sommer verbringt er je<strong>den</strong>falls<br />

damit, an einem Roman zu arbeiten. Der<br />

erzählt von einem Großgrundbesitzer, der<br />

sich durch die im besten Sinne naiven Fragen<br />

pro-fun media<br />

seiner kleinen Tochter, der an der Ordnung<br />

der (sozialen) Dinge <strong>nicht</strong>s selbstverständlich<br />

scheint, herausgefordert und bedroht<br />

fühlt. Eugenio, der Martín zunächst <strong>nicht</strong><br />

wiedererkannt hatte, erkennt in Martín<br />

zusehends ein Objekt seiner Begierde. Martín,<br />

der mit <strong>den</strong> Details seiner Biografie eher<br />

spärlich umgeht, sieht in Eugenio zunächst<br />

nur einen ökonomischen Rettungsanker. Ein<br />

simpler Rhythmus breitet sich über ihre Tage<br />

aus: Martín arbeitet an Haus und Garten,<br />

Eugenio an seinem Buch, sie re<strong>den</strong>, sie essen.<br />

Kaum jemals verlässt der <strong>Film</strong> diesen Ort,<br />

und langsam sortieren sich die Geschichten<br />

neu, die sie einander über sich erzählen, und<br />

es scheint offen, ob sie in Deckung zu bringen<br />

zu sind: in Bezug auf die Geschichte,<br />

die beide verbindet, in Bezug auf die sozialen<br />

Verwerfungen der Gegenwart, die beide<br />

trennen, hin zu einer Zukunft, die sie miteinander<br />

haben könnten.<br />

Aus dieser schnell etablierten Grundkonstellation<br />

spielt Hawaii ein so einfach und<br />

gradlinig erzähltes wie komplex verworrenes,<br />

weil vieldimensionales, Spiel von Distanz<br />

und Nähe. Dem Spiel gibt Berger weniger<br />

durch Handlung Raum als durch Gesten<br />

und Blicke und Körper, die sich zueinander<br />

verhalten. Zwei Männer, die zwar zu wissen<br />

scheinen, wie sie zueinander stün<strong>den</strong>, aber<br />

das Koordinatensystem, das ihnen ihre Orte<br />

vorgibt, noch <strong>nicht</strong> entziffert haben.<br />

Hawaii, mithin ein <strong>Film</strong> über Liebe in<br />

finsteren Zeiten, gedreht mit minimaler<br />

Crew und minimalem Budget, das zu guten<br />

Teilen über Kickstarter aufgestellt wurde,<br />

erzählt eine – wenn man so will – minimale<br />

Geschichte. Macht aber aus seinen Grenzen<br />

eine Tugend: ein Ort, zwei Männer und eine<br />

Beziehung, die noch keinen Namen trägt.<br />

Auch eine Art von Krisenkino, das in der<br />

Dürftigkeit seiner Umstände <strong>nicht</strong> nur sein<br />

Thema, sondern auch seine Form findet.<br />

Aufzulösen, was dieses <strong>den</strong>n alles mit dem<br />

eponymen Inselparadies zu tun hat, hieße<br />

die Freude zu verderben, die die Romanze<br />

in ihrer langsamen Sinnlichkeit trotz einiger<br />

bitterer Töne dann doch macht. s<br />

Hawaii<br />

von Marco Berger<br />

AR 2013, 102 Minuten, spanische<br />

OF mit deutschen UT<br />

Pro-Fun Media, www.pro-fun.de<br />

Im Kino ab 7. November 2013<br />

Plan B<br />

von Marco Berger<br />

AR 2009, 103 Minuten, spanische<br />

OF mit deutschen UT<br />

Auf DVD bei Pro-Fun Media,<br />

www.pro-fun.de<br />

Lederbar. Sanft.<br />

von Enrico Ippolito<br />

Zwei <strong>Film</strong>emacher wollen die Schönheiten der schwulen Sexualität zeigen. Angeblich geschnittene<br />

Sexszenen aus einem Hollywoodklassiker sollen nachgestellt wer<strong>den</strong>. Erneut wer<strong>den</strong> Mitglieder aus der<br />

schwulen Szene <strong>für</strong> ein realistisches Bild schwuler Sexualität rekrutiert. Ein straighter Schauspieler fühlt<br />

sich dazwischen unwohl. Ein Hollywoodstar kokettiert schon wieder mit schwulen Kontexten. Das alles ist<br />

„Interior. Leather Bar.“, ein Gemeinschaftsprojekt von James Franco und Travis Mathews.<br />

s Al Pacino in einer Lederbar. Um ihn herum Männer. Jockstraps,<br />

die <strong>den</strong> Blick auf blanke Ärsche freigeben. William Friedkins Cruising<br />

aus dem Jahr 1980 war ein Skandalfilm. Pacino spielt darin <strong>den</strong> Polizisten<br />

Steve Burns, der undercover Morde an schwulen Männern aufklären<br />

muss. Da<strong>für</strong> taucht er in die „Leder“-Szene New Yorks ein.<br />

Der Skandal wurde <strong>nicht</strong> durch die nackten Ärsche und die <strong>für</strong> die<br />

Zeit expliziten Szenen heraufbeschworen, sondern einerseits, weil<br />

die homosexuelle Community eine negative Repräsentation ihrer<br />

Szene <strong>für</strong>chtete – und andererseits, weil Friedkin 40 Minuten aus seinem<br />

<strong>Film</strong> kürzen musste, um ein X-Rating zu umgehen, sonst hätte<br />

Cruising nur in Pornokinos laufen können.<br />

Und genau an dieser Stelle setzt Interior. Leather Bar. an. Die bei<strong>den</strong><br />

Regissuere James Franco und Travis Mathews versuchen, <strong>den</strong><br />

Mythos der 40 Minuten nachzustellen. Eine Art des Reenactments, in<br />

der sich die Genres Dokumentar- und Spielfilm vermischen.<br />

Interior. Leather Bar. beginnt in einem Hotelzimmer. Franco und<br />

Travis unterhalten sich – über ihr Projekt, über die Queer-Theory.<br />

Franco zitiert aus dem Buch des Theoretikers Michael Warner, „The<br />

Trouble With Normal“, und dessen Kritik an der Öffnung der Ehe <strong>für</strong><br />

homosexuelle Paare. Warner sieht darin eine Art der Normalisierung<br />

eines wertvollen „queeren Lifestyles“. Mit dieser Szene öffnen die<br />

bei<strong>den</strong> Regisseur <strong>den</strong> intellektuellen Diskurs <strong>für</strong> ihr Projekt.<br />

Francos Freund, der Schauspieler Val Lauren, kommt ins Hotelzimmer<br />

und spricht mit <strong>den</strong> Regisseuren. Er soll die Pacino-Figur<br />

pro-fun media<br />

nachspielen oder zumindest eine Repräsentation derer. Wie Burns/<br />

Pacino taucht auch Lauren in eine nachkonstruierte S&M-Welt ein.<br />

In dieser muss sich Lauren erst mal von seinen Werten, die klar heterosexuell<br />

konstituiert sind, befreien. Die Angst steht ihm ins Gesicht<br />

geschrieben. Um klar zu kommen, spricht er oft am Telefon mit seiner<br />

Frau, während in der Fake-Fetisch-Welt die Männer Sex haben. In<br />

Gesprächen mit ihm versucht sein Kumpel Franco, ihn <strong>für</strong> schwulen<br />

Sex zu begeistern, der „attraktiv und wunderschön“ sei.<br />

Und weil Franco so weltoffen ist, tanzt er in einer Szene in der<br />

nachkonstruierten Lederbar – umgeben von nackten Männern. Dabei<br />

zieht er, der Hollywood-Schauspieler, jedoch noch <strong>nicht</strong> mal sein<br />

T-Shirt aus. Franco bleibt somit stets Voyeur. Er verlässt sich in dem<br />

Projekt auf Travis Mathews, auf dessen typische Ästhetik. Mathews<br />

inszeniert schöne Sexszenen.<br />

In seinem ersten Spielfilm I Want Your Love funktioniert die Einbindung<br />

von Sexualität in die Narration. Schauspieler haben sexuelle<br />

Begegnungen, die Kamera hält drauf, verweigert sich aber dem pornografischen<br />

Blick, ist nie auf <strong>den</strong> Money-Shot, also auf die männliche<br />

Ejakulation, aus. Die Männer in I Want Your Love pausieren zwischen<br />

<strong>den</strong> Sexszenen, beginnen, sich gegenseitig einen zu blasen und<br />

hören dann auf. Nach einem ähnlichen Muster funktionieren auch<br />

die Sexszenen in Interior. Leather Bar. Mathews dreht sie sanft und<br />

zahm, das kann er.<br />

Dabei bleiben aber Franco und Mathews in ihrem Projekt defensiv,<br />

stecken in Repräsentationsdiskursen fest. Ihre Prämisse: Die Opfer<br />

von Cruising – in diesem Fall die schwulen Männern – hätten damals<br />

etwas Besseres verdient. Das mag vielleicht eine Lesart von Crusing<br />

sein. Was aber die Fetisch- und S&M-Szene definitiv <strong>nicht</strong> braucht,<br />

ist eine Art der Weichzeichnung. Sie muss <strong>nicht</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>heterosexuellen</strong><br />

Zuschauer verniedlicht wer<strong>den</strong>. Das allerdings passt in Francos<br />

Mission, in der er die Zuschauer von ihren Vorurteilen befreien will.<br />

Er selbst bleibt dabei aber auf der sicheren Seite.<br />

s<br />

Interior. Leather Bar.<br />

von James Franco und<br />

Travis Mathews<br />

US 2013, 60 Minuten, englische<br />

OF mit deutschen UT<br />

Pro-Fun Media, www.pro-fun.de<br />

Im Kino ab 17. Oktober 2013<br />

I Want Your Love<br />

von Travis Mathews<br />

US 2012, 71 Minuten, englische<br />

OF mit deutschen UT<br />

Auf DVD bei der Edition<br />

Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Cruising<br />

von William Friedkin<br />

US 1980, 102 Minuten, englische OF<br />

Auf DVD als Import<br />

bei Warner Home Video<br />

34 sissy 19 sissy 19 35


kino<br />

film-flirt<br />

Audiokommentar<br />

der Liebe<br />

von Jan Künemund<br />

Ganz leise schleicht sich diese Geschichte einer vergangenen Liebe an, die der<br />

<strong>Film</strong>emacher Vincent Dieutre aus Erinnerungen rekonstruiert und experimentell mit<br />

der Situation von Flüchtlingen in Paris in einen filmischen Zusammenhang gesetzt<br />

hat. „Jaurès“, einer der schönsten Liebesfilme des <strong>nicht</strong>-<strong>heterosexuellen</strong> Kinos,<br />

wandert gerade mit wenigen Kopien durch das Land, nachdem er letztes Jahr <strong>den</strong><br />

Dokumentarfilm-Teddy erhalten hat. Bittet eure Kinos darum, ihn zu zeigen.<br />

s Auf dem Weg zum Berliner Kino FSK,<br />

wo Jaurès gerade eine Woche lang läuft, geht<br />

man an einem Flüchtlings-Camp vorbei. Seit<br />

fast einem Jahr leben dort Menschen, die mit<br />

einem „Marsch der Würde“ <strong>für</strong> Änderungen<br />

am deutschen Asylrecht demonstriert hatten<br />

und schließlich auf dem Kreuzberger<br />

Oranienplatz einen prekären Aufenthaltsort<br />

fan<strong>den</strong>. Für regelmäßige FSK-Besucher ist<br />

das Bild vertraut und doch könnte es sich von<br />

einem Tag auf <strong>den</strong> anderen verändert haben.<br />

Auf ein Flüchtlingslager an einem Pariser<br />

Kanal, unterhalb der Métrostation Jaurès,<br />

sah der <strong>Film</strong>emacher Vincent Dieutre<br />

aus dem Fenster der Wohnung seines Liebhabers<br />

Simon. Da er keinen Schlüssel hatte,<br />

kam er abends mit Simon in die Wohnung<br />

und ging zusammen mit Simon am Morgen<br />

wieder hinaus. Er nutzte die Zeit, während<br />

Simon duschte, Essen in der Mikrowelle<br />

aufwärmte oder kurz mal <strong>nicht</strong> da war, um<br />

aus dem Fenster zu filmen. Der Ort einer<br />

prekären Liebe – kein Schlüssel zu haben<br />

heißt: eine Beziehung ohne Sicherheiten zu<br />

führen, ohne Garantie. Vincent möchte seine<br />

Situation <strong>nicht</strong> mit <strong>den</strong> jungen Männern aus<br />

