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Magazin für den nicht-heterosexuellen Film - Sissy

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kino<br />

kino<br />

Sex,<br />

Lügen<br />

und ein<br />

weiSSer<br />

Pudel<br />

von Matthias Frings<br />

Nein, Michael Douglas wird <strong>für</strong> die Rolle<br />

seines Lebens keinen Oscar bekommen.<br />

Auch <strong>nicht</strong> Matt Damon <strong>für</strong> seine<br />

wirklich berührende Darstellung des<br />

Liberace-Liebhabers Scott. Und auch Rob<br />

Lowes todesmutiger Knallchargenauftritt<br />

als drogensüchtiger Schönheitschirurg<br />

wird es <strong>nicht</strong> in die Auswahl der besten<br />

männlichen Nebendarsteller schaffen.<br />

Denn: „Liberace – Zuviel des Guten<br />

ist wundervoll“ konnte in <strong>den</strong> USA nur<br />

als Fernsehfilm finanziert wer<strong>den</strong>, <strong>für</strong><br />

Hollywood war er „too gay“. Was <strong>nicht</strong>s<br />

oder gerade sehr viel über die Qualität<br />

dieses <strong>Film</strong>s aussagt. Wir in Europa<br />

haben es besser: Wir können jetzt im<br />

Kino schockiert zur Kenntnis nehmen,<br />

dass Liberace tatsächlich Sex hatte.<br />

s Der Star. Was <strong>für</strong> ein Schmierlappen. Dieser Mann ist die Fleischwerdung<br />

des bösen lieben Onkels, vor dem uns unsere Mütter immer<br />

gewarnt haben. Puddinggesicht mit Hakennase, ein uferloses Lächeln,<br />

auf dem man ausrutscht. Er näselt, hat zwei gebrochene Handgelenke<br />

und trägt ein glitterbestäubtes Schmalzlockentoupet. Die Vokabel<br />

„warmer Bruder“ hätte speziell <strong>für</strong> ihn erfun<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> können.<br />

Eine „one name celebrity“ – sein polnischer Vorname ist zu schwer<br />

auszusprechen – macht Liberace schon als Wunderkind auf sich aufmerksam.<br />

Er spielt exzellent Klavier, vor allem aber so schnell wie<br />

kein anderer. Bald ist er „Mr. Showmanship“, ein Superstar von <strong>den</strong><br />

Fünfzigern bis in die Achtziger, als er an <strong>den</strong> Folgen von Aids stirbt.<br />

Grell gekleidet in Pailletten-Barock inklusive Mantel aus weißem<br />

Fuchs mit Schleppe und Strass <strong>für</strong> hunderttausend Dollar („Schauen<br />

Sie genau hin, Sie haben ihn bezahlt!“), die Bühne ein multipler Orgasmus<br />

<strong>für</strong> Camp-Liebhaber, stets ein Kandelaber auf dem Klavier, hat er<br />

ausverkaufte Häuser zwischen New York und Las Vegas. Das große<br />

Bling haben <strong>nicht</strong> Äffinnen wie Paris Hilton erfun<strong>den</strong>, es war Liberace<br />

ganz allein, eine Mischung aus André Rieu und Harald Glööckler.<br />

Die Überraschung: Dieser Mann ist ein Sexsymbol, der feuchte<br />

Traum verzweifelter Hausfrauen. Schwul? Der doch <strong>nicht</strong>! „Liberace’s<br />

smile“ wird sogar in Nina Simones „My baby just cares for me“ verewigt.<br />

(George Michael ersetzte es in seiner Version durch „Ricky<br />

Martin’s smile“). Munter seiner Überzeugung folgend, dass das Publikum<br />

nur das sieht, was es sehen will, stürzt er sich nach allerlei Affären<br />

in die Beziehung mit einem Siebzehnjährigen.<br />

Man könnte die alte Geschichte vom Star und seinem Fan als Farce<br />

auf Speed erzählen, als „schrilles“ Melodram oder Tragikomödie.<br />

Nächste Überraschung: Steven Soderbergh tut <strong>nicht</strong>s dergleichen.<br />

Der Lover. Knusprig, naiv wie eine Brezel und tierlieb. Siebzehn ist<br />

<strong>nicht</strong> nur Scotts Alter, sondern als Waise hat er auch schon ebenso<br />

viele Pflegeeltern gehabt. Er arbeitet als Tiertrainer beim <strong>Film</strong>, eine<br />

schwule Barbekanntschaft nimmt ihn mit auf ein Liberace-Konzert<br />

in Las Vegas, und prompt lan<strong>den</strong> sie Backstage. Liberace ist von dem<br />

Gol<strong>den</strong> Boy entzückt. Als der auch noch <strong>für</strong>sorglich seinen Hund<br />

von einer Augenkrankheit erlöst, ist die Sache in trockenen Betttüchern.<br />

Ein weißer Königspudel als Kuppler – es könnte kein besseres<br />

Wappentier <strong>für</strong> diese Verbindung geben. Selbstre<strong>den</strong>d ist Scott vom<br />

Ruhm, der Villa, dem Geld geblendet, aber er ist weder gierig noch<br />

berechnend. Nur erstaunt wie ein Kind. Und er sucht Wärme, Nähe,<br />

Liebe.<br />

Ihre Beziehung. Von hier an könnte jeder <strong>den</strong> <strong>Film</strong> zu Ende schreiben:<br />

Eine verhängnisvolle Affäre, der falsche Glanz der Glimmerwelt, die<br />

sich als hart und schal erweist, sexuelle wie emotionale Ausbeutung,<br />

unausweichlicher Abstieg, Streit, Hass Drogen, Trennung, Erpressung.<br />

Nächste Überraschung. Soderbergh zeigt all dies. Weil es so stattgefun<strong>den</strong><br />

hat. Und zur gleichen Zeit erzählt er eine ganz andere, ganz<br />

alltägliche Geschichte. Weil er ein exzellenter Regisseur ist. Und sein<br />

Drehbuchautor verdammt originell schreiben kann. Abgesehen vom<br />

DCM<br />

ganzen Talmi, Flitter und Nippes – Liberace bezeichnet sein Haus<br />

zutreffend als „Palast-Kitsch“ – sieht man die Entwicklung einer<br />

x-beliebigen Liebesbeziehung, wie sie zwischen Männern, Frauen<br />

oder bekennen<strong>den</strong> Heterosexuellen so auch in Bad Salzuflen ablaufen<br />

könnte: Das erste Verliebtsein, die häuslichen Freu<strong>den</strong> einer sich eingrooven<strong>den</strong><br />

Zweisamkeit, das freundliche Gezänk darüber, was im<br />

Bett so alles passieren soll, der erste Streit, die ersten Freiheitsbestrebungen,<br />

Auseinandersetzungen über eine offene oder geschlossene<br />

Beziehung, Fremdgehen. Eifersucht, Trennung.<br />

Gerade weil hier alles im Las-Vegas-Format daherkommt, wird<br />

das Gewöhnliche, das Allgemeingültige dieser Beziehung zweier<br />

Menschen umso kenntlicher. Und so steht dieser <strong>Film</strong> ganz überraschend<br />

in einer Reihe mit anderen erwachsenen Werken des Queer<br />

Cinema, wo <strong>nicht</strong> mehr ausschließlich Schwulsein das Thema ist,<br />

ohne die Besonderheiten einer Liebe zwischen Männern zu leugnen.<br />

Die Darsteller. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit: Wie kann man<br />

eine flamboyante Tunte spielen, ohne in Klischees zu verfallen? Liberace<br />

selbst ist schon Klischee pur, noch einen drauflegen würde <strong>nicht</strong><br />

nur Diabetes verursachen, es wäre eine witzlose Parodie der Parodie<br />

und diskriminierend obendrein. Unterspielen geht aber auch <strong>nicht</strong>.<br />

Also greift Michael Douglas tief ins Schatzkästlein seiner Schauspielkunst.<br />

Er näselt sich absolut glaubwürdig durch Liberaces Manierismen,<br />

schlüpft mit atemberaubender Selbstverständlichkeit in seine<br />

weichen Bewegungen, präpariert die harten Seiten dieses scheinbar<br />

so leichtgewichtigen Mannes deutlich heraus. Alles ohne die großkotzige<br />

Selbstgefälligkeit, die so viele heterosexuelle Darsteller schwuler<br />

Charaktere an <strong>den</strong> Tag legen. Vor allem aber fügt er seiner Figur<br />

etwas Essentielles hinzu – die nächste Überraschung: Wärme, Liebenswürdigkeit,<br />