Afghanistan vergleichen, die dort unten, am<br />

Kanal, noch mal bei null anfangen, irgendwann<br />

vertrieben wer<strong>den</strong> und dann wahrscheinlich<br />

woanders weitermachen. Aber<br />

das Leben führt <strong>den</strong> Gast in der Wohnung<br />

mit <strong>den</strong> Flüchtlingen aus Afghanistan <strong>für</strong><br />

<strong>den</strong> Moment der Liebe mit Simon zusammen.<br />

Die Aufnahmen aus dem Fenster der<br />

Wohnung von Simon zeigt Vincent in einem<br />

Tonstudio seiner Freundin Éva. Sie fragt<br />

hin und wieder, was man da sehe, was da<br />

brenne, warum in dieser Welt nur Frauen<br />

zu sehen sind – und sie fragt, wie die Liebe<br />

von Vincent und Simon war. Beide erzeugen<br />

einen Audiokommentar der Liebe. Ohne<br />

große Geste schichtet Jaurès Bilder, Töne,<br />

Gesprächsfetzen, Motive, Erzählungen übereinander,<br />

so dass man jederzeit spürt, dass<br />

etwas sehr Grundsätzliches, Existenzielles<br />

<strong>für</strong> diesen <strong>Film</strong> rekonstruiert wird. Nichts ist<br />

live, <strong>nicht</strong>s aufgeschnappt, <strong>nicht</strong>s ist (cinéma)<br />

verité. Selbst die dokumentarischen Bilder<br />

arsenal distribution<br />

aus dem Fenster sind partiell übermalt – in<br />

einem Stoß umherwirbelnder Blätter ist eins<br />

gezeichnet, in einem Schwarm vorbeifliegender<br />

Tauben ist eine animiert. Ein angeblich<br />

von Simon gespieltes Klavierstück stellt<br />

sich im Abspann als CD-Aufnahme eines Pianisten<br />

heraus. Ein Freund, mit dem ich <strong>den</strong><br />

<strong>Film</strong> sehe, meint, dass auch die Geschichte<br />

mit Simon fiktional sein könnte – es würde<br />

<strong>nicht</strong>s ändern an der emotionalen Wucht dieses<br />

geflüsterten <strong>Film</strong>s, der so entschie<strong>den</strong> ‚in<br />

der Welt‘ ist.<br />

Warum berührt Jaurès so sehr? Er zeigt<br />

<strong>nicht</strong>s Ungewöhnliches, <strong>nicht</strong>s Tragisches.<br />

Ein kleines „Theater“, oben begrenzt von der<br />

U-Bahn, die über die Szenerie eines gutbürgerlichen<br />

Viertels einer europäischen Großstadt<br />

fährt, unten von <strong>den</strong> am Kanal campieren<strong>den</strong><br />

Flüchtlingen, die <strong>für</strong> die Passanten<br />

unsichtbar sind. Eine weiße Taube kommt<br />

vorbei, bleibt einige Zeit, fliegt wieder weg.<br />

Ein Klavierstück wird angespielt, aber nie<br />

zu Ende gebracht. Flüchtlinge wachen auf,<br />

verschwin<strong>den</strong> in <strong>den</strong> Tag, sind abends wieder<br />

da. Ein <strong>Film</strong>emacher schaltet morgens<br />

die Kamera aus und nachts wieder an. Eine<br />

Liebe kommt und geht. Ein Lichtkünstler<br />

arbeitet in der Wohnung gegenüber und<br />

seine Neonröhren beleuchten die Szene in<br />

wechseln<strong>den</strong> Farben <strong>für</strong> kurze Zeit, bis er<br />

wieder auszieht. Simon erscheint in <strong>den</strong> rau<br />

geflüsterten Erinnerungen von Vincent und<br />

verschwindet wieder. Die Welt hat das alles<br />

zusammengeführt. Ein <strong>Film</strong> hat das alles<br />

zusammengeführt. Und „alles hat sich ein<br />

bisschen bewegt.“ (Dieutre)<br />

Man verlässt aufgewühlt und sinnlich<br />

geschärft das Kino FSK. Der Blick fällt auf<br />

das Flüchtlings-Camp am Oranienplatz.<br />

Man meldet sich mit dem Smartphone bei<br />

Facebook an und checkt die Meldungen der<br />

letzten 90 Minuten. Ein Blog-Text wandert<br />

durch die Postings von „Freun<strong>den</strong>“, in dem<br />

ein Autor fragt, warum diejenigen, die sich<br />

gerade über <strong>den</strong> systematischen Statusentzug<br />

der russischen Nicht-Heterosexuellen<br />

durch die Putin-Regierung aufregen, vorher<br />

nie etwas zu <strong>den</strong> schon lange bekannten systematischen<br />

Statusentzug der Migranten in<br />

Russland gesagt haben.<br />

s<br />

Jaurès<br />

von Vincent Dieutre<br />

FR 2012, 83 Minuten, französische<br />

OF mit deutsche UT<br />

Arsenal Distribution,<br />

www.arsenal-berlin.de/distribution<br />

Im Kino seit 8. August 2013<br />

ab 29.08. <strong>Film</strong>haus Nürnberg ·<br />

ab 12.09. Schaubühne Lin<strong>den</strong>fels/<br />

Leipzig · 19.9. Lichtmess/Hamburg<br />

Der Moment<br />

Schriftsteller sehen <strong>Film</strong>e: Andreas Steinhöfel<br />

„Die Mitte der Welt“ haben wir alle gelesen. Kommen wir mal<br />

in Verlegenheit, ein Geschenk zu einem Kindergeburtstag<br />

mitbringen oder einen Jugendlichen mit Lesestoff versorgen<br />

zu müssen, gibt es keine bessere Idee, als beim Carlsen-<br />

Verlag nachzuschauen, ob Andreas Steinhöfel seine Serie<br />

um Oskar und Rico erweitert oder gar etwas ganz Neues<br />

veröffentlicht hat – sofern die vielen Klassiker wie der von<br />

ihm selbst auch zum Drehbuch entwickelte „Es ist ein Elch<br />

entsprungen“ oder „Beschützer der Diebe“ schon bekannt<br />

sind. Neben der Arbeit an einem neuen Roman <strong>für</strong> Erwachsene<br />

und einem neuen Roman <strong>für</strong> Jugendliche fand Andreas<br />

Steinhöfel Zeit, uns von einem <strong>Film</strong>moment zu erzählen,<br />

dessen Gewalttätigkeit ihn und uns daran erinnert hat, dass<br />

das queere Leben <strong>nicht</strong> nur aus dem Coming-Out besteht.<br />

s Vor einiger Zeit wurde ich <strong>für</strong> eine Radiosendung befragt, was<br />

man einem Jugendlichen raten solle <strong>für</strong> <strong>den</strong> Fall, dass ihm wegen<br />

seines Schwulseins von jemandem Dresche angedroht würde. Tja, da<br />

könne man wohl bloß hoffen, erwiderte ich, dass dieser Jugendliche<br />

seinem Aggressor dermaßen eine reinsemmeln würde, dass der sich<br />

davon <strong>nicht</strong> so rasch wieder erholte. Ob ich, kam die pikierte Frage<br />

der Moderatorin, mit diesem Statement etwa zu Gewalt aufrufen<br />

wolle. Nein, bloß zu Gegengewalt, antwortete ich, schließlich lasse<br />

sich mit eingeschlagenen Zähnen schlecht über Ethik diskutieren,<br />

und die Schwuppen im „Stonewall Inn“ hätten vermutlich auch <strong>nicht</strong><br />

mit Wattebällchen um sich geworfen. Das Interview wurde, große<br />

Überraschung, <strong>nicht</strong> etwa bloß um diese Passage gekürzt, sondern<br />

Torch Song Trilogy<br />

von Paul Bogart<br />

US 1988, 119 Minuten,<br />

englische OF<br />

Auf DVD als Import<br />

Mitte der Welt<br />

von Andreas Steinhöfel<br />

Roman, 480 Seiten,<br />

Carlsen 2004,<br />

www.carlsen.de<br />

screenshot<br />

gar <strong>nicht</strong> erst ausgestrahlt. Was einmal mehr meine lang gehegte<br />

Vermutung bestätigte, dass politische Korrektheit je<strong>den</strong> demokratischen<br />

Diskurs ebenso effizient verhindern kann wie ein Schlag in die<br />

Fresse.<br />

Als Ende der 80er das schwule Kino endgültig im Mainstream<br />

angekommen war, hatte ich eben – und endlich – mein Coming-Out<br />

aufs Parkett gelegt. Ich hatte es nur in Tippelschritten vollzogen, von<br />

steter Angst erfüllt vor dem unwiderruflich damit verbun<strong>den</strong>en Ich<br />

bin. Jetzt war ich, und ich sang es stolz, ich tanzte es, ich vögelte es,<br />

und irgendwann nach dem durchtanzten, durchsungenen, durchvögelten<br />

Sommer ließ ich mich erschöpft in einen Kinosessel sinken, um<br />

mir einen schwulen <strong>Film</strong> anzuschauen, erfüllt von dem Gedanken,<br />

dabei <strong>nicht</strong> mehr womöglich, sondern hoffentlich im Publikum gesehen<br />

zu wer<strong>den</strong>.<br />

Die rauchig-melancholische Sentimentalität des englischen Torch<br />

Song lässt sich nur schlecht ins Deutsche übersetzen, und so musste<br />

der deutsche Zuschauer mit Das Kuckucksei vorlieb nehmen, aber<br />

das war mir, kaum dass zwei rot bemalte Lippen in Großaufnahme<br />

„Ich bin ein Entertainer“ in die Kamera geschnarrt hatten, komplett<br />

gleichgültig. Die sich über knapp zehn Jahre ziehende Geschichte um<br />

<strong>den</strong> New Yorker Travestiekünstler Arnold dürfte hinlänglich bekannt<br />

sein: Erst liebt er <strong>den</strong> Falschen, dann <strong>den</strong> Richtigen, dann verliert er<br />

<strong>den</strong> Richtigen, weshalb zuletzt der ehemals Falsche zurückkommt<br />

und zum neuen Richtigen wird. Dazwischen kabbelt Arnold sich mit<br />

seiner Mutter, und am Ende ziehen er und sein Kerl einen schwulen<br />

Pflegesohn auf, der sein offenes Schwulsein nötigenfalls mit <strong>den</strong><br />

Fäusten verteidigt: Eine der ersten Patchwork-Familien Hollywoods<br />

war geboren. Seufz.<br />

I’ve Heard the Mermaids Singing (1986) ist mein eigentlicher Lieblingsfilm<br />

aus dieser Zeit, ein poetisches kleines Meisterwerk, das sich<br />

jedoch nur einer einzigen Aufnahme rühmen kann, der ich das Prädikat<br />

der Moment verleihen würde (nämlich als die Hauptdarstellerin<br />

gedankenverloren ein paar Erbsen isst; ihre verliebte Selbstvergessenheit<br />

findet sich 1989 in Coming Out wieder, als die Noch-Freundin<br />

des schwulen Hel<strong>den</strong> eine Gewürzgurke verspeist). Das Kuckucksei<br />

hingegen war, wenn man so will, ein einziger großer Moment, wenn<br />

auch mit einem <strong>für</strong>chterlichen Kulminationspunkt, als Arnolds Lover<br />

Alan – der ursprüngliche Richtige – am Ende des zweiten <strong>Film</strong>teils<br />

von einer schwulenfeindlichen Gang mit einem Baseballschläger<br />

erschlagen wird. Der Schlag ließ mich im Kinosessel zusammenzucken<br />

und weckte mich aus der trügerischen Sicherheit, in der ich<br />

mich über jenen Sommer hinweg bisher gewähnt hatte, der naiven<br />

Vorstellung nämlich, ein beherzter Schritt ins Licht reiche aus, alles<br />

Dunkel ein <strong>für</strong> allemal fern zu halten. Ein blutiges, aufgeplatztes<br />

Gesicht machte mir klar, dass es <strong>nicht</strong> ausreichte – niemals ausreichen<br />

würde – in rosaroter Verklärung einmal im Jahr ein Regenbogenfähnchen<br />

zu schwenken. Ich war, und ein Teil von mir würde<br />

immer wachsam sein, immer auch ängstlich, sicherlich … aber immer<br />

auch bereit, nötigenfalls zurückzuschlagen. Ich bin ist ein Stolz, der<br />

keine Demut kennt.<br />

s<br />

Andreas Steinhöfels Blog: newsfromvisible.blogspot.de<br />

Es ist ein Elch entsprungen<br />

von Andreas Steinhöfel<br />

Roman, 80 Seiten,<br />

Carlsen 2004,<br />

www.carlsen.de<br />

Es ist ein Elch entsprungen<br />

von Ben Verbong<br />

DE 2005, 90 Minuten,<br />

deutsche OF<br />

Auf DVD bei Disney/Buena<br />

Vista, www.movie.de<br />

36 sissy 19 sissy 19 37


dvd<br />

dvd<br />

Owens erste Liebe<br />

von Bryn Higgins<br />

UK 2012, 92 Minuten, englische OF<br />

mit deutschen UT<br />

Auf DVD bei der Edition Salzgeber,<br />

www.salzgeber.de<br />

Verstörend gradlinig<br />

von Malte Göbel<br />

Der Titel ist schlicht, die Handlung relativ gradlinig – trotzdem bietet „Owens erste<br />

Liebe“, Bryn Higgins Hart-aber-herzlich-Drama einer obsessiven Liebe Momente von<br />

Staunen, Schreck und Berührtsein.<br />

Edition Salzgeber<br />

s Owen ist zarte siebzehn und verliebt. Das gibt Probleme: Er liebt einen Mann und hat sich<br />

noch <strong>nicht</strong> geoutet. Dummerweise hat sich Owens Zwillingsschwester Kristen in <strong>den</strong> gleichen<br />

Typen verknallt. Das verkompliziert alles, <strong>den</strong>n Owen und Kristen sind ein Team. Sie leben mit<br />

ihrer pflegebedürftigen Mutter in einer gesichtslosen britischen Vorstadt-Sozialsiedlung, einen<br />

Vater gibt es <strong>nicht</strong>. Owen ist hin- und hergerissen zwischen Loyalität zu seiner Schwester und<br />

seinen eigenen Gefühlen.<br />

Der Typ, <strong>den</strong> beide lieben, ist Liam: ein Yuppie, Anfang 20, mit Babyface und Haartolle.<br />

Er kommt als Finanzberater in die Hochhauswohnung der Kleinfamilie, gutaussehend, erfolgreich,<br />

agil. Als er im Cabrio davonfährt, flattern die Hoffnungen und Sehnsüchte der Zwillinge<br />

hinterher: Coolness, ungebun<strong>den</strong>es Leben, schnelles Auto, Geld – Liam verkörpert alles, was<br />

Owen und Kristen <strong>nicht</strong> haben.<br />

Und Owen knackt <strong>den</strong> Jackpot, scheint es: Liam lädt ihn ein, sie gehen in <strong>den</strong> Pub, spielen<br />

Billard, heizen mit dem Auto durch die Stadt, lungern mit Schnaps auf Liams Couch. Es<br />

knistert. „Bist du schwul?“, fragt Liam Owen unvermittelt. „Nein“, sagt dieser schnell. „Du?“<br />

– „Nein“, und Liam fragt erneut: „Bist du schwul?“ – „Ich habe es dir gerade gesagt“, stottert<br />

Owen sichtlich irritiert. Es ist nur der erste verstörende Moment. Dann führt ihn Liam zum<br />

Kleiderschrank, holt Kleid und Perücke heraus. Liam steht <strong>nicht</strong> auf Jungs. Er steht auf Mädchen,<br />

die Jungs sind.<br />

Owen macht mit, staffiert sich mit Kleid, Perücke und Make-Up aus. Liam nennt ihn „Kristen“,<br />

wie die Schwester, umgarnt ihn, macht ihm <strong>den</strong> Hof, führt ihn aus, kauft Champagner.<br />

Owen weiß <strong>nicht</strong>, wie ihm geschieht, fühlt sich geschmeichelt – und lässt es vorerst geschehen.<br />

Das Setting von Owens erste Liebe ist also spannend. Nach einer halben Stunde ist es aufgebaut<br />

– und die restliche Stunde des <strong>Film</strong>s ist gradlinig, fast schlicht. Regisseur Bryn Higgins<br />

arbeitet die absehbaren Komplikationen der Konstellation ab: Owens Schwester findet es heraus<br />

und macht ihm Vorwürfe, die Mutter erleidet einen Herzinfarkt. Liam wird immer obsessiver<br />

und manischer, und Owen ist hin- und hergerissen zwischen seiner Liebe zu Liam und dem<br />

Wunsch, auch als Typ geliebt zu wer<strong>den</strong>.<br />

Hier beeindrucken die Schauspieler: Christian Cooke als Liam droht, brüllt und mackert,<br />

die Augen blitzen irr – im nächsten Moment ist er der treusorgende, schmachtende Liebhaber.<br />

Harry McEntire als Owen überzeugt als stiller und zarter Junge, der sich blen<strong>den</strong> lässt und erst<br />

langsam emanzipiert.<br />

Owens erste Liebe ist Coming-of-Age-Geschichte und Sozialdrama in einem, um Homosexualität<br />

geht es kaum. Owens Schwester Kristen ist wütend, aber <strong>nicht</strong>, weil sie Schwule<br />

ablehnt, sondern weil Owen ihr <strong>den</strong> Typen weggeschnappt hat. Und als Liam Owen/Kristen zu<br />

seinen Eltern mitnimmt, stellt die Mutter Owen/Kristen später in der Küche zur Rede: „Du bist<br />

ein Junge, oder?“, um dann anzufügen: „Wichtig ist vor allem, dass Du gut zu ihm bist.“<br />

Am Meer erreicht der <strong>Film</strong> einen Klimax, kurz nach dem Besuch bei Liams Eltern. Owen<br />

hat keine Lust mehr sich zu verklei<strong>den</strong> und nimmt die Perücke ab. Daraufhin setzt Liam ihn am<br />

Meer auf einer Betonrampe ab und lässt ihn dort nackt und schluchzend zurück. Nach einiger<br />

Zeit kommt Liam wieder, bremst mit quietschen<strong>den</strong> Reifen und hält dem panischen Owen zwei<br />

Taschen unter die Nase: In der einen sind Kleid und Perücke, in der anderen Owens alte Kleider.<br />

Owen soll wählen: „In meiner linken Hand ist bedingungslose Liebe, Geld, gemeinsames<br />

Leben. In der rechten … sag Du es mir.“ Unconditional („Bedingungslos“) heißt der <strong>Film</strong> im<br />

Original. Welche Wahl bleibt dem verstörten Owen? Es scheint die Wahl zwischen alles und<br />

<strong>nicht</strong>s. Und natürlich will Owen etwas.<br />

s<br />

38 sissy 19<br />

sissy 19 39


tellerrand<br />

tellerrand<br />

Homo PoMo<br />

by Heart!<br />

von Jan Künemund<br />

Die <strong>Film</strong>kritikerin B. Ruby Rich kam 1992 von <strong>Film</strong>festivals zurück und rief das<br />

„New Queer Cinema“ aus. Jetzt hat sie ihren eigenen Begriff auf die Probe gestellt und bis<br />

in die Gegenwart verlängert. Ihr Essayband „New Queer Cinema – The Director’s Cut“<br />

ist ein Sehnsuchtsbericht eines lei<strong>den</strong>schaftlich verstrickten <strong>Film</strong>-Nerds.<br />

s Natürlich kann immer noch niemand wikipediareif erklären,<br />

was „Queer Cinema“ eigentlich ist. Nicht wenige kriegen Platzangst,<br />

sobald dieser Begriff im Raum steht. Die Zensurgeschichte <strong>nicht</strong>heterosexueller<br />

Repräsentation ist im Prinzip ausgeschrieben, <strong>Film</strong>e<br />

sind jetzt postemanzipiert. Vito Russos tief aus der Bewegungs-<br />

Erfahrung fehlender Sichtbarkeit heraus entwickeltes „Celluloid<br />

Closet“ wird zwar heutzutage etwas verzweifelt auf <strong>nicht</strong>-westliche<br />

<strong>Film</strong>szenen übertragen (Der erste schwule <strong>Film</strong> aus Vietnam!), aber<br />

insgeheim weiß man, dass <strong>nicht</strong>-heterosexuelle Figuren und Konstellationen<br />

die <strong>Film</strong>e bevölkern wie noch nie.<br />

Eigentlich läuft die Queer-Cinema-Begriffsklärung auf zwei verschie<strong>den</strong>e<br />

Interpretationen hinaus, die von zwei sehr unterschiedlichen<br />

<strong>Film</strong>verstehertypen vertreten wer<strong>den</strong>:<br />

Typ Eins ist der lässige, elegante, ironische „Queer Reader“, der<br />

weiß: „Queer ist das, was ich daraus mache!“ Vorzugsweise erkennt<br />

er queere Aspekte in James-Bond-<strong>Film</strong>en, in Zombie-Serien oder in<br />

Jackass: The Movie und ist sich damit eines Party-Spotlights sicher.<br />

Nichts strengt Typ Eins so sehr an wie ein Gespräch über als „schwul“<br />

oder „lesbisch“ gelabelte <strong>Film</strong>e, zu <strong>den</strong>en man eine Meinung haben<br />

muss – ist Brokeback Mountain jetzt konservativ, wo<strong>für</strong> braucht man<br />

2011 nochmal ein Milk-Biopic und warum muss ich ständig schlechte<br />

<strong>Film</strong>e gucken, nur, weil sich da Frauen oder Männer küssen oder<br />

darin jemand mit ungewissem Geschlecht herumläuft? Typ Eins plädiert<br />

dagegen <strong>für</strong> die freie und subtile Rezeption: Movie-Queerness<br />

liegt im Auge der Betrachterin.<br />

Typ Zwei dagegen ist eher engagiert, hat hohe Erwartungen an<br />

<strong>Film</strong>e und verzieht bei <strong>den</strong> Worten „RomCom“, „Blockbuster“ oder<br />

„Mainstream“ das Gesicht und fühlt sich von ihnen beim Nach<strong>den</strong>ken<br />

gestört. Er geht davon aus, dass „queer cinema“ mehr heißen muss<br />

als eine Handvoll <strong>Film</strong>e, in <strong>den</strong>en Lesben, Schwule und Trangender<br />

herumlaufen. Typ Zwei möchte, dass diese <strong>Film</strong>e, die unkonventionelle<br />

Geschichten erzählen, auch unkonventionell aussehen. Berufen<br />

kann sich Typ Zwei dabei auf eine lange queere Avantgardefilm-<br />

Geschichte von Edison bis Weerasethakul, von Anger, Genet und<br />

Warhol gar <strong>nicht</strong> zu re<strong>den</strong>. Während Typ Eins sich einfach mal ein<br />

paar FreundInnen zum lustigen DVD- oder gar Fernseh-Abend einla<strong>den</strong><br />

kann, muss Typ Zwei ständig auf Festivals rennen oder – noch<br />

schlimmer – ins Museum gehen.<br />

B. Ruby Rich gehört ganz sicher zum Typ Zwei. Sie rannte 1991<br />

und 1992 auf Festivals herum und konnte ihr Glück kaum fassen.<br />

Nicht nur, dass es mit The Living End, Go Fish, Edward II., Swoon,<br />

Poison, Paris Is Burning, My Private Idaho plötzlich einen Haufen<br />

<strong>Film</strong>e mit queeren Figuren gab – sie waren auch dreckig, wütend,<br />

politisch unkorrekt, ein Durcheinander von Genres, Formen, Materialien,<br />

voller Sex, befreit vom Gut-aussehen-Müssen und Anständigsein-Müssen,<br />

offene Infragestellungen von filmischen Ästhetiken,<br />

die das Mainstreamkino schon lange <strong>nicht</strong> mehr überprüft hatte:<br />

unvorhersehbar, herausfordernd, heiß. Die „Homo-Postmoderne“<br />

oder kurz: „Homo Pomo“ war angebrochen. Rich schrieb das auf und<br />

verbreitete als ‚embedded filmjournalist‘ die frohe Kunde einer neuen<br />

Welle, zuerst in der „Village Voice“, dann in „Sight & Sound“, wo sie<br />

endlich auch <strong>den</strong> passen<strong>den</strong> Begriff da<strong>für</strong> fand: „New Queer Cinema!“<br />