Charme. Da kann jemand Anteil nehmen, ist besorgt,<br />

liebevoll, aufmerksam. Gol<strong>den</strong>es Herz und eiserner Wille, er nimmt<br />

und gibt großzügig.<br />

Michael Douglas spielt schlafwandlerisch sicher, ein Augenaufschlag<br />

zu viel, eine ehrliches Lächeln zu wenig – und schon würde die<br />

Chose zusammenschrumpfen auf einen Käfig voller Narren.<br />

Matt Damon ist <strong>nicht</strong> zu benei<strong>den</strong>. Nicht nur, dass der Zweiundvierzigjährige<br />

sich verständlicherweise schwer tut, einen Siebzehnjährigen<br />

glaubwürdig darzustellen – Verbeugung vor der Kunst der<br />

Maskenbildner, Beleuchter und Fitnesstrainer – er muss auch mit seiner<br />

Boy-next-door-Rolle neben dem exzentrischen Mr. Überlebensgroß<br />

bestehen.<br />

Ganz ohne Arg legt er ihn an, ein wirklich netter Junge, eher zum<br />

Knuddeln als zum Ficken. Doch während dieser junge Mann langsam<br />

Blut leckt, Spaß findet an Ruhm, Geld und Drogen und sich trotz der<br />

Seitesprünge seines vierzig Jahre älteren Lovers an diese Beziehung<br />

klammert, rückt er immer stärker ins Zentrum des Geschehens. Eine<br />

Coming-of-Age-Story in Cinemascope. Auch bei Damon wirkt das<br />

Spiel leichtfüßig, ganz selbstverständlich. Und die Liebhaber draller<br />

Jungmännlichkeit kommen auch noch auf ihre Kosten.<br />

Die Regie. Das Buch. Welcher Regisseur würde sich diesen quietschbunten<br />

Tuschekasten entgehen lassen, die dicken Goldringe, <strong>den</strong><br />

verspiegelten Rolls Royce, Palmen, Pool und lebensgroße Leopar<strong>den</strong><br />

aus Porzellan? „Ludwig II. war der Liberace von Bayern“, sagt einmal<br />

ein Gast. Völlig zu recht. Doch inmitten dieser herrlich schwülstigen<br />

Kulissen legt Soderbergh die Struktur einer intimen Verbindung frei.<br />

Während die großen Showszenen in feurigem Rot und königlichem<br />

Blau gehalten sind, schafft er <strong>für</strong> die Privatwelt der bei<strong>den</strong> Männer<br />

eine Art ästhetischen Schutzraum. Dazu operiert er mit Licht, setzt<br />

die Lieben<strong>den</strong> zwischen Tisch und Bett sonnengelb und im flaumigsten<br />

Apricot ins Bild. Konsequenterweise fin<strong>den</strong> sich die gleichen Farben<br />

auch auf der Farm von Scotts Adoptiveltern. Die Wärme der Farben<br />

zeigt an, dass hier zwei trudelnde Seelen Nähe und Halt suchen,<br />

letztendlich so etwas wie eine Familie.<br />

Soderbergh liebt seine Schauspieler und lässt ihnen viel Raum <strong>für</strong><br />

die Entwicklung all der kleinen Zeichen, die eine Beziehung charakterisieren.<br />

Wie sie gemeinsam vor der Glotze hocken, sich gemütlich<br />

streiten und streicheln, das erzählt er mit konzentrierter Beiläufigkeit.<br />

Es wird viel geküsst in diesem <strong>Film</strong>. Während die bei<strong>den</strong> über<br />