Der Begriff war bald so heiß wie sein Gegenstand, machte die<br />

publizistische Runde, war Seminar-Thema und bald schon Pitchingfähig:<br />

ein(e) junge(r) <strong>Film</strong>emacher(in) brauchte ihn nur in <strong>den</strong> Raum<br />

zu werfen und potentielle ProduzentInnen wussten, worauf sie sich<br />

freuen konnten. Festivals wur<strong>den</strong> größer, Verleiher sprangen auf,<br />

Kinos schufen Platz <strong>für</strong> das neue Zeug. SchauspielerInnen wollten<br />

plötzlich queere Rollen übernehmen, AutorInnen außerhalb der<br />

Szene auf die Queer <strong>Film</strong> Festivals. Die <strong>Film</strong>e verflachten, kommerzialisierten<br />

sich, queere Figuren wur<strong>den</strong> ohne die komplexen queeren<br />

I<strong>den</strong>titätsfragen zu interessanten Sidekicks in Mainstreamfilmen<br />

und Fernsehserien. Nischen entstan<strong>den</strong>, die die eigene, segmentierte<br />

Zielgruppe bedienten, die Queerness an <strong>Film</strong>en außerhalb dieser<br />

Nische wurde ignoriert. (Da gibt es, wie Rich ihren Kollegen Richard<br />

Dyer zitiert, zwei Möglichkeiten – entweder man sagt: „Das ist nur so<br />

ein queerer <strong>Film</strong>“, oder man sagt: „Das ist ein toller <strong>Film</strong>, und dass er<br />

queer ist, spielt dabei überhaupt keine Rolle!“)<br />

B. Ruby Rich verfolgt diese Entwicklung bis heute, schärfte dabei<br />

immer mehr ihren Blick <strong>für</strong> das, was da 1991/92 <strong>für</strong> sie selbst so überraschend<br />

passiert war und überlegte, wie es dazu kommen konnte.<br />

Herausgekommen ist dabei ihr grandioser Essayband „New Queer<br />

Cinema – The Director’s Cut“.<br />

„Ich bin niemals glücklicher als in diesen seltenen Momenten,<br />

wenn meine eigenen Interessen, die <strong>Film</strong>e, die ich liebe, die Interessen<br />

einer Community, der ich angehöre, und die Aufmerksamkeit<br />

einer größeren Gesellschaft zusammenkommen. Ich lebe <strong>für</strong> diese<br />

Momente, immer noch.“ Solch ein Moment war <strong>für</strong> Rich das New<br />

Queer Cinema. Ein Moment, keine Bewegung („a moment, not a<br />

movement“), ausgelöst von fünf Faktoren: Aids, Reagan, Camcorder,<br />

billige Mieten und dem akademischen Queer-Begriff. Aids machte<br />

das queere Kino zu einer dringlichen, lebensnotwendigen Angelegenheit,<br />

gegen die Reagans und Thatchers musste man die totgeschwiegene<br />

Szene sichtbar machen, die neue Videotechnik verbilligte die<br />

Produktionsprozesse, in <strong>den</strong> urbanen Zentren konnten noch Künstler<br />

leben und sich neuerfin<strong>den</strong>, und mit dem Queer-Diskurs war endlich<br />

eine Möglichkeit gegeben, <strong>nicht</strong> mehr in festen I<strong>den</strong>titätskategorien<br />

zu <strong>den</strong>ken. Das New Queer Cinema war Ausdruck von „Reflexion,<br />

Grundversorgung und erneuertem Engagement“. Richs mitbewegter<br />

Blick darauf ist der Schlüssel zum Verständnis ihres Schreibens<br />

– eine Erneuerung des Kinos aus dem Geist der künstlerischen Avantgarde<br />

entsprach ihrer eigenen, Anfang der 1990er endlich in Erfüllung<br />

gegangenen Sehnsucht; ihr Ärger über das schwullesbische<br />

Publikum, dem diese <strong>Film</strong>e zu roh und „unglossy“ waren, ein ewiger<br />

Begleiter; die Enttäuschung über Kommerzialisierung, „Disneyfication“,<br />

Vernischung und Mainstreamumarmung bis heute Grund<br />

genug, ihren Blick zu erweitern und sich mit anderen Szenen und<br />

Werken des Weltkinos auseinanderzusetzen.<br />

Frisch wirken ihre Berichte aus der Emergenzzeit des New Queer<br />

Cinema nach wie vor, auch wenn die 2012 geschriebene Anmerkungen<br />

dazu oft ziemlich ernüchternd sind: Nicht wenige <strong>Film</strong>emacherInnen,<br />

<strong>den</strong>en sie damals eine große Zukunft vorhersagte, haben<br />

nach ihren Debüts <strong>nicht</strong>s mehr hinbekommen, <strong>nicht</strong> wenige von ihr<br />

auserkorene Meisterwerke kennen heute nur noch ein paar Nerds<br />

(vom Typ Zwei), <strong>nicht</strong> selten sind gefühlte kreative Explosionen zu<br />

Knallerbsen der <strong>Film</strong>geschichte gewor<strong>den</strong>. Trotzdem lesen sich ihre<br />

Begeisterungs- und entschie<strong>den</strong>en Promotionstexte oft sehr geistreich:<br />

Ein frühes Porträt über Tropical Malady-Regisseur Apichatpong<br />

Weerasethakul, bei dem heute die etabliertesten Galerien und<br />

Festivals Sturm klingeln, mit dem Satz zu beginnen: „Der junge thailändische<br />

<strong>Film</strong>emacher macht seine Karriere da<strong>für</strong> verantwortlich,<br />

dass ihm ein Liebhaber fehlt!“, ist genauso hübsch wie ihr Frontbericht<br />

aus dem Schlafzimmer-Schneideraum von Tarnation-Regisseur<br />

Jonathan Caouette (der Sprachspiele halber hier mal im Original<br />

widergegeben): „Caouette had burnt the midnight oil on his boyfriend<br />

David Sanin Paz’s consumer iMac, with nothing but its built-in software<br />

to edit the melancholia out of his system and onto the screen.“<br />

Wirklich grandios aber ist Rich immer dann, wenn sie mit leichtem<br />

Abstand zum Gegenstand dichte Beschreibungen von <strong>Film</strong>phänomenen<br />

wagt, mühelos diverse Aufmerksamkeitsebenen in klare<br />

Texte umwandelt, ohne sich selbst darin unkenntlich zu machen: ihr<br />

Porträt der Produktions- und Rezeptionsgeschichte von Brokeback<br />

Mountain verhält sich wunderbar widerständig gegen die Kanonisierungsmaßnahmen,<br />

die ihn heute als „unseren Vom Winde verweht“<br />

befriedet haben; ihr anfängliches Unverständnis über Gus Van Sants<br />

konservatives Biopic über Harvey Milk, dem authentischen Bild einer<br />

historischen Szene, einem Hel<strong>den</strong> und einer politischen Korrektheit<br />

verpflichtet, spiegelt sie überraschend im Schock der gleichzeitig im<br />

Parlament durchgesetzten „Proposition 8“, durch das u.a. ihre eigene<br />

„Ehe“ rückwirkend annuliert wurde; ein Szene-Schock, der aus Van<br />

Sants <strong>Film</strong> ein Politikum machte, ein Statement, ein nun vielschichtig<br />

angereichertes Ventil <strong>für</strong> Enttäuschungen und Wut, ein „von der<br />

Geschichte neu geschnittener <strong>Film</strong>“.<br />

Scharfsinnig und besonders engagiert ist Rich auch, wenn es um<br />

<strong>den</strong> weiblichen Beitrag am Queer Cinema geht. Vor allem die komplexen<br />

Strategien eines Heterokinos, das die Lesbe in <strong>Film</strong>en wie Thelma<br />

& Louise oder Basic Instinct zur verführerischen Killerin stilisiert<br />

(„während die schwulen Jungs mit dem Sterben beschäftigt waren“)<br />

verfolgt sie mit Ambivalenz und persönlicher Betroffenheit: „The lesbian,<br />

the age-old creature from the black lagoon, was abruptly transformed<br />

from scorned humorless outsider into glamorous insider. It<br />

may have been Madonna’s fault.“<br />

Schwierig wird es bei Rich immer dann, wenn sie über <strong>den</strong> USamerikanischen<br />

Tellerrand hinausschaut und <strong>für</strong> diese komplexen<br />

Beschreibungen <strong>nicht</strong> mehr genügend Kontexte zur Verfügung<br />

hat: Ihr Versuch über <strong>den</strong> französischen Republikanismus und das<br />

„queer nouveau“ bei Ozon, Téchiné und Collard gerät genauso flach<br />

wie die Exkurse über das lateinamerikanische Kino. Hier tönen die<br />

Superlative schal und der Blick geht <strong>nicht</strong> über die Kurzsichtigkeit<br />

der Gastdozentin und Stipendiatin hinaus. Auch möchte man dann<br />

doch gerne wissen, wie ein Queer Cinema aussehen könnte, das sich<br />

vom zeitlichen Bezug auf <strong>den</strong> Moment zu Beginn der 1990er Jahre<br />

emanzipiert: Was wäre <strong>den</strong>n das Queere an <strong>den</strong> <strong>Film</strong>en von Bidgood,<br />

Maya Deren, Lucía Puenzo oder Travis Mathews? Wie kann man die<br />

formalen Infragestellungen und Erfindungen beschreiben, die queere<br />

Inhalte laut Rich immer provozieren und initiieren? Warum sind<br />

<strong>den</strong>n die Transfilme, allen schönen Wortspielen mit „Transgender“<br />

und „Transgenre“ zum Trotz, so biografie- und Coming-Out-lastig,<br />

wie Rich moniert? Warum sind so viele queere <strong>Film</strong>künstlerInnen ins<br />

Fernsehen (die Schluss credits von The L-Word), in <strong>den</strong> akademischen<br />

Betrieb, in Gallerien oder ins Netz gegangen? Und sind neue <strong>Film</strong>e<br />

wie Pariah, Weekend und Keep The Lights On <strong>nicht</strong> viel mehr als die<br />

legitimen NQC-Nachfolger, als die sie sie vorstellt? Oder wie klang<br />

das noch in ihrer Sehnsuchtsbeschreibung eines „good gay films“<br />

1998: „Ich will einen Post-Coming-Out-, Post-Reiß-Dich-Zusammen-<br />

<strong>Film</strong>, voll mit Sex, Romantik, Tragik und voller Lebensvorstellungen<br />

außerhalb klassischer Beziehungsmuster“? Hat sie <strong>den</strong> also <strong>nicht</strong><br />

mittlerweile in mehrfacher Ausführung bekommen? Aber – diese<br />

Fragen stehen jetzt im Raum. Und verlangen vielleicht ein Sequel zum<br />

Autorenfilm.<br />

B. Ruby Richs „Director’s Cut“ ihres New-Queer-Cinema-Begriffs<br />

ist kein eleganter Partytalk, sondern eine klare und vielschichtige<br />

Analyse eines Wissensfeldes, zu dem notwendigerweise gehört, dass<br />

es <strong>nicht</strong> vollständig bestellt wer<strong>den</strong> kann. Sie bleibt fragmentarisch,<br />

ein unabgeschlossener Versuch über eine Kategorie, die sich aus der<br />

Sehnsucht nach Nicht-Kategorierbarkeit speist („Ich bin eine Postmodernistin<br />

aus vollem Herzen!“). Man kann nur hoffen, dass Rich<br />

weiterhin als dichte Beschreiberin vom Typ Zwei das Weltkino<br />

beobachten und begleiten wird. Und als lei<strong>den</strong>schaftlich verstrickte<br />

Anwältin <strong>für</strong> das Unangepasste, die solche Sätze schreibt:<br />

„In <strong>den</strong> 50ern konnten sich Jugendliche ein Leben nach dem<br />

Muster von Zorro, Peter Pan oder Robin Hood vorstellen; oder sich,<br />

wenn sie etwas älter waren, in Johnny Guitar oder <strong>den</strong> Rebel Without<br />

A Cause hineinfantasieren. Die Gleeks von heute kriegen Glee,<br />

zur Unterhaltung und Selbstbestätigung. So schön es ist, sich queere<br />

High-Scool-Kids anzusehen: Es bleibt immer noch eine blitz-saubere<br />

Sitcom.“<br />

s<br />

New Queer Cinema –<br />

The Director’s Cut<br />

von B. Ruby Rich<br />

322 Seiten, Duke University Press 2013<br />

www.dukeupress.edu<br />

40 sissy 19 sissy 19 41


frisch ausgepackt<br />

Neu auf DVD<br />

von paul schulz (ps) und Jan Künemund (JK)<br />

TRANSPAPA<br />

DE 2012, Regie: Sarah Judith Mettke, Renaissance Medien<br />

Transpapa erzählt die Geschichte<br />

von Maren (Luisa<br />

Sappelt) und Sophia<br />

(Devid Striesow). Maren<br />

steckt mitten in der Pubertät,<br />

als sie erfährt, dass<br />

ihr Vater – <strong>den</strong> sie auf einem<br />

Selbstfindungstrip in<br />

Nepal wähnt – sich längst<br />

gefun<strong>den</strong> und das Geschlecht gewechselt hat.<br />

Heimlich macht sie sich auf <strong>den</strong> Weg in die<br />

spießige Vorstadtidylle Nordrhein-Westfalens,<br />

um ihren Vater zu suchen, und findet Sophia,<br />

die eigentlich viel lieber ihre Mutter sein würde.<br />

Regisseurin und Dreh buchauto rin Sarah<br />

Judith Mettke hat 2012 <strong>für</strong> ihren Abschlussfilm<br />

an der <strong>Film</strong>hochschule Ba<strong>den</strong>-Württemberg<br />

gleich ein ganzes Bündel Preise bekommen,<br />

alle zu Recht. Herr Striesow beweist als<br />

Sophia, dass er <strong>nicht</strong> ganz umsonst mehr Rollen<br />

ablehnen kann, als er annimmt, das Zusammenspiel<br />

zwischen ihm und Luisa Sappelt ist<br />

so zart und wohlüberlegt, dass es eine große<br />

Freude ist. Auch, dass hier <strong>nicht</strong> eine direkte<br />

Frage nach dem „Warum“ gestellt wird, sondern<br />

es dem Buch einfach nur um eine sehr<br />

spezielle Form der Familiendynamik zwischen<br />

<strong>den</strong> bei<strong>den</strong> Frauen geht, ist einfach nur hinreißend.<br />

Angucken!<br />

ps<br />

THE PAPERBOY<br />

US 2012, Regie: Lee Daniels, Studiocanal<br />

Es ist so heiß im Sommer<br />

1969 im tiefen Sü<strong>den</strong> Floridas,<br />

dass sich alles Feste<br />

verflüssigt. Wimperntusche<br />

zerläuft, Schweiß<br />

fließt am Polyester herab,<br />

Eiswürfel schmelzen im<br />

Eistee, Quallen treiben im<br />

Meer, Gedärm bricht aus<br />

toten Krokodilen heraus. Ein Ensemble hochkarätiger<br />

Stars dünstet aus in Lee Daniels (Precious)<br />

neuem Wahnsinnsfilm, in dem es oberflächlich<br />

um die Untersuchung eines<br />

Polizistenmordes geht. Stets kurzsichtig starren<br />

die blauen Augen von Zac Efron in nahe<br />

Fernen, stets klebt ihm ein scharfer Kamerablick<br />

auf dem schweißnassen Körper. Wie sie<br />

haben alle anderen Figuren mindestens eine<br />

doppelte Agenda und häuten sich im Verlauf<br />

des <strong>Film</strong>s: Nicole Kidman nimmt ihre blonde<br />

Perücke ab und uriniert auf das Teenie-Idol,<br />

Matthew McConaughey reckt sich obszön<br />

dunklen Schwänzen entgegen, John Cusack ergießt<br />

sich in seine Sträflingshose, David<br />

Oyelowos Spott fällt vom British English in<br />

breitesten Südstaatenakzent zurück. Manchmal<br />

wird die Kamera davon ohnmächtig,<br />

rutscht von <strong>den</strong> Körpern ab, ertrinkt das heiße<br />

Durcheinander der Stimmen in träger Soulmusik<br />

auf der Tonspur. Das 16mm-<strong>Film</strong>material<br />

flimmert, die Farben sind halb durchgebrannt,<br />

die Gesichter maskenhaft erstarrt. High Camp<br />

das Ganze, ohne Zweifel, doch liegt überall ein<br />

heißes Gefühl darunter, eine Choreographie<br />

gefallener Engel, die, ganz unten angelangt, zu<br />

sagenhafter Größe auftauchen. Wie schafft<br />

dieser <strong>Film</strong>emacher das bloß, aus diesen Stars<br />

solch zuckende Leiber zu machen, und warum<br />

zucken alle dabei so lustvoll mit, dass die Kinobesucher<br />

in <strong>den</strong> USA da kaum hinsehen mochten?<br />

Es gibt kein aufregenderes Erzählkino gerade<br />

aus Hollywood – und keinen aufregenderen<br />

<strong>Film</strong>emacher dort als Lee Daniels.<br />

jk<br />

OWENS ERSTE LIEBE<br />

UK 2012, Regie: Bryn Higgins, Edition Salzgeber<br />

„Der Typ, <strong>den</strong> die Geschwister<br />

Owen und Kristen<br />

lieben, ist Liam: ein<br />

Yuppie, Anfang 20, mit<br />

Babyface und Haartolle.<br />

Er kommt als Finanzberater<br />

in die Hochhauswohnung<br />

der Kleinfamilie,<br />

gutaussehend, erfolgreich,<br />

agil. Als er im Cabrio davonfährt, flattern<br />

die Hoffnungen und Sehnsüchte der Zwillinge<br />

hinterher.“ (p Seite 36)<br />

FRAUENSEE<br />

DE 2012, Regie: Zoltan Paul, Edition Salzgeber<br />

Vier Frauen treffen an einem<br />

Wochenende in einer<br />

malerischen Bran<strong>den</strong>burger<br />

Seenlandschaft aufeinander<br />

und ihre Flirts,<br />

ihr Begehren, ihre Lebensweisheiten<br />

und Zukunftspläne<br />

fließen inund<br />

durcheinander. „Was<br />

wollen sie voneinander, die beherrschte, reflektierte<br />

Kirsten, die sich selbst bewusst aus<br />

ihrem eigenen Inneren ausschließt, die<br />

schweigsame, toughe Rosa, die Verbindlichkeit<br />

und Erdung sucht, die provokante und sexuelle<br />

aggressive Evi und ihre langjährige Geliebte<br />

Olivia, die immer um Ausgleich bemüht<br />

ist? Die Charaktere sind schnell und nachvollziehbar<br />

skizziert und doch wer<strong>den</strong> scheinbar<br />

klare, romantische Rollenbilder überraschend<br />

verdreht. Es geht um die Suche und um das<br />

Lernen voneinander, um die Sehnsucht nach<br />

jugendlicher Leichtigkeit und die nach Verwurzelung<br />

in der Gesellschaft. Um eine Brücke<br />

zwischen <strong>den</strong> Altersgruppen. Das abgebrühte<br />

‚been there, done that‘ von Kirsten<br />

gegenüber der Unverdorbenheit, mit der die<br />

bei<strong>den</strong> Stu<strong>den</strong>tinnen das Leben erobern. Die<br />

Paare sind Spiegel und zugleich Reibungsfläche<br />

<strong>für</strong>einander, stehen <strong>für</strong> Ziele und Verlorenes,<br />

<strong>für</strong> Möglichkeiten und Mut.“ (Tania Witte<br />

in SISSY 16)<br />

SLEEPLESS KNIGHTS<br />

DE 2012, Regie: Stefan Butzmühlen & Cristina Diz,<br />

Edition Salzgeber<br />

Sleepless Knights erzählt<br />

vom Aufeinandertreffen<br />

und Aneinander-Vorbeileben<br />

einer alten, starren,<br />

verpanzerten Dorfbevölkerung<br />

in der spanischen<br />

Extremadura und einem<br />

jungen schwulen Paar, das<br />

die Jugendarbeitslosigkeit<br />

aus <strong>den</strong> Metropolen aufs Land vertrieben hat.<br />

„Der Flirt von Juan und Carlos schlägt rasch<br />

um in handfeste Liebeshändel, mit elliptischer<br />

Plötzlichkeit fast ganz ohne Anbahnung, so unvorbereitet<br />

und ungeschützt wie auch der Rest<br />

von Sleepless Knights sich Bahn brechen wird.<br />

Eine einschlägige Szene: Unmittelbar nachdem<br />

sie einander zum ersten Mal begegnet sind, sitzen<br />

Juan und Carlos am Ufer eines Flusses, der<br />

so breit ist, dass er als zweiter Himmel durchgeht.<br />

Juan erhebt sich, pinkelt in <strong>den</strong> vorbeilaufen<strong>den</strong><br />

Strom und eh er sich’s versieht ist Carlos<br />

nackt und springt, schwups, in die urinangereicherten<br />

Fluten: ‚Kommst du <strong>nicht</strong> rein?‘ Außer<br />

dem Wasser ist jetzt alles klar.“ (Nikolaus<br />

Perneczky, SISSY 16)<br />

PAULISTA – GESCHICHTEN<br />

AUS SÃO PAOLO<br />

BR 2010, Regie: Roberto Moreira, Bildkraft<br />

Kurz bevor sich Marina in<br />

der großen Stadt <strong>für</strong> eine<br />

Theaterrolle bewirbt,<br />

spielt sie auf ihrer Provinzbühne<br />

das Rotkäppchen.<br />

Der böse Wolf heißt<br />

nur wenig später São Paulo<br />

und Marina wird so ihre<br />

Erfahrungen mit ihm machen.<br />

Sie kommt unter im vierten Stock eines<br />

Hochhauses an der Avenida Paulista, dem or-<br />

<strong>den</strong>tlichen Zentrum des Molochs – einen besseren<br />

Überblick kann man <strong>nicht</strong> haben. Die Wohnung<br />

teilt sie sich mit der erfolgreichen Anwältin<br />

Suzana, die biologisch mal ein Junge war und es<br />

nun gerne or<strong>den</strong>tlich und aufgeräumt hat. Ihr<br />

Nachbar ist die dritte Figur in dieser eleganten<br />

Variation der „Stadtgeschichten“, ein lebensferner<br />

Träumer namens Jay, der Gedichte schreibt<br />

und eine Prostituierte liebt. „In dieser Stadt<br />

kann sich jeder über Nacht verändern“,<br />

schwärmt Marina und wirft sich ins Nachtleben,<br />

wo sie schnell einem weiteren bösen Wolf<br />

namens Justine verfällt und ihren Freund zuhause<br />

vergisst. Und doch schleppen alle drei<br />

HeldInnen dieses <strong>Film</strong>s ihre Biografien wie Altlasten<br />

mit sich herum und sind <strong>für</strong> <strong>den</strong> amourösen<br />