Schwulsein, Bisexualität und Gott diskutieren, vergisst man hin und<br />

wieder, dass hier Michael Douglas unter Matt Damon liegt, ihm Poppers<br />

anbietet und im Hintergrund auf dem Videorecorder ein schwuler<br />

Hardcoreporno läuft.<br />

Die Kamera ist äußerst aufmerksam, registriert fast eifersüchtig<br />

je<strong>den</strong> Blick, jede Geste des Paares. Erst als Scott durch die „Diätpillen“<br />

eines Schönheitschirurgen süchtig wird, ändern die Farben sich,<br />

und die Kamera agiert beweglicher, hektischer, jünger. Nur zweimal<br />

erlaubt der <strong>Film</strong> sich einen Ausflug in die Farce: Rob Lowe legt als<br />

drogensüchtiger, flachgelifteter Chirurg ein schreiend komisches<br />

Kabinettstückchen hin, und wenn Liberace und Scott einen nächtlichen<br />

Ausflug in ein schmuddeliges Homo-Pornokino riskieren (in<br />

bo<strong>den</strong>langen weißen Pelzmänteln!), zeugt das <strong>nicht</strong> nur von Milieukenntnis,<br />

sondern lässt in seiner deftigen Komik auch erahnen, wie<br />

bedrückend ein Leben im Schrank <strong>für</strong> einen großen Star sein muss.<br />

Der <strong>Film</strong> lässt sich Zeit, wirkt nie gehetzt, doch hinter dem lässigen<br />

Tempo arbeitet ein präzise schnurrendes dramaturgisches<br />

Räderwerk. Drehbuchautor Richard LaGravenese (The Fisher King,<br />

The Bridges of Madison County) baut die Story äußerst ökonomisch.<br />

Für je<strong>den</strong> biographischen oder charakterlichen Aspekt seiner Figuren<br />

benötigt er exakt eine Szene. Er schreckt <strong>nicht</strong> vor <strong>den</strong> weniger<br />

sympathischen Seiten seiner Protagonisten zurück, hellt sie aber<br />

immer wieder durch pointierte und witzige Dialoge auf. Ein paar deftige<br />

Zitate <strong>für</strong> die <strong>Film</strong>geschichte sind allemal drin. Er nimmt <strong>nicht</strong><br />

Partei und weiß wie jeder gute Drehbuchschreiber, dass das Beste<br />

und das Verabscheuungswürdigste im menschlichen Verhalten nahe<br />

beieinander liegen.<br />

Die schwule Mafia. Welche schwule Mafia? In Hollywood wird gerne<br />

darüber spekuliert, wie die Homos sich gegenseitig stützen und<br />

ihre Agenda durchbringen. Schön wär’s. Dass es sie leider <strong>nicht</strong> gibt<br />

beweist die Produktionsgeschichte dieses <strong>Film</strong>s. Da hat man einen<br />

berühmten Regisseur, zwei Weltstars als Zugpferde, die sahnige<br />

Lebensgeschichte eines Mannes, <strong>den</strong> jedes Kind in <strong>den</strong> USA kennt –<br />

und doch scheiterten jahrelang alle Bemühungen, <strong>den</strong> Stoff zu finanzieren.<br />

Vergleichsweise läppische 23 Millionen Dollar waren aufzubringen,<br />

doch sie kamen <strong>nicht</strong> zusammen. Begründung: zu schwul!<br />

Und so erweist sich nebenbei die These, Brokeback Mountain habe im<br />

Mainstreamkino einige Türen <strong>für</strong> schwule Themen aufgestoßen, als<br />

Wunsch<strong>den</strong>ken.<br />

Schließlich griff der Kabelsender HBO zu. Dass Soderbergh seinen<br />

ersten <strong>Film</strong> auf der großen Leinwand in Cannes präsentierte und<br />

seinen letzten <strong>für</strong> das Fernsehen realisierte (in Europa läuft der <strong>Film</strong><br />

allerdings im Kino), zeigt ungewollt, wie sich die Gewichte zwischen<br />

dem ideenmü<strong>den</strong> Hollywood und einem quicklebendigen Fernsehen<br />

verlagert haben.<br />

Bei seiner TV-Ausstrahlung holte Behind the Candelabra die besten<br />

Quoten <strong>für</strong> <strong>den</strong> Sender seit 2004. Bye, bye Hollywood. s<br />

Liberace –<br />

Zu viel des Guten ist wundervoll<br />

von Steven Soderbergh<br />

US 2013, 119 Minuten, deutsche SF<br />

und englische OmU<br />

DCM Distribution, www.dcmworld.com<br />

Im Kino ab 3. Oktober 2013<br />

www-liberace-derfilm.de<br />

Vorab bereits im Gay-<strong>Film</strong>nacht-Special<br />

am 2. Oktober 2013 · Teilnehmende<br />

Kinos unter www.Gay-<strong>Film</strong>nacht.de<br />

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