Nahkampf vier Stockwerke tiefer schlecht<br />

ausgerüstet – Suzana helfen ihre Karatetechniken<br />

<strong>nicht</strong>s, als sie <strong>den</strong> braven Juristen Gil über<br />

ihre Vergangenheit aufklärt; Marina bleibt zu<br />

sehr das Rotkäppchen, das vor <strong>den</strong> Exzessen ihrer<br />

Punkfreundin zurückweicht, als dass sie das<br />

Wolfbändigen lernt; und Jay, das Muttersöhnchen<br />

mit der geerbten Wohnung, kriegt seine<br />

Geliebte <strong>nicht</strong> rum, weil er nur in Gedichten<br />

und <strong>nicht</strong> mit Geld <strong>für</strong> sie zahlen will. Alle drei<br />

wer<strong>den</strong> enttäuscht und nehmen dann doch wieder<br />

<strong>den</strong> retten<strong>den</strong> Aufzug zur Terrasse ihres<br />

Hochhauses. Sie wissen, dass sie immer wieder<br />

hinunter müssen, ins „Herz des Dschungels“.<br />

Denn wie heißt es in Sonjas Monolog aus Onkel<br />

Wanja, mit dem Marina <strong>den</strong> Theaterregisseur in<br />

der großen Stadt überzeugt: „Was soll man<br />

schon tun – man muß leben!“<br />

jk<br />

Dem Himmel so nah – Al Cielo<br />

AR 2012, Regie: Diego Prado, Pro-Fun Media<br />

Diego Prado ist noch klein<br />

gewesen, als Kurt Cobain<br />

starb, aber der Tod des<br />

„Nirvana“-Frontmanns<br />

muss tiefe Spuren hinterlassen<br />

haben. Denn in<br />

Dem Himmel so nah, seinem<br />

Debüt, inszeniert<br />

Prado eine Geschichte<br />

über erste Liebe vor der Blaupause der damaligen<br />

Verhältnisse: Andrés ist sechzehn, schüchtern<br />

und ein kleiner Punkrocker. Als er eines<br />

Tages erfährt, dass der Sänger seiner Lieblingsband<br />

sich das Leben genommen hat, wird er so<br />

einsiedlerisch, dass seine tief religiöse Mama<br />

glaubt, jetzt könne nur noch Gott helfen und<br />

ihn in die Jugendgruppe der nächsten Kirche<br />

schleppt. Dort findet Andrés zwar seelischen<br />

Beistand, allerdings <strong>nicht</strong> in Form einer spirituellen<br />

Erweckung, sondern in Alex, dem Gitarristen<br />

einer Band, die in der Kirche probt. Die<br />

bei<strong>den</strong> fangen irgendwas miteinander an, von<br />

dem keiner von ihnen so genau weiß, was es ist<br />

oder wo es hinführen könnte. Prado erzählt seine<br />

hübsche kleine Geschichte in sachlichen,<br />

fast dokumentarischen Bildern, was besonders<br />

Mauro Haramboure in der männlich jugendlichen<br />

Hauptrolle noch mehr leuchten lässt. Hinreißender<br />

kleiner <strong>Film</strong>, so schön wie ein sachtes,<br />

sauber gespieltes Nirvana-Riff.<br />

ps<br />

STUD LIFE<br />

UK 2012, Regie: Campbell X, GM <strong>Film</strong>s<br />

Das Großstadtliebesleben<br />

ist <strong>nicht</strong> so einfach: Keiner<br />

bekommt wirklich,<br />

was er will, aber alle versuchen<br />

es ständig weiter.<br />

So auch JJ und Seb, ihres<br />

Zeichens eine traumschöne<br />

Butchlesbe, die als<br />

Hochzeitsfotografin arbeitet,<br />

und ein fröhlicher Großstadthomo mit<br />

Hang zu und einer genauen Vorstellung von der<br />

großen Liebe. Stud Life inszeniert die größte<br />

aller Gefühlsaufwallungen als Einbruch in<br />

eine wohlgeordnete, schön gebaute Welt: JJ<br />

lernt ihre Traumfrau kennen und Seb will mit<br />

dem hübschen Dealer, der ihn mag, <strong>nicht</strong>s anfangen<br />

können. Beides stellt ihre Freundschaft,<br />

die wichtigste Beziehung in Stud Life, auf eine<br />

harte Probe. Campbell X erzählt in seinem Debüt<br />

von jungen Schwulen und Lesben in London,<br />

die sich Kategorisierungen verweigern:<br />

Hautfarbe, Geschlecht und sexuelle Orientierung<br />

sind ein bisschen egal, der Großstadtdschungel<br />

hat Verwirrenderes, mit dem umzugehen<br />

schwierig ist. Was eine traurige Studie<br />

über Bindungslosigkeit sein könnte, ist ein<br />

fröhlicher, unterhaltsamer und sehr sexy <strong>Film</strong><br />

über Nähe aller Art gewor<strong>den</strong>, der unangestrengt<br />

queer ist und Spaß macht.<br />

ps<br />

WE HAVE TO STOP NOW<br />

frisch ausgepackt<br />

US 2009-2010, Regie: Robyn Dettmann, Edition Salzgeber<br />

Es gibt diesen Witz über<br />

Glühbirnen und Lesben<br />

und wie viele man von der<br />

einen Sorte braucht, um<br />

die andere einzuschrauben,<br />

und die Punchline ist:<br />

„Eine. Und daran ist überhaupt<br />

<strong>nicht</strong>s komisch.“<br />

Heißt: Frauenliebende<br />

Frauen haben <strong>den</strong> Ruf, <strong>nicht</strong> besonders komisch<br />

zu sein, besonders im <strong>Film</strong>. Das mag früher gestimmt<br />

haben, aber seit The L-Word und ein<br />

paar hübschen Versuchen in sapphistischen<br />

Romcoms ist alles anders. Das sieht man jetzt<br />

auch an We have to stop now. Die auf eine DVD<br />

gepresste 14-teilige Webserie von Robyn Dettmann<br />

ist zum Schreien. Weil sie so böse und ein<br />

kleines Bisschen zynisch ist: Kit und Dyna sind<br />

schon seit Ewigkeiten ein Paar. Sie sind Therapeutinnen<br />

und haben einen Bestseller geschrieben,<br />

der „How to succeed in marriage without<br />

really trying“ heißt. Und sie hassen sich. Was<br />

schwierig ist, weil, seit ihr Buch die „New York<br />

42 sissy 19 sissy 19 43<br />

»Geltinger wagt alles<br />

und gewinnt viel.«<br />

KulturSpiegel<br />

Gunther Geltinger MOOR<br />

440 S. Geb. € 22,95 (D)<br />

Auch als eBook erhältlich<br />

Erscheint am 9. September<br />

Er ist dreizehn und wächst ohne<br />

Vater auf. Er stottert und heißt<br />

wie kein anderes Kind im Dorf, in<br />

der Schule: Dion. Dion Katthusen,<br />

Außenseiter unter <strong>den</strong> Gleichaltrigen,<br />

Einzelkind, Libellensammler<br />

in einer Moorlandschaft voller<br />

Mythen und Legen<strong>den</strong>. Am Ende<br />

seiner Kind heit erzählt er seine<br />

Geschichte. Und lässt das Moor<br />

<strong>für</strong> sich sprechen.<br />

Code scannen und<br />

Buchtrailer ansehen<br />

Suhrkamp<br />

www.suhrkamp.de<br />

Foto: Jürgen Bauer


frisch ausgepackt<br />

frisch ausgepackt<br />

Times“-Bestsellerliste gestürmt hat, ein Kamerateam<br />

versucht festzuhalten, wie ihre ach so<br />

gelungene Beziehung aussieht. Außerdem ist<br />

Kits permanent bekiffte Schwester bei ihnen<br />

eingezogen. Aus dieser Ausgangssituation<br />

schlägt der 80-Minüter in kurzen Episo<strong>den</strong> komödiantische<br />

Funken, an <strong>den</strong>en <strong>nicht</strong> nur die<br />

bei<strong>den</strong> Hauptdarstellerinnen Jill Bennett<br />

(Dante’s Cove) und Cathy DeBuono (StarTrek:<br />

Deep Space Nine, Exes & Ohs), sondern auch die<br />

Drehbuchautorinnen und Regisseurinnen einen<br />

Hei<strong>den</strong>spaß haben. Weil es ein bisschen so<br />

ist, als würde Michael Patrick King seine lesbische<br />

Seite entdecken, ist das übrigens auch was<br />

<strong>für</strong> Jungs – oder fröhliche queere Abende. ps<br />

JENSEITS DER MAUERN<br />

BE/FR/CA 2012, Regie: David Lambert, Edition Salzgeber<br />

Ein Musiker nimmt einen<br />

anderen aus der Kneipe<br />

mit nach Hause und bald<br />

verlässt der seine Frau<br />

und zieht ein. Die Liebesgeschichte,<br />

die jetzt beginnt,<br />

entwickelt sich<br />

nach völlig eigenem Muster,<br />

leicht und spielerisch<br />

– bis einer der bei<strong>den</strong> von einem Tag auf <strong>den</strong><br />

anderen verschwindet. „Festgelegt auf einen<br />

bestimmten Typus scheinen zunächst die bei<strong>den</strong><br />

Hauptfiguren zu sein: Während Ilir eher<br />

die selbstsichere, sehr virile Rolle eines Beschützers<br />

und großen Bruders spielt, wirkt<br />

Paulo sehr kindlich, verloren und anlehnungsbedürftig.<br />

Doch im Verlauf der Geschichte wer<strong>den</strong><br />

die Positionen immer wieder vertauscht,<br />

Dominanz verwandelt sich in Unterlegenheit,<br />

Schwäche in Stärke. ‚Diese Dynamiken deutlich<br />

herauszuarbeiten‘, erklärt Lambert, ‚war<br />

mir sehr wichtig, <strong>den</strong>n sie gehören einfach zu<br />

Liebesbeziehungen dazu, sie liegen in der Natur<br />

der Sache: Mal begehrt der eine Partner <strong>den</strong><br />

anderen mehr, woraus letzterem eine gewisse<br />

Überlegenheit erwächst, mal ist es umgekehrt.<br />

(…) Ich mag <strong>Film</strong>e, die einen innerhalb von zwei<br />

oder drei Minuten sowohl zum Weinen als auch<br />

zum Lachen bringen können, <strong>den</strong>n ich glaube,<br />

so ist das Leben, das macht die Magie des Lebens<br />

aus.‘“ (Christoph Meyring im Gespräch<br />

mit David Lambert in SISSY 17).<br />

OUT IN THE DARK<br />

IL/US 2012, Regie: Michael Mayer, Pro-Fun Media<br />

„Eine klassische Boymeets-Boy-Geschichte<br />

wird zum Drama. In einem<br />

Club in Tel Aviv kommen<br />

der Psychologie-Stu<strong>den</strong>t<br />

Nimr aus Ramallah<br />

und der Rechtsanwalt Roy<br />

ins Gespräch, sie treffen<br />

sich wieder – und verlieben<br />

sich. Doch dann erpresst der Mossad Nimr:<br />

Wenn er seine Einreisegenehmigung <strong>für</strong> Israel<br />

behalten will, soll er seinen Bruder ausspionieren,<br />

der aktiv in einer militanten Palästinenser-<br />

Organisation ist. (…) Die Geschichte von Israel<br />

als sicherem Ort <strong>für</strong> schwule Palästinenser<br />

wurde schon oft erzählt und hat es mit The Buble<br />

von Eytan Fox schon vor Jahren ins Mainstream-Kino<br />

geschafft. Out In The Dark erzählt<br />

die gleiche Geschichte ohne große Schnörkel,<br />

fast erwartbar. Um so erstaunlicher, dass der<br />

<strong>Film</strong> trotzdem berührt und gefangen nimmt.<br />

Vielleicht liegt das auch an <strong>den</strong> Bildern: Out In<br />

The Dark scheint in warmen Farbtönen, man ist<br />

bei Partys oder im Wohnzimmer von Ramallah<br />

direkt dabei. Und die Figuren haben Ambivalenzen.“<br />

(Malte Göbel in SISSY 17)<br />

WESTERLAND<br />

DE 2012, Regie: Tim Staffel, Edition Salzgeber<br />

In Westerland treffen sich<br />

zwei Jungs und gehen<br />

eine Beziehung ein. Jesús<br />

ist Borderliner, Cem hat<br />

Angst vor dem Leben. Das<br />

Staunen über die Sylter<br />

Winterlandschaftsperspektiven<br />

verlernen sie<br />

schnell. Aufeinander aufpassen<br />

wird zum Teil des Problems. Tim Staffel<br />

Debütfilm nach seinem eigenen Roman erzählt<br />

eine Freundschaft und eine Landschaft. „Westerland<br />

verzichtet fast vollständig auf die diversen<br />

Zeichen realistischer <strong>Film</strong>e <strong>für</strong> Homosexualität.<br />

Abgesehen davon, dass wir immer wieder<br />

eingela<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>, die jungen männlichen<br />

Körper beider Protagonisten anzuschauen,<br />

sind wir von <strong>den</strong> besonders aufdringlich romantischen<br />

schwulen Küssen, dem Händchenhalten<br />

im Close-Up, <strong>den</strong> argwöhnisch dreinblicken<strong>den</strong><br />

Prollschlägern und dergleichen<br />

filmischer Klischeebildung verschont. Am<br />

Ende ist es fast egal, ob die bei<strong>den</strong> eigentlich<br />

schwul sind und man gleich von Liebe sprechen<br />

muss, oder ob sich hier ‚nur‘ eine intensive<br />

Freundschaft entwickelt hat. Homosexualität<br />

ist hier weder die Bedingung alles Geschehens<br />

noch ein ausgezeichnetes Problem oder überhaupt<br />

ein Problem. Sie ist da oder <strong>nicht</strong> und<br />

letztlich liegt die Entscheidung über diese Frage<br />

wohl auch sehr bei uns Zuschauer_innen.<br />

Westerland gehört je<strong>den</strong>falls zu einer Reihe von<br />

<strong>Film</strong>en aus der jüngsten Zeit, in der Schwulsein<br />

<strong>nicht</strong> das Problem ist, sondern wo Schwule<br />

auch einmal andere Probleme haben dürfen als<br />

ihre sexuelle I<strong>den</strong>tität. In einer so bedrücken<strong>den</strong><br />

und komplexen Problemlage, wie sie Westerland<br />

entwirft, ist die sexuelle I<strong>den</strong>tität weder<br />

eine zusätzliche Bürde noch irgend eine Hilfe.“<br />

(André Wendler in SISSY 16)<br />

THE DELTA<br />

US 1996, Regie: Ira Sachs, Edition Salzgeber<br />

Der Debütspielfilm von<br />

Ira Sachs (Keep The Lights<br />

On) ist eine schwule Fieberphantasie,<br />

in der ein<br />

armer kleiner reicher weißer<br />

Junge aus einer Südstaatenfamilie<br />

sich mit einem<br />

afroasiatischen<br />

Stricher auf eine Bootsfahrt<br />

begibt. „Je nach erzählerischem Erfordernis<br />

verwandelt sich The Delta in einen geduldig<br />

beobachten<strong>den</strong> Dokumentarfilm, in<br />

eine bukolische Elegie, in ein sozialrealistisches<br />

Melodram, in eine ödipale Rachefantasie<br />

oder in einen Festivalfilm avant la lettre, der<br />

aus Grün<strong>den</strong>, die <strong>den</strong> erzählerischen Erfordernissen<br />

gerade äußerlich bleiben, in zwei ungleiche,<br />

deutlich demarkierte Hälften zerfällt.<br />

Der junge Lincoln gibt irgendwann die Staffel<br />

ab an <strong>den</strong> Vietnamesen Minh, mit dem er eine<br />

kurze und weniger heftige als melancholische<br />

Affäre hatte, worauf der <strong>Film</strong> urplötzlich und<br />

völlig unvermittelt noch einmal ganz neue Perspektiven<br />

und Vektoren auf diesen südlichsten<br />

Ort der Welt eröffnet, der gerade noch wie<br />

Amerika aussah, im nächsten Moment aber in<br />

Vietnam liegen kann. Alle diese Verwandlungen<br />

vollziehen sich ohne das geringste Aufsehen,<br />

als <strong>den</strong>kbar unauffälliger Pluralismus<br />

bzw. Eklektizismus der Form, wie er vielleicht<br />

nur hier im ständig überfluteten Einzugsgebiet<br />

des Mississippi-Delta gedeihen kann, wo Gestalt<br />

die Ausnahme ist und Erosion die Regel.“<br />

(Nikolaus Perneczky in SISSY 18)<br />

ZWEI MÜTTER<br />

DE 2013, Regie: Anne Zohra Berrached, Edition Salzgeber<br />

Zwei Frauen beschließen,<br />

gemeinsam ein Kind zu<br />

zeugen. Eine kunstvoll<br />

verzahnte Nahaufnahme<br />

eines lesbischen Paares,<br />

das an einer rechtlichen<br />

Unklarheit und am inneren<br />

und äußeren Druck<br />

verzweifelt, <strong>den</strong> ihr einfacher<br />

und naheliegender Wunsch auslöst.<br />

„Berrached verwebt Realität und Fiktion zu einem<br />

dokumentarischen Spielfilm – sie nimmt<br />

Gesetzeslage, Statistiken und Prognosen, vermischt<br />

sie mit Wunschbildern und lässt ihre<br />

Protagonistinnen mehr als einmal an der Wirklichkeit<br />

scheitern. Das Drehbuch fußt auf Gesprächen<br />

mit und Erfahrungsberichten von lesbischen<br />

Paaren und das macht die Geschichte<br />

in weiten Teilen so schmerzhaft real. Zwei Mütter<br />

balanciert auf der Grenze zwischen <strong>den</strong><br />

Genres – die Farben, die Kameraarbeit, die Protagonist_innen,<br />

die sich teils selbst spielen, teils<br />

Schauspieler_innen sind, die Art der Dialogführung<br />

– alles, wirklich alles atmet Dokumentationscharakter.<br />

Das ist sicherlich <strong>nicht</strong> nur gewollt,<br />

sondern vor allem dem Budget geschuldet;<br />

ihr Ziel erreicht Berrached dadurch erst recht.<br />

Der <strong>Film</strong> öffnet <strong>den</strong> Blick, ohne <strong>den</strong> Zeigefinger<br />

allzu großräumig zu schwenken. Ohne ein<br />

Übermaß an Klischees zu bemühen entsteht<br />

eine feine Nähe zu <strong>den</strong> bei<strong>den</strong> Protagonistinnen,<br />

die von Sabine Wolf und Karina Plachetka<br />

pur und überzeugend dargestellt wer<strong>den</strong>. Und<br />

so sind <strong>den</strong>n auch die Gefühle des Liebespaares<br />

und die Veränderungen in ihrer Beziehung das<br />

eigentlich Spannende an dem <strong>Film</strong>. Der leidvolle<br />

Weg, auf dem das ‚Wir‘ sich wieder in ‚Du’<br />

und ‚Ich‘ aufspaltet und das ‚Du‘ sogar zum<br />

Druckmittel wird …“ (Tania Witte in SISSY 17)<br />

<strong>Film</strong>s by Sheila McLaughlin<br />

and Lynne Tillman<br />

US/DE 1979–87, Regie: Sheila McLaughlin und Lynne Tillman,<br />

<strong>Film</strong>galerie 451<br />

Committed und She Must<br />

Be Seeing Things sind <strong>Film</strong>e,<br />

die jede lesbische<br />

Frau, die in <strong>den</strong> 1980ern<br />

in der BRD groß wurde,<br />

gesehen hat. Die „andere“<br />

Frances-Farmer-Biografie<br />

und das kleine Fernsehspiel<br />

über lesbische<br />

I<strong>den</strong>tität und Beziehungsfähigkeit, sind Standarten<br />

einer Avantgarde-Bewegung, die viele<br />

queere <strong>Film</strong>emacher beeinflusst und auf <strong>den</strong><br />

<strong>für</strong> sie richtigen Weg gebracht hat, weil sie formal<br />

und erzählerisch neu waren und ihre Produzentinnen<br />

lieber lange Zeit an etwas arbeiteten,<br />

als sich ihre ganz persönliche Vision<br />

kompromittieren zu lassen. Sheila McLaughlin,<br />

Schauspielerin, Schriftstellerin, Regisseurin<br />

war (und ist) die Schlüsselfigur hinter <strong>den</strong><br />

drei Produktionen, die hier versammelt sind.<br />

Das Bemerkenswerteste an dieser von Heinz<br />

Emigholz zusammengestellten Kollektion ist<br />

jedoch, wie unterschiedlich „alt“ die Werke<br />

gewor<strong>den</strong> sind. Der unerzählerischste von<br />

ihnen, die viertelstun<strong>den</strong>lange Zeitverlaufsstudie<br />

Inside Out, hat <strong>nicht</strong>s von seiner Kraft<br />

und dem Sog verloren, <strong>den</strong> ihre stummen Bilder<br />

schon in <strong>den</strong> 70ern gehabt haben müssen,<br />

während She Must Be Seeing Things in seiner<br />

lesbischen Selbstzerfleischung und seinen relativ<br />

konventionellen erzählerischen Mitteln<br />

einfach nur altbacken und verstaubt wirkt.<br />

Committed, der zwei Jahre vor Frances die Lebensgeschichte<br />

von Frances Farmer als Weg in<br />

<strong>den</strong> gesellschaftlich erzeugten Irrsinn schildert,<br />

steht <strong>für</strong> sich allein und sollte als Double-<br />

Feature zusammen mit dem Jessica Lange-<br />

<strong>Film</strong> gesehen wer<strong>den</strong>, damit das Publikum<br />

erkennt, welchen Sprengstoff die Hollywood-<br />

Fassung ignoriert.<br />

ps<br />

I AM A WOMAN NOW<br />

NL 2011, Regie: Michiel van Erp, Indigo<br />

Als Ort mit der klassischen<br />

Infrastruktur zur<br />

operativen Geschlechtsangleichung<br />

war Casablanca<br />

lange Zeit ein Mythos.<br />

Der Dokumentar film<br />

I Am A Woman Now befragt<br />

fünf Transfrauen,<br />

was sie dort und damit erlebt<br />

haben. „Und, was machen alternde Frauen<br />

in I Am A Woman Now so? Zum Beispiel im See<br />

herumschwimmen. Cool. Oder eine windige<br />

Bootstour mit einer Freundin. Oder spazieren<br />

mit dem Hund im Park. Mhm. Dr. Burou,<br />

Trans* und geschlechtsangleichende Operationen<br />

habe ich vergessen. Was <strong>für</strong> schöne Frauen!<br />

Wenn, dann beim Altern mit so viel Style,<br />

Charme und Power, bitte. Bleibt nur zu hoffen,<br />

dass die weniger selbstbewussten Statements<br />

generationenbedingt abgegeben wur<strong>den</strong>. Und<br />

die offene Ansprache eines nach wie vor<br />

Trans*-diskriminieren<strong>den</strong> Arbeitsmarktes<br />

und einer Trans*-diskriminieren<strong>den</strong> Lebenswelt<br />

zu merklichen positiven Veränderungen<br />

auf ebensolchen führt.“ (Biru David Binder in<br />

SISSY 17)<br />

DER FREMDE AM SEE · ICH FÜHL MICH DISCO<br />

· FIVE DANCES · ALBERT NOBBS · REACHING<br />

FOR THE MOON · CONCUSSION<br />

WIR SEHEN UNS IM KINO: AACHEN, AUGSBURG, BERLIN, BREMEN, DARMSTADT, DRESDEN,<br />

FRANKFURT, FREIBURG, HALLE, HAMBURG, HANAU, HANNOVER, KARLSRUHE, KIEL,<br />

MAGDEBURG, MANNHEIM, MARBURG, MÜNCHEN, MÜNSTER, NÜRNBERG, OLDENBURG,<br />

POTSDAM, REGENSBURG, STUTTGART<br />

P WWW.L-FILMNACHT.DE P WWW.GAY-FILMNACHT.DE


abspann<br />

DVD-Bezugsquellen<br />

Nicht-heterosexuelle DVDs erhalten Sie unter anderem in <strong>den</strong> folgen<strong>den</strong> Lä<strong>den</strong>. Die Auswahl<br />

wird laufend ergänzt. Bitte helfen Sie uns dabei!<br />

3 Berlin: b_books Lübbenerstr. 14, 030/6117844 · Bruno’s Bülowstr.<br />

106, 030/61500385 · Saturn Potsdamer Platz Alte Potsdamer Straße 7 ·<br />

Bruno’s Schönhauser Allee 131, 030/61500387 · Dussmann Friedrichstr.<br />

90 · <strong>Film</strong>galerie 451 Torstr. 231, 030/23457911 · Galerie Janssen Pariser<br />

Str. 45, 030/8811590 · KaDeWe Tauentzienstr. 21–24 · Media Markt Alexa<br />

Grunerstr. 20 · Media Markt Neukölln Karl-Marx-Str. 66 · Negativeland<br />

Dunckerstr. 9 · Prinz Eisenherz Buchla<strong>den</strong> Lietzenburger Str.<br />

9a, 030/3139936 · Saturn alexanderplatz Alexanderplatz 7 · Saturn<br />

Europacenter Tauentzienstr. 9 · Video World Kottbusser Damm 73 · Videodrom<br />

Fürbringer Str. 17 3 bochum: saturn Kortumstr. 72 3 darmstadt:<br />

saturn Ludwigplatz 6 3 Düsseldorf: Bookxxx Bismarckstr. 86,<br />

0211/356750 · Media Markt Friedrichstr. 129–133 · Saturn Königsallee 56<br />

· Saturn Am Wehrhahn 1 3 Essen: Müller Limbecker Str. 59–65 3 Frankfurt/main:<br />

Oscar Wilde Buchhandlung Alte Gasse 51, 069/281260 ·<br />

Saturn Zeil 121 3 Hamburg: Buchla<strong>den</strong> Männerschwarm Lange Reihe<br />

102, 040/436093 · Bruno’s Lange Reihe/Danziger Str. 70, 040/98238081<br />

· Media Markt Paul-Nevermann-Platz 15 3 Köln: Bruno’s Kettengasse<br />

20, 0221/2725637 · Media Markt Hohe Str. 121 · Saturn Hansaring 97 ·<br />

Saturn Hohe Str. 41–53 3 leipzig: Lehmanns Buchhandlung Grimmaische<br />

Str. 10 · Müller Petersstr. 28 · Saturn Hauptbahnhof Willy-<br />

Brandt-Platz 1 3 Mannheim: Der Andere Buchla<strong>den</strong> M2 1, 0621/21755<br />

3 München: Bruno’s Thalkirchner Str. 4, 089/97603858 · Lillemor’s<br />

Frauenbuchla<strong>den</strong> Barerstr. 70, 089/2721205 · Saturn Schwanthalerstr.<br />

115 · Saturn Neuhauser Str. 39 3 nürnberg: Müller Königstr. 26 3 Stuttgart:<br />

Buchla<strong>den</strong> Erlkönig Nesenbachstr. 52, 0711/639139 3 trier: media<br />

markt Ostallee 3–5 3 Tübingen: Frauenbuchla<strong>den</strong> Thalestris Bursagasse<br />

2, 07071/26590 3 Wien: Buchhandlung Löwenherz Berggasse 8,<br />

+ 43/1/13172982 3 Würzburg: Müller Dominikanerplatz 4<br />

kinos<br />

Nicht-heterosexuelle <strong>Film</strong>e können Sie unter anderem in <strong>den</strong> folgen<strong>den</strong> Kinos sehen. Die Auswahl<br />

wird laufend ergänzt. Bitte helfen Sie uns dabei!<br />

3 Aachen: Apollo Pontstr. 141, 0241/9008484 3 aalen: Kino am Kocher<br />

Schleifbrückenstr. 15, 07361/5559994 3 Aschaffenburg: Casino filmtheater<br />

Ohmbachsgasse 1, 06021/4510772 3 Bad Füssing: <strong>Film</strong>galerie<br />

Sonnenstr. 4, 08531/980555 3 bamberg: lichtspiel Untere Königstr.<br />

34, 0951/26785 3 Berlin: acud Veteranenstr. 21, 030/44359498 · arsenal<br />

Potsdamer Str. 2, 030/26955100 · Kino International Karl-Marx-<br />

Allee 33, 030/24756011 · Xenon Kino Kolonnenstr. 5–6, 030/78001530<br />

· Cinemaxx Potsdamer Platz Potsdamer Str. 5, 01805/24636299 · eiszeit<br />

Zeughofstr. 20, 030/6116016 · FSK am Oranienplatz Segitzdamm 2,<br />

030/6142464 · Tilsiter Lichtspiele Richard-Sorge-Str. 25a, 030/4268129<br />

· Zukunft Laskerstr. 5, 0176/57861079 3 bochum: Endstation Kino im<br />

Bhf. Langendreer Wallbaumweg 108, 0234/6871620 3 BONN: Kino in<br />

der Brotfabrik Kreuzstr. 16, 0228/478489 3 braunschweig: C1 Cinema<br />

Lange Str. 60 3 Bremen: city 46 Birkenstr. 1, 0421/44963582 3 dortmund:<br />

schauburg Brückstr. 66, 0231/9565606 · sweetsixteen Immermannstr.<br />

29, 0231/9106623 3 Dres<strong>den</strong>: Kid – Kino im Dach Schandauer<br />

Str. 64, 0351/3107373 · Thalia Görlitzer Str. 6, 0351/6524703 3 Erlangen:<br />

Manhattan Güterhallenstr. 4, 09131/22223 3 Esslingen: Kommunales<br />

Kino Maille 4–9, 0711/31059510 3 Frankfurt/Main: Lesbisch-schwules<br />

Kulturhaus Klingerstr. 6, 069/293045 · Mal Seh’n Adlerflychtstr. 6,<br />

069/5970845 · Orfeos Erben Hamburger Allee 45, 069/70769100 3 Freiburg:<br />

Kommunales Kino Urachstr. 40, 0761/709033 · Kandelhof Kandelstr.<br />

27, 0761/283707 3 Göttingen: Kino Lumière Geismar Landstr. 19,<br />

0551/484523 3 Halle: Lux kino am zoo Seebener Str. 172, 0345/5238631<br />

· Zazie Kleine Ulrichstr. 22, 0345/7792805 3 Hamburg: Metropolis Kino<br />

Kleine Theaterstr. 10, 040/342353 · B-Movie Brigittenstr. 5, 040/4305867 ·<br />

3001 Schanzenstr. 75–77, 040/437679 3 Hanau: Kinopolis Am Steinheimer<br />

Tor 17, 06181/42825188 3 Hannover: kino im künstlerhaus Sophienstr.<br />

2, 0511/16845522 · Kino im Sprengel K.-M.-Kilian-Weg 2, 0511/703814<br />

3 karlsruhe: studio 3 Kaiserpassage 6, 0721/9374714 · Schauburg Marienstr.<br />

16, 0721/3500018 3 Kiel: Die Pumpe – Kommunales Kino Haßstr.<br />

22, 0431/2007650 · Traum Kino Grasweg 48, 0431/544450 3 Köln: filmpalette<br />

Lübecker Str. 15, 0221/122112 3 Konstanz: Zebra Kino Joseph-Belli-<br />

Weg 5, 07531/60162 3 Leipzig: Passage Kino Hainstr. 19 a, 0341/2173865<br />

· Schaubühne Lin<strong>den</strong>fels Karl-Heine-Str., 0341/4846211 3 magdeburg:<br />

Studiokino Moritzplatz 1, 0391/2564925 Mannheim: Cinema Quadrat<br />

Collinistr. 5, 0621/1223454 · Cinemaxx N7 17, 01805/625466 3 Marburg:<br />

Cineplex Biegenstr. 1a, 06421/17300 3 München: Neues Arena <strong>Film</strong>theater<br />

Hans-Sachs-Str. 7, 089/2603265 · City Kino Sonnenstr. 12, 089/591983<br />

· CinemaxX Isartorplatz 8, 01805/24636299 3 Münster: Cinema <strong>Film</strong>theater<br />

Warendorfer Str. 45–47, 0251/30300 3 Nürnberg: Kommkino/<br />

filmhauskino Königstr. 93, 0911/2448889 3 Offenburg: forum Hauptstr.<br />

111, 0781/4350 3 Ol<strong>den</strong>burg: Cine K Bahnhofstr. 11, 0441/2489646<br />

3 Potsdam: Thalia Arthouse Rudolf-Breitscheid-Str. 50, 0331/7437020<br />

3 Regensburg: Wintergarten Andreasstr. 28, 0941/2980963 3 Saarbrücken:<br />

kino achteinhalb Nauwieser Str. 19, 0681/3908880 · Kino im<br />

<strong>Film</strong>haus Mainzer Str. 8, 0681/372570 3 Schweinfurt: KuK – Kino und<br />

Kneipe Ignaz-Schön-Str. 32, 09721/82358 3 Stuttgart: Cinemaxx an der<br />

Liederhalle Robert-Bosch-Platz 1, 01805/24636299 3 Trier: Broadway<br />

<strong>Film</strong>theater Paulinstr. 18, 0651/96657200 3 Weiterstadt: Kommunales<br />

Kino Carl-Ulrich-Str. 9–11 / Bürgerzentrum, 06150/12185<br />

Impressum<br />

Herausgeber Björn Koll<br />

Verlag<br />

Salzgeber & Co. Medien GmbH<br />

Mehringdamm 33 · 10961 Berlin<br />

Telefon 030 / 285 290 90 · Telefax 030 / 285 290 99<br />

Redaktion Jan Künemund, presse@salzgeber.de<br />

Gestaltung Johann Peter Werth, werth@salzgeber.de<br />

Autoren Thomas Abeltshauser, Toby Ashraf, Ingeborg Boxhammer,<br />

Matthias Frings, Richard Garay, Gunther Geltinger, Malte Göbel,<br />

Enrico Ippolito, Jan Künemund, Sebastian Markt, Ginevra Paolovna,<br />

Ringo Rösener, Paul Schulz, Maike Schultz, Andreas Steinhöfel,<br />

André Wendler, Jochen Werner, Sascha Westphal<br />

Anzeigen Jan Nurja, nurja@salzgeber.de<br />

Es gilt die Anzeigenpreisliste 01/2013 (www.sissymag.de/media).<br />

SISSY erscheint alle drei Monate, jeweils <strong>für</strong> <strong>den</strong> Zeitraum Dezember/<br />

Januar/Februar – März/April/Mai – Juni/Juli/August – September/<br />

Oktober/November. Auflage: 20.000 Exemplare (Druckauflage).<br />

Druck<br />

Möller Druck, Berlin<br />

Rechte<br />

Vervielfältigung, Speicherung, Weiterverarbeitung oder Nutzung sowohl<br />

der Texte als auch der Bilder zu kommerziellen Zwecken bedürfen einer<br />

schriftlichen Genehmigung des Herausgebers.<br />

Bezugsquellen 3 Wenn Sie die SISSY auslegen möchten oder einen Ort kennen, an dem<br />

SISSY noch fehlt, freuen wir uns über Ihre Nachricht. Eine kurze E-Mail<br />

genügt!<br />

Haftung Für gelistete Termine können wir keine Garantie geben.<br />

Die Angaben entsprechen dem Stand des Drucklegungstages.<br />

Bildnachweise Die Bildrechte liegen bei <strong>den</strong> jeweiligen Anbietern.<br />

Abo<br />

Sie können SISSY kostenfrei abonnieren: abo@sissymag.de<br />

Auch das noch …<br />

ISSN 1868-4009<br />

John Waters (unscharf) versucht, unter <strong>den</strong> überraschten Blicken des Publikums sein Fahrrad an einer<br />

Parkbank in Provincetown anzuschließen.<br />

jan künemund<br />

DEIN TYP<br />

IST GEFRAGT<br />

Ich engagiere mich<br />

in der schwulen Szene –<br />

als Organisations- und<br />

Projektentwickler, aber auch<br />

im Fundraising. Du willst dich auch<br />

ehrenamtlich in der Szene engagieren?<br />

Dann schau doch mal rein. www.iwwit.de<br />

46 sissy 19


„Weil das Leben <strong>nicht</strong> immer schön ist, tanzt der<br />

junge schwule Florian zu Christan Steiffens Song<br />

‚Ich fühl mich Disco‘ und flüchtet sich in eine Fantasiewelt.<br />

Wie er in Axel Ranischs Seelenwärmer dann<br />

doch <strong>den</strong> ersten Kuss und sein Coming-Out schafft,<br />

ist zum Küssen gut und trifft mitten ins Herz.“<br />

AZ MÜNCHEN<br />

„Axel Ranisch verrührt Skurriles mit Anrührendem,<br />

orchestriert die erste Liebe mit zotigen Mitklatschsongs<br />

und würzt seine ungewöhnliche Geschichte,<br />

die überdies von ganz wunderbaren Schauspielern<br />

getragen wird, mit gehörigem Schwung aus Trash<br />

und Tränen!“<br />

PLAYER<br />

„Axel Ranisch erobert erneut die Herzen seiner<br />

Zuschauer im Sturm. Sein zärtliches Coming-of-Age-<br />

Drama rührt, ohne rührselig zu veren<strong>den</strong>. Ranisch<br />

schafft es, einen kauzigen Neo-Schlagerstar wie<br />

Christian Steiffen und seine cheesy Melodien humorig<br />

einzusetzen, ohne im Klamauk zu stran<strong>den</strong>.“<br />

BERLIN-FILMFESTIVALS.DE<br />

„Axel Ranisch bringt ein wenig Anarchie und Verspieltheit<br />

in die deutsche <strong>Film</strong>landschaft.“ CRITIC.DE<br />

„Was von ‚Ich fühl mich Disco‘ in Erinnerung bleibt,<br />

sind aber das Herz und die Wucht, mit <strong>den</strong>en Ranisch<br />

von Floris sanftem Erblühen erzählt.“ SPIEGEL ONLINE

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!